Endlich eine würdige Ausstellung für St. Agnes

22. Oktober 2013 von Maria Ebbinghaus
Jeppe Heins Installation bleibt stumm, aber aufmerksam: der Raum im Spiegelbild

Jeppe Hein: "360° Illusion III"; Foto: Matthias Planitzer

Als im ver­gan­gen Jahr bekannt wur­de, daß Johann König die bis dahin eben­so ver­wais­te wie bau­fäl­li­ge Kir­che St. Agnes gepach­tet hat­te, um mit sei­ner Gale­rie nach dem Aus­lau­fen des Miet­ver­tra­ges für die Des­sau­er Stra­ße in die­sen bru­ta­lis­ti­schen Sakral­bau zu zie­hen, war manch einer berech­tig­ter­wei­se skep­tisch. Die gewag­te Inves­ti­ti­on wür­de allein für die anste­hen­de Reno­vie­rung einen deut­li­chen Mil­lio­nen­be­trag ver­an­schla­gen, zumal die Räum­lich­kei­ten trotz oder gera­de wegen ihrer impo­san­ten Beton­ge­wal­ten erst ein­mal für solch pro­fa­ne Absich­ten wie zeit­ge­nös­si­scher Kunst gezähmt wer­den müss­ten. Doch ande­rer­seits hät­te wohl kein ande­rer Ber­li­ner Gale­rist die­sen Coup wagen kön­nen: Kaum einer sei­ner Kol­le­gen ver­bin­det ein pas­sen­des Port­fo­lio jun­ger Bild­hau­er und Instal­la­ti­ons­künst­ler mit der Fle­xi­bi­li­tät und der nöti­gen Finanz­kraft, um die abseits aller Hot­spots ver­steckt gele­ge­ne Kir­che für die Kunst­welt zu erschlie­ßen. Deren Anhän­ger dank­ten es ihm, blick­ten sie doch schon immer neu­gie­rig auf die unge­wöhn­li­che Archi­tek­tur, in der sie gleich zwei ihrer größ­ten Feti­sche, den Mini­ma­lis­mus und die Sakra­li­tät, in Form­voll­endung ver­eint wiederfanden.

Den­noch hat­te wohl kei­ner dar­an gezwei­felt, daß die­ses küh­ne Unter­fan­gen, das auf nicht weni­ger als die künst­le­ri­sche Ver­ein­nah­mung eines der­art wirk­kräf­ti­gen Rau­mes abziel­te, nur mit Aus­stel­lun­gen erfolg­reich sein kön­nen wer­de, die die­ser kolos­sa­len Kulis­se auf Augen­hö­he begeg­nen. Es schien jedoch nicht jedem bewusst zu sein, daß fili­gra­ne Zeich­nun­gen und zar­te Schwarz-Weiß-Foto­gra­fien unter die­sen Beton­mas­sen zwangs­läu­fig unter­ge­hen müss­ten – jeden­falls war es die ein­zi­ge, wenn auch ein­drucks­vol­le Leh­re aus der ers­ten hier gezeig­ten Aus­stel­lung, die zwar die Kir­che als ein Bei­spiel für öffent­li­ches Bau­en direkt the­ma­ti­sier­te, doch trotz ihrer inhalt­li­chen Qua­li­tä­ten auf den Rang eines Schü­ler­pro­jek­tes degra­diert wur­de. Zwar war es nicht König, der sich hier­für ver­ant­wort­lich zeich­nen muss­te, doch auch die dar­auf fol­gen­de Schau, die gleich­sam das Debüt der Gale­rie in den bald zu bezie­hen­den Räu­men mar­kie­ren soll­te, hat­te kei­ne Leh­ren aus die­sem Fehl­start gezo­gen. Statt einen der Künst­ler zu wäh­len, die mit einem sol­chen Raum umge­hen kön­nen – eine der Farb­ge­wal­ten Katha­ri­na Gros­ses wäre mit dem Grau sicher­lich eben­so sehr auf Tuch­füh­lung gegan­gen, wie eine der Baum­in­stal­la­tio­nen Micha­el Sailstor­fers oder viel­leicht eine der grö­ße­ren Instal­la­tio­nen Moni­ca Bon­vici­nis hier das nöti­ge Momen­tum auf­ge­baut hät­ten –, statt also sich für eine nicht nur raum­grei­fen­de, son­dern auch raum­durch­mes­sen­de Posi­ti­on zu ent­schei­den, prä­sen­tier­te König zum dies­jäh­ri­gen Gal­lery Weekend mit Ali­c­ja Kwa­de ein simp­les Foucault’sches Pen­del, wie man es aus jedem mit­tel­gro­ßen Tech­nik­mu­se­um kennt. Ergänzt um eine Glüh­bir­ne und eine Sound­kom­po­nen­te konn­te »Nach Osten«, so der mys­ti­sche Titel der Arbeit, zwar eini­ge Kri­ti­ker begeis­tern, war doch aber im Kern nichts wei­ter als eine nai­ve, sich auf einem beschei­de­nen Niveau aus­ru­hen­de Instal­la­ti­on, die weder den zugrun­de lie­gen­den Prin­zi­pi­en, noch der Ideen­ge­schich­te des Foucault’schen Pen­dels oder aber gar, viel gra­vie­ren­der, dem Raum Rech­nung trug. Manch ein Autor ver­gaß bei all der Ent­zü­ckung über ver­meint­li­che onto­lo­gi­sche Sinn­ge­fü­ge, die man getrost als gro­ben Unfug ver­ste­hen durf­te, daß für eine solch raum­grei­fen­de Arbeit nicht zuletzt, wenn nicht gar an ers­ter Stel­le nun ein­mal der Raum von Belang ist. Dies war bei Kwa­de trotz der hübsch anzu­se­hen­den Licht­spie­le­rei­en nicht der Fall und so muss­te man wei­ter­hin auf einen Beweis war­ten, daß ein Aus­stel­lungs­ma­cher die­ser Räu­me Herr wer­den könnte.

Hier und da tropft es noch von der Decke, aber das wird bald behoben sein.

Hier und da tropft es noch von der Decke, aber das wird bald beho­ben sein.

Nach­dem in der Zwi­schen­zeit eini­ge Moden­schau­en, Lesun­gen und Pro­dukt­prä­sen­ta­tio­nen die Kir­che eben­falls nicht zu wür­di­gen wuss­ten, statt­des­sen ihre Kulis­se für bil­li­ge Effekt­ha­sche­rei miss­brauch­ten, kehr­te vor weni­gen Wochen die Kunst nach St. Agnes zurück und ließ die sehn­suchts­vol­le Hoff­nung zu, daß es nun end­lich span­nend wer­den könn­te: Denn ange­kün­digt war Jep­pe Hein, der mit sei­nen auf­wen­di­gen Spie­gels­cha­ra­den zu den pro­fi­lier­tes­ten Instal­la­ti­ons­künst­lern der Gale­rie gehört. Tat­säch­lich kommt spä­tes­tens seit 2007 kaum eines der Wer­ke des Dänen ohne eine spie­geln­de Ober­flä­che aus, zumal die meis­ten die­ser Skulp­tu­ren und Objek­te die ent­spre­chen­den Effek­te durch kine­ti­sche Kom­po­nen­ten wei­ter mul­ti­pli­zie­ren. Bereits ein kur­zer Über­blick über die­se Schaf­fens­pe­ri­ode offen­bart, daß etli­che die­ser Objek­te als Mobi­les kon­zi­piert sind (»Mobi­le Mobi­le«, »7‑Dimensional Mir­ror Mobi­le«) oder mit rotie­ren­den Ele­men­ten arbei­ten (»Rota­ting Views«, »Rota­ting Pyra­mid« etc.).

Jeppe Hein: "360° Illusion III"; Foto: Matthias Planitzer

Jep­pe Hein: »360° Illu­si­on III«; Foto: Mat­thi­as Planitzer

Eines die­ser sich ste­tig dre­hen­den Spie­gel­in­stal­la­tio­nen hat Hein unter dem Titel »360° Illu­si­on III« auf der Orgel­em­po­re zu St. Agnes instal­liert, gera­de so, daß sie mit­ten in das sich dar­an anschlie­ßen­de Mit­tel­schiff hin­ein­ragt. Zwei senk­recht mit­ein­an­der ver­spann­te, läng­li­che Spie­gel­flä­chen rotie­ren dort bedäch­tig um ihre gemein­sa­me Ach­se, gera­de so wie auf die­se Wei­se die höl­zer­ne Decke samt der sie flan­kie­ren­den Ober­lich­ter, die mit Spritz­be­ton ver­klei­de­te Schmuck­fas­sa­de sowie der reich­lich abge­nutz­te Boden lang­sam durch die dop­pel­te Spie­gel­flä­che rotie­ren, auf der sich ihre stren­gen Lini­en immer wie­der neu bre­chen und teils nicht mehr zuzu­ord­nen­de Bild­flä­chen begren­zen. Doch als ob die­ser kalei­do­sko­pi­sche Scher­ben­hau­fen nicht schon ver­wir­rend genug wäre, sor­gen leich­te Uneben­hei­ten in der hoch­glanz­po­lier­ten Ober­flä­che für viel­fäl­ti­ge, oft­mals bizar­re Ver­zer­run­gen der sich auf ihr ste­tig neu zer­sprin­gen­den geo­me­tri­schen Ord­nung. »360° Illu­si­on III« lenkt wie eine Came­ra luci­da den Blick durch den Raum, um sei­ne Ele­men­te ein­zeln zu erfas­sen und zu ver­mes­sen. In gemäch­li­cher Ruhe, nur gele­gent­lich vom lei­sen Knar­ren und Äch­zen des stäh­ler­nen Gerüsts gestört, durch­zieht die Instal­la­ti­on den sich um sie her­um auf­span­nen­den Raum, fängt auf die­se Wei­se die Stim­mung ein und trägt zu einer Sakra­li­tät bei, die frei­lich wei­ter­hin größ­ten­teils vom Raum selbst ausgeht.

Fried­helm Men­ne­kes hät­te dar­an sicher­lich sei­ne Freu­de gehabt – der Jesui­ten­pries­ter und Kura­tor ver­folg­te lan­ge Zeit in der Kunst-Sta­ti­on Sankt Peter Köln erfolg­reich den Ansatz, daß Sakra­li­tät nicht durch Sym­bo­le und Zei­chen, son­dern durch Lee­re und Ruhe getra­gen wer­de. Dem­nach ist Sakra­li­tät eine Eigen­schaft pri­mär des Rau­mes, nicht der dar­in ent­hal­te­nen Gegen­stän­de oder dar­in abge­hal­te­nen Ritua­le. Man wird zwar Jep­pe Hein nicht unter­stel­len kön­nen, daß er die­se Bezie­hung zu eben die­sem Zweck bewusst her­aus­ar­bei­te­te, als er sich dazu ent­schied, in St. Agnes »360° Illu­si­on III« zu instal­lie­ren. Man kann jedoch kon­sta­tie­ren, daß er die Ruhe und Lee­re des ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Rau­mes bewusst nicht stör­te (ganz im Gegen­satz zu den Künst­lern und Aus­stel­lungs­ma­chern, die hier vor ihm wirk­ten). Denn weder lau­te noch grel­le Effek­te, weder sym­bol- noch inhalts­über­la­de­ne Kunst wer­den gezeigt. Heins Spie­gel blei­ben stumm und lau­schen in den Raum hinein.
Zwar wer­den neben der Instal­la­ti­on noch eini­ge neue Arbei­ten aus sei­ner Klang­scha­len-Serie »Fre­quen­cy Water­co­lours (D)«, sowie eine uner­müd­lich läu­ten­de Sound- und Licht­ar­beit »Pul­se« gezeigt. Die­se ver­schwin­den jedoch glück­li­cher­wei­se in den Sei­ten­schif­fen, wo sie von jedem enge­ren Kon­takt mit dem Haupt­raum aus­ge­schlos­sen wer­den (dort aber im Ensem­ble mit den bun­ten Tropf­was­ser­ei­mern ein hüb­sches Bild abge­ben). So kann das Haupt­schiff ruhig und leer blei­ben, für sich selbst wir­ken und sich gele­gent­lich in den kalei­do­sko­pi­schen Spie­gel­flä­chen zer­streu­en. Schließ­lich wur­de es Zeit, daß die­ser anspruchs­vol­le Bau end­lich die Aus­stel­lung erhiel­te, die ihm wür­dig wäre. Jep­pe Hein hat die­sen über­fäl­li­gen Tri­but gezollt.

Die­ser Arti­kel erschien am 15. Okto­ber im KUNST Maga­zin, in mei­ner Kolum­ne Das Schluß­wort.