Als Ólafur Elíasson vor sieben Jahren sechs Tonnen Eis aus dem Jökulsárlón, einem malerischen Gletschersee des isländischen Vatnajökuls, schöpfte und in das ferne Berlin verschiffte, da war dies vor allem ein konservatorischer Akt. Denn erst wenige Jahre zuvor, 2002, schmolz dem Dänen isländischer Herkunft das Eis unter den Händen und unter der Linse weg; »Melting Ice Series« dokumentierte in zwanzig Fotografien das Verschwinden des Jahrhunderte, teils Jahrtausende alten Gletschereises. Fünf Jahre später sollte dieses Malheur nicht mehr geschehen. Elíasson ergriff umfangreiche Maßnahmen: Der Ausstellungsraum der Galerie neugerriemschneider war während der vierten Berlin Biennale mit dicken Styroporplatten isoliert und durch ein laut dröhnendes Kühlaggregat auf sechs Grad unter dem Gefrierpunkt abgekühlt worden. Der Stromverbrauch der vierwöchigen Ausstellung wurde indes nicht bekannt. »Your waste of time« hätte schließlich, wenn man den Blick einmal von der globalen Eisschmelze auf die ursächliche Erderwärmung lenkte, ebenso gut »Your waste of energy« oder auch »Your waste of climate« heißen können. Vielleicht war dies der Grund, warum ihm im folgenden Jahr dann noch einmal ein Eisberg wegschmolz, »Melting ice on Gunnar’s land«, also ausgerechnet dort, wo Elíasson seine erste Ausstellung hatte. Der Künstler war sichtlich in einem Dilemma gefangen, die Kapitulation vor der Klimaerwärmung nahe. So weit kam es jedoch glücklicherweise nicht.
Der Däne entdeckte in der Zwischenzeit die Vorzüge der Solarenergie, schickte sich sogar an, einige Entwicklungsländer mit seiner Little Sun zu erleuchten, und so fand er schließlich auch eine geeignete Stromquelle für seinen Kühlraum. In seiner letzten Installation im MoMA PS1, wo am Freitag die »EXPO 1: New York« eröffnet wurde, sorgen unzählige auf dem Dach des Gebäudes angebrachte Solaranlagen bei sommerlichem Wetter für die nötige Kühlung des immerhin rund fünfzig Quadratmeter großen Eisschranks. »Your waste of time« ist mit einem Mal nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung und wird somit zu einem idealen Beispiel für die Ausstellung, viel mehr: das Festival, das sich den ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit widmet. Das sind: die Erderwärmung und ihre Folgen, aber auch die Wirtschafts- und Finanzkrisen der vergangenen Jahre, die politischen und technologischen Revolutionen unserer unsteten Zeit. Die Brisanz des Themas war schließlich so groß, daß dem leitenden Kurator Klaus Biesenbach eine simple Ausstellung nicht genügte. Außenstellen im MoMA sowie in Rockaway Beach, eine Kolonie, eine Schule und ein Kino, dazu ein ausgedehntes Programm an Vorträgen, Diskussionen und Performances sollten »die Ausstellung zu einem sozialen Projekt« werden lassen. Allein, so die frühe Einsicht Biesenbachs, könnte ein solches Projekt nicht gestemmt werden. Mit der Hilfe sechs weiterer, teils namhafter Kuratoren stellte er die Expo auf, die auch Weltausstellung, zumindest aber eine Ausstellung für die Welt sein will. Die Idee war bereits einige Jahre lang gereift, als schließlich der Entschluss zur Durchführung getroffen wurde. Die Zeit drängte. Wie dringend das Thema war, offenbarte sich in einer Telefonkonferenz mit Hans-Ulrich Obrist und den übrigen Kuratoren, die am Abend des 29. Oktober 2012 stattfand. Der Tropensturm Sandy erreichte zu diesem Zeitpunkt die amerikanische Ostküste, störte zunächst die Verbindung, führte später zu einem Stromausfall in Biesenbachs New Yorker Wohnung.
Stand die Großausstellung, wie Obrist sie nennt, anfangs unter keinem guten Stern, so war es jedoch schließlich der Förderung durch Volkswagen zu verdanken, daß EXPO 1 realisiert werden konnte. Der Konzern, der nach eigenen Angaben jährlich elf Milliarden Dollar für Kultur und nachhaltige Projekte aufwende, habe, so MoMA-Direktor Glenn D. Lowry, es den Ausstellungsmachern erlaubt »zu träumen«. Auch auf der Seite des Automobilbauers gab man sich betont dankbar. Vorstandsmitglied Hans Dieter Pötsch erklärte, dieses »erste Highlight der Partnerschaft« mit dem Museum sei »eines der ambitioniertesten ökologischen Projekte«, »eine Investition in die Welt, in der wir leben«. Einig darüber, daß EXPO 1 »nicht nur über Ästhetik, sondern auch über das Leben der Menschen« sei, fügte Biesenbach im Anschluß hinzu, daß ebenfalls nicht Performance Art, der künstlerische Schwerpunkt des MoMA PS1, »sondern soziale Praxis« im Vordergrund stünde. Der angebrachte Vergleich mit Joseph Beuys’ Free International University war zwar kühn gewählt, doch kam Obrists Verweis auf Alexander Dorners kuratorische Idee eines Ausstellungsraumes als Laboratorium dem Wesen des Festivals näher. Denn tatsächlich kann man über EXPO 1 nicht wie über eine Ausstellung sprechen, die durch einige angeschlossene Veranstaltungen ergänzt wird. Der Ausstellungsteil im MoMA PS1 stellt zwar das Kernstück, doch aber nur einen Teil des Festivals dar, das sich neben der künstlerischen Strategie auch durch Lehre, Unterhaltung und soziale Angebote an die Besucher richtet. Das allgegenwärtige Credo der ökologischen Werte findet selbst im hauseigenen Restaurant M. Wells Dinette seine Anwendung, wenn dort die Ernte des auf dem Dach des Gebäudes angepflanzten Gemüses und Obst verarbeitet wird. Urban Gardening ist zwar in Williamsburg ein Massenphänomen, daß man aber deswegen Kunst äße, wie Biesenbach es behauptet, ist nicht nachvollziehbar.
Vielleicht erinnerte ihn der Dachgarten seines Ausstellungshauses an das Weizenfeld, das Agnes Denes 1982 am Battery Park, nur unweit der Wall Street und des World Trade Centers anpflanzte. Auf mehr als 8000m2 wuchs das Getreide, das bei der Ernte mehr als tausend Pfund auf die Waagschale brachte. Gewiss, ein Hinweis auf die Entfremdung von Stadt und Land, Konsumenten und Produzenten, finanziellen und ganz natürlichen Bedürfnissen, die vielleicht hier am Big Apple so groß ist wie nirgends in den Vereinigten Staaten. Während eines Sommers gewann das Feld viele begeisterte Anhänger und erstaunte Passanten, manch einem kamen bei der Ernte sogar die Tränen. Andere wussten, was mit dem Weizen anzufangen sei: Denes solle die Ernte auf der Getreidebörse anbieten oder Agrarsubventionen beantragen, doch diesen Sarkasmus wollte sie nicht mittragen, sie wollte lediglich auf die »verschobenen Prioritäten und die verkommenen menschlichen Werte« hinweisen. In einer Zeit der Krisen und Katastrophen scheint Agnes Denes als einsame, frühe Ruferin in der Wüste, deren Prophezeiung, so vermittelt es das Ausstellungsprogramm EXPO 1, nun dreißig Jahre später in einem angemessen dystopischen Rahmen als erfüllt betrachtet wird. Doch ohne Hoffnung, das wusste auch Denes, gibt es keinen Ansporn zur Besserung. Die Kuratoren sehen darin jenen »dark optimism«, der einst von der Redaktion von Triple Canopy geprägt und nun zum Leitthema des Ausstellungsteils wurde. Dieser düstere Optimismus schärft den Blick für eine Welt vor ihrem Untergang, aber auch vor ihrer Neugeburt. Biesenbach sieht darin explizit eine historische Komponente: »Die Ausstellung erkennt das Scheitern utopischer Ideale der Moderne, bewahrt sich jedoch gleichzeitig die Hoffnung, dass menschliche Innovation den Wunsch nach einer besseren Zukunft hervorbringt.« Die Ausflucht in die Technologie als Ausweg aus den Versprechen der Moderne stellt lediglich den mutigen Pragmatismus einer jungen, amerikanischen Generation dar, während die Europäer unter dem Vorzeichen der Metamoderne innehalten, abwägen, sich aber auch in ihrer Verwirrung nicht vor und nicht zurück bewegen. Ohne zwischen den beiden Reaktionen auf den anhaltenden Krisenzustand zu unterscheiden, offenbart EXPO 1 unfreiwillig diese scharfe inhaltliche Trennung, wenn auf ein europäisches Beispiel der Kontemplation und zuweilen der Verzweiflung –: Mircea Cantor, Ólafur Eliasson, Klara Lidén (die Berlin hier ein besonderes Denkmal setzt), Mark Manders – ein amerikanisches der Kühnheit und gelegentlich der Einfalt folgt (Mark Dion, John Miller, Tabor Robak, Meg Webster).
Dieser Kontrast fördert bisweilen interessante Konstellationen, wenn etwa die von einer einschüchternden Schwere befallenen Staub- und Müllskulpturen Peter Buggenhouts auf die fernen Klänge der Videoarbeit der Shanzhai Biennial (Cyril Duval, Babak Radboy und Avena Gallagher) treffen, die eine chinesische Interpretation Sinead O’Connors »Nothing compares to you« durch das Gebäude schickt. Während der Belgier mit gravitätischem Schwarz und beklemmendem Bombast operiert, setzen die in New York lebenden und arbeiten Künstler einige Räume weiter auf das Stilmittel der sarkastischen Entfremdung. Auf einem mit unzähligen LED bestückten Vorhang spielen sie »Shanzhai Biennial № 2«, in welcher mit reichlich Witz und auch etwas Spott Marken und ihre Produkte durch Abklatsch und Kopie appropriiert werden. Wenn die chinesische Sängerin in einer erstklassigen Gala-Vorstellung nicht nur O’Connors Hit im Nonsens-Chinesisch vorträgt, sondern auch noch ein Kleid vorführt, welches das Logo einer Shampoo-Marke ziert, deren Flaschen mit der Figur der Sängerin verglichen werden, dann ist das gleichzeitig urkomisch und wunderschön, herzerweichend und bissig zugleich. Allein für den wohltuend frischen Geist, mit dem Shanzhai Biennial die EXPO 1 beleben, lohnt es sich, die zehn Dollar für den Eintritt investiert zu haben. Mehr noch, die eingängige Beschäftigung mit dem Künstlertrio und ihrer Muse Wu Ting Ting offenbart bald einen konzeptuellen Hintergrund, der Kunst und Konsumerismus so gekonnt verbindet und gegenseitig ad absurdum führt, daß man mit Fug und Recht von bühnenreifer Komik sprechen kann.
Die namensgebende chinesische Plagiatskultur Shanzhai wurde allerdings nicht etwa als dark optimism verbucht, sondern taucht im Rahmen der ebenfalls an EXPO 1 beteiligten Kleinausstellung »ProBio« auf, welche Körper im technologischen Zeitalter untersucht. Gentransfer, Biosoftware und intelligente Prothetik sind dort die Stichworte einer kybernetischen Zukunftsvision, die Teil eines transhumanistischen Körperbildes darstellt. Wie sich »Shanzhai Biennial № 2« in diesen Kontext einfügt, ist zwar unklar, passt jedoch recht gut in das mediale Gewusel der übrigen illustren Arbeiten. Dann sucht eine Roboterhand nach einem sich windenden Vibrator (Ian Cheng: »ABAX SILURIA«), werden Haut und Fleisch zu Brillianten geschliffen (Dina Chang: »Flesh Diamonds«), nebenan modellierte Schädel und Gesichter gezeigt (Josh Kline: »L«, der zudem »ProBio« kuratierte) oder gleich vollständig neue Körperteile entworfen (Alisa Barenboym: »Travel Impression«). Samt und sonders hübsche Arbeiten, insgesamt bleibt »ProBio« aber eher allgemein, spricht die Themen an, führt sie aber nicht weiter aus. Einen Stelarc, einen Eduardo Kac oder eine Orlan vermisst man zwar, so wird »ProBio« aber dem schwierigen Anspruch gerecht, EXPO 1 frei von akademischer Detailversessenheit als massentaugliches Lehrstück zu gestalten. Ein solches, so muss man resümieren, ist die EXPO 1 auch geworden. Die vielen Vorträge und Diskussionen, das Filmprogramm, der VW Dome — ein Gemeindezentrum in Rockaway Beach -, der Rain Room für alle Kinder und Spielbegeisterte, sowie die Architektenkolonie setzen an allen Enden an, um umfassend über die Herausforderungen unserer Zeit und Strategien zu ihrer Bewältigung aufzuklären. Der Aufruf – und damit schließt sich dann doch der Kreis zu Joseph Beuys – hat klar die Errichtung einer sozialen Plastik im Blick. Keine 7000 Eichen, aber immerhin den Anstoß einer öffentlichen Diskussion über die hier angemahnten Themen. Man darf gespannt sein, wie die New Yorker dieses einmalige Angebot aufnehmen.