Mit »One from none« eröffnete am vergangenen Freitag im Autocenter eine Ausstellung, die im Rahmen der Berlin Art Week junge, zeitgenössische Malerei versammelt. Mein Partner Maik Schierloh und ich luden dazu den ebenfalls sehr jungen Kurator Nils Emmerichs ein, unsere Räume in der Leipziger Straße zu bespielen. Denn sein Zugang ist ein besonderer: Einige der ausgestellten Künstler und ihn verbindet eine langjährige, enge Freundschaft. Nils kennt ihre Interessen und Sorgen genau, weiß, was sie bewegt und wie sie arbeiten, versteht sie im Atelier, aber auch im Alltag. Er hatte also sicherlich viel zu erzählen.
Ich traf Nils auf ein Gespräch im Autocenter, wo Matthias Planitzer zu uns dazu stieß und mit uns so lange über die Ausstellung, die Absage an den Künstler-Mythos und neue Idole in Kunst und Deutschrap sprach, bis die Biere geleert waren – denn das war die Idee: Eine Stammtischdiskussion über junge Künstler und Malerei, geführt im Ausstellungsraum.
Joep van Liefland: „One from none“ ist eine Ausstellung, die junge Malerei präsentiert, wo doch um uns herum die Neuen Medien alles dominieren und in eine wachsende Schnelligkeit stürzen. Die Malerei ist dahingegen eher langsam, durchaus auch mit Absicht. Wie empfindest du die Verlangsamung der Kunst und dass die Malerei vieles komprimiert? Malerei hat meiner Meinung nach nichts mit neuen Medien zu tun, aber irgendwie dann doch, weil sie unter deren Einfluss steht.
Nils Emmerichs: Wir nehmen das ja auch alles eher unterbewusst wahr, schließlich ist es stets präsent. Man sollte die Malerei generell ausklinken lassen und auf das Minimale reduzieren. Das zeigen eigentlich auch fast alle Künstler der Ausstellung: Sie arbeiten sehr reduziert, dabei aber auch sehr tiefgründig. Wenn ich eine Ausstellung kuratiere, warte ich immer darauf, daß ein Zuschauer sagt: »Das kann ich doch selbst machen.« Dann weiß ich, daß es eine gute Ausstellung ist.
Joep van Liefland: Das ist ein gutes Kriterium, oder?
Nils Emmerichs: Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich habe das vorhin als Kulturterrorismus bezeichnet. Wenn die Leute ihr Wochenendprogramm haben, sie dieses und jenes Museum besuchen, sich dies und das anschauen, aber wenn es nicht gerade einen Liebermann oder Apfel zu sehen gibt, dann sind sie enttäuscht. Wenn du an die Akademie gehst, ist von Anfang an klar, daß man malen lernt. Man kommt erst einmal in die Orientierungsräume und wird dort ausgesucht. Vor allem in Düsseldorf. Auf dem Hinweg im Taxi habe ich das schon mal angerissen: Es gibt dort viele Epigonen. Man sieht dann auf den Rundgängen, daß die Schülern Ihren Professoren nacheifern. Man hat das Gefühl, daß die Professoren es nicht zulassen, daß ihre Studenten sie überflügeln. Daher muss man Glück haben, in welche Klasse man kommt. David Ostrowski und Chris Succo hatten dieses Glück. Da traf man sich im Café, im Atelier oder zu Hause und man sprach darüber, was Kunst sein kann, wohingegen gar nicht zur Frage stand, wer besonders schön oder interessant male. Da geht es um den gemeinsamen Austausch darüber, was man gerade beobachtet. Ich glaube, gerade in der Malerei kann man nur das wiedergeben, was man schon einmal gesehen hat. Wenn jemand einen Strich auf die Leinwand malt, hat er es vielleicht irgendwo so gesehen. Gerade wenn ein Werk spannend wird, erkennt man die Handschrift des Künstlers. Ich habe für diese Ausstellung versucht, Positionen auszusuchen, die schon eine Handschrift aufweisen, die aber auch eine Progression zulassen. Daher auch „One from none“, einer von keinen, aber man weiß nicht, in welche Richtung es geht. Es kann gut oder schlecht werden.
Joep van Liefland: Ich finde es interessant, daß du bei den Künstlern, die du ausgewählt hast, eine Handschrift erkennst. Für mich ist eine Handschrift mit der analogen Welt verbunden. Heutzutage arbeiten viele junge Künstler auf einer synthetischen Ebene, wegen der man eine Handschrift gar nicht so klar erkennen kann. Sie können aber trotzdem einzigartig sein. Dennoch steht das Konzept der Handschrift derzeit zur Diskussion.
Nils Emmerichs: Mir fällt auch auf, daß heutzutage viele Ausstellungstitel nur noch Filmzitate oder andere bekannte Phrasen darstellen. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß wir uns heute nur noch selbst reproduzieren. Daher finde ich das Prinzip der Collage und Referenz sehr interessant. Deswegen passte es auch gut, daß wir im Taxi schon über Harmony Korine und Sofia Coppola sprachen, über den zeitgenössischen Film, der aus seiner eigenen Geschichte zitiert. Denn man kann ja nur noch das wiedergeben, was man schon mal irgendwo gesehen hat. Machen wir uns doch nichts vor: Wir werden in den nächsten fünfzig Jahren keinen Künstler sehen, der etwas machen wird, was noch niemals jemand vor ihm getan hat.
Joep van Liefland: Das ist eine Frage der Reproduktion.
Nils Emmerichs: Genau. In diesem Zusammenhang schockieren mich die Yellow-Corner-Galerien, wo man sich bekannte Werke als digitale Fotoprints drucken lassen kann. Das ist ein großes Geschäft. Vielleicht weil es nur noch um das Schöne geht, das man sich hinhängen und für das man sich bei einem Dinner loben lassen kann. Da geht es auch um Reputation. Und gerade damit spielen die Künstler in »One from none« und bewerten es kritisch. Ich kann vor allem von den beiden sprechen, die ich persönlich gut kenne: Beispielsweise versucht David, als Rechtshänder, mit seiner rechten Hand so zu malen als sei es die Linke. Für ihn ist es schwieriger, schlecht als gut zu malen.
Joep van Liefland: Das ist ein sehr berechtigtes Anliegen, aber warum will man schlecht malen?
Nils Emmerichs: Weil es eine herbe Absage an die Leute ist, die nur das Schöne sehen wollen. Jackson Pollock, Philip Guston und andere haben in den Dreißigern und Vierzigern comic-haft oder abstrakt gemalt und die Leute haben sich gewundert, was das sein soll. Zuvor natürlich Van Gogh, aber auch Cézanne.
Joep van Liefland: Aber die hatten diesen Instinkt nicht, die hatten ein anderes Programm. Cézanne wollte nicht schlecht malen. Cézanne wollte anders malen. Pollock wollte auch nicht schlecht malen.
Nils Emmerichs: Man vergisst aber auch schnell, daß da viel Ironie und Humor dabei ist. Gerade weil die Betrachter etwas anderes erwarten. Die Künstler probieren sich da auch aus und schauen einfach, welches Echo auf sie trifft. Heute geschieht das alles viel schneller und intensiver, weshalb man andere und auch härtere Mittel wählen muss. So finden David und ich die Musik von Haftbefehl großartig und durchaus inspirierend. Wir feiern das. David und ich haben ihn damals auf dem »Mietwagen-Tape« entdeckt. Wir fanden schon allein diesen Namen so witzig. Dann waren darauf zwei Frankfurter Jungs zu hören: Celo und Abdi. Die haben eine neue Sprache kreiert. Der deutsche Hip-Hop steht seit zwanzig Jahren genau wie die Kunst auf der gleichen Stelle und dann kommen diese Jungs und man versteht kein Wort, weil sie in sieben Sprachen rappen. So kamen wir auch zu Haftbefehl, den wir dann erstmals auf einem Konzert in Köln sahen. Im Anschluss konnte man mit ihm Foto schießen lassen. Der hat sofort gemerkt, daß wir ganz andere Leute waren. Da hat er sich sogar dafür bedankt: „Ich fand das ganz toll, daß ihr mein Konzert besucht habt, Alter!“
Matthias Planitzer: Wenn so etwas inspirierend sein kann, ist das großartig. Das bildet vielleicht auch eher die Lebensrealität der ortsansässigen Leute ab, also nicht unbedingt der Leute, die sich die Ausstellungen anschauen, aber jene, die in der Umgebung leben. Auch im Umkreis des Autocenters hört man sicherlich häufiger Haftbefehl als daß man sich alte Film Noir Titel anschaut. Das macht es ja auch so sympathisch, wenn man so unkompliziert damit umgehen kann und gar nicht erst einen Rückgriff auf die Hochkultur wagt, der man womöglich gar nicht gerecht wird, weil es viele Jahrzehnte später gekünstelt wirkt. Von vornherein das aufzugreifen, was die junge Generation bewegt, liegt da doch viel näher.
Nils Emmerichs: Diese Rapper sehen sich ja durchaus als Künstler, sind aber eigentlich auch eher ungebildet, weil ihnen der Zugang zu dieser sogenannten Hochkultur fehlt. Trotzdem haben sie sich auch in intellektuellen Kreisen Gehör verschaffen können. Deren Sprache ist ja auch so übertrieben und zugespitzt. Man kann so etwas auf die Spitze treiben, sollte aber auch authentisch bleiben. Aber gerade in der Kunstszene und im Kulturbereich ist es doch so: Fragst du, wer Haftbefehl kennt, erhältst du die einhellige Antwort, daß ihn alle aus Prinzip schlecht finden. Wenn sie dann aber erfahren, daß einige Künstler ihn gern hören, würden sie ihr Urteil überdenken. So kann man die Bedeutung drehen, wie man es will.
Matthias Planitzer: Ich wusste nicht, daß er Deutschrap hört. Aber ich finde es sympathisch, weil es so ehrlich ist. Gerade auch, weil es das Bild vom ernsten, intellektuellen und tiefgründig sinnierenden Künstler enttarnt. Manch ein Künstler nimmt sich dabei sehr ernst, andere nehmen sich gern selbst auf den Arm. Letzteres merkt man David Ostrowski sofort an.
Nils Emmerichs: Man sieht der Kunst an, ob sie zu verkrampft oder aus dem Innersten heraus entstanden ist.
Matthias Planitzer: Ohne ein Urteil zu fällen: Das eine ist kopflastig, das andere, zumindest im Extrem, lustvoll und oftmals auch witzig. Diesen Humor vermisst man durchaus auch mal, obwohl manche Künstler ihn eher subtil einsetzen. Dann werden Kunstaktionen im Gewand eines Lausbubenstreiches unternommen. Das entsteht einfach und wird auch so gelebt.
Nils Emmerichs: Mit solchen Künstlern redet man ja auch gar nicht unentwegt über Kunst. Man lebt es einfach aus. Diese Freiheit wird aber oftmals auch von den Professoren gefördert, die selbst mal junge Wilde waren, die immer noch die Leute vor den Kopf stoßen wollen. So wie Oehlen, Lüpertz und Immendorff wohl einst mit dem Taxi nach Mailand fuhren, weil es dort wohl die besten Farben gab oder Kaviar bestellten, aber nichts davon aßen. Immer diese Übertreibung. Solche Allüren scheinen aber zyklisch zu entstehen und wieder abzuebben. Die Neunziger waren in der Hinsicht harmlos, aber in den Achtzigern hat man noch auf den Putz gehauen. Gerade in Düsseldorf. Und heute sind viele von ihnen etabliert und werden ihnen hoch gehandelt.
Matthias Planitzer: So wie ein Blixa Bargeld: Der scheut sich heute nicht davor, offen zuzugeben, daß er gerne mal in Edelrestaurants diniert. Vielleicht ist das auch mit einem gewissen Sarkasmus verbunden, aber er gibt es offen zu und bricht wieder einmal mit allen Erwartungen.
Nils Emmerichs: Blixa Bargeld ist heute noch groß. Da ist auch Nostalgie dabei, aber er und seine Neubauten haben es auf jeden Fall verdient. Haftbefehl ist mir zwar lieber, aber ab und zu sind die Einstürzenden Neubauten auch in Ordnung.
Matthias Planitzer: Ich kann mir allerdings auch vorstellen, daß Haftbefehl irgendwann mal unter einem gewissen intellektuellen Vorzeichen mit einer gewissen kulturellen Höhe rezipiert wird, der als Protestler gegen die Starrheiten seiner Zeit anging. Manch einer sagt ja heute schon, er mache intelligenten Rap. Ich weiß es nicht, aber ich glaube, er spielt gern damit und nimmt sich vermutlich auch selbst nicht so ernst wie andere Deutschrapper. Gibt es eine Arbeit, die besonders hervorsticht, die einfach nur unter dem Einfluss von Haftbefehl entstanden sein kann?
Nils Emmerichs: Zum Beispiel im Titel: »Jung, brutal und gut aussehend«. Aber das waren auch Kollegah und Farid Bang. Das ist ein sehr energetischer Prozess. Denn er muss sich erst einmal völlig darauf einlassen und – wir kennen diese Musik – das fällt nicht gerade leicht. Das klassische Bild eines Malers, der im Atelier schöngeistige Musik hört, ist das natürlich nicht. Aber das sieht man den Arbeiten auch an.
Joep van Liefland: Dieses Klischee ist aber auch zum Glück schon lange nicht mehr wahr.
Nils Emmerichs: Das ist ja auch gut so. Ob es nun Literatur, Kunst, Film oder Musik ist…
Joep van Liefland: …jeder Künstler hat seine Quelle. Wie verhält es sich mit den anderen Künstlern der Ausstellung?
Nils Emmerichs: Für die ist es ähnlich. Vor allem Sam Moyer und Samuel Francois arbeiten mit einer Oberflächlichkeit, die erst sauber und puristisch, aus der Nähe aber rau und hart wirkt. Eva Berendes’ Arbeiten sind Skulpturen an der Wand – ich nenne das immer »Wandskulpturen«. Alle Arbeiten sind sehr haptisch. David und Chris treten auf die Leinwände, kratzen darauf herum. Eva hingegen arbeitet anders, aber die Intention ähnelt dem sehr, weshalb es so gut harmoniert. Hoffentlich. Vielleicht findet es auch keiner gut und »One from none« wird anders aufgefasst. Aber das ist ja das Schöne, man ebnet als Kurator den Weg. Ich mag es, mit Leuten zu arbeiten, die ich schätze. Ich mag die alle sehr gern. Man muss es aber auch hängen sehen.
Joep van Liefland: Sam und ihr Partner besitzen ein Haus auf Long Island hat, wo sie ihre lichtempfindlichen Bilder für Tage oder Wochen im Gras vor dem Haus in die Sonne legt. Daraus entsteht dann das Bild, das ist Teil ihres Prozess.
Matthias Planitzer: Insbesondere die Arbeiten, die sie im vergangenen Jahr bei Société zeigte, waren großartig. Gerade auch weil sie großformatig waren. Aber keiner hat davon Notiz genommen.
Joep van Liefland: Fast niemand war auf der Eröffnung.
Matthias Planitzer: Da war ich zwar auch nicht, aber es gab auch sonst kein Echo. Schade eigentlich, ihre Ausstellung war sehenswert. Man sieht ihren Bildern an, wie sie gemacht wurden. Sie hat die Leinwände gefaltet und zerknittert, hat sie eingefärbt, dann wieder zerknüllt. Richtig bearbeitet. Das gefiel mir sehr. Ich weiß zwar nicht, was bei »One from none« kommen wird, aber das waren wunderbare Arbeiten.
Nils Emmerichs: Die tollsten Werke, die du je gesehen hast. Groß und bombastisch. Jung, brutal und gutaussehend!
Joep van Liefland: Aber was sollen junge Künstler noch anders machen? Wie kann man noch jung und brutal sein, wenn die vorhergehende Generation schon alles gemacht hat? Sie können subtiler arbeiten, riskieren dann aber, nicht mehr gehört zu werden. Oder neue Inhalte finden.
Nils Emmerichs: Ich glaube, das lernt man nur im Prozess und im Gespräch mit anderen Leuten. Man nimmt viel auf und versucht auch, Tendenzen und Hypes zu ermitteln. Sei es in der Kunst oder in der Filmindustrie, man möchte dabei sein mitreden können. Aber allein dadurch, daß so viel Material entsteht, kann man sich nicht für ein Sache entscheiden.
Joep van Liefland: Offensichtlich gibt es da eine permanente Unsicherheit, eine Instabilität.
Nils Emmerichs: Darauf baut man aber auch. Da bin ich aber auch einer von keinen, wie der Titel schon sagt. Im Prinzip läuft es ja darauf hinaus. Ihr könnt mir gern widersprechen, aber ich denke, daß alle, die sich im Kunstbereich bewegen, wollen auch Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Eine Zeitlang fand ich negative Publicity sehr witzig. Wir hatten eine Ausstellung in Düsseldorf, über die wir mit reichlich Übertreibung, aber auch satirisch geschrieben haben. Das hat nicht jeder so verstanden und war deshalb für uns auch lustig. Dann fängt das Gerede erst an.
Joep van Liefland: Du hattest mir auch ein paar Texte geschrieben, die ebenfalls sehr übertrieben waren. Ich kenne das auch aus meiner künstlerischen Tätigkeit, daß man die Sache dann auch auf die Spitze treiben will. Ich finde es wunderbar, daß auch bei einem Kurator zu sehen, weshalb ich den Eindruck habe, das du auch gut zum Autocenter passt. Man muss nicht immer alles belegen, man kann auch übertreiben.
Nils Emmerichs: Ich habe die schlimmsten Fächer studiert, die man sich aussuchen kann: die Geisteswissenschaften Kunstgeschichte und Philosophie. Man wird dann in der Uni in einen Bereich geschmissen, in dem die Leute gern sich selbst reden hören. Da wird man mit Gesprächen genervt, mit denen man nichts zu tun hat, und man gibt sich mit Leuten ab, die alles unglaublich intellektuell finden. Irgendwann war mir das überdrüssig. Von da ab habe ich kodiert gearbeitet. Mir reicht es, wenn die Leute sagen, daß sie ihren Spaß beim Lesen hatten. Darüber kann ich mich freuen. Ich spiele viel mit Zitaten, gerade aus der Literatur und dem Film des 20. Jahrhunderts. Wenn ich schreibe, denke ich häufig an bestimmte Schriftsteller oder was ich selbst gern lesen würde, was aber nicht so oft gezeigt wird.
Also ich habe noch ein Bier, wir können noch ein wenig quatschen.
Matthias Planitzer: Von mir aus gern. Meins ist leer, Joeps auch, ich hole mal Cola für uns.
Joep van Liefland: Ich möchte dich jetzt gern mit einem fantastischen Zitat aus deinem Text konfrontieren, das ich sehr interessant fand. Es ging um van Gogh und darum, daß er in seiner damaligen Zeit nicht wahrgenommen wurde, weil er ihr weit voraus war. Du schreibst: »Niemand will Teil einer Generation sein, die einen neuen van Gogh ignoriert. Der Künstler muss das Werk dahin schaffen, wo man es sehen kann.« Da hast du auch über Rache geschrieben.
Nils Emmerichs: Van Gogh gilt für viele als der Vater der Moderne. Zu seinen Lebzeiten hat es aber niemanden interessiert.
Joep van Liefland: Es gibt heute keine Künstler mehr, die ihre Ohren abschneiden.
Nils Emmerichs: Erstens das. Vielleicht könnte man aber auch hier im Autocenter eine solche Performance veranstalten. Aber meines Wissens hat van Gogh zu Lebzeiten nur zwei Bilder zu dreihundert und fünfhundert Francs verkauft. Wie traurig ist es eigentlich, wenn ein Künstler stirbt, aber seine Werke zwanzig Jahre später zum tausendfachen Preis verkauft werden? Das ist absurd. Da fällt mir wieder ein Beispiel aus dem Film ein: Christoph Waltz. Dreißig Jahre lang hat sich niemand für ihn interessiert. Auf einmal bekam er für den Tarantino-Film einen Oscar und verdient seitdem so viel Geld mit dem, was er so lange schon einfach nur aus Überzeugung machte. Das wollte ich auch im Text ausdrücken: Wenn ein Künstler gut ist, handelt er ohnehin erst einmal nur aus Überzeugung und lässt sich auch nicht von finanziellen Zwängen einschüchtern. Im Prinzip greifen ja Künstler auch nach diesem van-Gogh-Mythos, selbst wenn sie es verneinen. Auf der anderen Seite sind Galeristen, Kuratoren, Händler und Sammler stets auf der Suche nach dem nächsten Künstler, den sie groß herausbringen können.
Joep van Liefland: Aber wenn ich meine Künstlergeneration mit van Gogh oder den Dadaisten vergleiche, sind das alles Weicheier. Die sind alle studiert, kommen aus der Mittelklasse und wollen Karriere machen. Aber zurück zur Ausstellung: Sam Moyer ist die einzige Amerikanerin in „One from none“. Wo leben und arbeiten die Künstler der Schau?
Nils Emmerichs: David lebt in Köln, Chris in Düsseldorf. Sam lebt in New York und Samuel in Paris. Sie sind alle keine frischen Absolventen mehr und hatten jeweils bereits einige Ausstellungen in verschiedenen Städten.
Joep van Liefland: Die Künstler der Ausstellung sind sicherlich keine Neuentdeckungen. Aber das ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß es eine gute Ausstellung wird. Dafür hast du gesorgt.
Nils Emmerichs: Und ihr habt den Raum gegeben.
Joep van Liefland: Kuratoren haben meistens keinen Raum und Räume haben zumeist keinen Kurator.
Nils Emmerichs: Weil man als Kurator so nah an den Künstlern dran ist.
Joep van Liefland: Ja, du! Du bist mit den Künstlern eng befreundet, kennst sie daher auch sehr gut und bist begeistert. Das ist neben all der Theorie eine gute Basis. Andere Kuratoren gehen da viel akademischer mit Thema und Kunst um.
Nils Emmerichs: Das habe ich versucht, aber das kann ich gar nicht. Ich pflege den direkten, spontanen Zugang.
Joep van Liefland: So arbeiten wir eigentlich auch. Und ich habe das gute Gefühl, daß dieser spontane Zugang gut zur Ausstellung passt. Ich bin gespannt!