Die Auflösung des Raumes

18. Januar 2012 von Matthias Planitzer
Wie Yutaka Makino die Wahrnehmung der Besucher herausfordert
Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYuta­ka Maki­no: The con­di­ti­ons of the pro­cess, daad­ga­le­rie 2011, © Yuta­ka Makino

Die­ser Arti­kel erschien am 15. Janu­ar im KUNST Maga­zin, in mei­ner Rei­he Das Schluß­wort.

Auf dem Weg zur Aus­stel­lung, wur­de die um die­se Zeit im Dun­kel des frü­hen Abends ver­träumt lie­gen­de Zim­mer­stra­ße nur von einer Hand­voll schumm­ri­gen Later­nen und dem gespens­tisch küh­len Licht der hie­si­gen Abriß­stel­le beschie­nen. Der Weg führ­te ent­lang ent­kern­ter Beton­flu­re, in denen gele­gent­lich die fer­nen Bau­ge­räu­sche wider­hall­ten, direkt auf den Hin­ter­hof des Gebäu­des der Num­mern 90 und 91. An Absperr­git­tern tas­te­te ich mich dort­hin vor, hielt zunächst vor der tief klaf­fen­den Schutt­gru­be und dem dar­über thro­nen­den Beton­ske­lett inne, um mich schnell wie­der zu besin­nen und nach dem Hin­ter­ein­gang der Gale­rie zu suchen. »Bit­te anklop­fen«, stand da an der Türe und nach eini­ger Zeit öff­ne­te eine ver­träumt blin­zeln­de Assis­ten­tin und bat hin­ein. Ich sol­le mich doch freund­li­cher­wei­se die Über­schu­he anzie­hen, wegen des Schmut­zes. Bit­te auch das Han­dy aus­schal­ten. Dann deu­te­te sie auf die schma­le Türe und ver­schwand wie­der in den engen, hoch­ge­zo­ge­nen Gängen.

In dem Aus­stel­lungs­raum des Deut­schen Aka­de­mi­schen Aus­tausch­diens­tes, der daad­ga­le­rie, wür­de der ehe­ma­li­ge Sti­pen­di­at Yuta­ka Maki­no sei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen haben. Mit Licht und Klang lote er die Gren­zen der mensch­li­chen Wahr­neh­mung aus, so viel ver­sprach bereits die Ankün­di­gung. Ob die eigen­tüm­li­che Kulis­se ent­lang des Weges hier­her auch dazu gehör­te? Es bleibt jeden­falls nicht aus­ge­schlos­sen, doch die eigent­li­che Aus­stel­lung stand immer­hin noch bevor.

Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYuta­ka Maki­no: The con­di­ti­ons of the pro­cess, daad­ga­le­rie 2011, © Yuta­ka Makino

So öff­ne­te ich also die schma­le Tür und blick­te in die düs­te­re Lee­re. Das weni­ge Licht, das sich von außen hin­ein ver­irr­te und nicht von der gäh­nen­den Dun­kel­heit ver­schluckt wur­de, fiel auf graue Schaum­stoff­wän­de. Spä­ter wur­de klar: Kein Geräusch soll­te die­sen Gang ver­las­sen, kein Geräusch soll­te von außen ein­drin­gen kön­nen. Doch vor­erst dien­te das flau­schi­ge Mate­ri­al als wei­ches Pols­ter zum Schutz vor unver­meid­li­chen Zusam­men­stö­ßen. So tas­te­te ich mich durch die gewun­de­nen Gän­ge, vor­sich­tig und bedacht, neu­gie­rig auf die Din­ge, die kom­men sollten.

Ich ließ mir bewusst Zeit, denn schließ­lich wür­den sich die Augen an die Dun­kel­heit gewöh­nen und immer­hin sche­men­haft sehen kön­nen. Tat­säch­lich schien die Fins­ter­nis bald hel­ler zu wer­den: Mit jeder wei­te­ren Win­dung, die der schma­le Gang voll­zog, fiel es den Augen leich­ter, sich durch das Laby­rinth zu tas­ten; hin­ter jeder Ecke wur­de es immer hel­ler, bis plötz­lich glei­ßend hel­les Licht her­vor­brach und die Augen betäubte.

Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYuta­ka Maki­no: The con­di­ti­ons of the pro­cess, daad­ga­le­rie 2011, © Yuta­ka Makino

Ein eigen­tüm­li­cher Schmerz set­ze ein. Es schien, als brann­ten die Netz­häu­te unter dem alles über­wäl­ti­gen­den Licht. Der gan­ze Raum war davon erfüllt: Strah­lend wei­ße Wän­de, Boden und Decke. Selbst die Heiz­kör­per waren mit einer wei­ßen Ver­klei­dung aus­ge­stat­tet. Aus der Decke ergoß sich durch drei fens­ter­ar­ti­ge Leuch­ten das glei­ßen­de Licht in den Raum, das, dar­in gefan­gen, sich immer wei­ter anzu­fül­len schien. So ver­schwam­men vor dem Auge jeg­li­che Kon­tu­ren: die Kan­ten und Ecken des Rau­mes waren eben­so wenig aus­zu­ma­chen wie die Ent­fer­nung der Wän­de und des Bodens. Wenn man ein­mal das Blin­zeln auf­gab und sich der Hel­lig­keit hin­gab, schien der Raum tat­säch­lich unend­lich zu sein. Dann schweb­ten die Füße im Nichts und die Hän­de ver­san­ken im ewi­gen Nebel des Lichts, ehe sie eine der leicht ange­rau­ten Wän­de berüh­ren und gleich­sam mit den Augen abtas­ten konnten.

Yuta­ka Maki­no hat mit »The con­di­ti­ons of the pro­cess« einen Nicht-Raum erschaf­fen. Mit sei­nen Gren­zen ver­schwimmt auch sei­ne Dimen­sio­na­li­tät. Sei­ne Struk­tur ver­liert sich, sobald man ihn nicht mehr abschrei­tet. Erst im Inne­hal­ten über­schrei­tet er sei­ne phy­si­sche Umgren­zung und ver­liert sich in einem undif­fe­ren­zier­ba­ren Nichts, das sich hin­ter den unmerk­li­chen Sei­ten­flä­chen aus­dehnt. Doch wäre die­se räum­li­che Agno­sie nicht genug, Maki­no bean­sprucht auch das Hör­emp­fin­den der Besu­cher. Ein zunächst kaum merk­li­cher, hoch oszil­lie­ren­der Sinus­ton schwingt im Raum. Es scheint, als reso­nie­re das Licht in Inte­re­fe­renz­mus­tern, stark genug, um einen hör­ba­ren Ton zu erzeu­gen. Bald jedoch, wenn die Augen den Nicht-Raum um sie her­um ange­nom­men haben, wird die­ser umso mehr durch das immer stär­ker tönen­de Geräusch durch­drun­gen, fängt es ein und wird letzt­lich eins mit ihm. Raum und Geräusch gehen dadurch in einem äthe­ri­schen Gan­zen auf: sei­ne akus­ti­sche Prä­senz ver­bin­det sich mit der räum­li­chen Inexis­tenz zu einer extra­di­men­sio­na­len Omnipräsenz.

Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYuta­ka Maki­no: The con­di­ti­ons of the pro­cess, daad­ga­le­rie 2011, © Yuta­ka Makino

Yuta­ka Maki­no expe­ri­men­tiert mit der Wahr­neh­mung der Besu­cher. Mit ein­fachs­ten Mit­teln – Raum, Licht und Ton –, Klar­heit und metho­di­scher Strin­genz erschafft er eine über­wäl­ti­gen­de Emp­fin­dung und reiht »The con­di­ti­ons of the pro­cess« sti­lis­tisch zu Cars­ten Höl­lers »Light wall« oder der Instal­la­tio­nen Ryo­ji Ikedas ein. Wo Olaf­ur Eli­as­son mit den­sel­ben Mit­teln ver­zau­bert, setzt eine vor­nehm­lich japa­nisch gepräg­te Künst­ler­schaft auf Über­for­de­rung. Aus Deutsch­land kennt man ähn­lich Erstaun­li­ches etwa durch das Bei­spiel Cars­ten Nico­lais »Pio­neer II«, jener hell schei­nen­der und dumpf dröh­nen­der Bal­lons auf der nea­po­li­ta­ni­schen Piaz­za Ple­bi­s­ci­to. Ikeda und – wie es scheint – Maki­no set­zen die audio­vi­su­el­len Mit­tel für ihre Instal­la­tio­nen jedoch wesent­lich redu­zier­ter ein. Sie abs­tra­hie­ren sie auf eine ste­ril anmu­ten­de Rein­heit, die wie­der­um aus Sci­ence-Fic­tion (»THX-1138«, »2011: A space odys­sey«) bekannt ist.

Doch ihre Instal­la­tio­nen sind mehr als das. Sie suchen nicht die Nähe zu einer zeit­li­chen, tech­ni­schen oder gesell­schaft­li­chen Ein­ord­nung, ganz im Gegen­teil, sie ent­fer­nen sich sogar davon oder lösen sich gänz­lich aus sol­chen Mus­tern her­aus. Bereits die Aus­stel­lungs­ar­chi­tek­tur ver­wirk­licht einen bedeu­ten­den Teil die­ser Abkehr von allem Äuße­ren, wenn sie für eine her­me­ti­sche Abrie­ge­lung des Aus­stel­lungs­rau­mes von Gale­rie, Stra­ße und Stadt sorgt und so einen Mikro­kos­mos erschafft, der sich in sich selbst neu model­liert oder gar negiert. Tran­sit­zo­nen wie etwa die düs­te­ren Win­dun­gen in »The con­di­ti­ons of the pro­cess« erleich­tern die Über­füh­rung des Fremd­kör­pers »Besu­cher« von der einen Sphä­re in die ande­re. Auf die­se Wei­se wer­den sol­che Instal­la­tio­nen über­haupt erst erfahr­bar, denn wäre ihre Abschot­tung nicht in einer sol­chen Per­fek­ti­on aus­ge­führt, wür­de das fra­gi­le Raum­ge­bil­de in sich zusammenbrechen.

Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYuta­ka Maki­no: The con­di­ti­ons of the pro­cess, daad­ga­le­rie 2011, © Yuta­ka Makino

Die Kunst Yuta­ka Maki­nos wie auch ins­be­son­de­re Ryo­ji Ikedas besticht in ihrem syn­äs­the­ti­schen Grenz­gän­ger­tum und der küh­len, rei­nen und tech­ni­schen Note, mit der die­ses erreicht wird. So ist es auch nicht ver­wun­der­lich, daß bei­de aus der expe­ri­men­tel­len Musik kom­men, die elek­tro­ni­sche, hoch­auf­ge­rei­nig­te Klän­ge nach kon­zep­tio­nel­len Mus­tern und fern­ab von Tona­li­tät und Rhyth­mus arran­giert. Auch hier loten sie die Gren­zen der Wahr­neh­mung aus und gelan­gen zu erstaun­li­chen Illu­sio­nen und Kon­zep­ten. Für die­ses Gen­re bedeut­sam waren ins­be­son­de­re Ikedas Alben »+/-« von 1996 und »Test Pat­tern«, wel­ches 2008 beim hier­für füh­ren­den Label Ras­ter Noton erschien, das wie­der­um von Cars­ten Nico­lai ins Leben geru­fen wur­de. Hier schließt sich der Kreis und grenzt ein sti­lis­tisch dich­tes Gebiet aus Klang, Kunst und Klang­kunst ein, für das nicht zuletzt auch Yuta­ka Maki­nos Aus­stel­lung in der daad­ga­le­rie exem­pla­risch steht.

Wäh­rend der Stil Maki­nos und Ikedas in Japan bereits eine gewis­se Popu­la­ri­tät erfah­ren hat, konn­te er im Aus­land noch kei­ne ver­gleich­ba­ren Erfol­ge ver­zeich­nen. Bis­her kam Euro­pa nur in Form ein­zel­ner Aus­stel­lun­gen in direk­ten Kon­takt damit, eine Über­sichts­schau etwa blieb aus. Glück­li­cher­wei­se haben die Ber­li­ner zu Jah­res­be­ginn gleich zwei­mal die Gele­gen­heit, die­se eigen­tüm­li­che Kunst ken­nen­zu­ler­nen: Yuta­ka Maki­nos Aus­stel­lung in der daad­ga­le­rie wird am 22. Janu­ar mit einer abschlie­ßen­den Per­for­mance been­det, ehe vom 28. Janu­ar bis 9. April Ryo­ji Ikeda den Ham­bur­ger Bahn­hof bespie­len wird.