Kunst, die keiner Kritik bedarf

06. September 2016 von Matthias Planitzer
Die scheidende Berlin Biennale zog zwar viele mitunter energische Reaktionen nach sich, doch selten biss sich die Kritik an einer Ausstellung so sehr die Zähne aus. Woran lag das?

Filmstill aus "Speculative Ambience/Narrative Devices", 2016, Videoserie für die 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, featuring Tilman Hornig: "GlassBook". © 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

Als vor eini­ger Zeit an die­ser Stel­le eine Hand­voll Fra­gen gestellt wur­den, wie heut­zu­ta­ge Kunst­kri­tik eigent­lich noch zu den­ken sein kön­ne, bestand die Absicht nicht nur etwa dar­in, eine Bran­chen­kri­tik, son­dern vor­nehm­lich auch einen Kom­pass für das eige­ne Ver­hält­nis zu Kunst und dem kri­ti­schen Umgang mit ihr zu gewin­nen. An elf­ter Stel­le wur­de gefragt: „Was bedeu­tet Kunst­kri­tik ange­sichts einer Kunst, die zuse­hends den Anspruch auf Sinn und Selbst­re­fle­xi­on auf­gibt und sich als Meme, als tota­le, ent­kon­tex­tua­li­sier­te Refe­renz neu begreift?“ Num­mer 16 lau­te­te: „Was bedeu­tet Kunst­kri­tik ange­sichts einer Kunst, die kei­ne Kunst­kri­tik mehr braucht?“ Und in der Fuß­no­te dazu: „Die­se Fra­ge ist hypothetisch.“

Mitt­ler­wei­le hat sich her­aus­ge­stellt, daß die­se Ange­le­gen­heit nicht mehr nur spe­ku­la­tiv zu ver­han­deln ist, viel mehr, daß ihr eine ganz rea­le Dring­lich­keit zusteht, die über den damals geäu­ßer­ten Ver­dacht hinausgeht.

Will Benedict: "Comparison leads to violence", 2013. © der Künstler, Balice Hertling Paris, Overduin & Co. Los Angeles, 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

Will Bene­dict: »Com­pa­ri­son leads to vio­lence«, 2013. © der Künst­ler, Bali­ce Hert­ling Paris, Over­duin & Co. Los Ange­les, 9. Ber­lin Bien­na­le für zeit­ge­nös­si­sche Kunst

Den Anlass gibt die in weni­gen Tagen enden­de, neun­te Aus­ga­be der Ber­lin Bien­na­le. Mehr als drei Mona­te Lauf­zeit lie­gen zurück, in denen viel geschrie­ben, viel gesagt, aber nur wenig gemeint, wenig gewusst und noch viel weni­ger kri­ti­siert wur­de. Das ein­hel­li­ge Urteil: „War ganz okay so, aber die Schlan­ge bei der Vir­tu­al-Rea­li­ty-Bril­le war zu lang.“ Soll hei­ßen: „Mega-cool und hip, was die da ver­an­stal­ten, aber kei­ne Ahnung war­um.“ Jeder Ver­such, das Ganz-Okay-So argu­men­ta­tiv zu unter­mau­ern und der Aus­stel­lung nahe zu kom­men, lief schnell ins Lee­re. Mal wur­de der ver­meint­li­che Man­gel einer kri­ti­schen Grund­hal­tung, mal der Rem­mi­dem­mi-Habi­tus einer wol­ken­wan­dern­den Digi­tal-Eli­te ins Feld geführt. Ande­re ver­such­ten ihre Ohn­macht mit faden­schei­ni­gen, weil nicht authen­ti­schen Geschmacks­ur­tei­len zu über­spie­len und fie­len damit in jene kurz­sich­ti­ge Mus­ter zurück, die über ein „gut“ und ein „über­ra­schend“, über ein „lang­wei­lig“ und ein „unver­ständ­lich“ nicht hinausreichen.

Dabei wäre doch gera­de die­ses Unver­mö­gen eine ein­ge­hen­de Betrach­tung wert gewe­sen: War­um ist die­se Kunst mit dem übli­chen Sek­ti­ons­be­steck des Kri­ti­kers nicht begreif­bar zu machen?

Eines vor­weg: Sie ist nicht über jeg­li­che Kri­tik erha­ben. Aller­dings ist jene Kunst, die bei­spiels­wei­se für die Ber­lin Bien­na­le zusam­men­ge­tra­gen wur­de, geschickt dar­in, sich der Kri­tik zu ent­zie­hen, indem sie die ihr inne­woh­nen­de Mecha­nik offen­bart und gezielt außer Kraft setzt. Das mag im Ein­zel­fall allei­ni­ger Zweck sein, ist aber durch­aus als ästhe­ti­scher Befrei­ungs­schlag anzuerkennen.

Vom Ursprung her gedacht, ist dies vor allem eine Reak­ti­on auf den fort­wäh­ren­den Zwang, die Kunst einer kri­ti­schen Ana­ly­se und Ein­ord­nung zu unter­zie­hen. Kunst­kri­tik, so lau­tet jeden­falls ein altes Ver­spre­chen, die­ne nicht zuletzt dem Zweck, Kunst in einen bestehen­den Kanon der Wer­tig­keit und Ver­wert­bar­keit ein­zu­bet­ten. Spä­tes­tens seit der per­ver­tier­ten Auf­blä­hung wei­ter Tei­le des Kunst­markts muss die­ses Selbst­ver­ständ­nis ernst­haft hin­ter­fragt wer­den. Manch ein Künst­ler sieht sich gezwun­gen, sich zu die­sem Ungleich­ge­wicht zwi­schen Markt- und Kri­tik­macht zu posi­tio­nie­ren, etwa wider­stän­dig gegen jeg­li­che Form der Wert­schöp­fung zu zei­gen und die Sys­tem­kri­tik gleich mit­zu­lie­fern. Seit­dem gilt es in man­chen Krei­sen als chic, die­sel­ben Künst­ler, die den Markt anpran­gern, mit sechs- bis sie­ben­stel­li­gen Beträ­gen zu han­deln. Wo der Wider­stand schnell zur gewinn­brin­gen­den Flos­kel ver­kommt, müs­sen daher ande­re, sorg­fäl­ti­ger kon­stru­ier­te For­men gefun­den werden.

Ryan Trecartin: "Center Jenny" (Filmstill), 2013. © der Künstler, Sprüth Magers, Regen Projects Los Angeles, Andrea Rosen Gallery New York

Ryan Tre­car­tin: »Cen­ter Jen­ny« (Film­still), 2013. © der Künst­ler, Sprüth Magers, Regen Pro­jects Los Ange­les, Andrea Rosen Gal­lery New York

Eine Stra­te­gie zielt dar­auf ab, das Gefü­ge, in das die Kunst ein­ge­bet­tet ist, zu unter­lau­fen. Sie kün­digt ihre Rol­le als deu­teln­der Markt­kri­ti­ker auf und dis­qua­li­fi­ziert im sel­ben Zug ihren Anspruch, einen Gegen­ent­wurf zur Rea­li­tät, einen unbe­stech­li­chen Rea­li­ty Check zu bie­ten, gleich mit. Statt­des­sen fin­det man­cher Künst­ler – und dazu gehört wohl auch ein gro­ßer Tei­le des Bien­na­le-Ensem­bles – Lust dar­an, das Ver­hält­nis der Kunst zu Welt und Markt unbe­stimmt zu las­sen. Dies gelingt am ein­fachs­ten und wir­kungs­volls­ten, wenn sie statt nach der Essenz zu schür­fen, die Din­ge ihrer Ober­flä­che nach bestim­men. Die­se Kunst steht nicht als wach­sa­mer Beob­ach­ter außen vor: Statt die­sel­be Distanz ein­zu­ge­hen, wel­che die Kunst­kri­tik als unver­äu­ßer­li­che Grund­la­ge ihrer Sicht­wei­se ver­steht, ziert sie sich nicht vor dem Voll­kon­takt. Sie appro­pri­iert, affir­miert und feti­schi­siert die Ober­flä­che, voll­zieht schließ­lich den mime­ti­schen Zir­kel­schluss hin zur meme-tischen Über­hö­hung. Liz­zie Fitch und Ryan Tre­car­tin füh­ren seit spä­tes­tens 2013 und auch in der Aka­de­mie der Küns­te vor, wie die­se Auf­blä­hung der Ober­flä­che in einen schwin­del­erre­gen­den Tau­mel übergeht.

Manch­mal wird die­se Kunst hei­ter und jauch­zend eins mit ihrem Gegen­stand, geht ganz in ihm auf, um nicht mehr von ihm unter­scheid­bar zu sein; manch­mal bil­det sie aber auch nur Schnitt­men­gen, geht gleich­zei­tig auf Abstand und auf Tuch­füh­lung mit der Welt und allem, was in ihr ist. Die­se bis­wei­len post-iro­nisch auf­tre­ten­de Kunst kann daher nach Belie­ben eine Kom­pli­zen­schaft mit den von ihr feti­schi­sier­ten Gegen­stän­den ein­ge­hen, kann aber auch ein dop­pel­te Spiel spie­len, wenn sie im sel­ben Moment das umarmt, was sie hin­ter­rücks zer­reißt. Sol­che Kunst kann daher immer dann geni­al wer­den, wenn ihr Ver­hält­nis zur Ober­flä­che unge­wiss bleibt, wenn sie weder ein­deu­tig Zustim­mung noch Kri­tik übt noch über­haupt etwas bei­trägt, wenn ihre Spra­che klar und doch wie ein Code erscheint, wenn sie sich frhih­fu­ieg­foief ver­hält und zugleich doch unfass­bar tjzkzhrrft­ge­grg ist. Die­ses nar­ri­sche Rän­ke­spiel um das Ver­hält­nis der Kunst zur Wirk­lich­keit wird mit viel Pomp zele­briert und stellt letzt­lich nicht weni­ger als die Kunst selbst infrage.

So lässt Debo­ra Del­mar ihre Per­son in einer gleich­na­mi­gen Fir­ma auf­ge­hen, wel­che neben ande­ren Grün­dun­gen wäh­rend der Bien­na­le eine öko­lo­gisch wert­vol­le Saft­bar betreibt. Dies kann man als schar­fen Kom­men­tar auf den frag­wür­di­gen Life­style einer Gene­ra­ti­on ver­ste­hen, die ihr Selbst durch­op­ti­miert bis sie es ganz ver­lo­ren hat. Man kann es aber auch als genau das auf­fas­sen, was ihrem Gebrauchs­wert ent­spricht: eine wei­te­re, unsäg­lich hip­pe Saftbar.

Daß dabei die Kunst­kri­tik auf gehö­ri­ge Pro­ble­me stößt, ist offen­sicht­lich. Sie hat nun die Wahl: Soll sie sich auf die­sen Mum­men­schanz ein­las­sen und die ihr aller­orts unflä­tig ent­ge­gen­ge­wor­fe­nen Ober­flä­chen unter­su­chen, ermit­teln was die­se aus­macht und wie die Kunst ins Spiel kommt? Oder soll­te sie gleich­gül­tig bleiben?

Schlech­ter­dings wird sie ihre kri­ti­sche Distanz um jeden Preis ver­tei­di­gen. Sie wür­de ihren alten Weg wei­ter ver­fol­gen, die Kunst sorg­fäl­tig abklop­fen und glau­ben, sich ihr und dadurch auch der Welt nähern zu kön­nen. Die kläg­li­chen Ergeb­nis­se konn­te man viel­fach nach­le­sen. Die Kunst­kri­tik könn­te aber auch gedul­dig schwei­gend auf den Ende des Hypes war­ten, womit sie viel­leicht sogar Erfolg haben könnte.

Sie könn­te aber auch den Sprung wagen und ihre Distanz auf­ge­ben. Statt­des­sen misch­te sie gehö­rig mit, täte es der Kunst gleich und lie­ße ihr Ver­hält­nis zu ihr und zur Welt im Unkla­ren. Sie könn­te es wagen, selbst zur Kunst zu wer­den, die von innen her­aus kom­men­tiert, wovon sie längst ein Teil ist, könn­te sich vor­der­grün­dig sym­pa­thi­sie­ren, aber ins­ge­heim sub­ver­siv agie­ren. Sie könn­te aber auch die­sel­ben Markt­me­cha­nis­men auf­grei­fen, über­trei­ben und schließ­lich per­ver­tie­ren, die ihr so lan­ge ein Dorn im Auge waren. Dazu müss­te die Kri­tik jedoch aner­ken­nen, daß ihre Kom­pe­tenz zur Wert­schöp­fung nur begrenzt ist. Ein sol­ches Ein­ge­ständ­nis wür­de jedoch zwangs­läu­fig als Kapi­tu­la­ti­on vor der Über­macht der Märk­te gele­sen wer­den. Bei­des hie­ße, sich der gro­ßen Her­aus­for­de­rung zu stel­len, ihre Rol­le im Kunst­zir­kus neu zu ver­or­ten. Es wäre naiv, dar­auf zu hof­fen. Aber womög­lich liegt es an (jun­gen und) furcht­lo­sen Künst­lern und Kri­ti­kern selbst, einen Anfang zu machen.

Kommentare

  1. Wirk­lich ein sehr guter und schön geschrie­be­ner Bei­trag! Es hat Spaß gemacht, ihn zu lesen und vor allem mal eine tief­grei­fen­de Logik in der Argu­men­ta­ti­on zu fin­den! Super!