Als die Fotografen kamen, bot er ihnen das, wonach sie verlangten: Im Blitzlichtgewitter vollführte er eine Pose nach der anderen, gab sich hier als der smarte Geschäftsmann, umarmte dort eine der Skulpturen, war dann wieder der protzende Popeye und breitete natürlich immer wieder seine Arme aus, als flöge er der aufgeregt knipsenden Journalistenmenge entgegen. Daß Jeff Koons ein Überflieger ist, wussten alle der Anwesenden, und so kamen etliche Besucher in die Frankfurter Schirn, sei es zur Eröffnung oder in den folgenden Wochen und Monaten während der regulären Öffnungszeiten. Die in Partnerschaft mit dem Liebieghaus veranstaltete Doppelausstellung erreicht dieser Tage ihren Zenit. Zeit für ein Zwischenfazit über »Jeff Koons: The Painter«.
Nahezu die gesamte Ausstellungsfläche der Schirn wurde genutzt, um die oftmals mehrere Meter messenden Gemälde präsentieren zu können. Arbeiten wie »Lips«, welche 13 m2 misst, überspannen weite Teile der Wände, drängen sich fast auf, stehen letztlich in Konkurrenz zueinander und engen sich gegenseitig ein. Schließlich hat das dreiköpfige Kuratorengespann um Matthias Ulrich viel zu bieten: Erstmals werden in einer umfassenden Übersicht über Jeff Koons‹ malerisches Schaffen 44 Gemälde aus den Werkzyklen »Luxury & Degradation«, »Made in Heaven«, »Easyfun«, »Easyfun–Ethereal«, »Popeye«, »Hulk Elvis« und »Antiquity« gezeigt. Die Schirn komprimiert dieses Ensemble auf einen kurzen, aber sehr gehaltvollen Streifzug durch eine 26 Jahre währende malerische Entwicklung.
Dabei erlebt man Koons als einen vielseitigen Künstler, der vielerlei ästhetische und rhetorische Figuren sowohl der Kunst, als auch der Werbung und der Alltagskultur entnimmt. Dabei könnten die Methoden der künstlerischen Aneignung kaum unterschiedlicher sein: Sein hyperrealistisches »Bracelet« verschmilzt mit einer folienartigen Unterlage, versinkt fast in einem dicken, pinken Zuckerbad, während der Großteil der weiteren ausgestellten Arbeiten diverse Motive malerisch collagieren und gelegentlich skizzenhaft ergänzen. Die Serie »Easyfun-Ethereal« spitzt die hyperrealistische Collage zu, wenn sie so viele Elemente zitiert und arrangiert, daß die vielen Bildebenen in einem konsumistischen Chaos münden. Dagegen treten in der Serie »Hulk Elvis« im Zitat der Pop-Ästhetik Roy Lichtensteins die bekannten Benday Dots in kaum mehr kenntlicher Überhöhung auf, um durch wild gestikuliertem Farbauftrag wieder in den Hintergrund gestellt zu werden. Diese reichhaltige Formvielfalt findet ihren Niederschlag in einem vergleichsweise überschaubaren Themenspektrum, das, wie die Ausstellung zeigt, mithilfe dieser ästhetischen und rhetorischen Figuren immer wieder neu dekliniert wird.
Die älteste der gezeigten Serien, »Luxury & Degradation«, appropiiert Werbeplakate diverser Spirituosen, die Koons in der New Yorker Subway der Achtziger fand. Die Serie entwirft anhand des Maßes der Abstraktion ein soziales Gefälle: In seiner Bild- und Konsumkritik eignet sich Jeff Koons die Readymades in malerischer Kopistenarbeit an und zeigt allein durch die Auswahl der Vorlagen und ihrer Fundorte, daß einige Getränke wie Liköre oder Whisky gegenüber Rum und Cognac sowohl auf Graduationen der bildlichen Abstraktion als auch der Zielgruppen abzielen. Koons fasst es selbst zusammen: »Es war, als ob sie die Abstraktion nutzten, um dich zu erniedrigen, weil sie dich immer erniedrigen wollen.”
Noch im nächstjüngeren Werkzyklus »Made in Heaven«, der kunsthistorisch geläufige Kompositionsmodelle für pornographische Darstellungen des Künstlers und seiner damaligen Lebensgefährtin, der italienischen Pornodarstellerin Ilona Staller, als Adam und Eva anwendet, bleibt diese hyperrealistische Malweise erhalten. Die skandalträchtigen Arbeiten, die, wie Koons in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2007 erklärt, die »Ursünde« und der kulturellen Befreiung von dieser Lesart als »kollektive Erfahrung« beinhalten, blieben in der Schirn jedenfalls nur einem erwachsenen Publikum zugänglich. Zu schwer lastete wohl die Befürchtung, der Jugendschutz könne ein konservatives Verständnis von Kunst und Pornographie geltend machen.
In den ebenfalls ausgestellten Serien »Easyfun« und »Easyfun-Ethereal« treten erstmals collagierte Motive auf. Am Computer entworfene und arrangierte Stapel diverser Bildausschnitte, die Koons aus unterschiedlichen Medien entnahm und um eigene Quellen ergänzte, wurden großformatig und in fotorealistischer Detailtreue vor wechselnden Landschaftsmotiven gemalt. Maiskörner und Cornflakes fliegen über die Bildebene, Haarbüschel und Ströme süßer Säfte klatschen schwungvoll über die Leinwände, des Weiteren allerorts freigestellte Lippenpaare, Augen, Perücken, Unterwäsche oder kirschbekrönte Sahnelöffel. So formieren sich überwältigende Cluster aufgereinigter rhetorischer und Bildfiguren der Werbung und Produktkommunikation, deren Konkurrenz zueinander in einem kaum zu überschauenden Chaos zuwider laufender konsumistischer Floskeln eskaliert. Die in knalligen Farben gehaltene, in ihrer süßlichen Schwere und überwältigenden Dimensionen aufdringliche Komposition offenbart jedoch die Schwächen ihrer vermeintlich hyperrealistischen Iteration der allgegenwärtigen Werberhetorik, wenn unter näherer Betrachtung Konturen verschwimmen und Strukturen in milchigen Flächen verlaufen. Die stark an James Rosenquist erinnernden Gemälde erwecken Mißtrauen gegenüber den Versprechen der dargestellten Konsumgüter, wenn sie den süßen Anschein als faden Abglanz offenbaren.
Auch in den weiteren ausgestellten Serien Koons werden die beiden Themenkomplexe der Sexualität (mit aufdringlichen Verweisen auf Courbet’s »L’Origine du monde« in »Antiquity« und »Hulk Elvis«) und der Ikonologie des Konsums weiter ausgearbeitet. In einigen Gemälden finden sich auch die bekannten Skulpturen des Künstlers wieder, von denen einige nicht weit entfernt im Liebieghaus gezeigt werden. Auch sonst wird wild zitiert: auf Dalí und auf Duchamp, auf Jacques Villeglé und auf Michelangelo, Magritte, Pollock und sicherlich einige andere mehr. Mitunter wirkt das viele Paraphrasieren als gezwungener Selbstzweck, Koons selbst sieht darin lediglich die Bestätigung archaischer Formen und Motive. Auch hier setze sich der Readymade-Gedanke fort und so man möchte meinen, Koons mache keinen Unterschied zwischen einem ordinären Badespielzeug und Schlüsselwerken der Kunstgeschichte. Insbesondere das »Antiquity 3«, bekräftigt diesen Eindruck, wenn Koons bekannte Kitsch-Episoden seines eigenen Schaffens im Vordergrund, kunsthistorische Abbildungen und Verweise jedoch im Hintergrund platziert. So keimt schnell der Vorwurf auf, Koons sähe sich bereits in der Folge einer langen und glorreichen Kunstgeschichte und setze sich auch noch an deren Spitze.
Die Kuratoren der Schirn indes geben dem Künstlerego viel Raum und versäumen es, kritische Stimmen an Koons Werk und Person Gehör zu verschaffen. Denn während der skulpturale Teil der Doppelausstellung im Liebieghaus durch seine gelungene kuratorische Einbindung in die Dauerausstellung die vielfältigen Bezüge zur Kunstgeschichte wunderbar hervorhebt und somit immerhin eine Diskussionsgrundlage bietet, nimmt der malerische Teil auf der anderen Mainseite die Ansprüche und Gebärden Koons‹ kommentarlos hin. Einen Überblick über 26 Jahre Malerei aus dem Hause Koons gibt sie, allerdings, zudem einen umfassenden, doch nicht immer profitiert eine Ausstellung, wenn ein Künstler so losgelöst und unwidersprochen präsentiert wird wie am Römerberg. Das vermag an der Klasse eines Jeff Koons kaum zu rütteln, stellt sie jedoch leider in einem zu engen Licht dar. Erst im Halbschatten, da, wo der Amerikaner seine Ansprüche behaupten muss (und vermutlich auch kann!), wird es interessant.