Candida Höfers inszenierte Realität

03. März 2012 von Maria Sitte
Ein Triumph über die Illusion der Wirklichkeit
Candida Höfer: "Neues Museum Berlin XII 2009", 2009, C-print, gerahmt - framed.  180 x 213 cm - 71 x 84 in..Edition 4/6Can­di­da Höfer: »Neu­es Muse­um Ber­lin XII 2009«, 2009, C‑print, gerahmt — framed. 180 x 213 cm — 71 x 84 in..Edition 4/6

Wir freu­en uns, den fol­gen­den Arti­kel unse­rer Gast­au­torin Maria Sit­te bei Cas­tor & Pol­lux prä­sen­tie­ren zu dür­fen: Sie hat für uns Can­di­da Höfers erwar­tungs­voll anti­zi­pier­te und ges­tern in der Joh­nen Gale­rie eröff­ne­te Aus­stel­lung »Neu­es Muse­um Ber­lin« unter die Lupe genom­men und eini­ge Beob­ach­tun­gen über die Natur von Rea­li­tät und Illu­si­on in Höfers Werk gesammelt.

Gesto­chen scharf, sodass es fast schon weh tut. Nir­gends fin­det sich auch nur ein Hauch von Unschär­fe wie­der. Jedes bun­te Mosa­ik­stein­chen, jeder Zie­gel­stein des Neu­en Muse­ums Ber­lin lässt sich auf den Foto­gra­fien von Can­di­da Höfer haar­ge­nau mit dem Blick abtas­ten und brennt sich, im posi­ti­ven Sin­ne, auf unse­rer Netz­haut ein. Man wird von die­ser schein­ba­ren Hyper­rea­li­tät in einen Bann gezo­gen, vor des­sen trü­ge­ri­scher Exis­tenz uns bereits Fou­cault zu war­nen versuchte.

Can­di­da Höfer arbei­tet in Seri­en, digi­tal, und wid­met sich seit meh­re­ren Jah­ren inten­siv dem Motiv Archi­tek­tur, ins­be­son­de­re Innen­räu­men. Es lässt sich eine Strin­genz und Kon­ti­nui­tät,  ein roter Faden in der Aus­wahl ihrer Moti­ve erken­nen. So fokus­siert sich die Künst­le­rin haupt­säch­lich auf Muse­en, Kon­zert­sä­le, Schlös­ser, Kir­chen, Biblio­the­ken usw. – Räu­me der Reprä­sen­ta­ti­on, der Arbeit, der Kontemplation.

Die in der Joh­nen Gale­rie erst­mals aus­ge­stell­ten Arbei­ten stam­men aus der Serie „Neu­es Muse­um“ Ber­lin, an der Höfer bereits 2009 arbei­te­te. Das im 19. Jahr­hun­dert errich­te­te Muse­ums­ge­bäu­de wur­de nach sei­ner teil­wei­sen Zer­stö­rung im Zwei­ten Welt­krieg vor weni­gen Jah­ren nach Plä­nen des bri­ti­schen Star­ar­chi­tek­ten David Chip­per­field restau­riert und zu neu­em Leben erweckt. Höfers Auf­nah­men ent­stan­den unmit­tel­bar nach der Restau­rie­rung und kurz bevor die Muse­ums­be­stän­de erneut Ein­zug in die her­ge­rich­te­ten Räum­lich­kei­ten hiel­ten. Ein sel­te­ner Aus­nah­me­zu­stand also, den sie damit ein­zu­frie­ren vermochte.

Candida Höfer: "Neues Museum Berlin XXII 2009", 2009, C-print, gerahmt - framed.  180 x 247,3 cm - 71 x 97.5 in. Edition 2/6Can­di­da Höfer: »Neu­es Muse­um Ber­lin XXII 2009«, 2009, C‑print, gerahmt — framed. 180 x 247,3 cm — 71 x 97.5 in. Edi­ti­on 2/6

So sind bei­spiels­wei­se der mytho­lo­gi­sche Saal, der Nio­bi­den­saal oder auch der Nord­kup­pel­saal offen­sicht­lich mit den moder­nen, Chipperfield’schen Ergän­zun­gen zu sehen, teil­wei­se unmö­bliert, nackt und roh. Am Bei­spiel des Süd­kup­pel­saals mit den zwei Göt­ter­fi­gu­ren lässt sich das ganz­heit­li­che „Alt-Neu“–Prinzip der Höfer-Serie exem­pla­risch durch­ex­er­zie­ren. Chip­per­fields typisch kla­res, zurück­hal­ten­des For­men­ver­ständ­nis des Bodens und der Mit­tel­wand­plat­ten, ohne wuls­tig anmu­ten­den Schnick-Schnack, kon­tras­tiert mit den dar­über befind­li­chen, über 100 Jah­re alten, roten Zie­gel­stein­rei­hen, die sich in der Höhe zu einem robus­ten Gewöl­be über dem qua­dra­ti­schen Saal zusam­men­schlie­ßen. Die fest­ge­hal­te­ne, bau­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung des Neu­en Muse­ums Ber­lin kul­mi­niert in den Foto­gra­fien so zu einem in Ein­klang gebrach­ten his­to­ri­schen Dokument.

Die­ses For­men­ver­ständ­nis könn­te man, wenn man so will, auf Höfers 1973 begon­ne­nes Stu­di­um bei Bernd und Hil­la Becher an der Kunst­aka­de­mie Düs­sel­dorf zurück­füh­ren. Eben­so kühl und distan­ziert wie die por­trät­haf­ten Schwarz-Weiß Foto­gra­fien der Indus­trie­bau­ten und Fach­werk­häu­ser des Künst­ler­paa­res kom­men auch Höfers Auf­nah­men daher. Erzielt wird die­ser Effekt durch die gleich­blei­ben­de Bild­schär­fe inner­halb der jewei­li­gen Foto­gra­fie, die auf­fal­lend cha­rak­te­ris­tisch für Höfers Werk ist. Es exis­tiert kei­ne Unschär­fe, die ein ein­zel­nes Detail beson­ders her­vor­he­ben wür­de. Auf­grund die­ser bild­li­chen Klar­heit fal­len axia­le Bezü­ge, Raum­fluch­ten, Ord­nung oder Glie­de­rung der Muse­ums­räu­me durch Säu­len, Flie­sen, Ecken und Kan­ten, oder gar archi­tek­to­ni­sche Stil-Brü­che beson­ders auf. Die kla­re Bild­schär­fe erzielt beim Betrach­ter die Kon­zen­tra­ti­on sei­ner Wahr­neh­mung auf alle Ele­men­te glei­cher­ma­ßen. Dem Betrach­ter wird klar, wie sich die Ein­rich­tung zur Archi­tek­tur und die Nut­zung der Räu­me verhält.

Candida Höfer: "Neues Museum Berlin VI 2009", 2009, C-print, gerahmt - framed.  160 x 115 cm - 63 x 45.5 in. Edition 2/6Can­di­da Höfer: »Neu­es Muse­um Ber­lin VI 2009«, 2009, C‑print, gerahmt — framed. 160 x 115 cm — 63 x 45.5 in. Edi­ti­on 2/6

Obwohl es sich stets um öffent­li­che, in der Regel gut besuch­te Plät­ze han­delt, zeigt Höfer die Orte immer men­schen­leer. Stil­le und Distanz brei­ten sich aus. Und genau dar­in liegt auch der Knack­punkt ihrer Foto­gra­fien. Die­se Lee­re ist ver­rä­te­risch und lässt den Betrach­ter ins Zwei­feln kom­men, ob es sich tat­säch­lich um rein doku­men­ta­ri­sche Auf­nah­men han­delt. Haben wir öffent­li­che Biblio­the­ken oder Muse­en wirk­lich jemals so ver­las­sen vor­ge­fun­den? Selten.

Eine nicht ganz unwe­sent­li­che Rol­le neh­men dabei die vor­herr­schen­den Licht­ver­hält­nis­se ein. Aus­schließ­lich in ein­fal­len­des Tages­licht getaucht, strah­len die räum­li­chen Auf­nah­men des Neu­en Muse­ums eine nahe­zu pit­to­res­ke, fast künst­li­che Qua­li­tät aus, die die ver­wir­ren­de Wir­kung komplettieren.

Doku­men­ta­risch sind die Foto­gra­fien in dem Sin­ne, dass sie die His­to­ri­zi­tät der Orte im Hier und Jetzt fest­hal­ten. Künst­le­risch hin­ge­gen wir­ken sie – und das irri­tiert – auf­grund des distan­zier­ten, gerich­te­ten Blicks, dem unper­sön­li­chen, foto­gra­fi­schen Moment, der in gewis­ser Wei­se insze­niert erscheint. Man gerät ins Grü­beln und gelangt zu der rhe­to­ri­schen Fra­ge: Wo gibt es schon einen his­to­ri­schen Ort oder Geschich­te ohne Menschen?

Höfers Foto­gra­fien oszil­lie­ren letzt­lich zwi­schen die­sem doku­men­ta­ri­schen und künst­le­ri­schen Cha­rak­ter einer insze­nier­ten Rea­li­tät. Fast hät­te man sich von dem scharf­sin­ni­gen Medi­um Foto­gra­fie in einem Augen­blick ver­har­ren­der Unacht­sam­keit hin­ters Licht füh­ren las­sen. Selbst­ver­ständ­lich han­delt es sich um die alte Ein­sicht, dass nichts so ist wie es scheint und wir dank Fou­cault mit der mul­ti­plen Natur der Wahr­hei­ten sogar gut damit leben kön­nen. Den­noch ver­kör­pern die Foto­gra­fien Can­di­da Höfers den scharf­sin­ni­gen Tri­umph über die Illu­si­on der Wirklichkeit.