Für Larry Gagosian scheint es nicht gut zu laufen: Nachdem Damien Hirst im Januar das Imperium verließ, wäre Koons‹ Liebäugeln mit der Galeristenkonkurrenz der zweite Fortgang eines hochkarätigen Künstlers gewesen. Noch bleibt Koons der Galerie jedoch erhalten, die Schau »Gazing Balls« vorerst ein Gastspiel beim Konkurrenten. Gagosian reagierte indes prompt. Nachdem Zwirners Ausstellungsankündigung die Presse erreichte, legte der international operierende Galerist nach: Nur einen Tag nach seinem Kollegen würde er nur wenig entfernt ebenfalls eine Koons-Schau eröffnen.
Beide Galeristen bewegen sich zwar laut der aktuellen »The Power 100«-List der Art Review in den olympischen Sphären der Top 5 der internationalen Kunstszene, beteuern aber immer wieder, daß sie gut miteinander auskämen. Die kurzfristig anberaumte Doppelausstellung hinterlässt allerdings einen anderen Eindruck. Gut für Koons, denn der dürfte als Gewinner vom Feld gehen.
Über Gagosians hastige Reflexhibition braucht man nicht viele Worte verlieren. Die mangelnde Vorbereitung war deutlich spürbar. Sowohl Kuration als auch Werkpräsentation waren dürftig, größtenteils ältere Arbeiten wurden aus den Archiven zusammengeklaubt und in die Galerieräume in der West 24th Street gestopft. Bekannte und oft gesehen Werke aus den Serien »Antiquities« (»L’origine du monde« über der Statuengruppe Pans, Aphrodites und Eros‹), »Ballon Venus« (eine bonbonbunte Venus von Willendorf), einer der »Hulks«, einige Ballonfiguren – kurz: das übliche Koons’sche Allerlei war hier versammelt und wirkte so deplatziert, wie eine wahllos erstellte Koons-Sammlung eben nur deplatziert wirken kann. Der Galerist wäre besser beraten gewesen, all diese dominanten Arbeiten nicht über einander herfallen zu lassen, sondern jeder ihren gebührenden Platz einzuräumen.
Schließlich war ein anderer Grund als das Kräftemessen mit Nachbar David Zwirner nicht zu erkennen. Die Gagosian Gallery beteuert zwar, daß es sich um »New paintings and sculptures« handle, wenigstens die Hälfte der ausgestellten Arbeiten wurden aber nachweislich zuvor schon gezeigt, darunter einige auch in der hierzulande bekannt gewordenen Doppelausstellung Koons‹ in der Frankfurter Schirn sowie im Liebighaus. Schade eigentlich, schließlich hätte man aus Koons‹ reichhaltigen Werkkorpus allemal eine sehenswerte Übersichtsausstellung schustern können.
Doch mit diesen Problemen brauchte sich David Zwirner nicht herumschlagen. Der hatte Koons‹ Offerte dankend angenommen und daraus ein eigenständiges Ausstellungskonzept entwickelt. Die nur wenige Meter entfernt gezeigten Skulpturen waren nicht nur allesamt neu, sie formten sogar eine eigenständige Werksserie. Da waren auch die Unannehmlichkeiten um die abgesagte Pressekonferenz und die mit reichlich Verspätung begonnene Eröffnung (wie so oft war noch nicht alles aufgebaut) bald entschuldigt und vergessen. Die in der West 19th Street geduldig wartende Menschenmenge nahm es jedenfalls gelassen, die Stimmung war von einhelliger Begeisterung geprägt.
Jeff Koons zeigt hier seine »Gazing Balls«, hochglanzpolierte Glaskugeln tief royalblauer Färbung, die auf diversen Gipsskulpturen tänzelnd deren Umrisse sowie die Umgebung nahezu perfekt spiegeln. Da balanciert eine überlebensgroße Hercules-Figur einen der Spiegelbälle auf seiner Schulter, trägt Dionysos einen solchen jongleursgleich auf dem Hinterhaupt, während die Kugeln andernorts auf Schneemännern und Briefkästen thronen. Sie fangen ein verzerrtes Panoramabild der Skulpturen, der umliegenden Wände, Lichter und auch der Besucher ein, metallisch blau und auch ein wenig unheimlich.
Die Amerikaner, insbesondere die Bewohner von Pennsylvania kennen ebenso wie ihr Landsmann Koons diese Gazing Balls von den Gärten und Verandas der Dörfer und Vororte, wo sie nicht nur als dekorative Alternative zum Kugelspiegel das Grundstück überblicken, sondern auch als beliebtes Anschauungsobjekt zur meditativen Kontemplation einladen. So heißt es jedenfalls. Koons begründet nämlich seine Faszination zu den Glaskugeln mit ihrem transzendenten Potential, »die Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit« zu ermöglichen, aber auch »die Bejahung, die Großzügigkeit, den Sinn für den Ort und die sinnlichen Freude« darzustellen. Man muss vielleicht in Pennsylvania aufgewachsen sein, um die Bedeutung dieser Worte verstehen zu können; für den Kunstgenuss kommt man allerdings glücklicherweise auch ohne diese speziellen Kenntnisse lokaler Folklore aus.
Schließlich haben die »Gazing Balls« als wiedererkennbare Koons-Skulpturen genug zu bieten. Die quietschbunten Hochglanzoberflächen finden sich hier ebenso wieder wie die vielfältigen Rückgriffe auf die klassische Bildhauerei, für die der Amerikaner als belesener Kenner gilt. Vorbei scheint jedoch die Zeit, in der eine Venus oder ein Dionysos mit einer dicken Lackschicht überzogen war. Hier bleibt nur ein einfacher Körper aus profanem Gips zurück, dessen metallische Haut abgezogen und zu einer Kugel verdichtet wurde. So erscheint die größte der Arbeiten, der Farnesische Hercules, einerseits mit seiner ikonisch hinweisgebenden Keule und Löwenfell, aber eben auch noch mit einer zweiten Haut, seiner eigenen. Darunter kommt ein imperfekter Körper zum Vorschein, dessen grobe Oberflächen und gratige Kanten eine gewisse Rohheit suggerieren. Solche und andere eigens modellierte Makel — einer anderen Skulptur fehlen gar die Zehen — fallen hingegen in der alles weichzeichnenden Spiegelung der »Gazing Balls« gar nicht erst auf.
Indem Jeff Koons aber die Gipsabformungen, zumindest aber ‑nachbildungen bekannter Darstellungen des altgriechischen und römischen Figurenrepertoires nutzt, verankert er seine »Gazing Balls« nicht nur in der Bildhauerei der Antike und Renaissance, sondern auch des 19. Jahrhunderts, in dem diese mithilfe solcher Abformungen vervielfältigt und studiert wurden. Man mag es dahingegen als pop-manieristischen Eigensinn eines Jeff Koons auffassen, daß sich unter all die bekannten Klassiker der Bildhauerei auch solch ordinäre Alltagsgegenstände wie Vogelbäder und Briefkästen mogelten, wird aber anerkennen müssen, daß Koons die Vereinbarung dieser so unvereinbar scheinenden Gegensätze spielend erreicht und damit die Gunst des amerikanischen Kunstgeschmacks aufs Neue für sich gewinnt.
Aber womöglich liegt hierin auch wieder einmal die bezaubernde Stärke des Amerikaners: Jenseits und diesseits des Atlantiks weiß er seine Anhänger, gleich ob kunsthistorisch versiert oder dem Charme des Pop erlegen, erneut einfach nur zu entzücken. Dafür, so waren sich die internationalen Besucherschar einig, hatte sich das lange Warten vor der Eröffnung gelohnt.