Kunst und Propaganda

22. Mai 2012 von Matthias Planitzer
Andreas Mühe dekonstruiert den nationalistischen Bildtypus vom deutschen Idyll.

Andreas Mühe: "Du machst das Bild", courtesy Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Sobald sich Poli­tik der Pro­pa­gan­da bedient, macht sie sich angreif­bar, weil sie eine Les­art gegen alle ande­ren durch­set­zen muss. Sie kann sich nur behaup­ten, wenn sie die Deu­tungs­ho­heit über die Her­aus­for­de­run­gen erlangt, denen sie sich stel­len will. Der poli­ti­sche Kampf ist dem­nach eine ideo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung, deren Aus­gang zunächst unge­wiss ist. Doch zurück zur Kunst: Wie ehr­gei­zig die­ser Kampf geführt wird, kann das Ber­li­ner Publi­kum seit eini­gen Tagen bei der Bien­na­le ver­fol­gen, wo die Kunst in die­sem Jahr viel­leicht mehr denn je hin­ter der Poli­tik zurück­tre­ten muss: Der Pro­zess der ideo­lo­gi­schen Deu­tung nimmt im Labo­ra­to­ri­um Muse­um den Raum der künst­le­ri­schen Aus­le­gungs­wei­sen ein. In die­sem Fal­le ver­zich­tet sie auf jeg­li­che ästhe­ti­schen Züge und wird somit zum faden Fremd­kör­per im Haus der Kunst.

Nur weni­ge Meter ent­fernt beweist ein jun­ger Foto­graf, daß es auch anders geht: Andre­as Mühe ver­kehrt in sei­ner heiß erwar­te­ten Ein­zel­aus­stel­lung »Ober­salz­berg« in der Gale­rie Dittrich & Schlech­triem die Bild- und Form­spra­che der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da. Pünkt­lich zum Gal­lery Weekend wur­de »Ober­salz­berg« eröff­net und zog die neu­gie­ri­gen Besu­cher­scha­ren an. Drin­nen wie drau­ßen dräng­ten sich die Leu­te, um einen Blick auf Mühes Arbei­ten wer­fen und bei die­ser Gele­gen­heit gleich ange­regt mit­ein­an­der schnat­tern zu kön­nen. Damit war die Gale­rie Dittrich & Schlech­triem viel­leicht eine der bes­ser besuch­ten Aus­stel­lungs­or­te des Wochen­en­des – obwohl sie nicht ein­mal zum Kreis der offi­zi­el­len Teil­neh­mer des Gal­lery Weekends gehörte.

Andreas Mühe: "SA-Mann am Mooslahnerkopf", courtesy Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Andre­as Mühe: »SA-Mann am Moos­lah­n­er­kopf«, cour­te­sy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Zu ver­dan­ken ist dies Andre­as Mühe, des­sen »Ober­salz­berg« vor­ab v.a. mit der zen­tra­len Arbeit »Du machst das Bild« bewor­ben wur­de. Die groß­for­ma­ti­ge Foto­gra­fie, gekonnt im Vor­raum der Gale­rie in Sze­ne gesetzt, könn­te pro­vo­kan­ter nicht sein. Dar­auf abge­bil­det sind zwei Uni­for­mier­te vor düs­ter bewölk­tem Him­mel. Ein Offi­zier posiert geküns­telt, sein Adju­dant hält die Sze­ne foto­gra­fisch fest. Die Posen ver­ra­ten viel: So ent­ste­hen Schnapp­schüs­se, »ich war hier«. Foto­tou­ris­mus und Face­book-Bild­kul­tur. Doch statt Smart­phone und Insta­gram sind es Bal­gen­ka­me­ra und Feld­post, die den Moment fest­hal­ten und tei­len. Dabei blickt der Adju­dant nicht ein­mal durch den Sucher; so kann das Foto ja nichts wer­den. Heu­te wie damals.

Der­weil bleibt unklar, wer sich hier vor wel­chem Motiv ablich­ten lässt. Ein­zig der dra­ma­ti­sche Him­mel einer Wag­ner­schen Göt­ter­däm­me­rung dient als Kulis­se. Damit hat Andre­as Mühe sein Anlie­gen für den »Ober­salz­berg« bereits auf den Punkt gebracht: die punkt­ge­naue Ana­ly­se und Ver­keh­rung der Bild­pro­pa­gan­da der Natio­nal­so­zia­lis­ten. Alles was es dafür braucht, sind ein gene­ri­scher Nazi, die Gewalt des ur-deut­schen Idylls und reich­lich Sati­re, um all dies ad absur­dum füh­ren zu können.

Kei­nen bes­se­ren Ort könn­te es hier­für geben als den Ober­salz­berg, der einst Hit­ler als Feri­en­do­mi­zil und Hin­ter­grund für zahl­rei­che Insze­nie­run­gen sei­ner Pro­pa­gan­da dien­te. Bei Mühe fin­det man die­sel­ben Moti­ve wie­der: epi­sche Alpen­pan­ora­men, mäch­ti­ge Wäl­der und sanft ver­schnei­te Auen. Mühe ahmt die typi­sche Bild­qua­li­tät durch Wei­te und Raum, groß­zü­gi­ges Hoch­for­mat sowie die urei­ge­ne, leicht abge­blass­te Farb­lich­keit nach. In die­ser Land­schaft posi­tio­niert er sei­ne Nazis im hin­te­ren Mit­tel­grund, gera­de so weit von der Kame­ra ent­fernt, daß sie dank ihrer Uni­form noch als sol­che erkenn­bar sind. Doch bei Mühe thro­nen sie nicht etwa wie Hit­ler über dem deut­schen Land zu ihren Füßen. Sie zei­gen sich auch nicht von der Natur­ge­walt beein­druckt. Im Gegen­teil, sie schen­ken all dem kei­ne Aufmerksamkeit.

Andreas Mühe: „Der General“, cour­tesy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Andre­as Mühe: „Der Gene­ral“, cour­tesy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Mühes Nazis pis­sen. Man kann es nicht anders aus­drü­cken. Wie sie dort der Kame­ra abge­wandt ste­hen, die Hose auf­ge­knöpft dem Pan­ora­ma zu ihren Füßen kei­nen wei­te­ren Respekt zol­len als ihrer drin­gen­den Dürf­tig­keit nach­zu­ge­hen, kann es kei­nen bes­se­ren Aus­druck der Vul­ga­ri­tät die­ser Sze­nen geben. Wäh­rend Mühe mit viel Auf­wand die mys­ti­fi­zier­te Herr­lich­keit der Land­schaft ein­zu­fan­gen weiß, reicht die­ses eine Detail, sei­ne sofor­ti­ge Ent­zau­be­rung her­bei­zu­füh­ren. Der Ober­salz­berg Andre­as Mühes ist zwar immer noch ein von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­ein­nahm­tes Natur­denk­mal, doch von Pro­pa­gan­da kann kei­ne Rede sein. Mühes Ober­salz­berg ist ein belie­bi­ger Ort in Deutsch­land, der stinkt und mufft, ver­müllt und ver­dreckt ist und eigent­lich genau­so arm­se­lig daher kommt wie jene, die sich sei­ner bemäch­ti­gen und hier aus­las­sen. Die Kri­tik an der infa­men Pro­pa­gan­da der Nazis könn­te kaum tref­fen­der sein. Hier wird die Deu­tungs­ho­heit des ur-deut­schen Idylls gekonnt gekon­tert. Die­ser Schock sitzt noch bei der nächs­ten Wag­ner-Auf­füh­rung tief.

Gleich­zei­tig ver­rät die Anony­mi­tät der iko­nisch gesetz­ten Figu­ren die Fik­ti­on des Bild­ty­pus vom Berch­tes­ga­de­ner Land, dem Land der Deut­schen. Ob Nazi-Pro­pa­gan­da oder Hei­mat­film, erns­tes oder sati­ri­sches His­to­ri­en­ki­no, die hoch kon­zen­trier­te Idee des Ur-Deut­schen wird ent­larvt und mit der Absur­di­tät ihrer geküns­tel­ten Insze­nie­rung kon­fron­tiert. Mühes Foto­gra­fien, allen vor­an »Du machst das Bild« erzäh­len vor allem von dem Auf­wand, der für ihre Pro­duk­ti­on betrie­ben wur­de. Das schwüls­ti­ge Ele­ment, die maß­lo­se Über­trei­bung drin­gen über­all durch. Im Unter­schied zu all die­sen auf die eine oder ande­re Wei­se pro­pa­gan­dis­tisch gefärb­ten Deu­tun­gen, gibt Mühes über­trie­ben geküns­tel­te Insze­nie­rung die­ses hart­nä­ckig anhaf­ten­den Pathos nicht den Weg für eine anschlie­ßen­de Nar­ra­ti­on frei. Andre­as Mühe betreibt all die­sen Auf­wand nicht etwa, um sei­ne eige­ne Deu­tung des Berch­tes­ga­de­ner Lan­des dadurch zu bekräf­ti­gen. Sein Mythos »Ober­salz­berg« ver­liert sich in der Lee­re und lässt hier kei­nen Aus­weg offen. Dar­in liegt auch das Geheim­nis, war­um die­se sonst so abge­grif­fe­nen Moti­ve bei ihm zu neu­em Leben erwa­chen. Da fällt es doch gleich viel leich­ter, auch ein­mal dar­über lachen zu kön­nen. Wie man hört, fan­den Mühes Arbei­ten vor allem bei jüdi­schen Samm­lern Gefal­len. Damit wären sie nicht allein: Die Eröff­nungs­gäs­te hat­ten jeden­falls sicht­li­chen Spaß.