Taschen, Kunst und Party

08. Juni 2013 von Marie Egger
Wie schaffe ich es, mir innerhalb von 3 Tagen 88 Pavillons und 1 Ausstellung mit über 150 beteiligten Künstlern anzusehen? Was mache ich, wenn dazu noch zahllose Vorträge und Events und zahllosere Partys im Terminkalender vermerkt sind? Und gibt es eine Karte, auf der alle Straßennamen und Brücken Venedigs korrekt vermerkt sind?

Vadim Zakharov: "Danae"; © Daniel Zakharov

Seit einer Woche läuft die 55. Bien­na­le di Vene­zia. Offi­zi­ell. Eigent­lich habe ich das Gefühl, dass das gan­ze Gelän­de jetzt schon benutzt und halb kaputt ist. Wie vie­le der Gold­mün­zen aus dem rus­si­schen Pavil­lon schon feh­len, ist schwer zu sagen. Aller­dings könn­te es sein, dass bereits eine gan­ze Fuh­re nach­ge­la­den wer­den muss­te. Ein hoher Sta­pel aller weg­ge­schmis­se­nen und in Vene­digs Hotels lie­gen gelas­se­nen Kata­lo­ge, Pres­se­mit­tei­lun­gen, Press-kits, Fly­er und vor allem Jute­beu­tel wür­de bis an die Decke des Palaz­zo Enzy­clo­ped­ico rei­chen. Und alle, die aus Vene­dig heim­keh­ren, machen bestimmt erst­mal einen lan­gen Mittagsschlaf.

Vom 28. bis 31. Mai fin­den die Pre­views und Pres­se­ta­ge anläss­lich der Bien­na­le di Vene­zia statt. Alle Pavil­lons und die von Mas­si­mi­lia­no Gio­ni kura­tier­te Aus­stel­lung sind für Besu­cher geöff­net. VIPs, Kura­to­ren, Direk­to­ren und vor allem Jour­na­lis­ten kom­men, um zu schauen.

Nach bereits drei Tagen Eröff­nungs­ma­ra­thon schließt der Schwei­zer Pavil­lon als einer der letz­ten sei­ne Türen auf. Der Künst­ler Valen­tin Car­ron hat unter ande­rem einen Motor­rol­ler von Piag­gio in den Pavil­lon gestellt. (Ach nein, Gio­van­ni Car­mi­ne hat das gemacht. Er ist der Kura­tor der Aus­stel­lung. Jeder Pavil­lon hat sei­nen eige­nen Kura­tor, denn wer kei­nen Kura­tor hat, kommt heut­zu­ta­ge nicht mehr weit.) Für die Eröff­nung wur­den eini­ge gel­be Jute­beu­tel pro­du­ziert. Auf­druck: Das Moped. Die­se gibt es kos­ten­los und nach einem Pres­se-Tag sind sie alle. Zur Eröff­nung wer­den neue gedruckt. Nett von der Schweiz, aber Grund genug für Jour­na­lis­ten und Pre­view­er, am Info­tisch „ihre“ Tasche ein­zu­for­dern. Nach­dem sie sich durch eine Mas­se von Per­so­nen gescho­ben, fast ein Kunst­werk umge­kippt und eini­ge Kol­le­gen grob bei­sei­te gesto­ßen haben, wol­len sie ja auch was mit­neh­men, nach Hau­se. Sie fin­den es unglaub­lich, wenn kei­ne Tasche mehr zur Ver­fü­gung steht. In der Regel genügt es, wort­los die Visi­ten­kar­te hin­zu­hal­ten und schwupps erhält man einen Beu­tel in allen Regen­bo­gen­far­ben (sogar sil­ber!). Dar­in sind Hef­te, Fly­er, Zet­tel, Kata­lo­ge, Schlüs­sel­an­hän­ger, trans­por­ta­ble Aschen­be­cher und Scho­ko­drops. Die­se Pre­view­er wol­len kos­ten­lo­se Sachen und zwar viele.

Pro Pavil­lon fin­det eine Pres­se­kon­fe­renz und eine Eröff­nung statt. Eher sinn­lo­se Ver­an­stal­tun­gen, zu denen trotz­dem alle pil­gern. Auf die­sen Events wird eigent­lich nichts gesagt, wenn doch jemand das Wort erhebt, hört man ihn oder sie nicht, weil alle so laut sind, weil sie sich krat­zen, schie­ben, drü­cken und drän­geln, um eine hal­be Erd­bee­re abzu­be­kom­men oder einen Kar­tof­fel­chip. Ita­lie­ni­sche Kell­ner­stu­den­ten tra­gen eine mobi­le Sekt­bar von Pavil­lon zu Pavil­lon. Da strö­men dann alle hin, die ein Glas wol­len und Lust haben, sich zu streiten.

Die meis­ten Leu­te gehen vor ihrer Fahrt nach Vene­dig ein­kau­fen. Am bes­ten bringt man auf­fäl­li­ge Schu­he mit (bunt, hohe Soh­len und Absät­ze oder prak­ti­sche Chel­sea Boots in Gum­mi­stie­fel-Optik), teu­re Desi­gner­klei­dung (vier Näh­te im Nacken, Mus­ter anhand derer man den Desi­gner erkennt oder auf­fäl­lig wie die Schu­he) und Trench­coats (ide­al: Bur­ber­ry). Eine Tasche braucht man nicht, denn am abge­brüh­tes­ten und elo­quen­tes­ten ist, wer ohne Tasche geht und kei­ner­lei Wer­be­ma­te­ria­li­en mit­nimmt. Ein iPad unter dem Arm zeigt, dass man im Jahr 2013 ange­kom­men und viel­sei­tig beschäf­tigt ist.

Am Abend, wenn alle Eröff­nun­gen vor­bei sind und alle Kon­fe­ren­zen abge­hal­ten wur­den, fin­den etwa hun­dert Par­tys statt. Es gibt die ver­schie­dens­ten Varia­tio­nen von Pre-Drink über Cock­tail-Recep­ti­on bis zur nor­ma­len Par­ty. Jedes Land fei­ert eine Par­ty und man muss schnell raus­fin­den, wel­che die auf­re­gends­te ist, denn es wäre schlimm, die bes­te zu ver­pas­sen. Wenn man auf meh­re­re Ver­an­stal­tun­gen an einem Abend muss, emp­fiehlt sich ein Smart­phone, das alle Stra­ßen, Kanä­le und Brü­cken der Stadt anzeigt, sonst fin­det man den Weg nicht schnell genug und steht – schon wie­der – in einer Schlange.

Als ich schließ­lich eine ruhi­ge Minu­te habe und zu Fuß die Pro­me­na­de der Baci­no di San Mar­co ent­lang­lau­fe, wun­de­re ich mich, was man hier eigent­lich mache. Unkul­ti­viert, kom­pli­ziert und stres­sig. So ist es hier. Mir ist nicht ganz klar, was in den Köp­fen der ande­ren vor­geht und ich muss wirk­lich noch dar­über nach­den­ken, war­um ich im Nach­hin­ein fin­de, dass es Spaß gemacht hat.