Ai Weiwei hat’s also wieder getan: »Beeindruckend geschmacklos« (Stern), »pervers […] und am Rande jeder Zivilisation« (ntv) sei es, etwas »obszönes« gar (Tim Renner), ja, »lächerlich, peinlich, selbstverliebt, selbstdarstellerisch« (Morgenpost-Leser und Facebook-Nutzer Sven P.), das er sich da geleistet habe. Was denn nun schon wieder? Noch ein abgesoffener Flüchtling an feinstem europäischen Sandstrand? Noch eine Fuhre oller Schwimmwesten am Konzerthaus (AM KONZERTHAUS, UM GOTTES WILLEN!!!)?
Nein, nein, nur ein paar Notfalldecken, jene unverzichtbaren Utensilien aus dem Erste-Hilfe-Kasten, für einige hundert prominente und nicht ganz so prominente Gäste einer Benefizgala für die syrischen Kriegsopfer. Nachdem eben solche auf der Bühne eben jenes Konzerthauses standen und einige erschütternde Worte in den gebannt lauschenden Saal warfen, sollte man Solidarität bekunden und die gold-silbernen Folien überwerfen. Die Gäste haben sich wohl mehrheitlich darauf eingelassen, jedenfalls entstanden viele Selfies und Pressefotos mit Stanniolschimmer, wofür Ai und die restliche Abendgesellschaft viel Kritik und noch viel mehr Empörung auf sich zogen.
Man kann von Ai, dem Aktivisten, halten, was man möchte: Ob als Dissident glorifiziert oder Nervtöter verschmäht, politisch ist er allemal. Ai, der Künstler, ist jedenfalls getrennt davon zu sehen. Nämlich als jemand, der plumpe Platitüden zum Besten gibt und »Kitsch statt Kritik« produziert, wie die geschätzte Christina Landbrecht kürzlich feststellte. Dafür stand die Marke Ai Weiwei mit großem Wiedererkennungswert, ein echter Exportschlager made in China bereits, als die westliche Kunstwelt ihr noch vom anderen Ende des Globus zujubelte und postwendend mit ganz eigenen Exportschlagern und Werten antwortete. Es war chic, sich als Sympathisant seines Schaffens und Connaisseur seiner Kunst zu geben, jedenfalls solange Ai noch in der Heimat festgehalten wurde. Große Anstrengungen, zum Schluss auch auf höchster politischer Ebene wurden unternommen, um eine Ausreisegenehmigung zu bewirken. Nun, da der Chinese endlich in Berlin leben und lehren kann, da die Bürger im unbeschwerten Europa endlich ihren eigenen Dissidenten zum Anfassen haben und auch ausgiebig von ihrem Recht Gebrauch machen, erkennen sie, wen sie sich da ins Haus geholt haben: einen Spielverderber, einen elenden Mäkler und Madigmacher, einen undankbaren dazu, schließlich waren wir es, der Westen, der ihn da aus dem Höllenloch geholt hat! Uns in der Flüchtlingspolitik ausspielen, listiger Hund!
Das ist schon bitter: Trotz der eindringlichen Mahnung des Galeristen und Fernost-Spezialisten Alexander Ochs, man solle Ai Weiwei schon um seiner Sicherheit willen in Zukunft »als herausragenden Künstler« wahrnehmen und nicht etwa als politischen Aktivisten, fällt es nun, da die Suppe einmal versalzen, auf einmal schwer, überhaupt noch die notwendige Schöpfungshöhe zu erkennen. Denn der Prophet gilt nichts im eigenen Land – nein, es muss heißen: im Land seines Wohnsitzes. Welch Enttäuschung! Dabei tut Ai doch nur, was er am besten kann: Protestler sein. Während Pussy Riot und Konsorten es fernab der Heimat geschafft haben, sich in Milde zu üben und schnell zu integrieren, weil ihre Mission monothematisch war, bleibt Ai Weiwei auch im Ausland beharrlicher Idealist und legt auch weiterhin den Finger auf immer neue Wunden. Dabei kommt zwar nur selten gute Kunst herum, aber die Botschaft, so plump sie auch daherkommt, sie kommt an – nicht etwa nur am Rande, sondern inmitten der Zivilisation.