Eine der jüngsten und zugleich aufmerksam von der Öffentlichkeit beobachteten Künstlerinnen Berlins, Paula Doepfner, geht aus dem Kreise der ebenso immer wieder in Erscheinung tretenden Künstlerschaft hervor, die seit einigen Jahren von der ebenfalls jungen Galeristin Tanja Wagner mit viel Erfolg in und auch außerhalb der Stadt positioniert werden. Nachdem die Galerie bereits im vergangenen Jahr mit Ulf Aminde auf der abc vertreten war, schickt sie nun die junge Berlinerin vor, die als eine von zwei Künstlern ihren Stand bespielen wird. Grund genug, gemeinsam mit den Kollegen von iGNANT die Künstlerin im Atelier zu besuchen und im Gespräch mehr über ihre Arbeit zu erfahren.
Matthias Planitzer: Zu Beginn: Deine Arbeiten sind im Allgemeinen sehr poetisch und emotional gefärbt. Worin besteht dein künstlerisches Interesse?
Paula Doepfner: Ich interessiere mich für innere Prozesse. In meiner Arbeit verbinde ich Materialien mit den Strukturen von Gefühlen, Gedanken oder Wunschvorstellungen. Dabei möchte ich auch zeigen, dass man den Kern dieser oftmals unbewussten Prozesse nicht vollständig fassen kann, weil sie zu verflochten und dadurch nicht greifbar sind. Ich wähle Materialien jedoch nicht, weil sie symbolisch für etwas stehen, sondern weil sie das sind, was sie sind, und etwas dadurch freisetzen, dass sie schmelzen, wuchern oder zerstört werden.
Dabei scheinen bestimmte Werkstoffe eine Rolle zu spielen. Es fällt auf, daß du insbesondere mit natürlichen Materialien arbeitest: Blumen, Eis, Moos oder auch große Reisighaufen. Was reizt dich an diesen Stoffen und welchen Platz nehmen für dich Metall, Glas und andere anorganische Materialien ein?
Ich arbeite mit organischen Materialien, weil man ihre Veränderung unmittelbarer nachvollziehen kann. Mich interessiert die Spannung, die darin besteht, dass sie einerseits vergänglich sind und sich andererseits in ständiger Wandlung befinden. Dadurch sind die Arbeiten nie abgeschlossen. So setzt sich der Transformationsprozess der Eisarbeiten nach dem Schmelzen im Rost auf der Metallplatte oder im verwitternden Moos darunter fort. Auch die Stoffe, die man erstmal nicht als natürlich bezeichnen würde, wie etwa Metall oder Glas verwende ich wegen ihrer Veränderungsfähigkeit. Metall rostet, Glas wird zerstört. Gleichzeitig beschäftigen mich die Strukturen natürlicher Materialien, schließlich finden sie sich in meinen Zeichnungen wieder. Ich arbeite mit einem Rapidographen auf sehr leichtem Gampi Papier. Punkte wachsen zu Linien und Gebilden an, überlagern sich. Ein organischer Prozess, der etwa zwei Monate dauert. Die Formen erinnern an Nervenzellen oder Bakterien.
Dieser ephemere Charakter prägt all deine Arbeiten. Denn wenn sie nicht gerade schmelzen oder verbrennen, sind es Performances, die ohnehin zeitlich begrenzt sind. Was reizt dich an der Endlichkeit dieser Kunst und in welchem Kontext suchst du danach?
In der Arbeit mit ephemeren Materialien interessiert mich, dass etwas verschwindet, aber auch gleichzeitig etwas Neues entsteht. Ich arbeite besonders gerne mit Eis, weil man darin etwas einschließen kann, das dann wieder freigegeben wird. Ich habe mich lange mit den utopischen Momenten in Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« beschäftigt und teils Zitate, die sich auf die Utopie des anderen Zustands beziehen, eingefroren, die dann später im Schmelzprozess wieder freigegeben wurden. Da passiert etwas. Genauso wenn eingefrorene Pflanzen weiter wachsen, nachdem sie sich aus dem Eis herausgelöst haben.
Welche Pflanzenarten können eine solche Schockfrostung überstehen?
Winterweizen und auch andere Gräser oder Moose. Derzeit experimentiere ich mit arktischen Pflanzen.
Aber dafür müssen die Pflanzen erst einmal ins Eis. In deinem Atelier vermisse ich eine Tiefkühltruhe oder ähnliches Gerät.
Unter dem Tisch da steht eine kleine Tiefkühltruhe für Experimente. Aber ich lasse die meisten Eisarbeiten von einer speziellen Firma in Berlin-Treptow anfertigen. Um klares Eis zu erhalten, braucht man sehr niedrige Temperaturen, am besten ‑60°C und auch die entsprechenden Maschinen zur Wasserfilterung. Deshalb arbeite ich hauptsächlich dort.
Du hast es gerade schon angesprochen: In deinem Werk näherst du dich immer wieder Robert Musils Konzept des anderen Zustands an.
Es ist ein dauerhafter Zustand der Ekstase, der gleichzeitig immer geistig reflektiert werden kann. So ist der Zustand zwischen Ekstase und Klarheit zu verorten. Mich interessieren die Radikalität dieses Zustandes und die darin enthaltene Spannung, die sich immer in einem Gleichgewicht zwischen Reflexion und intensivem Fühlen befindet. Für mich geht dieser Zustand über viele utopische Konzepte hinaus. Ich habe das Buch oft gelesen. Es hat viele Ebenen, mich interessieren aber am meisten die utopischen Vorstellungen.
Auf der kommenden abc wirst du durch die Galerie Tanja Wagner vertreten sein. Was hast du vorbereitet, was wird man sehen können?
Auf der abc werde ich eine große Eisarbeit und mehrere kleinformatige Glasarbeiten zeigen. Sowohl Eis als auch Glas sind gewissermaßen durchlässig und transparent, wobei das eine veränderlich und das andere starr ist. Dabei wird es um ein Kerngebiet im Gehirn gehen, die Amygdala, den Teil, der unter anderem für die Entstehung von Wut und Angst verantwortlich ist.
Wie planst du, wie lange ein Eisblock brauchen wird, bis er vollständig geschmolzen ist? Wie lange dauert es für gewöhnlich?
Man weiß nie genau, wie lange Eis zum Schmelzen braucht. Wenn ein Eisblock hängt, verhält er sich anders, als wenn er wie in früheren Ausstellungen auf dem Boden liegt. Außerdem hängt es davon ab, wie viele Besucher anwesend sind. Ich gehe davon aus, dass es etwa drei Tage dauern wird, bis der Eisblock auf der abc vollständig geschmolzen sein wird. Mir ist wichtig, dass das Eis zwar nicht sofort verschwindet, dass man die Veränderung aber auch sehen kann.
Deinen Werkkorpus aus Installationen, Objekten, Zeichnungen und Fotografien ergänzt du um Performances. Wie fügen sie sich in dein Gesamtwerk ein?
Ich habe lange Zeit Klavier gespielt und parallel zum Kunststudium Seminare im Bereich Komposition besucht. In den Performances ist Musik ein wichtiger Bestandteil, die ganz konkret einbezogen wird. Davon abgesehen arbeite ich mit den Installationen, die ich vor Ort aufgebaut habe, zum Bespiel mit Blättern und Sträuchern. Meine letzte Ausstellung hatte ich im S2A, einem Projektraum, der sich im stillgelegten U‑Bahn-Eingang der New Yorker Bowery Station befindet. Dort habe ich eine Installation aus Zeichnungen, Sträuchern und Eis entwickelt. Zur Eröffnung habe ich zusammen mit dem Kontrabassisten Steve Whipple die Performance »Moist Stash« gezeigt. Er saß in einer Ecke des Raums und hat zwei Stunden lang denselben Ton gespielt. Ich lag hinter einem Laubhaufen in der gegenüber liegenden Ecke des Raums und habe mit den getrockneten Blättern Geräusche erzeugt. Es ist ein sehr reduzierter und intensiver Dialog entstanden.
Dennoch wurden deine Arbeiten bisher fast ausschließlich in klassischen Galerieräumen, sterilen White Cubes gezeigt. Obwohl deine Werke ohne die Natur undenkbar wären, gab es bisher kaum Ausstellungen in natürlicheren Umgebungen oder gar Land Art. Inwiefern lebt deine Kunst von dem Kontrast, ein natürliches Versatzstück im hermetischen Raum darzustellen? Gibt es andere Gründe, daß man deine Arbeiten bisher fast ausschließlich nur in solchen Umgebungen sehen konnte?
Ich habe einmal in der Natur ausgestellt, während eines Symposiums im Wald. In der Waldsituation fehlte mir der Kontrast, den Du angesprochen hast. Mehr hat mir jedoch die Verbindung zum Raum gefehlt. Von dieser Ausstellung abgesehen habe ich in zwei Botanischen Gärten, einer Kirche und dem gerade angesprochenen U‑Bahn-Eingang ausgestellt. Die Arbeitsweise ist einfach unterschiedlich. In einer White Cube Situation empfinde ich die Konzentration der Arbeit stärker. In weniger neutralen Räumen entsteht dafür ein größerer Dialog, in dem Arbeit und Raum mehr verschmelzen. In beiden Fällen interessiert mich die Arbeit mit dem Innenraum mehr als die Arbeit mit dem Außenraum.
Du hast vor vier Jahren in der neogotischen St. Johannes Evangelist-Kirche ausgestellt. Wie kam es zu dieser Schau? Wie hast du auf diesen besonderen Raum reagiert?
Damals haben meine Galeristin Tanja Wagner und ich nach einem Ausstellungsraum gesucht und schließlich diese Kirche gefunden, die für zwei Wochen ungenutzt war. Die Ausstellung entstand im Rahmen eines einjährigen NaFöG-Stipendiums, in dem ich ein Jahr lang täglich meine Träume dokumentiert habe. Wenn man es trainiert, kann man sich bald gut an seine Träume erinnern. Auf der Grundlage dieser Aufzeichnungen sind abstrakte Zeichnungen entstanden, in denen sich Punktgeflechte überlagern. Diese Zeichnungen wurden in Leuchtkästen gezeigt, die auf Stelen zwischen den Säulen des Kirchenraums positioniert waren. Die Traumnotizen habe ich später zerrissen und so unleserlich gemacht. Dann habe ich sie, zusammen mit Wurzeln und Moos, in zwei großformatige Eisblöcke eingefroren. Nachdem die Aufzeichnungen langsam freigegeben wurden, ist ihre Tinte mit dem Schmelzwasser verschwommen. Die Schwierigkeit in der Vorbereitung der Ausstellung bestand hauptsächlich darin, auf die Größe, Dunkelheit und das transzendente Moment der Kirche zu reagieren. Gleichzeitig ist es natürlich aber auch einfach, in so einem Raum Wirkung zu erzielen.
Im vergangenen Jahr hast du bei Tanja Wagner in der Gruppenausstellung „Discussing Metamodernism“ drei Landschaftsfotografien gezeigt. Was hatte es damit auf sich?
Es gab zwei Arbeiten, die dreiteilige Serie aus Landschaftsfotografien und eine Performance, während der sich sechs Paare drei Stunden lang geküsst haben. Das waren hauptsächlich Tänzer. Ich fand es interessant, so einen intimen Moment in die Ausstellung zu bringen, weil es jedem Anwesenden etwas unangenehm war, ein sehr persönlicher Moment.
Welchen Bezug zu den Phänomenen und Charakteristika der Metamoderne hatten diese Arbeiten?
Ich habe im Rahmen meiner ersten Einzelausstellung bei Tanja Wagner einen Artist Talk mit Robin van den Akker und Timotheus Vermeulen geführt. Und seit letztem Winter arbeiten wir an einem intensiven Langzeitinterview. Im Konzept des Metamodernismus erkenne ich viele Anknüpfungspunkte zu meiner Arbeit. Es geht um ein Pendeln zwischen Moderne und Postmoderne. Das drückt sich bei mir in den gegensätzlichen Positionen, zum Beispiel von Ehrlichkeit und Ironie aus. Die Fotografien sind in der Schweiz entstanden, Wald, Berge, Alpenpanoramen und so weiter. Einerseits hat die Natur in diesen Fotografien viel mit den Strukturen meiner anderen Arbeiten gemeinsam, andererseits ist diese idealisierte Landschaft auch ironisch zu sehen. Dieses Wechselspiel in meinen Arbeiten, wie etwa auch zwischen Utopie und Realität oder Leichtigkeit und Schwere finde ich in der Metamoderne wieder.
Wo werden deine Arbeiten demnächst wieder zu sehen sein?
Nach der abc werde ich an einer Gruppenausstellung in der Kunsthalle Lana in Meran teilnehmen. Danach möchte ich mich wieder für ein paar Wochen auf die Arbeit im Atelier konzentrieren. Ich denke, dass es wichtig ist, auch Pausen zwischen den Ausstellungen zu machen, damit kein Stillstand in der Arbeit entsteht.
Weitere Fotos aus Paula Doepfners Atelier und der Werke, an denen sie gerade arbeitet, stellen die Kollegen von iGNANT vor, mit deren Zusammenarbeit dieses Interview entstand.
Andere Meinungen
[…] The art berlin contemporary is right around the corner and will be opening its doors tomorrow. Of course we will be there, showing you the latest in art, installation, photography and more in collaboration with one of Berlin’s finest art blogs, Castor und Pollux. Amongst many other works, Berlin artist Paula Doepfner will be presenting one of her pieces. We visited her at her studio in Berlin Mitte to get to know her and her work better. For more pictures and a detailed interview over at Castor und Pollux, click here. […]