Dieser Artikel erschien am 15. Januar im KUNST Magazin, in meiner Reihe Das Schlußwort.
Auf dem Weg zur Ausstellung, wurde die um diese Zeit im Dunkel des frühen Abends verträumt liegende Zimmerstraße nur von einer Handvoll schummrigen Laternen und dem gespenstisch kühlen Licht der hiesigen Abrißstelle beschienen. Der Weg führte entlang entkernter Betonflure, in denen gelegentlich die fernen Baugeräusche widerhallten, direkt auf den Hinterhof des Gebäudes der Nummern 90 und 91. An Absperrgittern tastete ich mich dorthin vor, hielt zunächst vor der tief klaffenden Schuttgrube und dem darüber thronenden Betonskelett inne, um mich schnell wieder zu besinnen und nach dem Hintereingang der Galerie zu suchen. »Bitte anklopfen«, stand da an der Türe und nach einiger Zeit öffnete eine verträumt blinzelnde Assistentin und bat hinein. Ich solle mich doch freundlicherweise die Überschuhe anziehen, wegen des Schmutzes. Bitte auch das Handy ausschalten. Dann deutete sie auf die schmale Türe und verschwand wieder in den engen, hochgezogenen Gängen.
In dem Ausstellungsraum des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der daadgalerie, würde der ehemalige Stipendiat Yutaka Makino seine Spuren hinterlassen haben. Mit Licht und Klang lote er die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung aus, so viel versprach bereits die Ankündigung. Ob die eigentümliche Kulisse entlang des Weges hierher auch dazu gehörte? Es bleibt jedenfalls nicht ausgeschlossen, doch die eigentliche Ausstellung stand immerhin noch bevor.
Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoSo öffnete ich also die schmale Tür und blickte in die düstere Leere. Das wenige Licht, das sich von außen hinein verirrte und nicht von der gähnenden Dunkelheit verschluckt wurde, fiel auf graue Schaumstoffwände. Später wurde klar: Kein Geräusch sollte diesen Gang verlassen, kein Geräusch sollte von außen eindringen können. Doch vorerst diente das flauschige Material als weiches Polster zum Schutz vor unvermeidlichen Zusammenstößen. So tastete ich mich durch die gewundenen Gänge, vorsichtig und bedacht, neugierig auf die Dinge, die kommen sollten.
Ich ließ mir bewusst Zeit, denn schließlich würden sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen und immerhin schemenhaft sehen können. Tatsächlich schien die Finsternis bald heller zu werden: Mit jeder weiteren Windung, die der schmale Gang vollzog, fiel es den Augen leichter, sich durch das Labyrinth zu tasten; hinter jeder Ecke wurde es immer heller, bis plötzlich gleißend helles Licht hervorbrach und die Augen betäubte.
Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoEin eigentümlicher Schmerz setze ein. Es schien, als brannten die Netzhäute unter dem alles überwältigenden Licht. Der ganze Raum war davon erfüllt: Strahlend weiße Wände, Boden und Decke. Selbst die Heizkörper waren mit einer weißen Verkleidung ausgestattet. Aus der Decke ergoß sich durch drei fensterartige Leuchten das gleißende Licht in den Raum, das, darin gefangen, sich immer weiter anzufüllen schien. So verschwammen vor dem Auge jegliche Konturen: die Kanten und Ecken des Raumes waren ebenso wenig auszumachen wie die Entfernung der Wände und des Bodens. Wenn man einmal das Blinzeln aufgab und sich der Helligkeit hingab, schien der Raum tatsächlich unendlich zu sein. Dann schwebten die Füße im Nichts und die Hände versanken im ewigen Nebel des Lichts, ehe sie eine der leicht angerauten Wände berühren und gleichsam mit den Augen abtasten konnten.
Yutaka Makino hat mit »The conditions of the process« einen Nicht-Raum erschaffen. Mit seinen Grenzen verschwimmt auch seine Dimensionalität. Seine Struktur verliert sich, sobald man ihn nicht mehr abschreitet. Erst im Innehalten überschreitet er seine physische Umgrenzung und verliert sich in einem undifferenzierbaren Nichts, das sich hinter den unmerklichen Seitenflächen ausdehnt. Doch wäre diese räumliche Agnosie nicht genug, Makino beansprucht auch das Hörempfinden der Besucher. Ein zunächst kaum merklicher, hoch oszillierender Sinuston schwingt im Raum. Es scheint, als resoniere das Licht in Intereferenzmustern, stark genug, um einen hörbaren Ton zu erzeugen. Bald jedoch, wenn die Augen den Nicht-Raum um sie herum angenommen haben, wird dieser umso mehr durch das immer stärker tönende Geräusch durchdrungen, fängt es ein und wird letztlich eins mit ihm. Raum und Geräusch gehen dadurch in einem ätherischen Ganzen auf: seine akustische Präsenz verbindet sich mit der räumlichen Inexistenz zu einer extradimensionalen Omnipräsenz.
Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoYutaka Makino experimentiert mit der Wahrnehmung der Besucher. Mit einfachsten Mitteln – Raum, Licht und Ton –, Klarheit und methodischer Stringenz erschafft er eine überwältigende Empfindung und reiht »The conditions of the process« stilistisch zu Carsten Höllers »Light wall« oder der Installationen Ryoji Ikedas ein. Wo Olafur Eliasson mit denselben Mitteln verzaubert, setzt eine vornehmlich japanisch geprägte Künstlerschaft auf Überforderung. Aus Deutschland kennt man ähnlich Erstaunliches etwa durch das Beispiel Carsten Nicolais »Pioneer II«, jener hell scheinender und dumpf dröhnender Ballons auf der neapolitanischen Piazza Plebiscito. Ikeda und – wie es scheint – Makino setzen die audiovisuellen Mittel für ihre Installationen jedoch wesentlich reduzierter ein. Sie abstrahieren sie auf eine steril anmutende Reinheit, die wiederum aus Science-Fiction (»THX-1138«, »2011: A space odyssey«) bekannt ist.
Doch ihre Installationen sind mehr als das. Sie suchen nicht die Nähe zu einer zeitlichen, technischen oder gesellschaftlichen Einordnung, ganz im Gegenteil, sie entfernen sich sogar davon oder lösen sich gänzlich aus solchen Mustern heraus. Bereits die Ausstellungsarchitektur verwirklicht einen bedeutenden Teil dieser Abkehr von allem Äußeren, wenn sie für eine hermetische Abriegelung des Ausstellungsraumes von Galerie, Straße und Stadt sorgt und so einen Mikrokosmos erschafft, der sich in sich selbst neu modelliert oder gar negiert. Transitzonen wie etwa die düsteren Windungen in »The conditions of the process« erleichtern die Überführung des Fremdkörpers »Besucher« von der einen Sphäre in die andere. Auf diese Weise werden solche Installationen überhaupt erst erfahrbar, denn wäre ihre Abschottung nicht in einer solchen Perfektion ausgeführt, würde das fragile Raumgebilde in sich zusammenbrechen.
Yutaka Makino: The conditions of the process, daadgalerie 2011, © Yutaka MakinoDie Kunst Yutaka Makinos wie auch insbesondere Ryoji Ikedas besticht in ihrem synästhetischen Grenzgängertum und der kühlen, reinen und technischen Note, mit der dieses erreicht wird. So ist es auch nicht verwunderlich, daß beide aus der experimentellen Musik kommen, die elektronische, hochaufgereinigte Klänge nach konzeptionellen Mustern und fernab von Tonalität und Rhythmus arrangiert. Auch hier loten sie die Grenzen der Wahrnehmung aus und gelangen zu erstaunlichen Illusionen und Konzepten. Für dieses Genre bedeutsam waren insbesondere Ikedas Alben »+/-« von 1996 und »Test Pattern«, welches 2008 beim hierfür führenden Label Raster Noton erschien, das wiederum von Carsten Nicolai ins Leben gerufen wurde. Hier schließt sich der Kreis und grenzt ein stilistisch dichtes Gebiet aus Klang, Kunst und Klangkunst ein, für das nicht zuletzt auch Yutaka Makinos Ausstellung in der daadgalerie exemplarisch steht.
Während der Stil Makinos und Ikedas in Japan bereits eine gewisse Popularität erfahren hat, konnte er im Ausland noch keine vergleichbaren Erfolge verzeichnen. Bisher kam Europa nur in Form einzelner Ausstellungen in direkten Kontakt damit, eine Übersichtsschau etwa blieb aus. Glücklicherweise haben die Berliner zu Jahresbeginn gleich zweimal die Gelegenheit, diese eigentümliche Kunst kennenzulernen: Yutaka Makinos Ausstellung in der daadgalerie wird am 22. Januar mit einer abschließenden Performance beendet, ehe vom 28. Januar bis 9. April Ryoji Ikeda den Hamburger Bahnhof bespielen wird.