Nicht einfach nur Bilder

30. Oktober 2013 von Elisa Brinkmann
Tobias Zielony ist Fotograf. Seine dokumentarisch anmutenden Bilder von zumeist jungen Protagonisten haben ihre ganz eigensinnige Ästhetik und Poesie. Sie wirken unmittelbar und mit wenig Distanz aufgenommen. Die Geschichte die dabei entstehen, bleiben jedoch über längere Zeit im Kopf. Ich traf den Wahlberliner auf einen Kaffee, um mit ihm über seine Arbeit und seine aktuelle Ausstellung "Jenny Jenny" in der Berlinischen Galerie zu sprechen.

Tobias Zielony: "BMX", aus der Serie "Trona"; Foto: © Tobias Zielony

Tobi­as Zie­l­o­ny ist Foto­graf. Sei­ne doku­men­ta­risch anmu­ten­den Bil­der von zumeist jun­gen Prot­ago­nis­ten haben ihre ganz eigen­sin­ni­ge Ästhe­tik und Poe­sie. Sie wir­ken unmit­tel­bar und mit wenig Distanz auf­ge­nom­men. Die Geschich­te die dabei ent­ste­hen, blei­ben jedoch über län­ge­re Zeit im Kopf. Ich traf den Wahl­ber­li­ner auf einen Kaf­fee, um mit ihm über sei­ne Arbeit und sei­ne aktu­el­le Aus­stel­lung »Jen­ny Jen­ny« in der Ber­li­ni­schen Gale­rie zu sprechen.

Eli­sa Brink­mann: Tobi­as, du hast in New­port Eng­land an der Uni­ver­si­ty of Wales drei Jah­re lang Doku­men­tar­fo­to­gra­fie stu­diert und 2001 abge­schlos­sen. Heu­te bewegt sich dein Schaf­fen in einem Kunst­kon­text. Ich glau­be zu ver­ste­hen, dass die­ser doku­men­ta­ri­sche Ansatz in dei­ner Arbeit noch immer sehr prä­sent ist und bestimmt auch eine Basis dafür bil­det. In ver­schie­den Inter­views, z. B. in der Zeit, wur­de geschrie­ben, dass du in dei­ner Arbeit den Ansatz der doku­men­ta­ri­schen Foto­gra­fie dekon­stru­ierst, indem du die fik­tio­na­len Antei­le von Bil­dern im All­ge­mei­nen the­ma­ti­sierst und offen infra­ge stellst. Konn­te dich dein Stu­di­um in New­port erst zu dei­nem heu­ti­gen, künstlerischen Ansatz bringen?

Tobi­as Zie­l­o­ny: In New­port sind sehr vie­le wich­ti­ge Din­ge pas­siert, die mich bis heu­te in mei­ner Arbeit prä­gen. Ich beweg­te mich tat­säch­lich zuerst in einer doku­men­ta­ri­schen Tra­di­ti­on – die in Groß­bri­tan­ni­en vor allem eine poli­ti­sche ist – doch schon wäh­rend des Stu­di­ums begann ich, die­se Tra­di­ti­on zu hin­ter­fra­gen. Man könn­te sagen, dass aus der Beschäf­ti­gung mit der Fra­ge was sozi­al­do­ku­men­ta­ri­sche Foto­gra­fie bedeu­tet, der Gedan­ke ent­standt: „Wie kann man die­se heu­te noch prak­ti­zie­ren und weiterführen? Wie kann man als Foto­graf kri­tisch mit der Foto­gra­fie­tra­di­ti­on umge­hen?“ Erst aus die­sem Ansatz her­aus ist ein künstlerisches Pro­jekt ent­stan­den, das doku­men­ta­ri­sche Ele­men­te beinhal­te­te. Es war sozu­sa­gen Teil die­ses Pro­jekts, mich auf die doku­men­ta­ri­sche Foto­gra­fie zu bezie­hen und sie als Refe­renz zu benut­zen, ohne, dass ich „das Doku­men­ta­ri­sche“ dog­ma­tisch vor mir hertrug.

Tobias Zielony; Foto: Elisa Brinkmann

Tobi­as Zie­l­o­ny; Foto: Eli­sa Brinkmann

Siehst du im künstlerischen Kon­text grö­ße­re Frei­räu­me für dei­ne Arbeit?

Bild­jour­na­lis­ten hät­ten die­se Frei­räu­me eigent­lich auch, aber sie bewe­gen sich zumeist in bestimm­ten Auf­trags­zu­sam­men­hän­gen. Natürlich ist die eige­ne gestal­te­ri­sche Frei­heit viel begrenz­ter, wenn man von einer Zei­tung los­ge­schickt wird, und der Kon­text, oder sogar das Motiv, von der Redak­ti­on schon fest­ge­legt ist.

Für mich beinhal­tet die­se (wel­che?) Her­an­ge­hens­wei­se von dir, dass du von einem kri­ti­schen Stand­punkt aus »doku­men­tierst«. Waren das Stu­di­um und die Erleb­nis­se dort, die Grund­la­ge und der Antrieb für dich, neue For­men der Foto­gra­fie zu fin­den, die nicht kon­stru­iert oder voy­eu­ris­tisch von oben her­ab abbilden?

Jede Form von Foto­gra­fie ist kon­stru­iert. Es geht mir auch nicht um das ein­fa­che Doku­men­tie­ren oder Abbil­den. Einer der Grund­ideen in New­port war die Idee der Bil­der­ge­schich­te. Ein Dozent hat­te in den Sieb­zi­ger Jah­ren ana­ly­siert, wie bild­jour­na­lis­ti­sche Nar­ra­tio­nen funk­tio­nie­ren. Er war zu dem Schluss gekom­men, dass es immer wie­der­keh­ren­de Bild­gen­res gibt, die mon­tiert wer­den: ein Mensch bei der Arbeit, Land­schafts­auf­nah­men, Por­traits usw. Ganz ähn­lich den ver­schie­de­nen Ein­stel­lun­gen und Per­spek­ti­ven eines Films. Im Stu­di­um war eine unse­rer ers­ten Auf­ga­ben eine Geschich­te mit drei Bil­dern zu erzäh­len, spä­ter mit fünf, dann mit sie­ben und schließ­lich mit so vie­len Bil­dern wie wir wollten.

Inter­es­sant, es wur­de also nicht von vie­len Moti­ven auf immer weni­ger redu­ziert, son­dern anders­her­um, eine Stei­ge­rung der Moti­van­zahl. Das stel­le ich mir schwie­rig vor.

Es ist viel schwie­ri­ger mit drei Bil­dern eine Geschich­te zu erzäh­len, da in die­sem Moment die Kon­struk­ti­on der Geschich­te und ihrer Moti­ve viel kla­rer erscheint. Du musst radi­ka­le Ent­schei­dun­gen tref­fen: Was zei­ge ich bei nur drei Bil­dern und was nicht? Damals war natürlich die Idee auf mög­lichst vie­le der klas­si­schen jour­na­lis­ti­schen Fra­gen eine Ant­wort zu geben: Wo bin ich, wor­um geht es, wer ist das, wie sehen die Akteu­re aus, in wel­cher Situa­ti­on befin­den sie sich, wel­ches Ver­hält­nis haben die Men­schen zuein­an­der usw. Wir soll­ten ler­nen, uns schon im Vor­hin­ein zu überlegen, wie wir ein bestimm­tes The­ma mit drei oder fünf Bil­dern umset­zen kön­nen. Es ist klar, dass eine sol­che Arbeit nicht nur kon­stru­iert war, son­dern star­ke fik­tio­na­le Ele­men­te ent­hielt. Die­se Her­an­ge­hens­wei­se konn­te nur des­halb funk­tio­nie­ren, weil die Moti­ve in einen grö­ße­ren Kon­text der jour­na­lis­ti­schen Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung ein­ge­bet­tet waren. In einem poli­ti­schen Kon­text ging es auch dar­um die Auf­merk­sam­keit auf Miss­stän­de zu lenken.

Ich fand sehr inter­es­sant, dass auch in Bezug auf die Aus­stel­lung „Jen­ny Jen­ny“ dei­ne Arbeit immer wie­der an die »Rän­der der Gesell­schaft« ange­ord­net wird.

Ja, dass würde ich selbst aber nicht so formulieren.

Wie wich­tig ist es Dir, dei­ne Aus­stel­lun­gen ohne regu­lä­re Infor­ma­ti­ons­tex­te zu gestal­ten, die womög­lich neben dei­nen Bil­dern hän­gen und ein Wo/Wie/Wann/Wer erklären?

Ich arbei­te sehr exakt mit den Tex­ten, die mei­ne Aus­stel­lun­gen beglei­ten. Dazu gibt es bei allen neu­en Seri­en aber auch ergän­zen­de oder eigen­stän­di­ge media­le Arbei­ten: Vide­os, Ani­ma­tio­nen, Sound- oder Text­in­stal­la­tio­nen. Die Mehr­deu­tig­kei­ten und Ambi­va­len­zen mei­ner Arbei­ten sol­len nicht durch einen Infor­ma­ti­ons­text wie­der auf­ge­löst wer­den. Man soll­te der Neu­gier­de des Publi­kums nicht mit Fak­ten begegnen.

Das fin­de ich inter­es­sant. Dein Anspruch ist es also, das Publi­kum in die­ser Aus­stel­lungs­si­tua­ti­on auch ein biss­chen ins Unbe­kann­te ein­tau­chen zu las­sen. Sich mit etwas zu kon­fron­tie­ren, ohne vor­her zu wis­sen, wohin es führt und dann darüber zu reflek­tie­ren, was dies eigent­lich mit der eige­nen Wahr­neh­mung und Inter­pre­ta­ti­on macht. Trotz­dem exis­tiert doch immer ein Vor­wis­sen, ohne die eine Foto­gra­fie-Aus­stel­lung nicht ver­ständ­lich zu sein scheint.

Der Kon­text gibt immer eine gewis­se Form der Lese­wei­se vor. Das Muse­um ist eine rela­tiv offe­ne Form von Kon­text. Wenn man dage­gen den Stern auf­schlägt, erwar­tet man ande­re Din­ge. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang Mar­tha Ros­lers Arbeit »Brin­ging the War Home«. Sie war eine der ers­ten Kri­ti­ke­rin­nen der „klas­si­schen“ Repor­ta­ge­fo­to­gra­fie. Zur Zeit des Viet­nam­kriegs, war es noch mög­lich, als Foto­graf dort rela­tiv unab­hän­gig zu agie­ren und der Welt auf­zu­zei­gen was dort für ein Unrecht pas­siert. Es ent­stand eine Viel­zahl von iko­ni­schen Zeug­nis­sen des Krie­ges. Ros­ler begann, die Wir­kung die­ser Bil­der zu hin­ter­fra­gen, indem sie Bild­col­la­gen aus den im Life-Maga­zin publi­zier­ten Kriegs­fo­to­gra­fien und den im sel­ben Heft abge­druck­ten Wer­be­an­zei­gen erstellt hat. Dabei hat sie Kriegs­sze­nen buch­stäb­lich in die Wer­bung für ame­ri­ka­ni­sche Wohn­zim­mer­mö­bel mon­tiert. Eine dras­ti­sche Ver­mi­schung von zwei Bild­wel­ten, die in der Publi­ka­ti­on von vorn­her­ein schon neben­ein­an­der gestan­den haben. Sie hat mit die­ser Arbeit deut­lich gemacht, dass wir die­se schreck­li­chen Bil­der in einem von Wer­bung durch­bro­che­nen Maga­zin zu Hau­se auf der Couch durch­blät­tern. Es geht dar­um, wie sehr der jewei­li­ge Rah­men unse­re Les­art vorgibt.

Ist das ein The­ma an dem du dich gene­rell abar­bei­test, oder das viel­leicht sogar die Grund­la­ge dei­nes künstlerischen Schaf­fens bildet?

Es geht um bei­de Sei­ten: Man kann die inhalt­li­chen Fra­gen schlecht von ihrer Form tren­nen. Wich­ti­ge Fra­gen sind für mich: Wer oder was inter­es­siert mich, wo gehe ich dafür hin, wen ler­ne ich dort ken­nen, was hat das für eine Bedeu­tung im Kon­text mei­ner ande­ren Arbei­ten? Was ver­bin­det bei­spiels­wei­se Jugend­li­che aus Ame­ri­ka mit Jugend­li­chen aus Ita­li­en? Mich inter­es­siert gleich­zei­tig auch die gene­rel­le Fra­ge: Wie kann man mit Foto­gra­fie oder Kunst, wenn es überhaupt eine sol­che Unter­schei­dung gibt, über die Welt spre­chen? Mei­ne Arbeit ist genau­so ein künstlerisches Pro­jekt, wie es ein doku­men­ta­ri­sches Pro­jekt ist. Gera­de weil ich mich mit kon­kre­ten Men­schen und damit auch mit bestimm­ten gesell­schaft­li­chen Zustän­den beschäftige.

Es wur­de bereits oft fest­ge­stellt, dass du dich sehr mit Jugend­kul­tur aus­ein­an­der setzt. Das inter­es­siert mich eben­falls: Was bedeu­tet Iden­ti­fi­zie­rung bzw. Iden­ti­täts­bil­dung bei Jugend­li­chen. Es geht dabei um die Fra­ge, wie sich Jugend­li­che inner­halb ihrer Grup­pe dar­stel­len und wie sie das von der ande­ren Gene­ra­ti­on unter­schei­det? Ich emp­fin­de dei­ne Foto­gra­fie als roman­ti­sie­rend in dem Sin­ne, auf das deu­tend, was die Jugend ist: Das ist ihre Frei­heit, das ist ihr Klei­dungs­stil und so ver­brin­gen sie ihre Frei­zeit. Was ist das Roman­ti­sche dar­an? „Roman­ti­sie­rend“ ist dabei nicht als nega­ti­ves Attri­but gemeint. Für mich ent­steht die­se Roman­tik dadurch, dass es ästhe­ti­sche Fotos sind, die in die­sem Moment eine neue Sicht­wei­se auf etwas bis­her mar­gi­na­li­sier­tes öffnen.

Bei der Serie »Tro­na«, die eben­falls in der Ber­li­ni­schen Gale­rie aus­ge­stellt ist, erken­ne ich die­ses roman­ti­sche Poten­zi­al: das Rebel­li­sche, die Auf­leh­nung. Jedoch wer­den die­se Bil­der sehr ver­schie­den wahr­ge­nom­men. Roman­tik ist ein kom­pli­zier­ter Begriff und es kann auch sehr schnell zu einem Schlag­wort wer­den. Ich fin­de die klas­si­sche Idee von Roman­tik inter­es­sant, die heut­zu­ta­ge eigent­lich ihre Zuflucht in der Popu­lär­kul­tur sucht. Sie blitzt nur noch in den ver­schie­dens­ten For­men der Soap Ope­ra und Spiel­film­kul­tur im Sin­ne von Hol­ly­wood auf. Das sind sozu­sa­gen die Rückzugsgebiete der Roman­tik. Das sind aber bestimmt auch die Din­ge mit denen sich Jugend­li­che leich­ter iden­ti­fi­zie­ren und sich mehr dafür inter­es­sie­ren, da es dort eine Wider­spie­ge­lung ihrer eige­nen The­men und Rea­li­tä­ten gibt. Natürlich ist es auch so, dass von Anfang an Jugend und Roman­tik mit­ein­an­der in Ver­bin­dung gebracht wur­den. Die Zeit der Jugend wird als eine beson­de­re Lebens­zeit wahr­ge­nom­men. Das ist aller­dings ein rela­tiv jun­ges Phä­no­men, das sich erst in den 1950er Jah­ren ent­wi­ckelt hat. Vor­her war man ent­we­der Kind oder erwachsen.

Tobias Zie­l­ony: »Schul­ter« und »Light Box«, aus der Serie »Jenny Jenny«; Foto: © Tobias Zie­l­ony, cour­tesy of Tobias Zie­l­ony and KOW, Berlin

Tobi­as Zie­l­ony: »Schul­ter« und »Light Box«, aus der Serie »Jen­ny Jen­ny«; Foto: © Tobi­as Zie­l­ony, cour­tesy of Tobi­as Zie­l­ony and KOW, Berlin

Was es bedeu­tet, aus der Unter­schicht zu kom­men, erfährt in der letz­ten Zeit eine Popu­la­ri­sie­rung und Roman­ti­sie­rung. Es exis­tiert ein Span­nungs­ver­hält­nis der Jugend- und Pop­kul­tur in Bezug auf Trend­set­ting. Als Bei­spiel: Der Nike Air­max war ursprünglich ein Schuh für den Böse­wicht im Film, für den Ein­bre­cher, der auf lei­sen Soh­len ver­schwin­det. Zwan­zig Jah­re spä­ter trägt jedes coo­le Kid, des­sen Eltern sich für hun­dert Euro ein Paar Turn­schu­he leis­ten kön­nen, die­sen Schuh in neon­far­ben auf dem Schul­hof zur Schau. Dort pas­siert doch eine Umdeu­tung von etwas vor­mals Geächtetem.

Das ist abso­lut etwas was mich sehr inter­es­siert, wie wir uns unse­re Iden­ti­tät durch Popu­lär­kul­tur oder im wei­tes­ten Sin­ne Kon­sum­kul­tur zusam­men­bau­en kön­nen. Dadurch kön­nen wir auch klas­si­sche Ideen von Arm und Reich oder Rand und Mit­te auf­lö­sen. Das heißt, ich ste­he viel­leicht irgend­wo am Ende der Welt rum, sehe aber sau-cool aus. Weil ich mir gewis­se Ges­ten und Ele­men­te zusam­men­baue oder irgend­wo abgucke.

War­um genau die­ses Milieu? Was ist dei­ne per­sön­li­che Nähe dazu, was macht dei­ne Fas­zi­na­ti­on aus?

Mit War­um-Fra­gen kommt man bei mir lei­der nie so weit. Und auch mit dem Begriff Milieu habe ich ein Pro­blem. Ganz genau kann ich das wirk­lich nicht beant­wor­ten, aber das hat auch etwas damit zu tun, dass ich mich bewusst in einer doku­men­ta­ri­schen Tra­di­ti­on bewe­ge. Mich inter­es­siert fol­gen­de Fra­ge­stel­lung: Wie kann man über sozia­le Unge­rech­tig­keit reden, oder Leu­te, die aus der Mehr­heits­ge­sell­schaft aus­ge­schlos­sen sind, sogar in einen grö­ße­ren kul­tu­rel­len Kon­text mit ein­be­zie­hen? Ich glau­be nicht, dass Foto­gra­fen von Anfang an eine Tren­nung zwi­schen »uns und den Ande­ren« errich­tet haben, son­dern die­se eher überwinden woll­ten. Aber die berech­tig­te Kri­tik ist trotz­dem gewe­sen, dass die (doku­men­ta­ri­sche) Foto­gra­fie den Unter­schied zwi­schen denen die foto­gra­fie­ren und denen die foto­gra­fiert wer­den noch ein­mal ver­stärkt hat. Man fühlt sich sozu­sa­gen noch mehr hier, wenn man Leu­te in einem ande­ren, frem­den Kon­text sieht. Der Kon­trast wird dann plötz­lich ein­fach deut­lich. Zu Beginn mei­ner Arbeit hat­te ich sicher­lich auch noch einen stär­ke­ren poli­ti­schen Impe­tus, da ich zuvor auch poli­tisch aktiv war und die­se Tren­nung gar nicht so wahr­nahm. Ich hat­te eher das Gefühl, dass jun­ge Leu­te mir näher sind und ich gut mit ihnen auskomme.

Tobias Zielony: "Vorhang", aus der Serie "Jenny Jenny"; Foto: © Tobias Zielony, courtesy of Tobias Zielony and KOW, Berlin

Tobi­as Zie­l­o­ny: »Vor­hang«, aus der Serie »Jen­ny Jen­ny«; Foto: © Tobi­as Zie­l­o­ny, cour­te­sy of Tobi­as Zie­l­o­ny and KOW, Berlin

Es fällt dir also leicht mit jun­gen Men­schen aus die­sem mar­gi­na­li­sier­ten Milieu in Kon­takt zu treten?

Abso­lut.

Bei dei­ner aktu­el­len Aus­stel­lung »Jen­ny Jen­ny« ist für mich die Fra­ge auf­ge­kom­men, wie du als Mann und Foto­graf damit umgingst, dei­ne Prot­ago­nis­tin­nen über die­se län­ge­re Zeit so intim an ihrem Arbeits­platz zu beglei­ten. Wie kam die­se Zusam­men­ar­beit zustan­de? Gab es dort eine Form von Austausch?

Ich glau­be, dass grund­sätz­lich immer ein Aus­tausch statt­fin­det. Es wird erst pro­ble­ma­tisch, wenn man ver­sucht die­sen Aus­tausch zu quan­ti­fi­zie­ren, wenn man sich die Fra­ge stellt, ob etwas im Bezug auf Gerech­tig­keit mone­tär ange­mes­sen ist oder nicht. Ich glau­be, der Aus­tausch fin­det auf sehr viel mehr Ebe­nen statt. Auf ganz simp­len und per­sön­li­chen Ebe­nen, wie Freund­schaft oder Auf­merk­sam­keit. Im Moment der Begeg­nung, des Foto­gra­fie­rens, wird etwas Neu­es geschaf­fen. Für mich, aber auch für die Prot­ago­nis­tin­nen. Und wenn es nur ein ganz kur­zer Moment ist, oder ein Bild, was über den All­tag hin­aus­geht — die Arbeit hält unzäh­li­ge neue Situa­tio­nen bereit. Dies Situa­ti­on mit den Frau­en hat­te ich noch nicht erlebt oder gekannt. Natürlich sage ich immer, dass ich Foto­graf bin und ich agie­re als sol­cher. Trotz­dem bleibt ich als Pri­vat­per­son nicht außen vor. Es pas­sie­ren ja die gan­ze Zeit Din­ge, und man unter­hält sich. Das sind Sachen, die in den Bil­dern nicht mehr so ein­deu­tig zu erken­nen sind.

Planst du sol­che Pro­jek­te im Vor­aus? Weißt du von Vorn­her­ein schon wo du am Ende hin willst, oder lässt du dich ganz auf die Situa­ti­on ein?

Bei die­sem Pro­jekt hat es mit einem Zufall ange­fan­gen und ich wuss­te zu Beginn überhaupt nicht, wo es hinführen würde. Ich hat­te wirk­lich kei­ne Idee davon, wie das am Ende aus­sieht. Aber natürlich fan­ge ich ja nicht bei Null an, ich habe ja schon vie­le ande­re Arbei­ten gemacht. Dadurch ent­steht eine gewis­se Art, mit den Men­schen umzu­ge­hen oder sie zu foto­gra­fie­ren. Es ent­steht ein Stil. Ich fan­ge irgend­wo an und reagie­re auf die Men­schen und das, was ich dort in die­sem Set­ting erle­be. Wich­tig ist für mich, die gan­ze Zeit zu foto­gra­fie­ren, weil das eine Form von Annä­he­rung ist. An die Men­schen, aber natürlich auch an ein mög­li­ches Pro­dukt das am Ende die­ser Arbeit steht. In dem Fall ging es nicht dar­um, zu überlegen, was könn­te am Ende dabei her­aus­kom­men, son­dern überhaupt eine Hal­tung zu entwickeln.

Tobias Zielony: "Two Boys", aus der Serie "Trona"; Foto: © Tobias Zielony

Tobi­as Zie­l­o­ny: »Two Boys«, aus der Serie »Tro­na«; Foto: © Tobi­as Zielony

Die­ser Arbeits­pro­zess spielt dann wahr­schein­lich auch am Ende bei der Aus­wahl der letzt­end­li­chen Moti­ve eine Rolle?

Abso­lut. Ich hat­te nicht von Anfang an ein kon­kre­tes Bild von Pro­sti­tu­ti­on oder was ich darüber den­ke. Oder was ich darüber sagen möch­te. Im Gegen­teil, es ist in fast all mei­nen Arbei­ten so, dass ich ver­su­che, nicht schon mit einer kla­ren und fer­ti­gen Hal­tung an die Arbeit zu gehen. Ganz wich­tig ist, von vorn­her­ein mit einer Akzep­tanz an die Men­schen her­an zu treten.

Ich fin­de, es ist tat­säch­lich ein Milieu in dem es sehr undeut­lich ist, was es eigent­lich ist. Es lebt ja auch davon, geheim­nis­voll und undurch­dring­lich zu blei­ben. Es ist ein Geschäfts­mo­dell, ein Lebens­stil, aber auch ein ganz nor­ma­les Berufs­feld. Es ist inter­es­sant wie sich dort Vor­stel­lun­gen von Gut und Böse, Macht und Abhän­gig­keit eigent­lich sogar auf­lö­sen, da es ein­fach so vie­le ver­schie­de­ne For­men von Pro­sti­tu­ti­on gibt. Die Schat­ten sind nuanciert.

Ich habe gar nicht ver­sucht, die­se Rah­men der Ein­ord­nung im Vor­hin­ein zu span­nen oder im Nach­hin­ein zu durch­drin­gen. Ich ver­su­che, mich von die­sen Infor­ma­tio­nen und Ste­reo­ty­pen die die Gesell­schaft pro­du­ziert, frei zu machen. Ich hof­fe, dass man bei »Jen­ny Jen­ny« unmit­tel­bar mit die­sen Frau­en zu tun hat, wenn man die Bil­der betrach­tet. Sodass erst beim Zurückgehen die Über­le­gung statt­fin­det, was die­se Frau­en eigent­lich machen, in was für einer Situa­ti­on sie sich befin­den. Sind sie dazu gezwun­gen, lohnt sich ihre Arbeit finan­zi­ell, sind sie damit glücklich? Ich glau­be das Haupt­pro­blem bei der Auf­fas­sung von Pro­sti­tu­ti­on ist das gän­gi­ge Bild, dass die­se Arbeit unter Zwang geschieht. Das sind ganz pro­ble­ma­ti­sche und oft pre­kä­re Situa­tio­nen, in denen die­se Frau­en arbei­ten, aber eben nicht unbe­dingt. Ich glau­be es ist vor allem auf einer emo­tio­na­len Ebe­ne ein sehr schwie­ri­ger Job. Schwie­rig im Sin­ne von: eine Bezie­hung zu führen viel­leicht, oder die Recht­fer­ti­gung vor der Fami­lie, wenn man jeden Tag mit ver­schie­de­nen Män­nern schläft. Und es ist, mei­ner Auf­fas­sung nach, sehr schwer zu sagen wer man eigent­lich ist, wenn man die gesam­te Zeit damit beschäf­tigt ist, ver­schie­de­ne Rol­len für Ande­re ein­zu­neh­men. Rol­len an die man glaubt, oder auch nicht glaubt.

Du bist also durch einen Zufall in die­ses Milieu gekom­men und hast dich dann selbst auf die Suche nach der Wirk­lich­keit gemacht.

Das ist genau die Fra­ge: Was ist die Wirk­lich­keit? Gib es die überhaupt, oder braucht es immer jeman­den, der sich sei­ne Wirk­lich­keit macht? Ich glau­be nicht dar­an, dass es eine Wirk­lich­keit da drau­ßen gibt und man sie nur fin­den muss, son­dern dass sie immer wie­der kon­stru­iert wird, von uns allen — auf ver­schie­de­nen Ebe­nen und von ver­schie­de­nen Autoren. Das Wich­tigs­te war, viel Zeit mit den Frau­en zu ver­brin­gen und zu spre­chen. Und zwar offen und mit einer gro­ßen Akzep­tanz für das, was sie täg­lich tun. Sie bes­ser ken­nen zu ler­nen und zu ver­ste­hen. Und dann an etwas zusam­men zu arbei­ten, was dann die­se Bil­der wurden.

Die­se Frau­en sind es auf eine bestimm­te Wei­se gewohnt, in Rol­len zu schlüpfen und viel­leicht ist auch die Unsi­cher­heit vor der Kame­ra zu posie­ren nicht so prä­sent, da sie viel­leicht eine ganz ande­re Form inti­mer Gren­zen haben.

Ja, das glau­be ich schon. Sie sind es zwar nicht gewohnt vor einer Kame­ra zu sein, aber sie sind es gewohnt, ange­schaut zu wer­den, sich zu prä­sen­tie­ren und eine Iden­ti­tät zu erfin­den. Aber auch, sich in die­sem Bereich der Koket­te­rie zu bewe­gen. Es hat viel­leicht auch sehr viel mit Foto­gra­fie zu tun. Ich habe in einem andern Inter­view erwähnt, dass ich die­se Frau­en überhaupt nicht eitel fand. Sie haben viel weni­ger an die­se Selbst­kon­struk­ti­on von Verführung oder Schön­heit geglaubt, als zum Bei­spiel die Jugend­li­chen, die ich für ande­re Pro­jek­te foto­gra­fiert habe. Man merkt das, wenn man sie durch eine Kame­ra beob­ach­tet. Die Brüchigkeit von Rol­len und deren Kon­struk­ti­on ist die­sen Frau­en sehr viel bewuss­ter. Das war sehr ernüchternd, aber hat zugleich auch die Arbeit für mich inter­es­sant gemacht. Es wird sich nicht auf eine Ober­flä­che geei­nigt, son­dern mit dem beid­sei­ti­gen Bewusst­sein gear­bei­tet, dass es sich eben nur um ein Bild handelt.