Alle Jahre wieder setzt das Gallery Weekend neue Maßstäbe: höher, schneller, weiter oder wenigstens mit mehr teilnehmenden Galerien und mehr Besuchern als noch im Vorjahr. Am kommenden Wochenende werden 51 Galerien anlässlich der achten Ausgabe des Kunsthappenings ihre Pforten öffnen und die Besuchermassen empfangen. Eine überwältigende Menge, wenn man sich an den buchstäblichen Marathon erinnert, den die Besucher im vergangenen Jahr zu meistern hatten, wenn sie die damals insgesamt 44 Ausstellungen abklappern wollten. Angesichts der vielen Galerien und Institutionen, die zwar nicht offiziell am Gallery Weekend teilnehmen, aber die Gunst der Stunde für eigene Ausstellungen nutzen, wächst der Kunstkalender auch in diesem Jahr wieder enorm an.
In den letzten Jahren erwies es sich als sinnvoll, sich an den Ausstellungstagen jeweils einen Kunst-Hot-Spot vorzunehmen und die Schmankerl vorab am Vernissagenfreitag zu besichtigen. Da nur die größten Enthusiasten das gesamte Programm des Gallery Weekends in nur zwei Tagen ausschöpfen und alle anderen in der laufenden Ausstellungszeit der kommenden Wochen wiederkehren, empfiehlt es sich, die eigene Kunsttour nach den Ausstellungen zu planen, die am Wegesrand stattfinden. Hier verstecken sich oftmals die großen Überraschungen und Entdeckungen, die die Ausstellungen der etablierten Künstler im Rahmen des offiziellen Gallery Weekend perfekt ergänzen.
In diesem Jahr werden die Veranstalter erstmals ein »Virtual Gallery Weekend« abhalten, das sich als vollwertige Online-Dependance des Festivals versteht. Was sich offensichtlich in der Folge der sich langsam etablierenden VIP Art Fair entwickelt, dürfte zwar auch angesichts der skeptisch zu erwartenden technischen Umsetzung anfangs von begrenztem Nutzen erweisen. Aber für all jene, die die praktische Festival-App »Eyeout« nicht nutzen können oder wollen, dürfte das »Virtual Gallery Weekend« eine Erwägung wert sein. Wer jedoch noch Anregungen braucht, dem sei der oben beschriebene Weg empfohlen, sein Augenmerk auf die nicht-offiziellen Teilnehmer zu legen und so ganz nebenbei auch das Gallery Weekend an seinen Hot-Spots in Mitte, in Schöneberg und rund um die Kochstraße mitzuerleben.
Zwischen Tor- und Oranienburger Straße
Einer der Höhepunkte abseits des offiziellen Programms des Gallery Weekends verspricht Andreas Mühes Einzelausstellung »Obersalzberg« bei Dittrich & Schlechtriem zu werden. Mühe untersucht in seiner fotografischen Arbeit die ästhetischen Repräsentationen politischer Macht, insbesondere der politischen Vereinnahmung des Obersalzberges im dritten Reich. Mit gezielten Störungen inszeniert er dabei einerseits den Bildtypus und lässt andererseits seine Figuren an dieser Inszenierung teilnehmen, bis diese gänzlich in hohle Phrasen und dumpfe Metaphern zerfällt. Bei Feldbuschwiesner stellen Taiyo Onorato & Nico Krebs, welche bereits vor zwei Jahren mit ihrer Serie »The Great Unreal« für viel Furore sorgten. Die Ankündigung der Galerie über Onoratos und Krebs‹ »Exploration der Wahrnehmung« ist zwar denkbar kryptisch ausgefallen, doch allein die viel beachteten Arbeiten der Vergangenheit dürften genügend Vertrauensvorschuss geben, um sich nicht lange an Ausstellungstexten aufzuhalten. Demgegenüber stellt sich in der Galerie Suvi Lethinen die Finnin Marjatta Oja der Frage nach dem Stellenwert von Bildern in ihrem Leben. In Erinnerung an das Aufkommen der Fotografie untersucht sie den Einfluss fotografisch festgehaltener Momente auf die Wahrnehmung und Rekonstruktion von Realität und ihrer kognitiven Entsprechung.
Bildwissenschaftliche Untersuchungen prägen auch das offizielle Programm des Gallery Weekends in Mitte. So kann man hier etwa bei Peres Projects verfolgen, wie das belgische Künstlerkollektiv Leo Gabin der Bildkultur der sozialen Medien auf den Grund geht. Dabei extrahiert und recyclet es kollektiv und virtuell getragene Bilder und transferiert sie in den physischen Ausstellungsraum. Auch ein Abstecher in die weiter nördlich gelegene Brunnenstraße dürfte sich lohnen, wo KOW Berlin Alice Creischers »Das Etablissment der Tatsachen« zeigt. Mit ihren Ansätzen zu epistemologischen Paradigmen markiert die Texte-zur-Kunst-Autorin gewiß den philosophischen Höhepunkt des diesjährigen Gallery Weekends. Wer weiter zur Kochstraße schlendert, sollte auch der Johnen Galerie einen Besuch abstatten, wo Turner-Preisträger Martin Boyce sowie Stefan Bartalan ausgestellt werden.
Rund um die Kochstraße
Die Galerie Alexander Ochs zeigt parallel zum Gallery Weekend Heribert Otterbachs Werksübersicht »Da sind wir wieder allein«. Formale Schlichtheit und gezielte Störmanöver nehmen die Utopien der Moderne aufs Korn und tragen sie sogleich feierlich zu Grabe. In der Galerie Opdahl operiert Ulrich Vogel mit einfachen und kühlen Mitteln, um von seinem zeichnerischen Standpunkt aus dreidimensionale Welten zu explorieren. Licht und Schatten, Projektion und kinetische Kunst helfen ihm dabei und obgleich die Ankündigung nur wenig verrät, könnte sich ein Abstecher durchaus lohnen.
Was das Gallery Weekend betrifft, sollte man im Galerienviertel Kochstraße die Ausstellung bei Nordenhake nicht verpassen, wo wieder einmal einer der ästhetischsten Beiträge zum Gallery Weekend geliefert wird. In diesem Jahr erwarten den Besucher Meusers Einzelausstellung »Und Erich mittendrin«, worin aus viel Schrott und Altmetall gefertigte, hochpoetische Skulpturen gezeigt werden. Nur wenige Meter weiter tariert Hubert Czerepok bei Żak Branicka den schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn aus, auf den das menschliche Verlangen nach Allwissenheit zustrebt. In seiner Videoarbeit »Lux Aeterna« kommen nicht nur Thomas Jefferson und Juliusz Slowacki zu Wort, auch die zufällig während der Dreharbeiten in Norwegen verübten Attentate Anders Breiviks finden ihren Eingang in Czerepoks Analyse. In der Galerie Barbara Thumm stellt Jota Castro zerrissene EU-Flaggen aus und übt auch in anderen Werken offene Kritik an der jüngsten Finanzkrise und der heiklen Lage in der Europäischen Union. Mit klarer und markiger Stimme karikiert Castro die paradoxen Details einer Krise, die längst nicht mehr dem Laien zugänglich ist.
Rund um die Potsdamer Straße
Die Kunstsaele Berlin widmen sich ebenfalls bildwissenschaftlichen Betrachtungen. In der von Julian Malte Schindele kuratierten Ausstellung »Im Moment der Bildbetrachtung wird der innere Monolog gestoppt« werden einige junge Positionen zum Thema vereint.
Auch die Galerie Buchholz zeigt Cerith Wyn Evans, der neben Mathias Poledna in den Räumen in der Fasanenstraße ausstellt. Ebenfalls ein wenig abseits des Geschehens widmet sich die Galerie Michael Haas noch einmal einem der Großmeister der Postmoderne, Charles Matton, und stellt 13 seiner Diuramen aus.
Eine viel versprechende Ausstellung erwartet die Besucher in der Galerie Johann König, wo Katharina Grosse ihre farbenfrohen in-situ-Gemälde und ‑Skulpturen präsentieren wird. Bei Campagne Première vollzieht Bouchra Khalili in »Mapping Journey Project« die Migrationsrouten anonymer Flüchtlinge nach, erzählt ihre individuellen Geschichten und beleuchtet verborgene Existenzen der globalen Gesellschaft. Wer Taryn Simons Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie und im Tate Modern London mochte, wird auch an Khalili Gefallen finden. Im Schinkelpavillon wird ebenso wie in den Galerien Neu/MD72 und Buchholz Cerith Wyn Evans zu sehen sein, der damit vermutlich der große Gewinner des Galerienwochenendes sein dürfte. Als Besitzer einer seiner Werke geht mir dabei natürlich besonders das Herz auf, weshalb ich wohl keine seiner Ausstellungen verpassen werde. Akim Monets Side by Side Gallery wird sich in diesem Jahr mit Damien Hirst positionieren, dessen Skulptur »Sacred Heart« mit einem Rodin, einer Madonna aus dem 14. Jahrhundert und einer weiteren epochenübergreifenden Sammlung von Werken und Exponaten gezeigt wird. Eine solche Einbettung in historische und kunsthistorische Kontexte kennt man von Hirst kaum, daher darf man gespannt sein, welche kuratorische Lösung hier gefunden wurde. Bei Max Hetzler untersucht das Künstlerduett FUEL die Ikonographie und Ethnologie der Tattookultur in der russischen Unterwelt. Dazu stellen sie einige Aufnahmen aus ihrem Bildband aus und ergänzen sie um Erläuterungen zu Herkunft und Hintergrund. Wem die künstlichere Auseinandersetzung mit kommunistischen Kulturen noch nicht reicht, der wird auch bei UF6 Projects fündig, wo zeitgenössische nord-koreanische Kunst gezeigt wird. Nur so viel sei verraten: Sie entspricht nicht nur westlichen Erwartungen, sie übertrifft sie sogar.
Für alle weiteren Informationen: www.gallery-weekend-berlin.de und die Galerien.
Andere Meinungen
[…] her private tour and I wrote an article recommending the best the off-shows not to miss over at Castor & Pollux (sorry, in German though). In any case, you should check out the Gallery Weekend’s official […]
[…] Informationen zum Gallery Weekend 2012 findet ihr hier. […]