Marguerite Humeau präsentiert in ihrer Einzelausstellung »Horizons« bei Import Projects einen inhaltlich vielschichtigen Werkkorpus, der mittels künstlerischer Strategien Wissenschaft und Fiktion eng zusammen rücken lässt. Sound-Nachbildungen längst ausgestorbener Tiere erfüllen auf eindringliche Art und Weise den Ausstellungsraum. Es scheint, als gäbe die Künstlerin längst vergessenen Lebewesen eine Stimme und versetzt die Vergangenheit in die Gegenwart. Diese Geräusche stammen von den beiden hoch aufragenden, klangerzeugenden Skulpturen der Triologie „The Opera of Prehistoric Creatures“, die durch ihre dreidimensionale Form bereits an riesige Schädelknochen erinnern. Es handelt sich um eine Nachbildung der bereits ausgestorbenen Spezies der Entelodonten sowie der Kaisermammuts. In Zusammenarbeit mit Paläontologen, Biologen, Ingenieuren, HNO-Spezialisten und Radiologen konstruiert sie Resonanzräume, synthetische Kehlköpfe, Stimmbänder und Luftröhren. Diese technischen Reproduktionen verleihen den Arbeiten zwar ein frankensteinartiges, klinisch weißes Aussehen, jedoch ertönt aus ihnen heraus eine authentische Geräuschkulisse.
Sogleich verschiebt sich die Wahrnehmung des Visuellen auf das Akustische, denn die sterile Ästhetik steht dem wirkungsvolleren Sound-Erlebnis konträr gegenüber. Das effektvolle Ergebnis ist ein unentwegtes tiefes, archaisches Stöhnen, welches in unterschiedlichen Facetten zeitgleich aus beiden Ressonanzkörpern dröhnt. Neben sich wiederholenden Klängen treten eruptive Geräuschaktionen in das Hörbild. Das Umlaufen der Skulptur im Raum gehört ebenfalls zum Teil der akustischen Rezeption. An dieser Stelle treffen Kunst und Biotechnologie aufeinander und werfen Fragen nach den Strategien der Realitätskonstruktion auf. Denn wenn man das Hören in diesem Kontext als kulturelle Praxis versteht, knüpft daran auch ein tradiertes Wissen einer Gesellschaft an, die mit Hilfe der Klangskulpturen ins Gedächtnis gerufen wird. Bemerkenswert ist hierbei vor allem die Interaktion der beiden Modelle mittels eingebauter künstlicher Intelligenzsysteme. Laut Humeau wäre neben der skurril anmutenden Science-Fiktion-Oper auch eine real geführte Konversation zwischen den Modellen denkbar.
Darin lässt sich bereits das zentrale Verlangen der Künstlerin nach einer einzigartigen Kommunikation erkennen, die sich als grundlegender Baustein für ihre Arbeiten erweist und die weiteren ausgestellten Werke maßgeblich prägen. Humeau beschäftigt sich insbesondere mit dem Wunsch nach einer außerirdischen Kommunikation. Dieses Konzept ist zunächst schwer zu definieren. Humeau reagiert damit, neben der fiktiven Zielsetzung – nämlich mit Aliens in Kontakt treten zu wollen, einer gleichsam belustigenden Komponente – auch auf die Erwartungshaltung des Betrachters gegenüber ihren Arbeiten. Denn von Kunst wird oft mehr erwartet, als dass sie einfach vor uns steht. Wir möchten, dass sie einen Dialog entfacht. An zweiter Stelle schreibt Humeau diesem Kontext entsprechend ihren kommunizierenden Arbeiten eine erkenntnisbringende Funktion zu.
So dient „Prop 2“, eine Druckluftkanone, die schwarzes Pulver ausstößt, als Instrument für eine reale Expedition in die Antarktis zum East Scotia Ridge. Auf der Grundlage der dort vor zwei Jahren tatsächlich entdeckten, bisher noch unidentifizierten Wesen, die angeblich mit Klang, Licht und schwarzem Pulver kommunizieren, entwickelte Humeau die Arbeit. Dabei tritt sie selbst als Experimentator auf, sie beschreibt, führt durch und dokumentiert ihre Ergebnisse. Auch „Prop 1“, ein maßstabsgerechtes und funktionales Modell eines Kampfjets aus schwarzem PVC, dient dieser Expedition. Ziel ist es dieses als „Design-Blockbuster“ in die Gewässer der Antarktis zu stürzen. Dort soll das Modell Lichtblitze aussenden und zusammen mit der Druckluftkanone und dessen ausgestoßenem schwarzen Pulver Kontakt mit den unbekannten Kreaturen aufnehmen. Der Erfolg der entwickelten Kommunikationsform bleibt bewusst spekulativ, wodurch die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion als Resultat verschwimmen. Humeau entwickelt in ihrer aufwändigen Recherchearbeit und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern demnach eine Konstellation des Möglichen und beschreibt deren Auswirkungen. Der zentrale Tatbestand ist dementsprechend die entdeckerische Zielsetzung – im Konzeptuellen liegt hier eindeutig die Stärke ihrer Arbeiten.
Selbst wenn die Arbeiten womöglich nicht ohne ihren komplexen narrativen Hintergrund auskommen würden, ergeben sich aus Humeaus Arbeiten interessante Weiterentwicklungen der Themenfelder Biotechnologie und Skulptur. Dabei gehen Kunst und Wissenschaft bei Humeau eine erstaunlich ungezwungene Verbindung ein. Dieser methodische Ansatz nach wissenschaftlichen Maßstäben beruht in der Kunst auf einer langen Tradition. Bereits aus der Renaissance ist bekannt, dass die künstlerische Produktion auf teils bekannten, aber auch teils unbekannten physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten beruhte. Auch umgekehrt griffen Naturwissenschaftler auf künstlerische Methoden zur Darstellung und Ermittlung ihrer Ergebnisse zurück. So verwundert es nicht, dass Humeau unterschiedliche Arten von Kommunikationssignalen, wie Sprache oder Licht auswählt, diese mittels wissenschaftlicher und technischer Möglichkeiten erforscht, umsetzt, sogar nachbildet und diese mit phantastischen Visionen verknüpft.
Marguerite Humeaus Einzelausstellung »Horizons« bei Import Projects transferiert Dagewesenes und Unbekanntes in unser Bewusstsein. Dabei reichert Humeau ihre Arbeiten, die auf realen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten beruhen, mit abstrakten Spekulationen an. Ihre Arbeiten bewegen sich übereinstimmend hin zum Unbekannten und werden von der Zukunft wie von der Vergangenheit geleitet. Auf diese Weise balancieren sie auf einem schmalen Grad zwischen Fiktion, Kunst und Wissenschaft.
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[…] Matthias Planitzer ist nach langer Pause zurück und somit es geht weiter auf seinem Blog. Der Wiedereinstieg erfolgt mit einer Show von Marguerite Humeau bei Import Projects. […]