Babylonische Verwirrung an der Elbe

10. Februar 2017 von Matthias Planitzer
Die Debatte um die Businstallation vor der Dresdner Frauenkirche wird nur vordergründig über Kunstbegriffe und Flüchtlingspolitik geführt. Ein Vorankommen ist offensichtlich kaum möglich. Denn die Diskussion ist hintergründig stärker in Dresdens städtischer Identität verhaftet, als es den Konfliktparteien bewusst zu sein scheint.
Bernardo Bellotto, genannt Canaletto: "Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke", 1748

Bernardo Bellotto, genannt Canaletto: "Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke", 1748

Nach­dem ich das ver­gan­ge­ne Wochen­en­de für einen Kurz­be­such in Dres­den genutzt habe, um durch die übli­chen Muse­en und Samm­lun­gen zu schlen­dern, nahm ich es mit Bedau­ern auf, Man­af Halbounis Bus­in­stal­la­ti­on auf dem Neu­markt um nur weni­ge Stun­den ver­passt zu haben. Fast waren die Reak­tio­nen auf die Inter­ven­ti­on schnel­ler als der Auf­bau der­sel­ben, über­schlu­gen sich Ein­woh­ner, Pro­test­tou­ris­ten und Medi­en auf ihre je vor­her­sag­ba­re Art und Wei­se. Das allein, den Dresd­ner Nah­ost­kon­flikt an der Frau­en­kir­che zu besich­ti­gen, so wie man sonst den Zwin­ger oder das Alber­ti­num besich­tigt, um die städ­ti­sche Kul­tur auf die eine oder die ande­re Wei­se ken­nen­zu­ler­nen, wäre Grund genug gewe­sen, den Auf­ent­halt zu ver­län­gern. So wie­der­um muss ich, von der einen Pro­vinz in die ande­re gewech­selt, mir eben aus der Fer­ne einen Ein­druck verschaffen.

Aber zunächst zu den Befun­den: Der deutsch-syri­sche Künst­ler Man­af Halbouni lässt in der his­to­ri­schen Mit­te Dres­dens direkt vor der müh­sam wie­der auf­ge­bau­te Frau­en­kir­che eine Instal­la­ti­on aus drei Lini­en­bus­sen errich­ten. Vor­bild war ein prä­mier­tes Foto des syri­schen Jour­na­lis­ten Karam Al-Mas­ri, das eine ähn­li­che Sze­ne in den Stra­ßen Alep­pos zeig­te, wo der­art hoch­kant auf­ge­stell­te Bus­wracks vor Beschuss durch feind­li­che Trup­pen schüt­zen soll­ten. Al-Mas­ris Auf­nah­me rück­te auch das täg­li­che zivi­le Leben ins Bild und so ver­stand man­cher, dass es dem Enga­ge­ment der Bevöl­ke­rung zu ver­dan­ken war, dass die impo­san­te Bar­ri­ka­de errich­tet wur­de. Zwi­schen­zeit­lich wur­den Zwei­fel dar­an laut, nach­dem Augen­zeu­gen berich­te­ten, dass eine der vie­len in den Kon­flikt ver­wi­ckel­ten Mili­zen die Bus­se dort pla­zier­ten. In Dres­den indes wur­de die­se Nach­richt, obgleich seit 2015 bekannt, ver­spä­tet auf­ge­nom­men, zumal sich der Pro­test­sturm gegen Halbounis Inter­ven­ti­on zu die­sem immer noch weit vor der Ein­wei­hung gele­ge­nen Zeit­punkt längst ent­la­den hat­te. Aller­lei Anschul­di­gun­gen gegen den Künst­ler und die städ­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger wur­den vor­ge­bracht. Die übli­chen Res­sen­ti­ments gegen Flücht­lin­ge und Aus­län­der im All­ge­mei­nen, sowie Syrer im Spe­zi­el­len wur­den laut, wäh­rend Ober­bür­ger­meis­ter Hil­bert, Sach­sens stell­ver­tre­ten­der Minis­ter­prä­si­dent Mar­tin Dulig und Frau­en­kir­chen­pfar­rer Sebas­ti­an Pfe­ydt offen ange­fein­det, teils mit Mord­dro­hun­gen bedacht wurden.

Nun wird man mei­nen, dass die Reak­tio­nen leicht vor­her­zu­se­hen waren und dass es sich um eine maß­lo­se Pro­vo­ka­ti­on sei­tens des Künst­lers und der Stadt hand­le. Ganz so ein­fach ist es aber nicht. Halbounis Arbeit wur­de durch eine Crowd­fun­ding-Kam­pa­gne gedeckt und von der bür­ger­li­chen Kul­tur­för­de­rung Kul­tur­pa­ten Dres­den unter­stützt. Wenn also über­haupt von einer Pro­vo­ka­ti­on gespro­chen wer­den kann, dann von einer, die von einem nicht unwe­sent­li­chen Teil der Dresd­ner Bür­ger­schaft getra­gen wur­de. Das rückt die Akti­on frei­lich in ein ande­res Licht, denn auch wenn die Stadt nicht dar­an unbe­tei­ligt war, agier­te sie nicht von oben her­ab, son­dern ermög­lich­te den auch zuvor bestehen­den Dis­kurs um Stadt- und Lan­des­ge­schich­te vor dem Hin­ter­grund der sog. Flücht­lings­kri­se in den öffent­li­chen Raum zu brin­gen, der zuvor vor allem von Pegi­da und ihren Geg­nern besetzt wurde.

Verhärtete Fronten

Die Wahl der Bus­sym­bo­lik kann man für unge­schickt hal­ten, auch die bewuss­te Wahl von Ort und Zeit­punkt – am 13. Febru­ar jährt sich die Bom­bar­die­rung Dres­dens, wel­che die Zer­stö­rung der Frau­en­kir­che nach sich zie­hen soll­te, zum 72. mal – scheint künst­le­risch gese­hen doch eher als zu plump um über die rei­ne Ver­bin­dung hin­aus eine gehalt­vol­le Bezie­hung auf­bau­en zu kön­nen. Ob Pro­vo­ka­ti­on oder nicht, als künst­le­ri­sches Mit­tel taugt sie ohne­hin nur wenig und auch die in die­sen Tagen immer wie­der impli­zit und expli­zit geäu­ßer­te Hoff­nung, Kunst kön­ne poli­tisch wirk­sam sein, muss doch in Hin­blick auf etli­che Gegen­bei­spie­le der Gegen­wart und jün­ge­ren Geschich­te als nai­ve Träu­me­rei abge­tan wer­den. Davon völ­lig unan­ge­tas­tet bleibt jedoch die von Anne­kath­rin Kohout schlüs­sig vor­ge­tra­ge­ne Ein­schät­zung, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem künst­le­ri­schen Wert der Bustür­me der Absicht, Geg­ner und Befür­wor­ter zusam­men­zu­brin­gen, eher abträg­lich ist. Der ohne­hin schon bestehen­de Gra­ben­kampf einer Gesell­schaft, die ihre Fron­ten zuse­hends nicht mehr nur in einer poli­ti­schen, son­dern auch in einer intel­lek­tu­el­len und sozia­len Land­schaft zieht und dies immer wie­der wort­stark betont, wird durch die ver­bis­se­ne Rei­te­rei um künst­le­ri­sche Details eher ver­schärft als gelin­dert. Trotz bür­ger­li­cher Betei­li­gung an der Akti­on kom­men bei­de Sei­ten nach­voll­zieh­bar zu dem Ein­druck, dass der Gegen­über vor allem aus sei­ner Posi­ti­on auf der ande­ren Sei­te des intel­lek­tu­el­len Gra­bens her­aus argu­men­tiert und nicht etwa vor dem Hin­ter­grund der sach­lich ergründ­ba­ren Pro­ble­me hier­zu­lan­de und im Aus­land in Dia­log tre­ten möch­te. Wenn der eine die unweit resi­die­ren­de Six­ti­ni­sche Madon­na, der ande­re aber die poli­ti­sche Groß­wet­ter­la­ge als ästhe­ti­sche Refe­renz­punk­te begreift, sind Vor­wür­fe links-intel­lek­tu­el­len Gut­men­schen­tums und pro­vin­zi­el­len Banau­sen­tums absehbar.

Um den ein­mal ent­fach­ten Kon­flikt um den in die­ser Sache doch recht bemit­lei­dens­wer­ten, weil von allen Sei­ten als Pos­ter­boy ge- und sicher­lich auch miss­brauch­ten Man­af Halbouni noch einem kon­struk­ti­ven Zweck zuzu­füh­ren, wird es, so ver­mu­te ich, eben­so­we­nig hel­fen, ihre poli­ti­sche Aus­sa­ge zu ergrün­den. Die Instal­la­ti­on wird bereits von einer Sei­te vor­der­grün­dig als Ges­te, nicht als Dis­kus­si­ons­auf­ruf ver­stan­den, sodass Halbounis ehren­haf­tes Enga­ge­ment um die Men­schen in und aus Bür­ger­kriegs­ge­bie­ten eben­falls in der auf­ge­heiz­ten Stim­mung in Rauch auf­geht. Ein in die­ser pola­ri­sier­ten Debat­te gän­gi­ges Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter ist da schon auf­schluss­rei­cher. Es wur­de wie­der­holt der Vor­wurf geäu­ßert, dass die Alt­stadt durch die Instal­la­ti­on und ihre Akteu­re ver­schan­delt wer­de. Dass die Frau­en­kir­che ein Mahn­mal allein der Dresd­ner Geschich­te sei. Dass der Neu­markt, über­haupt die Dresd­ner Alt­stadt nicht der rich­ti­ge Ort sei­en. Argu­men­te also, wel­che die Iden­ti­tät der Alt­stadt und damit ins­be­son­de­re ihre Bau­his­to­rie ins Feld füh­ren. Die­se Rhe­to­rik ist kei­nes­wegs neu. Sie ist Aus­druck eines die letz­ten Jahr­zehn­te wie einen roten Faden durch­zie­hen­den son­der­ba­ren Ver­hält­nis zur Stadt­ge­schich­te und zum Stadt­bild. Daher ist es viel­leicht nicht der Streit um den künst­le­ri­schen Wert oder um die da oben und die da unten, son­dern die dar­in vor­herr­schen­den Argu­men­ta­ti­ons­ket­ten, wel­che in Hin­blick auf Dres­dens Nach­kriegs­iden­ti­tät und sei­ne städ­te­bau­li­che Ent­schei­dun­gen sinn­voll zu ergrün­den sind.

Dresdens sonderbares Verhältnis zu seinem Stadtbild

Dres­den wur­de bekann­ter­ma­ßen in den letz­ten Kriegs­ta­gen von alli­ier­ten Bom­ber­ver­bän­den ange­grif­fen und in weni­gen Näch­ten dem Erd­bo­den gleich­ge­macht. Davon waren ins­be­son­de­re die Alt­stadt und mit ihr auch die Frau­en­kir­che betrof­fen, sodass in der Fol­ge ihre Rui­nen immer wie­der als Pro­jek­ti­ons­flä­che für revi­sio­nis­ti­sche und zorn­ent­brann­te Rache­kam­pa­gnen glei­cher­ma­ßen wie für Nach­wei­se der kol­lek­ti­ven Kriegs­schuld gebraucht wur­den. Ande­re deut­sche Städ­te wie Würz­burg, Pforz­heim, Mag­de­burg, Hanau und gewis­ser­ma­ßen auch Mainz erlit­ten in den letz­ten Kriegs­wo­chen ein ähn­li­ches Schick­sal und doch ist zumin­dest mir nicht bekannt, dass über eine maß­vol­le Gedenk­kul­tur und klei­ne­re rechts­na­tio­na­le Inter­pre­ta­ti­ons­ver­su­che hin­aus ein der­art tief sit­zen­des Trau­ma wie in Dres­den immer und immer wie­der zum Aus­druck gebracht wur­de. Inso­fern ist zumin­dest die Hypo­the­se eines spe­zi­fi­schen Dresd­ner Sen­ti­ments nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Im Gegen­teil las­sen sich ihre Spu­ren womög­lich durch die Geschich­te nach und vor dem Krieg verfolgen.

Prager Zeile nach Entwürfen von Kurt Haller, Manfred Arlt und Karl-Heinz Schulze (1965 - 1967)

Pra­ger Zei­le nach Ent­wür­fen von Kurt Hal­ler, Man­fred Arlt und Karl-Heinz Schul­ze (1965 — 1967)

Einen ers­ten Hin­weis dar­auf gibt der gegen­wär­ti­ge Zustand der Dresd­ner Alt­stadt selbst. Besu­cher sind über den makel­lo­sen Zustand der vie­len präch­ti­gen Gebäu­de aus dem Barock und teils der Renais­sance über­rascht, der bei ober­fläch­li­cher Betrach­tung nur sel­ten den Ver­dacht auf­kom­men lässt, dass es über­haupt eine weit­ge­hen­de Zer­stö­rung gege­ben haben könn­te. Allein die Frau­en­kir­che erin­nert als pro­mi­nen­tes Bei­spiel einer Geschich­te des Wie­der­auf­baus weit­hin sicht­bar an ihre jün­ge­re Ver­gan­gen­heit. Der rest­li­che Teil der Alt­stadt, so denn er dem Krieg einst zum Opfer fiel, erstarrt vor geschei­ter­ten his­to­ri­zis­ti­schen Wie­der­be­le­bungs­ver­su­chen und zieht wenn über­haupt nur das tou­ris­ti­sche, aber kein bür­ger­li­ches Leben an. Das spielt sich längst in ande­ren Stadt­tei­len ab, nicht aber in der Alt­stadt, wo eine dif­fu­se Ver­gan­gen­heit, wel­che den ver­meint­li­chen Zustand vor 1945 dar­stel­len soll, beharr­lich wie­der­her­zu­stel­len ver­sucht wird. Das Bewusst­sein für die Stadt­his­to­rie scheint dar­über­hin­aus kaum ent­wi­ckelt zu sein. So wird das baro­cke Dres­den Augusts des Star­ken immer wie­der aus der Kon­ser­ve gezo­gen, als müss­te es auch heu­te noch mit den berühm­ten Vedu­ten Cana­let­tos und den Post­kar­ten, die in sei­nen Gas­sen viel­fach ver­kauft wer­den, mit­hal­ten. Die über­vor­sich­ti­ge Kon­ser­vie­rung baro­cker und vor­ba­ro­cker Archi­tek­tur lässt sich frei­lich auch in vie­len ande­ren mit­tel­eu­ro­päi­schen Städ­ten beob­ach­ten, in Städ­ten also, die eben­falls das Trau­ma der Kriegs­zer­stö­rung erlit­ten haben. Doch wäh­rend andern­orts auch der Nach­kriegs­zeit Raum gege­ben wur­de und teils küh­ne Bau­vor­ha­ben umge­setzt und heu­te noch gewür­digt wer­den – man neh­me nur Rot­ter­dam als Bei­spiel –, bleibt die Dresd­ner Bezie­hung zur jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit auf­fäl­lig unter­kühlt. Ins­be­son­de­re die Archi­tek­tur der DDR fris­tet hier ein selt­sa­mes Schat­ten­da­sein, obwohl sie man­cher­orts wei­ter­hin das Stadt­bild auf­lo­ckert und immer dort, wo sie alte Bau­lü­cken auf­füllt, von erfri­schen­dem Prag­ma­tis­mus zeugt. Die lan­ge Fla­nier­mei­le der Pra­ger Stra­ße, unweit der Alt­stadt gele­gen, zeugt von einer Idee des sozia­len Städ­te­baus, wel­che wei­ter west­lich gele­ge­nen und weit­aus auf­ge­schlos­se­ner auf­ge­nom­me­nen Bei­spie­len wie etwa Le Cor­bu­si­ers Unité d’Habitation in Mar­seil­le und auch Ber­lin oder Jean Dubuis­sons Maine-Mont­par­nas­se in Paris kaum nach­steht. Und so wie etwa das viel geschol­te­ne Fli­cken­werk sozia­lis­ti­scher und mit­tel­al­ter­li­cher Archi­tek­tur im Ber­li­ner Niko­lai­vier­tel wei­ter­hin unan­ge­tas­tet bleibt, wer­den ähn­li­che städ­te­bau­li­che Lösun­gen im Dresd­ner Zen­trum geschmäht.

Aus den Idealen des so sehr verehrten Dresdner Barocks wurde nichts gelernt.

Dabei war es gera­de August, des­sen baro­ckes Dres­den die heu­ti­ge Bau­po­li­tik als ein­zig erhal­tens­wür­di­ges Frag­ment und wie­der­her­zu­stel­len­den Mit­tel­punkt der aus dem Schutt auf­er­stan­de­nen Stadt ver­steht, wel­cher eine städ­te­bau­li­che Phi­lo­so­phie von gera­de­zu gegen­tei­li­ger Offen­heit gegen den Wider­stand sei­ner Minis­ter durch­setz­te. Der säch­si­sche Her­zog ließ sich auf Rei­sen durch ganz Euro­pa von den damals gera­de auf­blü­hen­den Visio­nen des Städ­te­baus inspi­rie­ren, um dar­aus schließ­lich eine neue Gestalt sei­ner Resi­denz­stadt zu ent­wi­ckeln. Dazu lud er Archi­tek­ten, Künst­ler und Hand­wer­ker vor allem aus Ita­li­en und Frank­reich an sei­nen Hof, wo ein­hei­mi­sche Kol­le­gen bald in der Unter­zahl waren. Hier soll­ten ihre Ideen für sei­ne weit­sich­ti­gen Pro­jek­te im Sin­ne eines inter­na­tio­na­len Stils auf­blü­hen. Einer sei­ner Bau­meis­ter, Mat­thi­as Dani­el Pöp­pel­mann, kehr­te von einer Stu­di­en­rei­se nach Ita­li­en mit Plä­nen zurück, wel­che Dres­den als eine bis an die Elbe rei­chen­de archi­tek­to­ni­sche Kom­po­si­ti­on neu dach­ten. Das Vor­ha­ben war zu die­sem Zeit­punkt nicht weni­ger gewagt als heu­te der Bau der höchs­ten Wol­ken­krat­zer, sah er doch einen nörd­lich der Alpen nie zuvor gese­he­nen Städ­te­bau vor. Die Fes­tungs­stadt Dres­den soll­te teil­wei­se von sei­nen Boll­wer­ken befreit und zur Land­schaft hin geöff­net wer­den. August konn­te sich gegen den Wider­stand füh­ren­der Mili­tärs und Minis­ter durch­set­zen und die gewöhn­li­che Ufer­sied­lung als Ensem­ble aus Stadt und umlie­gen­dem Land neu gestal­ten, indem er das Elbe­tal als alles ver­bin­den­des Ele­ment in sei­ne Pla­nun­gen ein­be­zog. So setz­te er anstatt mili­tä­ri­scher Stel­lun­gen eine Rei­he von Ver­gnü­gungs­bau­ten wie das Japa­ni­sche Palais und in eini­ger Ent­fer­nung sein herr­schaft­lich prunk­vol­les Schloss Pill­nitz. Nur ein Jahr­hun­dert spä­ter wur­den Tei­le der ver­blie­be­nen Fes­tungs­mau­ern als Fla­nier­mei­le neu kon­zi­piert, wel­che fort­an als Brühl­sche Herr­lich­kei­ten zum Lust­wan­deln mit Blick auf die sich davor schlän­geln­de Elbe einlud.

Die seit­dem viel gerühm­te Kul­tur­land­schaft Dresd­ner Elbe­tal gab so auch Anlass zum weit­hin bekann­ten Gemäl­de­zy­klus Cana­let­tos (s.o.), wel­cher bereits Vene­dig mit ähn­lich majes­tä­ti­schen Ansich­ten ehr­te und damit das bis dahin eher abseits der euro­päi­schen Auf­merk­sam­keit gele­ge­ne Dres­den gewis­ser­ma­ßen auf die Welt­büh­ne hol­te. Hein­rich von Kleist schwärmt noch 1801 von Dres­dens »große[r], feierliche[r] Lage, in der Mit­te der umkrän­zen­den Elb­hö­hen, die in eini­ger Ent­fer­nung, als ob sie aus Ehr­furcht nicht näher zu tre­ten wag­ten, es umla­gern. Der Strom ver­lässt plötz­lich sein rech­tes Ufer und wen­det sich schnell nach Dres­den, sei­nen Lieb­ling zu küs­sen.« Eini­ge Jahr­zehn­te spä­ter wird schließ­lich Dres­den als das allen ande­ren vor­an­ge­hen­de »Elb­flo­renz« geschmei­chelt – ein Aus­druck, der auch heu­te noch viel gebraucht wird und bezeich­nen­der­wei­se gera­de von den kon­ser­va­ti­ven und natio­na­len Kräf­ten der Stadt mit kampf­re­dens­art­li­chem Nach­druck beschwo­ren wird. Die Qua­li­tät die­ses Elb­flo­renz jedoch, wel­che sich eben beson­ders auf die Kul­tur­land­schaft begrün­det, die weit über die Alt­stadt hin­aus wirkt, wird jedoch in den meis­ten Dis­kus­sio­nen um die städ­ti­sche Iden­ti­tät, ob nun im Fall Halbounis oder auch in all den Jah­ren zuvor, gänz­lich aus­ge­spart. Die zeit­ge­nös­si­sche Iden­ti­tät Dres­dens fokus­siert sich indes­sen aus­schließ­lich aus den erhal­te­nen und restau­rier­ten Gebäu­den auf weni­ger als einem Qua­drat­ki­lo­me­ter Fläche.

Cana­let­tos ein­fluss­rei­ches Gemäl­de vom rech­ten Elb­ufer unter­halb der Augus­tus­brü­cke weist aber auch deut­lich auf die wei­ter­hin wir­ken­den pro­gres­si­ven Kräf­te des baro­cken Dres­dens hin, wenn es nicht nur die vie­len herr­li­chen Neu­bau­ten, son­dern auch die zukünf­ti­gen Bau­vor­ha­ben pro­mi­nent ins Licht rückt: Der Turm der Hof­kir­che ist in der bekann­te­ren ers­ten Fas­sung des Gemäl­des noch in sein Gerüst gehüllt, obwohl zu jenem Zeit­punkt der Bau längst nicht so weit fort­ge­schrit­ten war. Cana­let­to griff auf Kon­struk­ti­ons­zeich­nun­gen zurück, um den zukünf­ti­gen Blick auf die neue Elb­me­tro­po­le bereits vor­weg­zu­neh­men — auch wenn schließ­lich die Bau­plä­ne in abge­wan­del­ter Form aus­ge­führt wur­den. Die­se Auf­bruchs­stim­mung blieb in Dres­den auch nach August noch erhal­ten. Das deut­lichs­te Bei­spiel ist wohl die Kunst­aka­de­mie Corn­li­us Lip­si­us‹, für deren his­to­ris­ti­schen Neu­bau die alte Gemäl­de­ga­le­rie, zuvor ein Teil der Brühl­schen Herr­lich­kei­ten, wei­chen musste.

Militärhistorisches Museum Dresden, Foto: © Wikipedia-User Kolossos, creative commons

Mili­tär­his­to­ri­sches Muse­um Dres­den, Foto: © Wiki­pe­dia-User Kolos­sos, crea­ti­ve commons

Die­se visio­nä­re Hal­tung Augusts und sei­ner Nach­fol­ger, sei­ner Archi­tek­ten und Künst­ler fin­det auch heu­te noch vie­le Bewun­de­rer, allein kaum Nach­ah­mer. Die Stadt pro­spe­riert wie wohl nie seit dem Mau­er­fall und ist über die Regi­on hin­aus ein Magnet für Zuzie­hen­de. Es bestün­de genü­gend Grund, dies auch städ­te­bau­lich aus­zu­drü­cken. Als die Samm­lung des Tex­til­un­ter­neh­mer­paars Hoff­mann nach der Wen­de eine Kunst­hal­le nach Dres­den brin­gen woll­te, um die über Jahr­zehn­te vom Wes­ten abge­schot­te­te Stadt an die par­al­lel wei­ter­ge­lau­fe­ne, frem­de Kunst her­an­zu­füh­ren, wur­de dies von der Bür­ger­schaft abge­lehnt. Die Plä­ne Frank Stel­las für das ein­ma­li­ge Pro­jekt in bes­ter Innen­stadt­la­ge schei­ter­ten am Wider­stand einer Öffent­lich­keit, die lie­ber wei­ter­hin ihre Kriegs­wun­den leckt. Statt in bes­ter augus­te­ischer Manier vor­an­zu­ge­hen und vor­zu­den­ken wer­den seit­dem nur behut­sa­me Restau­ra­ti­ons­pro­jek­te vor­an­ge­bracht, wel­che allein dem Zweck die­nen, mit erb­ver­wal­te­ri­scher Eng­stir­nig­keit einem längst ver­lo­re­nen Glanz hin­ter­her zu trau­ern. Die Wie­der­rich­tung der Frau­en­kir­che als inter­na­tio­na­les Pro­jekt der Ver­söh­nung und Frie­dens­po­li­tik zu begrei­fen, war frei­lich die ein­zig nen­nens­wer­te Aus­nah­me von der gest­ri­gen Erinnerungskultur.

Doch es gibt noch Licht am Hori­zont: Mit der Neu­en Syn­ago­ge wur­de 2001 in Alt­stadt­rand­la­ge unweit der Brühl­schen Ter­ras­sen ein in sich ver­dreh­ter Beton­ku­bus errich­tet, wie er für jün­ge­re Sakral­bau­ten typisch ist. Damit wur­de zwar vor allem der in der NS-Dik­ta­tur geschän­de­te, bis dahin his­to­ri­sche Ort der Alten Syn­ago­ge gewür­digt, aber immer­hin die Nähe zur Alt­stadt nicht gescheut. Zudem wur­de in der rechts der Elbe lie­gen­den Neu­stadt der his­to­ri­zis­ti­sche Bau des Mili­tär­his­to­ri­schen Muse­um nach küh­nen Ent­wür­fen von Dani­el Libes­kind von Grund auf neu gestal­tet. Libes­kind war es auch, der den Dresd­nern eine neue Form des Kriegs­ge­den­kens offen­bar­te. Sein keil­för­mi­ger Riss zeigt auf jenen Ort, von wo aus die Bom­bar­die­rung der Stadt sei­nen Anfang nahm und beher­bergt in sei­nem Inne­ren jenen Teil der Dau­er­aus­stel­lung, wel­cher der jün­ge­ren Mili­tär­ge­schich­te gewid­met ist.

Die Altstadt im Klammergriff

Mut zur zeit­ge­nös­si­schen Ästhe­tik ist also durch­aus vor­han­den, nur eben in nicht im Stadt­kern. Wenn dann ein Künst­ler eine Instal­la­ti­on auf dem Neu­markt errich­tet, wo sonst wie in vie­len deut­schen Groß­städ­ten die Kos­tü­mier­ten, Gele­gen­heits­sän­ger und weni­ger talen­tier­ten Bett­ler ihre Klin­gel­beu­tel her­um­rei­chen, stößt das auf Irri­ta­tio­nen. Halbouni und sei­ne Unter­stüt­zer müs­sen sich des­sen bewusst sein. Als Pro­vo­ka­ti­on muss man ihre Stand­ort­wahl trotz­dem nicht auf­fas­sen, denn es dürf­te wohl die Nähe zur Frau­en­kir­che und damit der Schul­ter­schluss mit dem ande­ren Frie­dens­mo­nu­ment der Stadt gewe­sen sein, wel­che ihre Ent­schei­dung lei­te­ten. All jene jedoch, wel­che bereits die Flücht­lings­de­bat­te als Bedro­hung ihrer loka­len Iden­ti­tät auf­nah­men, wer­den auch die Bus­in­stal­la­ti­on als Gefahr für den Stadt­raum begrei­fen müs­sen. Wenn dann alle Beschwich­ti­gungs­ver­su­che nur dar­auf abzie­len, die Inte­gri­tät des Kunst­werks zu wah­ren und sei­nen inne­ren Kon­text zu erläu­tern, führt das in den Ohren der Kri­ti­ker nicht nur am Pro­blem vor­bei, son­dern muss para­do­xer­wei­se als welt­frem­des Gut­men­schen­tum erschei­nen. Daher wäre es mit­un­ter ziel­füh­ren­der, die Dis­kus­si­on nicht von der Kunst, son­dern von der Stadt aus zu ent­wi­ckeln. Denn Dres­dens Iden­ti­tät, so wider­sprüch­lich sie an den Städ­te­bau geknüpft ist, ist viel­leicht noch das ein­zi­ge Band, das zwi­schen den ver­fein­de­ten Bevöl­ke­rungs­tei­len ent­spannt ist.