Auch in diesem Jahr gehört die art berlin contemporary wieder zu den Highlights des Kunstherbsts. 121 Künstler nehmen mit 133 Galerien an der sechsten Ausgabe der Berliner Kunstmesse teil, darunter viele lokal und bundesweit bekannte Künstler, aber auch einige internationale und vor allem amerikanische Aussteller. Viele der Namen sind fest im Berliner Ausstellungswesen verankert, sodaß mit der diesjährigen, erstmals von Maike Cruse kuratierten abc ein guter Überblick über neue und hier bisher noch nicht gezeigte Positionen gelingt.
Wir haben uns zusammen mit iGNANT vorab umgeschaut, noch ehe sich heute Abend die Besucherströme durch die Hallen schieben mit den Galeristen und Künstlern gesprochen und berichten live aus den Messehallen in der Station Berlin, Luckenwalder Straße 4–6, direkt am Gleisdreieck.
14:49 Uhr: Die Galerien Studio Morra und Alnitak Art Agency haben sich zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Koje mit Arbeiten von Hermann Nitsch zu bespielen. Keine großen Überraschungen: Nitsch arbeitet noch immer mit viel Blut, das mal auf langen Leinenbahnen trocknet, mal in Performances aus über Leiber quillt. Entsprechende Videoaufnahmen werden freilich auch ausgestellt; dazwischen einige Tische, auf denen offensichtlich bald mit bunten Wachsmalstiften gemalt werden darf. Man ist erstaunt, hier auch andere Farben als nur Rot zu sehen. Derweil formiert sich eine kleine Traube rund um den in eine Ecke der Halle b eingekauerten Stand, die sich nicht sicher ist, ob es denn der Meister selbst, der dort auf dem Stuhl zusammengesunken sitzt und ein Nickerchen hält. Den Bart hat er immerhin – und die Galerien Studio Morra und Alnitak Art Agency ihre Besucher.
15:04 Uhr: Peres Projects hat sich mit seinem Stand in Halle c buchstäblich vom restlichen Messegeschehen abgeschottet: Hinter den eigentlichen Messewänden hat Mark Flood einige seiner Arbeiten zu einer üppigen Großinstallation verdichtet, die bisweilen in orgiastischem Ausmaße ein buntes Versatzwerk aus Skulpturen, Prints, Videoarbeiten und Readymades vereint. Die Galerie-Assistentin warnt beim Eintritt etwas süffisant: »Don’t step on the Justin Biebers. They’re slippery.« Und sie hat Recht: Flood hat den Boden über und über mit Zeitungsausschnitten aus den gängigen Hochglanz-Teenie-Magazinen bedeckt, die dem amerikanischen Pop-Star huldigen. Dazwischen platziert er etliche geschwärzte Pappfiguren bekannter Filmfiguren von John Wayne bis Darth Vader, baut eine biergartenähnliche Kulisse samt grotesk verzerrter Pepsi-Flaschen auf und behängt die Wände mit übersprühten Werbetafeln und Straßenschildern. Ein zynischer Kommentar auf die allgegenwärtige Medienflut, die formal und auch ästhetisch mittlerweile keinen Unterschied mehr zwischen Werbung und eigentlichem Inhalt macht. Amerikanischer kann man sich einen Messestand kaum vorstellen. Bisher unser Highlight auf der diesjährigen abc.
15:15 Uhr Nur wenige Meter weiter zeigt die Galerie Alexander Levy einen ihrer in Berlin am umtriebigsten Künstler, Julius von Bismarck, der hier erneut mit seinem »Wald Apparat« vertreten ist. Dazu platzierte von Bismarck mit der Hilfe von Levy und einigen Künstlerfreunden eine Birkenattrappe in einem Berliner Wald. En detail nachgebildet, abgegossen und auf ein stählernes Gestänge aufgezogen steht sie nun da, ast- und laublos inmitten eines Mischwaldes und wartet darauf, von einem Spaziergänger oder einem Suchenden gefunden zu werden. Eine Wegbeschreibung wird jedem Interessierten ausgehändigt – so denn man den Baum unter Bäumen überhaupt findet. Vielleicht, so Levy, werde man in Zukunft eine Kamera installieren, die durch einen Bewegungssensor gesteuert Aufnahmen sendet. Bis dahin kann man auf der abc die Dokumentation der ungewöhnlichen Aktion in Augenschein nehmen.
Vor dem eigentlichen Messestand hat von Bismarck eine weitere Arbeit installiert: Zwei Industrieleuchten hängen an langen Stahlseilen von der Decke und ziehen ihre weiten Bahnen, gerade hell genug, um aufzufallen, gerade dunkel genug, um nicht zu blenden. Ein Motor hält die beiden Lampen in ständiger, synchroner Bewegung. Schön, daß die diesjährige Messeplannung und ‑architektur des Studios Manuel Raeder auch solche raumspezifische Arbeiten berücksichtigt.
15:26 Uhr: Zurück in Halle a: Die Galerie Eigen+Art hat wie auch im vergangenen Jahr einen echten Blickfänger für ihren Messestand ausgewählt. Die junge Dresdnerin greift oft vorgefundene Objekte und Räume auf, um die Spuren aufzudecken, die sie über die Jahrzehnte gezeichnet haben. Das Berliner Publikum kennt sie für eine Fotoserie, in der sie dem Schicksal längst vergessener, ausrangierter Spielautomaten nachspürte, die sie unter einer dichten Staubhülle und milchigen Planen in einer zypriotischen Lagerhalle fand. Nun zeigt ihre Galerie auf der abc eine Serie von sechs Fotografien, die sie 2008 mit einer Plattenkamera anfertigte. Dazu suchte sie auf den Schrottplätzen im Leipziger Umland nach verunfallten Autos, die sie in eine Halle schaffen ließ, um sie dort zu inszenieren und im Spotlicht abzubilden. Teils unter Planen und oftmals nachträglich mit Staub und feinem Sand bedeckt, porträtiert sie die Fahrzeuge unter Zuhilfenahme kompositorischer und perspektivischer Mittel, die an die übliche Bildsprache der Automobilwerbung erinnern. Markenlogos erkennt man auf ihren eigenwilligen, detailfreudigen Porträts zwar nicht, aber der Bezug zu Fahrzeug, Autobauer und der individuellen Geschichte ist stets konserviert. Einst eine Ware, Symbole des Wohlstands, sind diese schrottreifen Fahrzeuge nun nur noch eine Ansammlung der Spuren, die sich über die Jahrzehnte hinweg abgezeichnet haben.
15:40 Uhr: Wenige Meter weiter liegt die kleine Koje der Pariser und New Yorker New Galerie versteckt, wo das amerikanische Künstlerkollektiv DIS mit vier Arbeiten vertreten ist. Das Quartett versteht sich als cross-mediale Interventionsmaschine, die die vielfältigen, oftmals sehr bunten und kitschigen Bildwelten aus Internet und Werbung in ein unübersichtliches, kakophones Gemenge konzentriert. Mit reichlich Ironie und spöttischem Witz unterlegt, überführen sie die oftmals gegensätzlichen Ästhetiken in einen künstlerischen Kontext, in dem sie zwar zunächst fremd erscheinen mögen, aber insbesondere innerhalb der Post-Internet-Art und metamodernistischer Kunst als archetypische Vertreter eines Stils gelten, der vor allem in den kleinen Projekträumen Brooklyns gedeiht, aber auch in Berlin in einigen Galerien gefördert wird. DIS stellten kürzlich eine auf der abc gezeigte Videoarbeit als Teil der EXPO1 im MoMA PS1 aus, sind aber hierzulande eher für ihr populäres Magazin bekannt. Zwischen den vielen europäischen Positionen, die das Gesicht der abc auch in diesem Jahr erneut nachhaltig prägen, ist es erfreulich auch einen Vertreter dieses andernorts aufstrebenden Stils auch in einem Messekontext zu erleben.
15:55 Uhr: Halle c wird zweifelsohne durch die große Installation Olaf Metzels dominiert, die am mittig gelegenen Stand von Wentrup präsentiert wird. Dazu türmte er das übliche Inventar eines Stadions – Sitzreihen, Aufbauten, Netze, Gerüste, Barrikaden und sogar eine stählerne Drehtür – auf und arbeitet so skulpturale Qualitäten urbaner Objekte heraus. Diese stets durch Destruktion gekennzeichnete und daher symbolisch aufgeladenen Installationen bringt er zumeist in den öffentlichen Raum zurück, wo sie den Interaktionen mit Straße und Passanten direkt ausgesetzt sind. Bekannt wurde er mit einer aus Barrikaden bestehenden Installation, die er vor einigen Jahrzehnten auf dem Kurfürstendamm aufstellte, aber bald von den Behörden abgeräumt wurde und nun ein klägliches Dasein zwischen den Speicherkolossen der Mediaspree-Giganten fristet.
Der Liveblog von der abc 2013 ist damit beendet – weiter geht es auf Instagram und bei den Kollegen von iGNANT.
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