»Biggest cross in Texas«, © Taiyo Onorato & Nico Krebs (c.o. Kunstagenten)
Es gibt wenige Kulturen und Nationen, die sich derart mystifizieren und in einen sagenhaften Schleier hüllen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn ich es genau bedenke, markieren diese wohl den unangefochtenen Höhepunkt der Ausbildung eines Staatsmythos, der nicht nur Sinnbild einer ganzen Gesellschaft, sondern auch zum glorifizierten Ideal manch anderer (westlicher) Nationen wurde. In der Tat kennen wir Deutschen den American Way of Life besser als die kulturellen Eigenheiten anderer Nationen, haben wir doch durch Film und Fernsehen ausreichend Gelegenheit, ihn kennenzulernen oder gar zu verinnerlichen.
Umso interessanter ist es dann, diese so oft gehuldigten Legende ungeschönt sehen zu können. Während die typische Gesellschaftskritik schnell in ewig gleich lautende Platitüden verfällt und es nicht schafft, den Kern der Dinge zu erfassen, tauchen hin und wieder pointierte, emotionsfreie Kritiken auf, die mehr als nur den oberflächlichen Fingerzeig wagen und tatsächlich den so undurchdringlich scheinenden Schleier des American Way of Life durchdringen.
Ein gelungenes Beispiel hierfür sind die Fotografien der beiden Zürcher Künstler Taiyo Onorato und Nico Krebs, die in der aktuellen Ausstellung »The great unreal« bei den Kunstagenten gezeigt wird. Auf mehreren Roadtrips durch die Vereinigten Staaten nahmen Onorato und Krebs immer wieder die unzähligen Phantasmen unter die Lupe, die unser Bild von diesem Land prägen, und beschwören mit ihren zumeist inszenierten, doch aber stets real wirkenden Dioramen einen Mythos, den wir zwar zu kennen glauben, jedoch nicht als Realität oder Illusion erkennen können. Bild und Bildmotiv verschmelzen so zu einem geisterhaften Wesen, das nicht mehr greifbar ist.
»Car 2«, © Taiyo Onorato & Nico Krebs (c.o. Kunstagenten)
Das Fotografenduo Taiyo Onorato & Nico Krebs lebte den Traum vieler Amerikaner und Touristen: ein Roadtrip durch das ganze Land. Währenddessen wurden sie auf die vielen Orte aufmerksam, die unsereins für Filmsets eines typischen Hollywood-Streifens halten würde. Erst als sie wiederkamen und erneut eine solche Tour in Angriff nahmen, erstellten sie ihre Arbeiten, für die sie verschiedene Techniken der Bildmanipulation einsetzten. Jedoch nicht etwa Photoshop oder dergleichen: Onorato und Krebs setzten neben ihrem fotografischen Know-How und Pappkulissen auch Collagetechniken ein.
Dabei ist die einzige ungestellte Fotografie gleichzeitig die interessanteste: In »Biggest cross in Texas« wählen die beiden Künstler eine Perspektive, die das hell erleuchtete Kreuz einer texanischen Kirche mit einem einfachen Strommasten in Bezug setzt und die Rolle der Kirche im säkularisierten Amerika hinterfragt. Während sich das Kreuz aufrecht und strahlend auf dem trockenen Wüstenboden empor streckt, hat das morsche Holz des schief stehenden Masten schon bessere Tage gesehen. »In god we trust«, wie es so schön heißt, wird hier greifbar.
Die restlichen Fotografien — etwa dreißig an der Zahl — entstanden dagegen unter Zuhilfenahme manipulativer Methoden. So wird in »Car 2« das Symbol des modernen Amerikas schlechthin, nämlich das Auto, in einen Heiligenschein gehüllt. Vor einem typischen Motel in Szene gesetzt wird in »Car 2« wiederum auf den nicht minder typischen Roadtrip-Tourismus angespielt, der schließlich auch Grundlage der ganzen Fotoserie ist.
»Wires«, © Taiyo Onorato & Nico Krebs (c.o. Kunstagenten)
Dann gibt es jedoch die Werke in »The great unreal«, die die Serie am meisten prägen. In Arbeiten wie »Wires« setzen Onorato & Krebs ihre Manipulationen so geschickt ein, dass nicht klar wird, was Illusion und was Realität ist. Man sieht auf dieser Aufnahme einige Strommasten in einer wüsten Gegend, deren Kabel und Abspannleinen wie Strahlen in alle Richtungen auslaufen und so den Eindruck provozieren, dass an diesem Foto etwas nicht stimmen kann. Allein, dieses Gefühl bleibt, ist es doch nicht möglich, auszumachen, welche der Kabel und Stahlseile tatsächlich echt sind und welche nur Illusion sind.
Dadurch wird das gesamte Motiv infrage gestellt und verliert trotz seiner durchaus realen Grundlage jegliche Wahrhaftigkeit. Die Arbeiten des Künstlerduos greifen auf diese Weise diverse Facetten des so vielfach proklamierten Bildes von den USA auf und hinterfragen sie durch ihre subtilen Verfremdungen, sodass letztlich die real abgebildete Illusion, d.h. jene Täuschung, die unsere Vorstellung dieses Landes ausmacht, mit der von Onorato und Krebs hinzugefügten Illusion verschmelzen.
Ebenso wird in diesen Arbeiten eine zweite, eine parallele Realität erschaffen, die eins wird mit der existenten, vorfindbaren Realität. Obgleich die beiden Künstler sehr einfache und feine Verfremdungen vornehmen, schaffen sie es doch, die verschiedenen Ebenen der Täuschung so eng miteinander zu verbinden, dass nicht mehr erkennbar ist, was wahrhaftig und was artifiziell ist. Wenn etwa ein entsprechend bemaltes Stück Pappe vor einer Horizontlinie zu einem endlosen Highway wird oder die Collage diverser »typisch amerikanische« Gebäude und Rohbauten zu einem geschickt zusammengesetzten, fiktiven Straßenzug wird, offenbaren sich erst die Ansichten, die wir vom American Way of Life haben.
Dabei gehen die beiden Fotografen alles andere als plump und prätentiös vor. Ihre Arbeiten scheinen stets nüchtern und schlicht, sind in gedeckten Farben gehalten und sprechen mit einem zeitlosen Unterton, der ihnen eine überaus ruhige Stimmung verleiht. Selbst eine Aufnahme von Autoreifen, die einen Hügel herunterstützen, wie es die Büffelherden in den unzähligen Western-Filmen zu tun pflegen, ist von einer eigenartig ruhigen, doch energiegeladenen Ruhe erfüllt, die wiederum an den Stil von »Spiel mir das Lied vom Tod« und ähnlichen Klassikern erinnert.
Diese ernste Stille ist es, die den Arbeiten in »The great unreal« erst ihre außerordentliche Klasse verleiht. Gepaart mit dem Verwirrspiel aus Illusion und Realität und dem Verzicht auf digitale Methoden der Manipulation entsteht die einzigartige Atmosphäre dieser Werke. Daher kann ich nur meine ausdrückliche Empfehlung für diese Ausstellung aussprechen, die wohl mit Recht kürzlich von artinfo.com zu einer der »Five shows to see around the world« erklärt wurde. In jedem Fall möchte ich behaupten, dass es sich hierbei um eine der besten Berliner Ausstellungen der zweiten Jahreshälfte handelt.
Wer sich selbst ein Bild von »The great unreal« machen will, der hat
noch bis zum 25. September bei den
Kunstagenten Gelegenheit dazu,
immer mittwochs bis samstags von 14:00 bis 19:00 Uhr,
in der Linienstraße 155 in 10115 Berlin.
Unabhängig von »The great unreal« wurde mir in den vergangenen Wochen wieder einmal klar, wie stark das glorifizierte Bild vom American Way of Life auch unsere Kultur prägt. Wenn wir im Kino einen Hollywood-Film sehen, dann folgen wir nicht etwa an der Erzählung einer Geschichte, die ebenso amerikanisch, wie deutsch oder japanisch sein könnte. All diese Filme handeln von typisch amerikanischen Legenden: the American Dream oder etwa der selbstlose Kampf eines Einzelnen für die Demokratie/das Wohl oder die Bürger Amerikas. Andere sind amerikanische Großstadtmärchen, die wieder und wieder den Charme New Yorks oder Los Angeles‹ beschwören und allmählich einen Mythos formen, in den sich wenig andere Städte hüllen können.
Auch wenn dies nur ein Beispiel ist, denke ich, sind wir mit der amerikanischen Kultur so gut vertraut als wäre sie unsere eigene, und vielleicht haben wir auch schon Teile davon assimiliert und in unsere integriert. Dann sind es jedoch Filme wie »Bowling for Columbine« oder Künstler wie Marilyn Manson, die mich mit ihrer intelligenten Kritik an dieser illusorischen Kultur beeindrucken und daher auch aufzeigen, dass diese rein amerikanische Angelegenheit eigentlich viel deutscher ist, als ich mitunter vermutete.
Andere Meinungen
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