Liveblog von der abc 2013

19. September 2013 von Matthias Planitzer
Heute Abend öffnet die abc für das Laufpublikum die Tore, feiert mit Sekt und Bratwurst den Auftakt in das verlängerte Messewochenende. Wir schauen uns vorab in den Hallen um und berichten ab sofort im Liveblog.

Foto: Matthias Planitzer

Auch in die­sem Jahr gehört die art ber­lin con­tem­po­ra­ry wie­der zu den High­lights des Kunst­herbsts. 121 Künst­ler neh­men mit 133 Gale­rien an der sechs­ten Aus­ga­be der Ber­li­ner Kunst­mes­se teil, dar­un­ter vie­le lokal und bun­des­weit bekann­te Künst­ler, aber auch eini­ge inter­na­tio­na­le und vor allem ame­ri­ka­ni­sche Aus­stel­ler. Vie­le der Namen sind fest im Ber­li­ner Aus­stel­lungs­we­sen ver­an­kert, sodaß mit der dies­jäh­ri­gen, erst­mals von Mai­ke Cru­se kura­tier­ten abc ein guter Über­blick über neue und hier bis­her noch nicht gezeig­te Posi­tio­nen gelingt.

Wir haben uns zusam­men mit iGNANT vor­ab umge­schaut, noch ehe sich heu­te Abend die Besu­cher­strö­me durch die Hal­len schie­ben mit den Gale­ris­ten und Künst­lern gespro­chen und berich­ten live aus den Mes­se­hal­len in der Sta­ti­on Ber­lin, Lucken­wal­der Stra­ße 4–6, direkt am Gleisdreieck.

Hermann Nitsch am Stand der Galerie Studio Morra / Alnitak Art Agency; Foto: Matthias Planitzer

Her­mann Nit­sch am Stand der Gale­rie Stu­dio Mor­ra / Alni­tak Art Agen­cy; Foto: Mat­thi­as Planitzer

14:49 Uhr: Die Gale­rien Stu­dio Mor­ra und Alni­tak Art Agen­cy haben sich zusam­men­ge­schlos­sen, um eine gemein­sa­me Koje mit Arbei­ten von Her­mann Nit­sch zu bespie­len. Kei­ne gro­ßen Über­ra­schun­gen: Nit­sch arbei­tet noch immer mit viel Blut, das mal auf lan­gen Lei­nen­bah­nen trock­net, mal in Per­for­man­ces aus über Lei­ber quillt. Ent­spre­chen­de Video­auf­nah­men wer­den frei­lich auch aus­ge­stellt; dazwi­schen eini­ge Tische, auf denen offen­sicht­lich bald mit bun­ten Wachs­mal­stif­ten gemalt wer­den darf. Man ist erstaunt, hier auch ande­re Far­ben als nur Rot zu sehen. Der­weil for­miert sich eine klei­ne Trau­be rund um den in eine Ecke der Hal­le b ein­ge­kau­er­ten Stand, die sich nicht sicher ist, ob es denn der Meis­ter selbst, der dort auf dem Stuhl zusam­men­ge­sun­ken sitzt und ein Nicker­chen hält. Den Bart hat er immer­hin – und die Gale­rien Stu­dio Mor­ra und Alni­tak Art Agen­cy ihre Besucher.

Mark Flood am Stand von Peres Projects; Foto: Matthias Planitzer

Mark Flood am Stand von Peres Pro­jects; Foto: Mat­thi­as Planitzer

15:04 Uhr: Peres Pro­jects hat sich mit sei­nem Stand in Hal­le c buch­stäb­lich vom rest­li­chen Mes­se­ge­sche­hen abge­schot­tet: Hin­ter den eigent­li­chen Mes­se­wän­den hat Mark Flood eini­ge sei­ner Arbei­ten zu einer üppi­gen Groß­in­stal­la­ti­on ver­dich­tet, die bis­wei­len in orgi­as­ti­schem Aus­ma­ße ein bun­tes Ver­satz­werk aus Skulp­tu­ren, Prints, Video­ar­bei­ten und Rea­dy­ma­des ver­eint. Die Gale­rie-Assis­ten­tin warnt beim Ein­tritt etwas süf­fi­sant: »Don’t step on the Jus­tin Bie­bers. They’­re slip­pery.« Und sie hat Recht: Flood hat den Boden über und über mit Zei­tungs­aus­schnit­ten aus den gän­gi­gen Hoch­glanz-Tee­nie-Maga­zi­nen bedeckt, die dem ame­ri­ka­ni­schen Pop-Star hul­di­gen. Dazwi­schen plat­ziert er etli­che geschwärz­te Papp­fi­gu­ren bekann­ter Film­fi­gu­ren von John Way­ne bis Darth Vader, baut eine bier­gar­ten­ähn­li­che Kulis­se samt gro­tesk ver­zerr­ter Pep­si-Fla­schen auf und behängt die Wän­de mit über­sprüh­ten Wer­be­ta­feln und Stra­ßen­schil­dern. Ein zyni­scher Kom­men­tar auf die all­ge­gen­wär­ti­ge Medi­en­flut, die for­mal und auch ästhe­tisch mitt­ler­wei­le kei­nen Unter­schied mehr zwi­schen Wer­bung und eigent­li­chem Inhalt macht. Ame­ri­ka­ni­scher kann man sich einen Mes­se­stand kaum vor­stel­len. Bis­her unser High­light auf der dies­jäh­ri­gen abc.

Julius von Bismarck am und vor dem Stand von Alexander Levy; Foto: Matthias Planitzer

Juli­us von Bis­marck am und vor dem Stand von Alex­an­der Levy; Foto: Mat­thi­as Planitzer

15:15 Uhr Nur weni­ge Meter wei­ter zeigt die Gale­rie Alex­an­der Levy einen ihrer in Ber­lin am umtrie­bigs­ten Künst­ler, Juli­us von Bis­marck, der hier erneut mit sei­nem »Wald Appa­rat« ver­tre­ten ist. Dazu plat­zier­te von Bis­marck mit der Hil­fe von Levy und eini­gen Künst­ler­freun­den eine Bir­ken­at­trap­pe in einem Ber­li­ner Wald. En detail nach­ge­bil­det, abge­gos­sen und auf ein stäh­ler­nes Gestän­ge auf­ge­zo­gen steht sie nun da, ast- und laub­los inmit­ten eines Misch­wal­des und war­tet dar­auf, von einem Spa­zier­gän­ger oder einem Suchen­den gefun­den zu wer­den. Eine Weg­be­schrei­bung wird jedem Inter­es­sier­ten aus­ge­hän­digt – so denn man den Baum unter Bäu­men über­haupt fin­det. Viel­leicht, so Levy, wer­de man in Zukunft eine Kame­ra instal­lie­ren, die durch einen Bewe­gungs­sen­sor gesteu­ert Auf­nah­men sen­det. Bis dahin kann man auf der abc die Doku­men­ta­ti­on der unge­wöhn­li­chen Akti­on in Augen­schein nehmen.

Vor dem eigent­li­chen Mes­se­stand hat von Bis­marck eine wei­te­re Arbeit instal­liert: Zwei Indus­trie­leuch­ten hän­gen an lan­gen Stahl­sei­len von der Decke und zie­hen ihre wei­ten Bah­nen, gera­de hell genug, um auf­zu­fal­len, gera­de dun­kel genug, um nicht zu blen­den. Ein Motor hält die bei­den Lam­pen in stän­di­ger, syn­chro­ner Bewe­gung. Schön, daß die dies­jäh­ri­ge Mes­se­plan­nung und ‑archi­tek­tur des Stu­di­os Manu­el Rae­der auch sol­che raum­spe­zi­fi­sche Arbei­ten berücksichtigt.

Ricarda Roggan am Stand von Eigen+Art; Foto: Matthias Planitzer

Ricar­da Rog­gan am Stand von Eigen+Art; Foto: Mat­thi­as Planitzer

15:26 Uhr: Zurück in Hal­le a: Die Gale­rie Eigen+Art hat wie auch im ver­gan­ge­nen Jahr einen ech­ten Blick­fän­ger für ihren Mes­se­stand aus­ge­wählt. Die jun­ge Dresd­ne­rin greift oft vor­ge­fun­de­ne Objek­te und Räu­me auf, um die Spu­ren auf­zu­de­cken, die sie über die Jahr­zehn­te gezeich­net haben. Das Ber­li­ner Publi­kum kennt sie für eine Foto­se­rie, in der sie dem Schick­sal längst ver­ges­se­ner, aus­ran­gier­ter Spiel­au­to­ma­ten nach­spür­te, die sie unter einer dich­ten Staub­hül­le und mil­chi­gen Pla­nen in einer zyprio­ti­schen Lager­hal­le fand. Nun zeigt ihre Gale­rie auf der abc eine Serie von sechs Foto­gra­fien, die sie 2008 mit einer Plat­ten­ka­me­ra anfer­tig­te. Dazu such­te sie auf den Schrott­plät­zen im Leip­zi­ger Umland nach ver­un­fall­ten Autos, die sie in eine Hal­le schaf­fen ließ, um sie dort zu insze­nie­ren und im Spot­licht abzu­bil­den. Teils unter Pla­nen und oft­mals nach­träg­lich mit Staub und fei­nem Sand bedeckt, por­trä­tiert sie die Fahr­zeu­ge unter Zuhil­fe­nah­me kom­po­si­to­ri­scher und per­spek­ti­vi­scher Mit­tel, die an die übli­che Bild­spra­che der Auto­mo­bil­wer­bung erin­nern. Mar­ken­lo­gos erkennt man auf ihren eigen­wil­li­gen, detail­freu­di­gen Por­träts zwar nicht, aber der Bezug zu Fahr­zeug, Auto­bau­er und der indi­vi­du­el­len Geschich­te ist stets kon­ser­viert. Einst eine Ware, Sym­bo­le des Wohl­stands, sind die­se schrott­rei­fen Fahr­zeu­ge nun nur noch eine Ansamm­lung der Spu­ren, die sich über die Jahr­zehn­te hin­weg abge­zeich­net haben.

DIS am Stand der New Galerie; Foto: Matthias Planitzer

DIS am Stand der New Gale­rie; Foto: Mat­thi­as Planitzer

15:40 Uhr: Weni­ge Meter wei­ter liegt die klei­ne Koje der Pari­ser und New Yor­ker New Gale­rie ver­steckt, wo das ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler­kol­lek­tiv DIS mit vier Arbei­ten ver­tre­ten ist. Das Quar­tett ver­steht sich als cross-media­le Inter­ven­ti­ons­ma­schi­ne, die die viel­fäl­ti­gen, oft­mals sehr bun­ten und kit­schi­gen Bild­wel­ten aus Inter­net und Wer­bung in ein unüber­sicht­li­ches, kako­pho­nes Gemen­ge kon­zen­triert. Mit reich­lich Iro­nie und spöt­ti­schem Witz unter­legt, über­füh­ren sie die oft­mals gegen­sätz­li­chen Ästhe­ti­ken in einen künst­le­ri­schen Kon­text, in dem sie zwar zunächst fremd erschei­nen mögen, aber ins­be­son­de­re inner­halb der Post-Inter­net-Art und meta­mo­der­nis­ti­scher Kunst als arche­ty­pi­sche Ver­tre­ter eines Stils gel­ten, der vor allem in den klei­nen Pro­jekt­räu­men Brook­lyns gedeiht, aber auch in Ber­lin in eini­gen Gale­rien geför­dert wird. DIS stell­ten kürz­lich eine auf der abc gezeig­te Video­ar­beit als Teil der EXPO1 im MoMA PS1 aus, sind aber hier­zu­lan­de eher für ihr popu­lä­res Maga­zin bekannt. Zwi­schen den vie­len euro­päi­schen Posi­tio­nen, die das Gesicht der abc auch in die­sem Jahr erneut nach­hal­tig prä­gen, ist es erfreu­lich auch einen Ver­tre­ter die­ses andern­orts auf­stre­ben­den Stils auch in einem Mes­se­kon­text zu erleben.

Olaf Metzel am Stand der Galerie Wentrup; Foto: Matthias Planitzer

Olaf Met­zel am Stand der Gale­rie Wen­trup; Foto: Mat­thi­as Planitzer

15:55 Uhr: Hal­le c wird zwei­fels­oh­ne durch die gro­ße Instal­la­ti­on Olaf Met­zels domi­niert, die am mit­tig gele­ge­nen Stand von Wen­trup prä­sen­tiert wird. Dazu türm­te er das übli­che Inven­tar eines Sta­di­ons – Sitz­rei­hen, Auf­bau­ten, Net­ze, Gerüs­te, Bar­ri­ka­den und sogar eine stäh­ler­ne Dreh­tür – auf und arbei­tet so skulp­tu­ra­le Qua­li­tä­ten urba­ner Objek­te her­aus. Die­se stets durch Destruk­ti­on gekenn­zeich­ne­te und daher sym­bo­lisch auf­ge­la­de­nen Instal­la­tio­nen bringt er zumeist in den öffent­li­chen Raum zurück, wo sie den Inter­ak­tio­nen mit Stra­ße und Pas­san­ten direkt aus­ge­setzt sind. Bekannt wur­de er mit einer aus Bar­ri­ka­den bestehen­den Instal­la­ti­on, die er vor eini­gen Jahr­zehn­ten auf dem Kur­fürs­ten­damm auf­stell­te, aber bald von den Behör­den abge­räumt wur­de und nun ein kläg­li­ches Dasein zwi­schen den Spei­cher­ko­los­sen der Media­spree-Gigan­ten fristet.

Der Live­blog von der abc 2013 ist damit been­det – wei­ter geht es auf Insta­gram und bei den Kol­le­gen von iGNANT.

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