Seit einer Woche läuft die 55. Biennale di Venezia. Offiziell. Eigentlich habe ich das Gefühl, dass das ganze Gelände jetzt schon benutzt und halb kaputt ist. Wie viele der Goldmünzen aus dem russischen Pavillon schon fehlen, ist schwer zu sagen. Allerdings könnte es sein, dass bereits eine ganze Fuhre nachgeladen werden musste. Ein hoher Stapel aller weggeschmissenen und in Venedigs Hotels liegen gelassenen Kataloge, Pressemitteilungen, Press-kits, Flyer und vor allem Jutebeutel würde bis an die Decke des Palazzo Enzyclopedico reichen. Und alle, die aus Venedig heimkehren, machen bestimmt erstmal einen langen Mittagsschlaf.
Vom 28. bis 31. Mai finden die Previews und Pressetage anlässlich der Biennale di Venezia statt. Alle Pavillons und die von Massimiliano Gioni kuratierte Ausstellung sind für Besucher geöffnet. VIPs, Kuratoren, Direktoren und vor allem Journalisten kommen, um zu schauen.
Nach bereits drei Tagen Eröffnungsmarathon schließt der Schweizer Pavillon als einer der letzten seine Türen auf. Der Künstler Valentin Carron hat unter anderem einen Motorroller von Piaggio in den Pavillon gestellt. (Ach nein, Giovanni Carmine hat das gemacht. Er ist der Kurator der Ausstellung. Jeder Pavillon hat seinen eigenen Kurator, denn wer keinen Kurator hat, kommt heutzutage nicht mehr weit.) Für die Eröffnung wurden einige gelbe Jutebeutel produziert. Aufdruck: Das Moped. Diese gibt es kostenlos und nach einem Presse-Tag sind sie alle. Zur Eröffnung werden neue gedruckt. Nett von der Schweiz, aber Grund genug für Journalisten und Previewer, am Infotisch „ihre“ Tasche einzufordern. Nachdem sie sich durch eine Masse von Personen geschoben, fast ein Kunstwerk umgekippt und einige Kollegen grob beiseite gestoßen haben, wollen sie ja auch was mitnehmen, nach Hause. Sie finden es unglaublich, wenn keine Tasche mehr zur Verfügung steht. In der Regel genügt es, wortlos die Visitenkarte hinzuhalten und schwupps erhält man einen Beutel in allen Regenbogenfarben (sogar silber!). Darin sind Hefte, Flyer, Zettel, Kataloge, Schlüsselanhänger, transportable Aschenbecher und Schokodrops. Diese Previewer wollen kostenlose Sachen und zwar viele.
Pro Pavillon findet eine Pressekonferenz und eine Eröffnung statt. Eher sinnlose Veranstaltungen, zu denen trotzdem alle pilgern. Auf diesen Events wird eigentlich nichts gesagt, wenn doch jemand das Wort erhebt, hört man ihn oder sie nicht, weil alle so laut sind, weil sie sich kratzen, schieben, drücken und drängeln, um eine halbe Erdbeere abzubekommen oder einen Kartoffelchip. Italienische Kellnerstudenten tragen eine mobile Sektbar von Pavillon zu Pavillon. Da strömen dann alle hin, die ein Glas wollen und Lust haben, sich zu streiten.
Die meisten Leute gehen vor ihrer Fahrt nach Venedig einkaufen. Am besten bringt man auffällige Schuhe mit (bunt, hohe Sohlen und Absätze oder praktische Chelsea Boots in Gummistiefel-Optik), teure Designerkleidung (vier Nähte im Nacken, Muster anhand derer man den Designer erkennt oder auffällig wie die Schuhe) und Trenchcoats (ideal: Burberry). Eine Tasche braucht man nicht, denn am abgebrühtesten und eloquentesten ist, wer ohne Tasche geht und keinerlei Werbematerialien mitnimmt. Ein iPad unter dem Arm zeigt, dass man im Jahr 2013 angekommen und vielseitig beschäftigt ist.
Am Abend, wenn alle Eröffnungen vorbei sind und alle Konferenzen abgehalten wurden, finden etwa hundert Partys statt. Es gibt die verschiedensten Variationen von Pre-Drink über Cocktail-Reception bis zur normalen Party. Jedes Land feiert eine Party und man muss schnell rausfinden, welche die aufregendste ist, denn es wäre schlimm, die beste zu verpassen. Wenn man auf mehrere Veranstaltungen an einem Abend muss, empfiehlt sich ein Smartphone, das alle Straßen, Kanäle und Brücken der Stadt anzeigt, sonst findet man den Weg nicht schnell genug und steht – schon wieder – in einer Schlange.
Als ich schließlich eine ruhige Minute habe und zu Fuß die Promenade der Bacino di San Marco entlanglaufe, wundere ich mich, was man hier eigentlich mache. Unkultiviert, kompliziert und stressig. So ist es hier. Mir ist nicht ganz klar, was in den Köpfen der anderen vorgeht und ich muss wirklich noch darüber nachdenken, warum ich im Nachhinein finde, dass es Spaß gemacht hat.