Ego update

15. Dezember 2015 von Matthias Planitzer
Eine Polemik über Flauschgewitter und Harmoniebedürfnisse in Kunstbloggerkreisen.

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag luden das NRW-Forum und das Muse­um Kunst­pa­last eine Blog­ger­schar nach Düs­sel­dorf ein, um sich »im klei­nen Kreis über Social Media und Online-Kunst­kri­tik aus­zu­tau­schen«. Ein The­ma, das, so schien es, man­chen der­zeit schon allein des­halb umtreibt, weil zumin­dest im deutsch­spra­chi­gen Raum viel Trüb­sal gebla­sen wird und nie­mand so recht weiß, was nun zu tun sei. Aller­dings grif­fen die Gast­ge­ber das The­ma der Stun­de sicher­lich auch auf, um ihre eige­ne Pra­xis zu über­prü­fen und Anre­gun­gen zu erhal­ten, wie sie sich in Zukunft bes­ser in den digi­ta­len Medi­en plat­zie­ren kön­nen. So tra­fen sich also zwölf ange­reis­te Gäs­te mit sechs Offi­zi­el­len der betei­lig­ten Häu­ser, um Anika Mei­ers Impuls­vor­trag »In Flausch­ge­wit­tern« – eine Pole­mik, offen­bar auf Herrn­dorf gemünzt, in Zustim­mung zu Roland Nach­ti­gäl­ler neu­lich erstell­ter Dia­gno­se einer zu gefäl­li­gen, harm­lo­sen Kunst­blog­ger­schaft – zu lau­schen und ihre Ansich­ten bei­zu­tra­gen. Die Vor­tra­gen­de führ­te prä­gnan­te Bei­spie­le irri­tie­ren­der Miss­ver­ständ­nis­se social-media-uner­fah­re­ner Muse­en gegen­über Insta­gramm­ern (Kunst-Sel­fie als #the­hype) an und die belei­dig­ten Reak­tio­nen dünn­be­sai­te­ter Flausch­blog­ger auf kon­struk­ti­ve Kri­tik am bit­te schön gla­cé­e­be­hand­schuht zu behan­deln­den Selbst­ver­ständ­nis vor. Genü­gend Impul­se für eine hit­zi­ge Dis­kus­si­on also, möch­te man meinen.

Allein, der­lei Mei­nun­gen und Wort­mel­dun­gen wur­den nur weni­ge geäu­ßert. Ich warf ein, daß dies Grün­de dafür sei­en, daß im All­ge­mei­nen die Luft raus sei, daß ich kei­ne Kunst­blogs mehr – auch nicht die der Anwe­sen­den – lese und wie­der­hol­te auch eini­ge ande­re jener Fest­stel­lun­gen, die ich erst kürz­lich an die­ser Stel­le nie­der­schrieb. Reak­tio­nen blie­ben zumeist aus. Allein mei­ne Behaup­tung, daß die Kunst­kri­tik nicht in einer wei­te­ren Kri­se gefan­gen sei, för­der­te zumin­dest ein ver­hal­te­nes Rau­nen zuta­ge. Davon abge­se­hen hüll­te sich ein Groß­teil der Gäs­te meist in Schwei­gen. So tas­te­te man sich also für eini­ge Minu­ten am Stoff ent­lang und blieb am Ende der kur­zen Dis­kus­si­on frei­lich ergeb­nis- und ein­sichts­los, auch zu einem Kon- oder Dis­senz gelang­te man nicht. Jeden­falls muss­te das Pro­gramm bald mit Füh­run­gen durch die durch­aus unter­halt­sa­men Aus­stel­lun­gen »Ego update« hüben wie »Zur­ba­ran« drü­ben wei­ter­ge­hen, wo man noch die eine oder ande­re Stun­de gebraucht hät­te, um sich end­lich jenem pro­duk­ti­ven Streit und Zank hin­zu­ge­ben, auf den zumin­dest ich gehofft hat­te. Ein Traum­er­geb­nis wäre es doch gewe­sen, wenn der eine oder ande­re wut­ent­brannt aus der Tür gestürmt wäre. End­lich Emo­tio­nen, end­lich Rei­be­rei­en, end­lich Lei­den­schaft! Damit hät­ten sich Gast­ge­ber und Gäs­te schmü­cken kön­nen. Aber so? Flausch­ge­wit­ter eben. Viel­leicht hät­te man ein­an­der auch erst näher ken­nen­ler­nen müs­sen, um sich kri­ti­sie­ren zu kön­nen; über den Gegen­stand jeden­falls wur­de nur kurz gespro­chen. Daher kann ich mich wohl oder übel an kei­nen blei­ben­den Gedan­ken erin­nern, der mich über die kur­ze Dis­kus­si­on hin­aus beglei­tet hätte.

Womög­lich ist es nach die­sem ernüch­tern­den Nach­mit­tag aber auch not­wen­dig, das Sym­ptom des Flausch­ge­wit­ters näher zu bestim­men. Wo ent­springt also die­ses Har­mo­nie­be­dürf­nis, wenn nicht in der eige­nen Unsi­cher­heit und man­geln­dem Selbst­be­wusst­sein? Denn was on- wie auch off­line vor­zu­herr­schen scheint ist eine Scheu, ja viel­leicht sogar ein Angst vor Mei­nung und Sub­jek­ti­vi­tät. Sei es die Äuße­rung eige­ner Ansich­ten, die ja jeder­zeit einen Wider­spruch nach sich zie­hen könn­te, oder die Mei­nun­gen ande­rer, zu denen man sich irgend­wie posi­tio­nie­ren müss­te. Bei­des könn­te ja das sorg­sam gebau­te Nest erschüt­tern, könn­te den sta­tus quo ins Tau­meln brin­gen, oder gar – Gott behü­te! – das Image als Stim­me der Ver­nunft beschä­di­gen. Und was ist in der Kunst­welt und sei­nen Tra­ban­ten schon, wer kein gutes Stan­ding hat? Also: Haupt­sa­che PC! Bloß nie­man­den vor den Kopf sto­ßen, bloß nicht mit har­ten, lie­ber doch mit flau­schig-wei­chen Ban­da­gen kämp­fen! So wer­den Mei­nung und Pole­mik, Iro­nie und Sar­kas­mus als unkal­ku­lier­ba­re Risi­ken ver­schmäht und die all­ge­mei­ne Ver­ödung als will­kom­me­nes Seda­tiv­um begrüßt. Und wenn der ein­sa­me Rufer in der Wüs­te sei­ne mah­nen­den Fra­gen in den Wind gießt, pur­zelt ent­we­der das Tumb­le­weed durchs Bild oder man beschwert sich über die unver­schäm­te Ruhe­stö­rung. Da wird dann die immer glei­che »Wir sit­zen doch alle im sel­ben Boot«-Rhetorik bemüht, um ja doch nur die eige­ne Hilf­lo­sig­keit zu enttarnen.

Ja, aber in wel­chem Boot eigent­lich? Etwa in jenem, das die Kunst­kri­tik als Wert­schöp­fungs­ga­rant und damit als eine wei­te­re Plan­ke irgend­wo am Bug ver­steht, damit nicht alle absau­fen, die Fahrt wei­ter­ge­hen kann? Oder in jenem, in dem sie als Kor­rek­tiv ange­se­hen wird, weil der Steu­er­mann von Zeit zu Zeit vom Kurs abkommt? So kann ich mich nur wie­der­ho­len und erneut bekräf­ti­gen, daß der Nar­ra­tiv von der kri­seln­den Kunst­kri­tik zwar nicht zutrifft, weil sein eigent­li­cher Zusam­men­hang zum Kunst­markt wei­test­ge­hend noch der glei­che ist, sich aber vor allem online eine Stim­mung der affir­ma­ti­ven Kopf­ni­ckens breit gemacht hat, wo man vom Groß­ar­ti­gen nur träumt, aber das Risi­ko scheut, das damit einhergeht.

Nun ja, schau­en wir mal, wel­chen Bei­trag die­ser beschei­de­ne Blog leis­ten kann.

Dieser Bericht entstand auf Einladung der o.g. Institutionen zu einer Bloggerreise nach Düsseldorf.

Kommentare

  1. Hal­lo Matthias,
    ich fra­ge mich die gan­ze Zeit (es geht ja auf diver­sen Kanä­len hin und her) war­um man nur Türen zu schla­gend und vor den Kopf sto­ßend eine eige­ne Mei­nung haben kön­nen soll. Wie­so kann man nicht auch wert­schät­zend kom­mu­ni­zie­ren und trotz­dem Inhal­te bei­tra­gen, die zumin­dest eine Dis­kus­si­on ermöglichen.
    Ich weiß auch nicht wie­so, aber ich muss in letz­ter Zeit öfter mal an Klaus Kin­sky denken …
    Jedem ist es über­las­sen, wie er sich nach außen zei­gen will. Aber ob man mit rei­ner Pole­mik etwas bewegt? Ich glau­be nicht!
    Vie­le Grü­ße von Anke
    P.S. Ich konn­te lei­der nicht zum Blog­ger­tref­fen, weil ich in Wien war. Hät­te mich aber gefreut, euch kennenzulernen!

    • Das Schö­ne an der Text­gat­tung der Pole­mik ist doch, daß sie mit den Mit­teln der Über­trei­bung und Zuspit­zung zuver­läs­sig aller­lei Reak­tio­nen pro­vo­ziert, inso­fern immer da ange­mes­sen ist, wo vor allem Schwei­gen herrscht. Was mich jedoch immer wie­der ver­wun­dert, ist der Umgang mit sol­chen Mei­nun­gen. Zumin­dest scheint es mir, daß die Deut­schen sich deut­lich schnel­ler belei­digt füh­len als ihre angel­säch­si­schen Freun­de. Die Grün­de dafür sind mir immer noch unver­ständ­lich: In den USA und Groß­bri­tan­ni­en herrscht eine leben­di­ge Debat­ten­kul­tur, in der man sich gegen­sei­tig angeht, pole­misch wird, sich auch mal zu weit aus dem Fens­ter lehnt und nicht fürch­ten muss, dafür in Miss­kre­dit zu fal­len. Dort ver­steht man der­lei Äuße­run­gen stets nur als Ein­zel­mei­nun­gen, wirft den Ball mit Freu­de zurück und fin­det Gefal­len am Ping-Pong-Spiel. Das betrifft nicht nur die Kunst­kri­tik, auch den Umgang inner­halb der Kunst­welt und weit dar­über hin­aus. Wie vie­le vor­der­grün­dig viel­leicht feind­schaft­lich erschei­nen­de Ver­hält­nis­se sind dort doch eigent­lich inni­ge Freund­schaf­ten! Hier­zu­lan­de wird jedoch jede Äuße­rung als Tat­sa­chen­be­haup­tung auf­ge­fasst, muss man sich umse­hen, nie­man­dem auf den Schlips zu tre­ten. Anek­do­tisch bleibt mir da anzu­füh­ren, daß es meist die deut­schen Künst­ler und Aus­stel­lungs­ma­cher sind, die Inter­views und Bericht­erstat­tun­gen vor­ab lesen möch­ten, wäh­rend mich fast nur aus­län­di­sche und sog. kos­mo­po­li­tisch den­ken­de und füh­len­de Künst­ler beglück­wün­schen, wenn ich ihr Schaf­fen mit nega­ti­ver Kri­tik beant­wor­te. Jedoch kann ich mir nicht voll­ends erklä­ren, wor­an die­se Vor­sicht und bis­wei­len auch Steif­heit wohl lie­gen mag. Etwa an den immer noch viel zu deut­li­chen Nach­wir­kun­gen der Kant­schen Schu­le, die jen­seits des Rheins nie so dog­ma­tisch wie hier­zu­lan­de auf­ge­nom­men wur­de? Oder hin­ter­lie­ßen zwölf Jah­re wäh­ren­der, gif­ti­ger, buch­stäb­lich ver­nich­ten­der Kri­tik eine so tie­fe Nar­be, daß man bemüht ist, sei­nen Gegen­über in Wat­te zu packen, ehe man höf­lich sei­ne Schwach­punk­te moniert? Dafür wür­de immer­hin spre­chen, daß es im ers­ten Drit­tel des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts eine durch­aus leben­di­ge­re Debat­ten- und Kri­tik­kul­tur gab – man den­ke nur an die Welt­büh­ne, Ossietz­kys und Tuchol­skys lei­den­schaft­li­ches Rin­gen mit ihren Zeit­ge­nos­sen aus allen Sphä­ren der Kul­tur und Poli­tik zurück! Da wur­de noch gefoch­ten, wenn natür­lich auch ins­be­son­de­re auf dem Feld der Poli­tik mit durch­aus pro­gram­ma­ti­sche­ren Absich­ten, aber es wur­de gefoch­ten! Da sind sich ein Kerr und ein Jacob­sohn so elo­quent an die Keh­le gegan­gen, daß man heu­te nicht mehr weiß, ob man einer absto­ßen­den Schlamm­schlacht oder einem packen­den Schlag­ab­tausch ver­folgt. Gewiss, soviel ad homi­nem wie bei die­sen bei­den Kory­phä­en der Thea­ter­kri­tik muss heu­te nicht mehr sein. Doch etwas mehr Feu­er, Kon­sens im Dis­sens kann nicht schaden.

      Matthias Planitzer
  2. Hal­lo Matthias,

    viel­leicht hast du recht damit, dass es eine deut­sche Befind­lich­keit gibt und man hier schnel­ler belei­digt ist. Gilt übri­gens durch alle Parteien. 

    Ich bin sehr für Feu­er. Und eine scharf geschlif­fe­ne Pole­mik fin­de ich wun­der­voll. Gar auf dem Niveau der Welt­büh­ne — Wahn­sinn. Die­ses sehe ich zur Zeit aber in dem ein oder ande­ren Geplän­kel nicht wirk­lich ein­ge­löst. Ich mag es ein­fach nicht, wenn nur pole­mi­siert wird. Ohne wirk­li­chen Spaß an der Streit­kul­tur. Die ja auch immer mit einer gewis­sen spie­le­ri­schen Freu­de ein­her­geht. Wenn da sprach­lich Fahrt auf­ge­nom­men wird, bin ich die Letz­te, die sagt, man darf nur Har­mo­nie erzie­len wol­len. Es hat sich aber in so man­ches Pos­ting hier und da ein­fach nur etwas Mora­lin­saures ein­ge­schli­chen. Das mag ich nicht leiden. 

    Dein klei­ner Exkurs zur Pole­mik hier hat mir aber gezeigt, dass man wun­der­bar unei­nig sein kann und trotz­dem etwas Gutes dabei rumkommt.
    In die­sem Sin­ne: herz­li­che Grü­ße von Anke

Andere Meinungen

  1. […] in exten­so füh­ren (auch nicht die Dis­kus­si­on über „zuviel Flausch“, Augen­hö­hen oder feh­len­de Dra­ma­tik unter Blog­gern) – wohl aber die For­mu­lie­rung des „Arbei­tens mit his­to­ri­schen Instru­men­ten“ in […]