hinwegtäuschen lassen solle, daß ein Besuch in der Galerie oder im Museum verzichtbar sei. Allerdings wird oftmals verschwiegen, daß auch das Gegenteil der Fall sein kann: Mancher Kunst schmeichelt die fotografische Reproduktion, kaschiert ihre kleinen Imperfektionen und stellt sie viel gelungener dar als sie eigentlich ist. Von einer derartig erwartungsvollen Vorfreude beflügelt kann dann der Ausstellungsbesuch leider nur noch enttäuschen.
Derart ernüchtert muss man sich jedenfalls fühlen, wenn man die immer auf die gleiche Weise spektakulär inszenierten Installationsansichten einer beliebigen Ausstellung Ai Weiweis mit dem sinnlichen und leiblichen Eindruck – so schwach er auch ist – abgleicht, den die Arbeiten bei einem Besuch hinterlassen. Wer nur das Pressematerial zu Ais aktueller Einzelausstellung »Evidence« im Martin-Gropius-Bau, so etwa die obige Abbildung eines kleinen Teils der 6000 hölzernen Schemel kennt, die der Chinese in das Atrium des Hauses hineinzwängen lassen hat, könnte sich von der dramatischen Vogelperspektive leicht irreführen lassen, daß die Installation »Stools« ein ganz außerordentlich beeindruckendes Kunstwerk sein muss. Man kennt das: Jeff Koons‹ schrill glänzende Ballonskulpturen werden gern in der leichten Untersicht gezeigt. Wo die verspiegelten Hündchen und Schlangen jedoch immerhin mit technischer Perfektion punkten können, bleibt vom Spektakel der Ai’schen Bildwelten nicht viel übrig: Aus der Nähe sind es lediglich etliche Hocker, die man so auch auf einem Sperrmüllhof vermuten würde, wenn, ja wenn man nicht dank der Ausstellungstexte wüsste, daß Ai diese »Holzschemel aus der Ming- und der Qing-Dynastie sowie aus der Zeit der Republik China« gesammelt hat. Gleiches galt und gilt auch für seinen Fahrradsalat »Forever Bicycle«, den wirren Schemelsturm im deutschen Pavillon und die ebenfalls in Venedig gezeigten, begradigten Bewehrungsstähle. Immer wieder hortet Ai die Memorabilia, die er in seiner chinesischen Heimat vorfindet, um den Umgang der herrschenden Klasse mit Menschenrechten und ‑schicksalen, Kulturgütern und der Umwelt zu kritisieren. Überzeugend ist das aber nicht.
Man ertappt sich dabei, den Künstler zu verteidigen, daß er sich nun mal auf Readymades und Assemblagen verstehe, daß es nun mal seine Auftrag sei, auf den politischen und kulturellen Alltag der Volksrepublik Chinas hinzuweisen, daß er seine Kritik ja gar nicht frei äußern könne und daß man überhaupt erst einmal einsehen müsse, daß sich eine westliche Sicht auf fernöstliche Kunst schlicht verbiete. All diese Einwände wären richtig und gut, wenn damit nicht übersehen bliebe, daß auch dies Ai Weiwei und seiner Kunst partout nicht gerecht wird.
Denn sie ist gefällig und flach. Ai begnügt sich damit, Objekte und Materialien zu arrangieren, um die ihr zugeschriebenen Bedeutungen miteinander zu verschränken. Sechstausend abgewetzte und blank polierte Schemel stehen für sechstausend Chinesen und ihre in Vergessenheit geratene, freilich auch unter Mao ausgelöschte Kultur. Mit Autolack besprühte Han-Vasen sollen laut Ai auf den Konsumgeist seiner Landsmänner hinweisen und, wie man in »Evidence« lernt, »uns darüber nachdenken [lassen], wie wir die wirkliche Bedeutung von Geschichte und Zivilisation festlegen«. Das ist natürlich nicht mehr als ein banaler Künstlerstreich, doch sind die acht Vasen unter allen im Martin-Gropius-Bau gezeigten Werken noch eine der spannenderen Arbeiten. Zu den meisten anderen bleibt ohnehin nicht viel zu sagen, als das, was Ai auf die Ausstellungstafeln schreiben ließ: »Die aus einem einzigen Marmorblock gemeißelte Arbeit Mask zeigt eine Atemschutzmaske auf einem Grabstein.« Darunter: Eine Atemschutzmaske auf einem Grabstein, aus grünem Marmor gehauen. Über »Cosmetics« heißt es nur kurz: »Ai Weiwei machte sich die chinesische Tradition und Formensprache von Jadeobjekten zunutze, um ihnen diese modernen Behälter für Kosmetikprodukte nachzuempfinden.« Dagegen braucht die kürzeste Beschreibung nur dreizehn Worte um auf den Punkt zu kommen und keine Fragen offen zu lassen: »Das Werk ist eine Nachbildung der Plastikbügel aus Ai Weiweis Gefängniszelle aus Edelstahl«. Hiermit ist das in »Evidence« gebrauchte Formenvokabular auch schon größtenteils durchdekliniert: Jade, Marmor, Holz, Porzellan, Gold und Bronze stehen für das kulturelle Andenken Chinas, Konsumgüter für den Konsumgeist und alles andere im Zusammenhang zu Ais Inhaftierung.
Überhaupt stehen in der von Ai selbst kuratierten Ausstellung die zweifelsohne rechts- und sittenwidrige Haft und weitere Konfrontationen des Künstlers mit der chinesischen Staatsgewalt in einem besonderen Mittelpunkt: Da werden die gleichen Kleiderbügel aus Kristall, eine Nachbildung der Handschellen aus Jade, ein Nachbau der Isolationszelle, konfisziertes Büromaterial, Bauschutt seines zerstörten Ateliers sowie eine recht gewitzte Protestform gegen diesen Abriss gezeigt. Man kann darin die Dokumentation staatlichen Unrechts erkennen, man wird aber nicht darauf verzichten können, wie bei allen politisch aufgeladenen Diskussionen das cui bono zu fragen.
Wenn Ai Weiwei eine umfassende Überblicksausstellung über sein eigenes Gesamtwerk gerade in dem Land kuratiert, das sich unter allen westlichen Nationen wohl am meisten um sein Schicksal sorgt, und sich entscheidet, die Repressalien gegen seine Person in den Fokus zu rücken, sollte das nachdenklich stimmen. Wenn ferner die »Freunde Ai Weiweis« ihren offenen Brief an Kanzlerin und Außenminister vom März dieses Jahres auf große Plakate drucken und prominent im Eingangsbereich zur Ausstellung platzieren, außerdem die dazugehörige Unterschriftenaktion als Handreichung im Gebäude bewerben, sollte das ebenfalls nachdenklich stimmen. Denn offensichtlich geht es in »Evidence« nicht darum, das Talent und Schaffen eines großartigen Künstlers zu würdigen. Denn das ist Ai Weiwei nicht – das offenbart »Evidence« schon nach wenigen Minuten.
Es drängt sich viel mehr der Eindruck auf, daß es viel mehr darum geht, die Großausstellung für eine politische Agenda zu instrumentalisieren, die aus dem geschützten Ausstellungsraum des Museums heraus zur Stimmungsmache gegen die innenpolitischen Verhältnisse eines souveränen Staats anstimmt und dabei geflissentlich über komplexe Zusammenhänge hinwegtäuscht. In dieser Hinsicht ist Ai weniger als Künstler, denn als politischer Aktivist zu betrachten. Beim Martin-Gropius-Bau war man übrigens bisher nicht dazu bereit, über die Hintergründe zur Konzeption der Ausstellung, über eine mögliche Unterstützung aus Politik und Wirtschaft oder die Rolle der »Freunde Ai Weiweis« Auskunft zu geben. Daher bleibt an dieser Stelle nicht viel mehr übrig, als erneut auf das viel zitierte Monopol-Interview mit dem chinesischen Kurator Hou Hanru hinzuweisen.
Selbst wenn ein solches Kalkül bestanden haben sollte, wäre es Ai Weiwei freilich nicht anzulasten. Der Aktivist Ai tut gut daran, die Unterstützung aus dem Westen anzunehmen. Hanru weist richtig darauf hin, daß Ai nur der bekannteste unter vielen Künstlern ist, die sein Schicksal teilen. Man kommt allerdings gerade deswegen nicht umhin, nach den Interessen zu suchen, die eine solch außerordentliche Unterstützung begründen könnten. An dieser Stelle beträte man jedoch derzeit noch das Feld der weiten Spekulationen: Geht es wirklich noch um ein Einzelschicksal oder die Freiheit der Kunst (die freilich, ein sehr junges, westliches und auch nur eingeschränkt eingelöstes Versprechen ist)? Verleiten die alten Denkstrukturen einer in Blöcken aufgeteilten Welt zu einer Propaganda gegen das Andere? Versucht das Abendland wieder einmal unter dem Deckmantel der Moral oder der Menschenrechte den europäischen Universalismus über die Grenzen des Kontinents hinweg zu exportieren und alles Fremde in diesem Sinne zu indoktrinieren?
Wissen kann man es freilich nicht. Jedoch, ein bitterer Beigeschmack bleibt.
Andere Meinungen
[…] Marke Ai Weiwei mit großem Wiedererkennungswert, ein echter Exportschlager made in China bereits, als die westliche Kunstwelt ihr noch vom anderen Ende des Globus zujubelte und postwendend mit ganz eigenen Exportschlagern und Werten antwortete. Es war chic, sich […]