Ihr seid nicht mehr allein.

07. Mai 2013 von Matthias Planitzer
Die Berliner Kunstwelt kann das Künstlerprekariat nicht länger ignorieren.

Bereits am ersten Tag der Aktion "Macht Kunst" wurden 345 Arbeiten eingereicht. Dann war kein Platz mehr.

Das Ber­li­ner Kunst­pu­bli­kum über­rann­te vor weni­gen Tagen zwei­er­lei Groß­ver­an­stal­tun­gen: Rich­tig, ein­mal das Gal­lery Weekend, das – wenig über­ra­schend – erneut sei­nen Dreh- und Angel­punkt im Kunst­ka­len­der behaup­te­te; sowie in der Alten Mün­ze die Prä­sen­ta­ti­on des zwei­ten und weit­aus grö­ße­ren Teils der Arbei­ten, die infol­ge des Auf­rufs der Deut­schen Bank Kunst­Hal­le ein­ge­reicht wur­den. Wäh­rend also das eine Publi­kum über die Hot­spots der hohen Kunst fla­nier­te, such­te das ande­re Alt-Ber­lin auf. Man kam sich kaum in Berüh­rung. Kunst­macht und »Macht Kunst« trenn­ten Wel­ten voneinander.

In einer Stadt, die im In- und Aus­land gern als Welt­haupt­stadt der Kunst gefei­ert wird, zumin­dest aber als der Wall­fahrts­ort all jener in der Kunst bekannt ist, die etwas auf sich hal­ten, könn­te der Gegen­satz nicht grö­ßer sein: An jenem Wochen­en­de wur­de auch der letz­te Skep­ti­ker davon über­zeugt, daß sich in Ber­lin zwei Kunst­sphä­ren berüh­ren, die zwar auch in der rest­li­chen Welt koexis­tie­ren, aber viel­leicht nur hier so hart aufeinandertreffen.

Ein alter Hut, wird man sagen. Ins­be­son­de­re der Stadt­teil Neu­kölln ist längst als Künst­ler­dorf bekannt, in das vie­le jun­ge, hip­pe Men­schen zie­hen, die hier den Geist der Stun­de wit­tern. Bis­her muss­te man jedoch mit Blick auf das künst­le­ri­sche Schaf­fen kon­sta­tie­ren, daß in die­sem Vier­tel nicht viel los war (Das Gro­ße­vent 48h Neu­kölln gab all­jähr­lich ein unfrei­wil­li­ges Zeug­nis ab). Bis­her war man sich einig, daß die­se jun­gen Krea­ti­ven zwar aus allen Welt­ge­gen­den in die­ses Künst­ler­ghet­to schwärm­ten, jedoch kaum ein ech­tes Talent, kaum ein viel­ver­spre­chen­der Indi­vi­dua­list die­sen nur auf Spar­flam­me bren­nen­den Schmelz­tie­gel wie­der ver­ließ. Was die Kunst anging, blieb das Stadt­vier­tel bis­her gesichts‑, laut- und schließ­lich auch bedeu­tungs­los. Bis­her: das heißt, nach alten Urteils­kri­te­ri­en. Das soll­te sich nun ändern.

Mit einem Geschenk an die Ber­li­ner insze­nier­te die Deut­sche Bank nun den Neu­be­ginn ihrer Kunst­Hal­le: Ein jeder war ein­ge­la­den, ein Kunst­werk ein­zu­rei­chen, das dann auch aus­ge­stellt wür­de. Man kann davon aus­ge­hen, daß etli­che aus Neu­kölln kamen. Immer­hin reis­te manch einer sogar aus Ham­burg an. Denn ver­mut­lich war dies für vie­le Kunst­schaf­fen­de die ein­ma­li­ge Gele­gen­heit, eines ihrer Wer­ke in einem Aus­stel­lungs­raum hän­gen zu sehen. Der Auf­ruf traf auf offe­ne Ohren, so viel ist sicher. Die Bilanz beein­druckt: 2135 Bil­der wur­den gezeigt, 6000 Besu­cher kamen am ers­ten Tag, unzäh­li­ge wei­te­re zur kurz­fris­tig anbe­raum­ten Ver­län­ge­rung, die den bei­spiel­lo­sen Erfolg noch ein­mal in den Schat­ten stell­te. Publi­kum und Fach­ju­ry zeich­ne­ten acht Künst­ler aus. Die Kunst­Hal­le konn­te indes mit »Macht Kunst« auf eine wirk­sa­me PR-Akti­on zurückblicken.

Die­sen Erfolg, die Freu­de und die Begeis­te­rung der Teil­neh­mer und Besu­cher kann kei­ner schmä­lern. Das Künst­ler­pre­ka­ri­at blüh­te auf. Doch im Schat­ten des Estab­lish­ments, das zeit­gleich auf dem Gal­lery Weekend Homo ludens spiel­te, trägt auch die­se zar­te Pflan­ze wel­ke Blät­ter. Die Preis­trä­ger wür­den hier kei­ne Sekun­de bestehen. Zu ordi­när, zu harm­los, for­mal ungesättigt.

Die­ser Blick aus olym­pi­schen Sphä­ren kann auch loh­nend sein, denn er offen­bart, in wel­cher Kri­se die Ber­li­ner Kunst­sze­ne schon seit Jah­ren steckt. Gewiss, die Stadt bringt noch immer Neu­es her­vor, das sich welt­weit durch­set­zen kann. Im Mor­gen­rot der im Fer­nen Osten auf­ge­hen­den Son­ne mag ihr Licht schwin­den, aber noch zeich­nen sich die Ten­den­zen in Ber­lin früh ab. Doch davon kann hier nicht die Rede sein, denn die Kri­se der Kunst steckt in ihrem Kern. Ber­lin scheint wie ein hel­ler Stern am Hori­zont, der sich auf dem zwei­ten Blick als ein Komet offen­bart, in des­sen Schweif er sei­ne Anhän­ger­schaft nach sich zieht.

Das Anse­hen als Kunst­stadt ist aber auch ihr Ver­häng­nis. Von über­all her strö­men die Leu­te an die Spree, sie hören das Ver­spre­chen und ver­su­chen ihr Glück. Ein wah­rer Gold­rausch. Dann las­sen sie sich an den Ufern des Kunst-Klon­di­ke nie­der und bean­spru­chen ihren Teil. Viel­leicht wird ein Gale­rist auf­merk­sam. Oder gar ein Samm­ler. Die meis­ten blei­ben jedoch unbe­merkt. Das Stadt­bild Ber­lins wird auch durch sie mit­ge­prägt, die den Ber­li­ner Traum des Ganz-groß-Raus­kom­mens hoff­nungs­voll wei­ter­spin­nen und nach außen ver­brei­ten. Dann wer­den die Bio­gra­phien jun­ger, talen­tier­ter Künst­ler ange­führt, die schon früh in den höchs­ten Krei­sen ver­kehr­ten, mit Lob und Preis über­häuft wur­den und als­bald inter­na­tio­nal aus­stell­ten. Aber auch sol­che strah­len­den Ster­ne las­sen die Mas­se in kei­nem bes­se­ren Licht erscheinen.

Tausende machten Kunst: Die Schlange stand zeitweilig bis zum Bebelplatz.

Tau­sen­de mach­ten Kunst: Die Schlan­ge stand zeit­wei­lig bis zum Bebelplatz.

Die­se Bot­schaft ist sicher­lich kei­ne Neu­ig­keit. Sie wird vie­len längst bekannt sein. In ihr fin­det sich viel­leicht auch der Grund, war­um man oben nicht viel von unten hält. Man geht sich aus dem Weg. Gefähr­lich wird es erst dann, wenn sich eine all­ge­mei­ne Arro­ganz ein­stellt, die das künst­le­ri­sche Schaf­fen der vie­len Namen­lo­sen in ihrem Kern angreift, wenn aus der Untaug­lich­keit für den Kunst­markt die Untaug­lich­keit als Kunst abge­lei­tet wird. Wich­ti­ger als das per­sön­li­che Urteil ist jedoch die Fra­ge, was dies für die Stadt bedeu­tet. Denn wie man sich auch dazu posi­tio­niert, man wird nicht bestrei­ten kön­nen, daß die künst­le­ri­sche Qua­li­tät im Ber­li­ner Kunst­mek­ka sei­nem Ruf weit nach­steht. In ande­ren Berei­chen ver­hält es sich mit dem Eli­ta­ris­mus nicht anders; zum Ver­gleich soll die Gas­tro­no­mie die­nen: Wenn das klei­ne Schwarz­wald­städt­chen Bai­er­s­bronn die höchs­te Dich­te an Miche­lin-Ster­nen auf­weist, heißt das nicht, daß auch die Cur­ry­wurst­bu­de Hau­te Cui­sine ser­viert. Das heißt: Nicht alles, was aus Ber­lin kommt, ist auch her­vor­ra­gend. Das heißt aber auch: Vie­les, was nicht her­vor­ra­gend ist, hat trotz­dem sei­ne Berechtigung.

Die Mar­ke Ber­lin kann im Aus­land noch gut funk­tio­nie­ren, inner­städ­tisch muss man jedoch kri­tisch Bli­ckes beob­ach­ten, wie schwin­den­de Qua­li­tät eine Abson­de­rung der Mas­se von den eta­blier­ten Gale­rien vor­an­treibt. Die­se neh­men näm­lich nach wie vor eine Gate­kee­per-Rol­le für die geho­be­nen Krei­se wahr, sind Rich­ter über Qua­li­tät und Rele­vanz. Außen vor bleibt jedoch das ste­tig wach­sen­de Heer an Jung­künst­lern, das sich in sei­ner Welt aus Pop-Up-Gal­le­ries, Ein-Tages-Aus­stel­lun­gen und Ate­lier­schau­en immer wei­ter im Krei­se dreht. Eine Par­al­lel­ge­sell­schaft bil­det sich aus, die an Grö­ße längst das Estab­lish­ment über­ragt, sich aber man­gels Ein­fluss und Teil­ha­be immer wei­ter auf­bläst und den Ruf der Stadt immer wei­ter hin­aus trägt. Noch kön­nen die Kunst und jene, die Gewinn aus ihr schöp­fen, die­ses Image zu ihrem Vor­teil nut­zen. Das wird jedoch eines Tages vor­bei sein.

Manch einer fürch­tet die Kunst­bla­se plat­zen, ein ande­rer reagiert gelas­sen und weiß: Alles hat sei­ne Zeit. Ber­lin sah sei­ne gro­ßen Tage und es wird auch sei­ne ruhi­gen Tage sehen. Auch wenn der Hype eines Tages wie­der abebbt, wird es in die­ser Stadt Künst­ler geben, die gut und erfolg­reich Kunst schaf­fen. Wer jedoch fragt, wohin die Rei­se geht, wer fragt: »Quo vadis, Ber­lin?«, der hat die­se Zeit nicht ver­stan­den. Denn nach dem Ster­ben der Avant­gar­de gibt es kei­ne Rich­tung mehr, kei­ne Gewiss­hei­ten, nur vie­le Fra­gen. Das, was wir heu­te sehen, ist nichts ande­res als noch im letz­ten Jahr­hun­dert – mit dem Unter­schied, das heu­te nicht mehr im Salon, son­dern auf dem Podi­um und im öffent­li­chen Raum debat­tiert wird. Dis­kur­se und Sti­le ent­ste­hen und ver­ge­hen in der Kunst; in ihrer Nach­hut folgt die kul­tu­rel­le Auf­ar­bei­tung bis in den Lai­en­be­reich hin­ein. Zur Zeit der Avant­gar­dis­ten galt dies als Kitsch. Heu­te jedoch, wo die Kunst kei­ne Pio­nie­re mehr kennt, wo Ten­den­zen sich über län­ge­re Zeit her­aus­bil­den, fällt es schwer, Kunst von Kitsch zu unterscheiden.

Kein Meta­nar­ra­tiv, aber auch kei­ne eklek­ti­zis­ti­sche Nost­al­gie kön­nen da noch einen Anhalt bie­ten. In einer Zeit, die seit der Jahr­tau­send­wen­de jähr­lich neue tief­grei­fen­den Kri­sen sah – die öffent­li­che Sicher­heit, Umwelt, Finan­zen, die Ara­bi­schen Staa­ten, ja, das Kon­zept der Demo­kra­tie, aber auch unse­re Medi­en­kul­tur und das Inter­net waren und sind im Umbruch –, haben die alten Maxi­men aus­ge­dient. Wäh­rend die Wol­ken­wan­de­rer noch immer stur den For­men und Kon­zep­ten nach­sin­nen, reagiert eine jun­ge, ver­netz­te und hier­ar­chie­lo­se Künst­ler­schaft mit einer Stra­te­gie des Fra­gens und For­schens, immer auf der Suche nach Lösun­gen, Aus­we­gen und Gewiss­hei­ten. Wer noch vor fünf­zehn Jah­ren dem über­heb­li­chen Irr­tum auf­saß, daß Ber­lin der Mit­tel­punkt der Kunst­welt dar­stel­le, wird heu­te ein­se­hen müs­sen, daß die­se Fra­gen nur glo­bal beant­wor­tet, daß die­se Pro­ble­me nur in der Welt­öf­fent­lich­keit gelöst wer­den kön­nen. Es bedeu­tet für die Kunst aber auch, daß sich die Eli­ten auf einen prag­ma­ti­schen Dia­log mit der Mas­se ein­stel­len müs­sen, wenn sie wei­ter­hin rele­vant sein möchten.

Vor die­sem Hin­ter­grund bleibt jedoch unge­klärt, ob die in Ber­lin gewach­se­nen Struk­tu­ren – das Kunst­es­t­ab­lish­ment auf der einen und die mehr­heit­lich zuge­zo­ge­nen, jun­gen Künst­ler­scha­ren auf der ande­ren Sei­te – fle­xi­bel genug sind, um die­sen Wan­del gemein­sam zu bestrei­ten. Andern­falls droht die­ser Stadt das, was man ihr mit­un­ter auch wün­schen möch­te: Es wür­de bald sehr ruhig.

Die Deutsche Bank lockte viele Berliner an. Wer sein Bild einreichen wollte, musste stundenlang warten.

Die Deut­sche Bank lock­te vie­le Ber­li­ner an. Wer sein Bild ein­rei­chen woll­te, muss­te stun­den­lang warten.