Eine Buchsignierung der ungewöhnlichen Art wurde für die Berliner Künstlerin Bettina Khano zu einem müßigen, zwei Tage anhaltenden Prozess. Immer wieder aufs neue schlug sie, insgesamt achthundert Mal, den Buchdeckel auf, legte ein graues Schutzpapier ein, zerknitterte das Vorsatzpapier und besprühte die entstandene Falte mit blassem Farbspray. Ebenso wie eine Unterschrift, die mit ihrer Beständigkeit als Zertifikat dienen soll, jedes Mal ein wenig anders geschwungen wird, so unterschieden sich auch all diese Faltungen, die Bettina Khano vornahm. Somit ist jedes Exemplar der limitierten Auflage ein von der Künstlerin bearbeitetes Einzelstück.
Knicke, Knitter und Falten sowie die Farbe oder das Licht, die sie hervorheben, spielen eine zentrale Rolle in der künstlerischen Arbeit Bettina Khanos. Ebenso wie spiegelnde Oberflächen und solche, die wider Erwarten stumpf und blind geworden sind, nebulöse Strukturen, Wolken und vernebelte Räume gehören sie zu einem Formenrepertoire, mit dem Khano Raum- und Oberflächenkonzepte in Frage stellt und unterminiert und den Betrachter im Ungewissen lässt: Was ist noch Raum und wo löst er sich auf?
Anlässlich des Erscheinens ihrer ersten Monografie, »You may appear closer than you are«, im Hatje Cantz Verlag trafen wir die Künstlerin zum Gespräch über ihre Arbeit und ihr neues Buch, von dem wir im Anschluss zwei Exemplare der limitierten Auflage verlosen.
Die erste Seite deines Buches “You may appear closer than you are” ist zerknittert. Was hat es damit auf sich?
Dahinter steht die Idee, das Buch auch als dreidimensionales Objekt zu begreifen. Zwei Tage lang habe ich jedes einzelne Buch aufgeschlagen, das Vorsatzpapier geknittert und die entstandene Falte mit einer kaum sichtbaren Farbe besprayt. Es ist eine Art Signatur, die sich in jedem Buch anders darstellt. Die Falte bedeutet dabei ein fortwährendes Entdecken und immer wieder neues Begreifen.
Es ist ja eine Serie, die nur dadurch begrenzt ist, dass das Buch eine Auflage hat.
Faktisch hat es natürlich eine Begrenzung, aber gedanklich könnte es auch ewig weitergehen. Das ist auch ein Grund, warum ich so gern in Serien arbeite: eine Serie ist de facto nie abgeschlossen. Es mutet ihr eine Unendlichkeit an. Sie ist zwar im Hier und Jetzt endlich, aber über diesen Horizont lässt sie sich leicht hinwegdenken.
Wie verhält es sich mit den Werken, in denen du mit Nebel arbeitest? Begreifst du sie als auch Serien?
Es ist wahrscheinlich keine Serie im klassischen Sinn, doch habe ich beim Entwickeln einer neuen Nebelarbeit die anderen Arbeiten im Kopf. Das ist bei allen meinen Arbeiten so. Auch wenn eine Arbeit allein steht, ist sie aus einer Serie entstanden, bei der ich mich dann entscheiden kann, wie viele sichtbar werden.
Man erkennt eine Entwicklung darin, wie du den Nebel einsetzt und welche Räume du dafür auswählst. Die erste dieser Arbeiten, »Implosion«, fand in einem Pavillon statt, wo der Nebel noch aus dem Raum entweichen kann, während im Vergleich dazu der »Wide Cube« und der »White Cube« abgeschlossene Räume waren. Was hat sich für dich im Umgang mit dem Nebel verändert?
Für »Implosion« bin ich durch den Raum, ein Oktagon, auf dieses Material gekommen. Ich wollte betonen, was in solch einem Pavillon passieren kann: Die Begegnung mit einem Selbst in einem engen, geheimnisvollen Raum, der Drehmoment des Oktagons, die Maßstabsverschiebung: wie groß wirkt der Raum von innen und von außen? Man konnte den Raum von außen in seiner Größe wahrnehmen. Wenn man den Pavillon betrat und das Licht einschaltete, startete die Maschine und füllte den Raum mit Nebel. Man erfasste also von außen die genaue Größe, ging dann hinein und erfuhr eine Illusion von Unendlichkeit, die auch die Anbringung von einem Spiegelkreuz in der Mitte und Spiegel an den Wänden hervorgerufen wurde. Sobald der Pavillon mit Nebel gefüllt war, fühlte man sich allein und der Raum schien unendlich groß. Das fand ich erstaunlich, denn ohne Nebel fühlte man sich schon eingeengt, wenn man den Raum nur mit einer anderen Person teilte. Ich habe gemerkt, was Nebel mit der körperlichen Wahrnehmung macht. Die Besucher sind verunsichert, lachen, werden aber meistens ganz ruhig und sind bei sich. Der “White Cube” fand auf dem Artforum statt. Mir war aufgefallen, dass der Nebel die Geschwindigkeit der Bewegungen vorgibt und das wollte ich nach Außen hin sichtbar machen. Die Leute haben sich je nach Dichte schneller oder langsamer im Raum bewegt. Die Dichte des Nebels wirkt wie eine Zeitlupe. Bei dem »Wide Cube« fand ich es dagegen spannend, den Galerieraum selbst zu einer Arbeit zu machen und als gesamte Installation in Nebel zu tauchen. Auch da konnte man von außen durch die Fenster klar erkennen, wie groß der Raum ist, auch da gab der Nebel die Geschwindigkeit vor, auch da verlor und gewann man sich im Nichts.
Nachdem die Raumverhältnisse klar sind, werden erwartete Begrenzungen vom Nebel gebrochen. Die örtliche, physische Grenze verschwimmt.
Diese Grenze wird in der Erfahrung sehr sichtbar und spürbar. Man reagiert auch auf den Pavillon sehr intuitiv. Es passiert etwas mit dem Körper. Und wenn diese Erfahrungen zusammenkommen, wo ist dann die Grenze? Das finde ich sehr spannend.
Einen Raum, der nur zum Teil mit Nebel gefüllt war, hast du 2010 in der Bar Babette verwirklicht [“The Sky Is The Limit”]. Da hast du den Boden wie eine Sumpflandschaft im Frühling mit Nebel überzogen. Wie haben die Leute darauf reagiert?
Am Anfang spielten sie damit. Etwa mit ihren Beinen oder wirbelten ihn mit der Hand auf. Nach einer gewissen Zeit hatte man sich jedoch daran gewöhnt. Alle standen ganz weich darin. In diesem zweistöckigen Pavillon konnte man von oben hinabschauen und sehen, wie die Bar im Nebel verschwand. Ich habe alles gefilmt und gleichzeitig im Obergeschoss projiziert. Diese Gleichzeitigkeit war spannend, weil man sich nie selbst sehen konnte. Es fand eine Verschiebung statt. Durch das luftige Unten das Oben zu betonen, war, was ich erreichen wollte.
Im Jahr 2010 hast du eine Wolke aus einem Baum entsteigen lassen. Wo genau fand das statt?
Das war im Rahmen des zweiten Uckermark-Festivals unter dem Thema »Sehnsucht«. Man sollte sich mit der Landschaft oder mit dem sozialen Raum auseinandersetzen. Ich fand, dass diese Wolke gut zum Thema passte. Die Sehnsucht nach einem Ort oder einer Sache zeichnet sich dadurch aus, dass man es nicht erreicht. Es geht um den Prozess des Sehnens, der stärker ist als irgendein Fixpunkt. Bei der Wolke steht ihre nicht-fixe Form sehr stark im Vordergrund. Sie entwickelt sich, dehnt sich aus, dann löst sie sich wieder auf. Doch sie steht nie still. Schließlich gibt es keine perfekte Form. Es ist ein ständiger Prozess.
War im Baum eine Beleuchtung installiert?
Anfangs hatte ich das überlegt, doch dann davon abgesehen. Das Licht hätte nicht funktioniert, denn ich wusste ja nie, wohin die Wolke sich bewegen würde. Sonst arbeite ich mit Filmlicht. Bei »Wide Cube« und »White Cube« ist immer Licht im Spiel. Der Nebel funktioniert eigentlich am besten mit Licht.
Die Dokumentation deiner Arbeiten erinnern oft an Filmsets. Augenscheinlich gibt es ein Filmgedächtnis, das heißt, wir wissen, wie ein Film aussieht. Das wirkt sich auch bei dir aus. Deine Arbeit im Pavillon, »Implosion«, fand ich dahingehend sehr eindrücklich, weil sie mich an Filme Alfred Hitchcocks, auch den »Hund von Baskerville« von Sir Conan Doyle erinnerte, in dem Nebel ein große, unheimliche Rolle spielt.
Das habe ich allerdings erst später deutlich wahrgenommen. Der Gedanke hinter dem Buch war, darin einzutauchen wie in einem Film, der nichts erklärt, aber in der Abfolge stimmig ist.
Es wurde tatsächlich eine sehr in sich geschlossene Auswahl getroffen, sodass das Buch nicht nur wie ein Ausschnitt, sondern ein Ganzes wirkt.
Das ist mein erstes Buch und so wusste ich gar nicht genau, wie man da vorgeht. Dass ich vollkommen unbefangen herangehen und auf mein Gefühl vertrauen konnte, war von Vorteil. In dem Buch sind fast nur die Installationen zu sehen. Der Wunsch nach dem Buch bestand auch darin, meine ephemeren Arbeiten zu fassen und in Form eines Objekts zu dokumentieren, das man in der Hand halten kann. Jemand fragte mich neulich, warum ich keinen Film über meine Arbeiten gemacht hätte. Ein Buch zu haben, das man aufschlagen und durchblättern kann, ist so greifbar im Gegensatz zu den vielen nichtgreifbaren Materialien, die ich sonst verwende.
Manche der Fotos schauen so aus, als wären sie nur als beiläufige Schnappschüsse entstanden, wozu auch die Aufnahmen aus deinem Atelier gehören.
Die Atelierfotos fungieren für mich als Pause im Buch. Auch die Entscheidung eine einzige Arbeit [»Ohne Titel«, 2011] aus unterschiedlichen Winkeln auf zwölf Seiten zu dokumentieren – also eine Art Daumenkino im Buch zu integrieren – war sehr wichtig. Es gibt zunächst ein paar Seiten, auf denen man den Betrachter mit der Materialität vertraut macht – Räume, Nebel, Spiegel. Dann folgen die zwölf Seiten mit dem Text von Helga Lutz und eine Beruhigung findet statt.
Es zeigt aber auch den seriellen Charakter der Arbeit.
Genau, aber auch die Bewegung, die man vollführt. Das sind Fotos von ein- und derselben Arbeit, die sich durch den unterschiedlichen Winkel zum Betrachter komplett verändert. Es kippt vom Hell-Dunkel ins Dunkel-Hell. Ich wollte damit auch zeigen, dass es ewig so weitergehen könnte. Man könnte auch ein Buch machen, dass nur ein solches Daumenkino enthält… (lacht).
Wie genau hast du diese Faltung hergestellt?
Dafür habe ich die Aluminiumfolie gefaltet, also in eine dreidimensionale Form gebracht, dann besprayt und wieder geglättet. Dabei entstehen unterschiedliche Schichten: einmal natürlich die gesprayte Farbe, dann sieht man immer noch die Knicke der Faltung und außerdem den Raum dahinter, diese indirekte Spiegelung. Dadurch, daß man sich vor der Arbeit bewegt, changiert es stets hin und her, ist manchmal fix und löst sich dann wieder auf. Dieses Changieren finde ich spannend, das interessiert mich. Für die Auswahl der Farbe habe ich lange mit unterschiedlichen Grautönen experimentiert. Das war ein ewiges Testen. Genauso wie bei den großen Aluminiumarbeiten, wo du sehen wirst, wenn du ganz auf die Seite gehst, daß es eine Farbe ist. Dann kippt die Farbe ins Aluminium oder andersherum.
Was ich beobachte, ist, dass du Farbe auf zweierlei Weise einsetzt: einerseits um Strukturen hervorzuheben, wie auch auf der ersten Seite des Buches; andererseits um Strukturen oder vorgefundene Spiegelungen zu verwischen oder zu zerstören. Nutzt du Farbe noch auf andere Art und Weise?
Farbe interessiert mich eigentlich nicht. Ich verwende eine bestimmte Farbe, wenn das Material sie verlangt. Aber es ist nie so, dass ich an eine konkrete Farbe denke.
Stimmt, denn rot oder blau findet man bei dir nicht.
Genau. Es geht eher um verschiedene Aggregatszustände der Materialien. Stets trifft etwas Hartes auf etwas Weiches. Es ist stets eine Auseinandersetzung mit dem Papier bzw. der Fläche als Raum. Ich finde es bei meinen großen Arbeiten sehr wichtig, die Linie zur weißen Wand zu zeigen.
Schließlich tritt sie immer als Begrenzung auf. Wenn man es auf einen Raum der zweiten Dimension abstrahiert, ist das die Begrenzung und das, was ihr widerstrebt.
Die Arbeit »Lichtung« ist für mich eine Installation. Sie nimmt das auf, was in einem Raum vorhanden ist — die Atmosphäre, das Licht — und gleichzeitig verändert sie sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Aluminiumplatten erweitern den Raum nach hinten als nebeliges, diffuses Bild und die Raumwahrnehmung wird infrage gestellt. Der Körper und das körperliche Denken steht mehr im Vordergrund als das Abbild.
Hätte man einen gewöhnlichen, harten Spiegel genutzt, hätte man eine perfekte Spiegelung, die das allerdings nicht dasselbe wiedergeben kann, weil es ein gewohnter Eindruck ist und so, wie du schon sagtest, die Temperatur des Raumes aufgenommen wird. Aus meiner Sicht sieht man jetzt keine perfekte Spiegelung. Wenn ich direkt davor stehe, ist es stumpf.
In »Befogged« sieht man immer nur die Architektur des Raumes, in dem die Arbeit installiert ist. Von Weitem könnte man vermuten, dass man sich selber beim Herantreten auch spiegelt, doch dieser Moment tritt nie ein. Der Spiegel ist oben mit Spray mattiert und am Boden frei – dadurch erkenne ich mich nicht, nur als nebeliger, verschwommener Fleck.
Interview: Maria Ebbinghaus
Redaktion: Marie Egger
Gewinnspiel
Wir verlosen zwei Exemplare der auf achthundert Stück limitierten Auflage von »You may appear closer than you are«, welche kürzlich im Hatje Cantz Verlag erschien. Alles was dazu nötig ist: Bis zum 15. Oktober einen Kommentar unter dem Eintrag auf der Facebook-Seite von Castor & Pollux hinterlassen! Die Gewinner werden im Anschluss benachrichtigt.
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