Am vergangenen Freitag luden das NRW-Forum und das Museum Kunstpalast eine Bloggerschar nach Düsseldorf ein, um sich »im kleinen Kreis über Social Media und Online-Kunstkritik auszutauschen«. Ein Thema, das, so schien es, manchen derzeit schon allein deshalb umtreibt, weil zumindest im deutschsprachigen Raum viel Trübsal geblasen wird und niemand so recht weiß, was nun zu tun sei. Allerdings griffen die Gastgeber das Thema der Stunde sicherlich auch auf, um ihre eigene Praxis zu überprüfen und Anregungen zu erhalten, wie sie sich in Zukunft besser in den digitalen Medien platzieren können. So trafen sich also zwölf angereiste Gäste mit sechs Offiziellen der beteiligten Häuser, um Anika Meiers Impulsvortrag »In Flauschgewittern« – eine Polemik, offenbar auf Herrndorf gemünzt, in Zustimmung zu Roland Nachtigäller neulich erstellter Diagnose einer zu gefälligen, harmlosen Kunstbloggerschaft – zu lauschen und ihre Ansichten beizutragen. Die Vortragende führte prägnante Beispiele irritierender Missverständnisse social-media-unerfahrener Museen gegenüber Instagrammern (Kunst-Selfie als #thehype) an und die beleidigten Reaktionen dünnbesaiteter Flauschblogger auf konstruktive Kritik am bitte schön glacéebehandschuht zu behandelnden Selbstverständnis vor. Genügend Impulse für eine hitzige Diskussion also, möchte man meinen.
Allein, derlei Meinungen und Wortmeldungen wurden nur wenige geäußert. Ich warf ein, daß dies Gründe dafür seien, daß im Allgemeinen die Luft raus sei, daß ich keine Kunstblogs mehr – auch nicht die der Anwesenden – lese und wiederholte auch einige andere jener Feststellungen, die ich erst kürzlich an dieser Stelle niederschrieb. Reaktionen blieben zumeist aus. Allein meine Behauptung, daß die Kunstkritik nicht in einer weiteren Krise gefangen sei, förderte zumindest ein verhaltenes Raunen zutage. Davon abgesehen hüllte sich ein Großteil der Gäste meist in Schweigen. So tastete man sich also für einige Minuten am Stoff entlang und blieb am Ende der kurzen Diskussion freilich ergebnis- und einsichtslos, auch zu einem Kon- oder Dissenz gelangte man nicht. Jedenfalls musste das Programm bald mit Führungen durch die durchaus unterhaltsamen Ausstellungen »Ego update« hüben wie »Zurbaran« drüben weitergehen, wo man noch die eine oder andere Stunde gebraucht hätte, um sich endlich jenem produktiven Streit und Zank hinzugeben, auf den zumindest ich gehofft hatte. Ein Traumergebnis wäre es doch gewesen, wenn der eine oder andere wutentbrannt aus der Tür gestürmt wäre. Endlich Emotionen, endlich Reibereien, endlich Leidenschaft! Damit hätten sich Gastgeber und Gäste schmücken können. Aber so? Flauschgewitter eben. Vielleicht hätte man einander auch erst näher kennenlernen müssen, um sich kritisieren zu können; über den Gegenstand jedenfalls wurde nur kurz gesprochen. Daher kann ich mich wohl oder übel an keinen bleibenden Gedanken erinnern, der mich über die kurze Diskussion hinaus begleitet hätte.
Womöglich ist es nach diesem ernüchternden Nachmittag aber auch notwendig, das Symptom des Flauschgewitters näher zu bestimmen. Wo entspringt also dieses Harmoniebedürfnis, wenn nicht in der eigenen Unsicherheit und mangelndem Selbstbewusstsein? Denn was on- wie auch offline vorzuherrschen scheint ist eine Scheu, ja vielleicht sogar ein Angst vor Meinung und Subjektivität. Sei es die Äußerung eigener Ansichten, die ja jederzeit einen Widerspruch nach sich ziehen könnte, oder die Meinungen anderer, zu denen man sich irgendwie positionieren müsste. Beides könnte ja das sorgsam gebaute Nest erschüttern, könnte den status quo ins Taumeln bringen, oder gar – Gott behüte! – das Image als Stimme der Vernunft beschädigen. Und was ist in der Kunstwelt und seinen Trabanten schon, wer kein gutes Standing hat? Also: Hauptsache PC! Bloß niemanden vor den Kopf stoßen, bloß nicht mit harten, lieber doch mit flauschig-weichen Bandagen kämpfen! So werden Meinung und Polemik, Ironie und Sarkasmus als unkalkulierbare Risiken verschmäht und die allgemeine Verödung als willkommenes Sedativum begrüßt. Und wenn der einsame Rufer in der Wüste seine mahnenden Fragen in den Wind gießt, purzelt entweder das Tumbleweed durchs Bild oder man beschwert sich über die unverschämte Ruhestörung. Da wird dann die immer gleiche »Wir sitzen doch alle im selben Boot«-Rhetorik bemüht, um ja doch nur die eigene Hilflosigkeit zu enttarnen.
Ja, aber in welchem Boot eigentlich? Etwa in jenem, das die Kunstkritik als Wertschöpfungsgarant und damit als eine weitere Planke irgendwo am Bug versteht, damit nicht alle absaufen, die Fahrt weitergehen kann? Oder in jenem, in dem sie als Korrektiv angesehen wird, weil der Steuermann von Zeit zu Zeit vom Kurs abkommt? So kann ich mich nur wiederholen und erneut bekräftigen, daß der Narrativ von der kriselnden Kunstkritik zwar nicht zutrifft, weil sein eigentlicher Zusammenhang zum Kunstmarkt weitestgehend noch der gleiche ist, sich aber vor allem online eine Stimmung der affirmativen Kopfnickens breit gemacht hat, wo man vom Großartigen nur träumt, aber das Risiko scheut, das damit einhergeht.
Nun ja, schauen wir mal, welchen Beitrag dieser bescheidene Blog leisten kann.
Hallo Matthias,
ich frage mich die ganze Zeit (es geht ja auf diversen Kanälen hin und her) warum man nur Türen zu schlagend und vor den Kopf stoßend eine eigene Meinung haben können soll. Wieso kann man nicht auch wertschätzend kommunizieren und trotzdem Inhalte beitragen, die zumindest eine Diskussion ermöglichen.
Ich weiß auch nicht wieso, aber ich muss in letzter Zeit öfter mal an Klaus Kinsky denken …
Jedem ist es überlassen, wie er sich nach außen zeigen will. Aber ob man mit reiner Polemik etwas bewegt? Ich glaube nicht!
Viele Grüße von Anke
P.S. Ich konnte leider nicht zum Bloggertreffen, weil ich in Wien war. Hätte mich aber gefreut, euch kennenzulernen!
Das Schöne an der Textgattung der Polemik ist doch, daß sie mit den Mitteln der Übertreibung und Zuspitzung zuverlässig allerlei Reaktionen provoziert, insofern immer da angemessen ist, wo vor allem Schweigen herrscht. Was mich jedoch immer wieder verwundert, ist der Umgang mit solchen Meinungen. Zumindest scheint es mir, daß die Deutschen sich deutlich schneller beleidigt fühlen als ihre angelsächsischen Freunde. Die Gründe dafür sind mir immer noch unverständlich: In den USA und Großbritannien herrscht eine lebendige Debattenkultur, in der man sich gegenseitig angeht, polemisch wird, sich auch mal zu weit aus dem Fenster lehnt und nicht fürchten muss, dafür in Misskredit zu fallen. Dort versteht man derlei Äußerungen stets nur als Einzelmeinungen, wirft den Ball mit Freude zurück und findet Gefallen am Ping-Pong-Spiel. Das betrifft nicht nur die Kunstkritik, auch den Umgang innerhalb der Kunstwelt und weit darüber hinaus. Wie viele vordergründig vielleicht feindschaftlich erscheinende Verhältnisse sind dort doch eigentlich innige Freundschaften! Hierzulande wird jedoch jede Äußerung als Tatsachenbehauptung aufgefasst, muss man sich umsehen, niemandem auf den Schlips zu treten. Anekdotisch bleibt mir da anzuführen, daß es meist die deutschen Künstler und Ausstellungsmacher sind, die Interviews und Berichterstattungen vorab lesen möchten, während mich fast nur ausländische und sog. kosmopolitisch denkende und fühlende Künstler beglückwünschen, wenn ich ihr Schaffen mit negativer Kritik beantworte. Jedoch kann ich mir nicht vollends erklären, woran diese Vorsicht und bisweilen auch Steifheit wohl liegen mag. Etwa an den immer noch viel zu deutlichen Nachwirkungen der Kantschen Schule, die jenseits des Rheins nie so dogmatisch wie hierzulande aufgenommen wurde? Oder hinterließen zwölf Jahre währender, giftiger, buchstäblich vernichtender Kritik eine so tiefe Narbe, daß man bemüht ist, seinen Gegenüber in Watte zu packen, ehe man höflich seine Schwachpunkte moniert? Dafür würde immerhin sprechen, daß es im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts eine durchaus lebendigere Debatten- und Kritikkultur gab – man denke nur an die Weltbühne, Ossietzkys und Tucholskys leidenschaftliches Ringen mit ihren Zeitgenossen aus allen Sphären der Kultur und Politik zurück! Da wurde noch gefochten, wenn natürlich auch insbesondere auf dem Feld der Politik mit durchaus programmatischeren Absichten, aber es wurde gefochten! Da sind sich ein Kerr und ein Jacobsohn so eloquent an die Kehle gegangen, daß man heute nicht mehr weiß, ob man einer abstoßenden Schlammschlacht oder einem packenden Schlagabtausch verfolgt. Gewiss, soviel ad hominem wie bei diesen beiden Koryphäen der Theaterkritik muss heute nicht mehr sein. Doch etwas mehr Feuer, Konsens im Dissens kann nicht schaden.
Hallo Matthias,
vielleicht hast du recht damit, dass es eine deutsche Befindlichkeit gibt und man hier schneller beleidigt ist. Gilt übrigens durch alle Parteien.
Ich bin sehr für Feuer. Und eine scharf geschliffene Polemik finde ich wundervoll. Gar auf dem Niveau der Weltbühne — Wahnsinn. Dieses sehe ich zur Zeit aber in dem ein oder anderen Geplänkel nicht wirklich eingelöst. Ich mag es einfach nicht, wenn nur polemisiert wird. Ohne wirklichen Spaß an der Streitkultur. Die ja auch immer mit einer gewissen spielerischen Freude einhergeht. Wenn da sprachlich Fahrt aufgenommen wird, bin ich die Letzte, die sagt, man darf nur Harmonie erzielen wollen. Es hat sich aber in so manches Posting hier und da einfach nur etwas Moralinsaures eingeschlichen. Das mag ich nicht leiden.
Dein kleiner Exkurs zur Polemik hier hat mir aber gezeigt, dass man wunderbar uneinig sein kann und trotzdem etwas Gutes dabei rumkommt.
In diesem Sinne: herzliche Grüße von Anke