Die leise Biennale

28. Mai 2014 von Matthias Planitzer
Kurator Gaitán setzt auf ungewöhnlich viel subtile Kunst. Nun müssen sich die Besucher auch darauf einlassen.

Zarouhie Abdalian: "a caveat, a decoy"

Als ges­tern die 8. Ber­lin Bien­na­le erst­mals dem Fach­pu­bli­kum vor­ge­stellt wur­de, war das für man­chen Besu­cher wohl der ers­te Besuch im Muse­um Dah­lem, wo immer­hin der größ­te Teil des dies­jäh­ri­gen Aus­stel­lungs­pro­gramms arran­giert wur­de. Wo sonst asia­ti­sche Kunst und eth­no­lo­gi­sche Schät­ze vor allem aus dem süd­ame­ri­ka­ni­schen Raum aber auch aus Euro­pa gezeigt wer­den, füg­te Kura­tor Juan Gai­tán die von ihm ver­sam­mel­ten, zum über­wie­gen­den Teil eigens in Auf­trag gege­be­nen Kunst­wer­ke ein. So waren die Besu­cher nicht nur ein­ge­la­den, die in den vie­len Flü­geln, Geschos­sen und Trak­ten des Gebäu­des immer wie­der ein­ge­streu­ten Expo­na­te zu ent­de­cken, son­dern auch zwi­schen all den prä­ko­lum­bia­ni­schen Kult­ob­jek­ten, chi­ne­si­schem Por­zel­lan und japa­ni­schen Para­vents das zu fin­den, was Gai­tán die vier­te Dimen­si­on, die zeit­ge­nös­si­sche Kunst, nennt.

Das gelang stre­cken­wei­se gut, wenn etwa Wolf­gang Till­mans oder Alber­to Bara­ya die Vitri­nen des Hau­ses nutz­ten, um ihre Instal­la­tio­nen in einen ähn­li­chen musea­len Kon­text zu rücken, oder wenn Maria­na Cas­til­lo Deball die pas­sen­de Umge­bung ihre post-kolo­nia­lis­ti­sche Unter­su­chung der mexi­ka­ni­schen Kul­tur mit Objek­ten aus der Muse­ums­samm­lung kom­bi­nie­ren durf­te. So war zwar auch Nata­sha Gin­wa­las For­schungs­pro­jekt »Dou­ble Lives«, das anhand wis­sen­schaft­li­cher Zeich­nun­gen die Bezie­hun­gen zwi­schen Natur­ge­schich­te und Kunst im 19. Jahr­hun­dert unter­su­chen möch­te, in der Hin­sicht gut inte­griert, daß der lan­ge Weg durch einen Groß­teil der asia­ti­schen Samm­lung führt, obgleich die Lage weit abseits der rest­li­chen Aus­stel­lungs­räu­me wohl so man­chen ver­irr­ten Besu­cher zur Umkehr bewe­gen wird. So ver­streut die Aus­stel­lungs­tei­le im Muse­um Dah­lem lie­gen, so oft man durch die men­schen­lee­ren Räu­me vor­bei an den kalt­licht­be­schie­nen Expo­na­ten geht, so ruhig ist die gesam­te Bien­na­le, nicht nur hier in Dahlem.

»Die­se Bien­na­le hat etwas Lei­ses, obwohl viel Sound dabei ist«, bemerk­te Hor­ten­sia Völckers, künst­le­ri­sche Direk­to­rin der Kul­tur­stif­tung des Bun­des, völ­lig rich­tig. Ist es die im eth­no­lo­gi­schen Muse­um rah­men­ge­ben­de, aber auch ört­lich immer wie­der tren­nen­de Dau­er­aus­stel­lung, so sind es in den bei­den ande­ren Orten der Bien­na­le ande­re kura­to­ri­sche Ansät­ze, die die­se unge­wöhn­li­che Stil­le bewah­ren: Das Haus am Wald­see wur­de als Vil­la eines anony­men Kunst­samm­lers insze­niert, wo Spring­brun­nen und klas­si­sche Musik herr­schen, wäh­rend die KW wie so oft die Stil­le in der Abschot­tung von der hek­ti­schen Außen­welt begrei­fen. Nach Artur Żmi­jew­skis geschei­ter­tem Ver­such, die 7. Ber­lin Bien­na­le mit gro­ßen Effek­ten und viel Kon­fron­ta­ti­on zu schmü­cken, muss Gai­táns unge­mein lei­se­rer Stil eine Wohl­tat sein.

Eine Tee­ze­re­mo­nie in einem nach­ge­bil­de­tem, tra­di­tio­nel­lem japa­ni­schen Haus.

Eine Tee­ze­re­mo­nie in einem nach­ge­bil­de­tem, tra­di­tio­nel­lem japa­ni­schen Haus.

Wenn denn die Besu­cher mit­zö­gen. Die Stil­le wird lei­der umso leich­ter zer­ris­sen, je zar­ter sie insze­niert wird. Bereits wäh­rend der Vor­be­sich­ti­gung herrsch­te ein Tru­bel, der so man­cher Kunst­werk nicht gut tat. Für Taci­ta Deans in sich gekehr­ter, aber vor Inten­si­tät strot­zen­der Ver­such, im Labor durch­ge­führ­te Expe­ri­men­te mit Lasern und nuklea­ren Explo­sio­nen, fil­misch ein­zu­fan­gen, wur­de zwar ein eige­ner, klei­ner Raum gebaut. Gerin­ge Laut­stär­ke und klei­ne Bild­schir­me hal­ten aber kaum den zu erwar­ten­den Besu­cher­an­drang aus. Undenk­bar wäre auch die Idyl­le des Haus am Wald­sees und die maß­geb­lich davon getra­ge­nen Aus­stel­lungs­stü­cke ohne die Ruhe, die viel­leicht nur eine sol­che Vor­be­sich­ti­gung gewähr­leis­ten kann.

Natür­lich lässt sich dies leicht über vie­ler­lei Kunst sagen, frei­lich braucht so man­che Arbeit mehr Frei­raum als eine ande­re und natür­lich ist von jeder Aus­stel­lung die­ser Grö­ße zu erwar­ten, daß die wün­schens­wer­te Ruhe frü­her oder spä­ter nicht mehr ein­keh­ren kann. Man kann Gai­tán für den Ver­such, die­se Ruhe zu bewah­ren, nicht genug loben. Doch für manch ein Kunst­werk wünscht man sich ins­ge­heim, daß zu sei­nem Schut­ze ein Muse­ums­wär­ter abge­stellt würde.

Zarou­hie Abda­li­ans Instal­la­ti­on »a caveat, a decoy« ist eine davon. Die jun­ge Ame­ri­ka­ne­rin hat im Trep­pen­haus der Kunst­wer­ke, ganz oben, auf hal­ber Höhe unterm Dach, eines der Flü­gel­fens­ter öff­nen und auf dem Sims eine Plas­ti­keu­le plat­zie­ren las­sen, wie man sie in jedem Bau­markt als Tau­ben­schreck kau­fen kann. Dort thront sie auf einem ange­deu­te­ten Baum­stumpf und über­blickt den Innen­hof, die Dächer und die nähe­re Umge­bung. Ihr Blick ist nach Süd­west, auf die bei­den ande­ren Aus­stel­lungs­or­te der Bien­na­le gewandt, wäh­rend aus einem Laut­spre­cher Schu­berts »Nacht und Träu­me«, vor­ge­tra­gen durch die neu­see­län­di­sche Opern­sän­ge­rin Kiri Te Kana­wa, erklingt.

Zarou­hie Abda­li­an: »a caveat, a decoy«

So woll­te ich also die Trep­pe zum Dach­ge­schoss hin­auf­ge­hen und blieb doch bereits nach zwei Stu­fen vor Ehr­furcht erstarrt ste­hen. Da saß sie, die Eule vor dem wei­ßen Wol­ken­him­mel; Heil’­ge Nacht, du sin­kest nie­der;
Nie­der wal­len auch die Träu­me
Wie dein Mond­licht durch die Räu­me,
Durch der Men­schen stil­le Brust.
Die belau­schen sie mit Lust;
Rufen, wenn der Tag erwacht:
Keh­re wie­der, heil’­ge Nacht!
Hol­de Träu­me, keh­ret wie­der!
ich konn­te ihren Blick nur erah­nen und hör­te vor allem das lieb­li­che Kla­vier­lied lei­se spie­len. Ich war ver­zau­bert. So wie das Haus am Wald­see in herr­schaft­li­cher Ruhe über das weit­läu­fi­ge Anwe­sen blickt und aus die­ser Idyl­le eine uner­mess­li­che Schön­heit gewinnt, so anmu­tig war auch der Anblick die­ser Eule, unter­malt vom gedämpf­ten Gesang der Sopranistin.

Die­sem Genuss gab ich mich nicht weni­ger als drei­ßig Minu­ten, viel­leicht auch eine Stun­de hin. Abda­li­ans Arran­ge­ment war sim­pel, aber per­fekt. Denn es brauch­te nicht viel, die­se zar­te Schön­heit erblü­hen zu las­sen. Ein­zig die Posi­tio­nie­rung im Trep­pen­haus, das immer wie­der die schnau­fen­den Besu­cher­scha­ren aus­spuck­te, war unglück­lich gewählt. Stre­cken­wei­se war Schu­berts melan­cho­li­scher Melo­die kaum mehr zu hören, stre­cken­wei­se war es nur eine Plas­ti­keu­le auf einem Fens­ter­sims. Ein fran­zö­si­scher Kol­le­ge frag­te mich schließ­lich, nach­dem er lan­ge mit sei­ner Beglei­tung dar­über dis­ku­tier­te, was ich von Abda­li­ans Instal­la­ti­on hiel­te. Er erklär­te mir, daß die Schön­heit in dem Arran­ge­ment lie­ge, daß die Eule ja nach Dah­lem schaue und über­haupt, wie leicht man doch so simp­le Fein­hei­ten über­se­hen kön­ne. Er erklär­te mir auch, daß ein solch kru­der Gegen­stand – ein aus Plas­tik gegos­se­ner, wet­ter­fes­ter, braun und weiß gestri­che­ner Gebrauchs­ge­gen­stand – ja eigent­lich gar nicht mit der Anmut eines sol­chen Kla­vier­lie­des zusam­men gehen kön­ne, daß die Künst­le­rin da ein glück­li­ches Händ­chen gehabt habe und die Arbeit schließ­lich allein in dem Moment der Über­ra­schung lebe, in dem man auf­blickt und da die­se Sil­hou­et­te vor dem hel­len Wol­ken­him­mel erbli­cke. Ich gab ihm Recht. Und bat ihn, doch lie­ber zuzu­hö­ren und ein­fach nur zu schweigen.