© Satch Hoyt
In einem kleinen norditalienischen Dorf fand im vergangenen Jahr eine Ausstellung statt, die fast in Vergessenheit geraten wäre. Eine Sammlerin lud hierzu in ihre versteckt liegende Villa, die einst im Stile der neuen Sachlichkeit gebaut wurde. Obgleich Arbeiten von einigen namhaften internationalen Künstlern zu sehen waren, war die Ausstellung doch wenig spektakulär, ja, man musste sogar nach ihr suchen. Grund dafür war, daß die eingeladenen Künstler nicht etwa ihre neusten Arbeiten direkt aus dem Atelier einfliegen ließen, sondern die vorgefundene Situation in dem Haus für sich nutzten. Da wechselten etwa Einrichtungsgegenstände ihren Platz oder es wurden rohe Eier auf dem Parkettboden zerschellt. Kunst und Alltag gingen eine enge Verschränkung ein, wodurch auf Seiten des Besuchers große Unsicherheit herrschte: Was war als Kunst beabsichtigt? Was nur Zufall? Was gar nichtig und bedeutunglos? Dies war im Einzelnen nicht immer ohne Hilfe von Außen erkenntlich.
Diese etwas andere Form der Found Art, die hier die Grundlage eines Kurationskonzepts darstellte, fügte sich zeitlich wunderbar in die immer noch anhaltende Debatte zur Revision bestehender Kurationsmodelle ein und experimentierte auf einem ihrer wesentlichen Felder: Die Frage nach den elementaren formalen Rahmenbedingungen, die ein Objekt von seinem Hintergrund isolieren, als Kunst deklarieren und gegen äußere Eingriffe auf diesen status quo schützen. Bisher war die dadurch privilegierte Stellung des Kunstwerks v.a. mithilfe der nach außen und innen hin neutralisierenden Kräfte des White Cube gewahrt, doch durch die Verwischung der rezeptiven Grenzen wie etwa in jener Villa ist die Integrität des Kunstwerks als Besonderes oder gar Abgesondertes gegenüber seiner Umwelt (örtlich wie ideell gedacht) im Kern bedroht worden.
Einen weiteren Vorstoß in diese Richtung kann man nun auch verfolgen, ohne dafür aufwendige Reisen auf sich nehmen zu müssen. Gestern eröffnete nämlich im Herzen Berlins, in einer Kleingartenkolonie am Gleisdreieck, die Ausstellung »Stay hungry«, die nach vier unterschiedlichen Previews in den letzten Monaten nun ihren vorläufigen Abschluss findet. Zwanzig künstlerische Annäherungen an diesen ungewöhnlichen Ausstellungsort können noch bis zum 29. Mai entdeckt und exploriert werden. Doch eines sei vorweg gesagt: Manch ein Kunstwerk stützt sich mehr auf die Kraft der Deklaration statt der des Wesens.
Am einfachsten macht es dem Besucher Satch Hoyt: Der Brite greift zu bunten Eimern, um eine schlank aufragende Skulptur nach Brancusi’schem Vorbild zu errichten. Dieser Hinweis ist unmissverständlich: Hierbei soll es sich ganz klar um Kunst handeln und so ist es auch zu erklären, daß im Gegensatz zu den restlichen Arbeiten kein Schild darauf hinweist, daß man sich hier bitte auf das Ergebnis der künstlerisch inspirierten Schöpfung einzustellen hat. Das Thema der Kleingartenkolonie taucht ebenfalls auf und so wähnt man schnell eine kurzweilige Satire auf die gut bekannte Vorlage.
Man kann sich aber auch auf tiefer gehende Fragen einlassen: Funktioniert Hoyts Idee auch im Galerien-Setting oder ist sie nur in einem solchen Umfeld realisierbar? Daraus folgt schnell die Frage nach der Hierarchie der künstlicheren Darstellung: Bedingt das Kunstwerk die formalen Aspekte seiner Ausstellung, ist es einem kurativen Interesse untertan oder kann ihm nur in einer neutralen Umgebung genügend Rechnung getragen werden? Damit wird neben den Prinzipien des White Cubes und der kollaborativen Themenausstellung eine weitere Dimension gedacht, die das Kunstwerk ein ganzes Stück weiter ins Zentrum rückt. Hoyt jedenfalls gibt keine klare Antwort auf diese substanziellen Fragen; stattdessen überlässt er das Urteil dem, der es ohnehin am Ende fällen muss: dem Betrachter.
(Künstler unbekannt)
Dagegen muss eine von Bauarbeitern auf einer unbebauten Teilfläche der Kleingartenanlage vergessene, trocken als »Broken rope« betitelte Rohrverkleidung ihre Berechtigung als Kunstgegenstand gründlicher nachweisen. Kein kunsthistorischer oder ‑theoretischer Hinweis ist auszumachen, außer der, daß es sich um Found Art handeln könne (müsse?). Dieses Argument für ihren künstlerischen Wert erscheint jedoch schwach und so überwiegt letztlich die Annahme, daß hier ein profaner Gegenstand als Kunst deklariert und allein kraft dieser Behauptung legitimiert wird.
Man kann »Broken rope« aber auch als einen Hinweis auf die Phänomenologie dieser Kleingartenkolonie bewerten. Das Schild wäre somit als Hinweis auf ein Charakteristikum einer typischen Siedlung wie dieser anzusehen; es würde dann hervorheben, daß solche Anlagen meist durch einen ständigen Wandel gekennzeichnet sind, dessen Spuren hier nachvollziehbar werden. Wenn man sich dieser Deutung der Funktion des Schildes anschließen möchte, wird man darin die Auslotung des kuratorisch erschlossenen Raumes der Kleingartenkolonie erkennen und somit wieder zu dem eigentlichen Anliegen der Ausstellung »Stay hungry« zurückkehren. Die Entdeckung und Beschreibung neuer Ausstellungsräume wird somit als experimenteller Prozess sicht- und greifbar, ohne bereits explizite Nutzungsstrategien vorgelegt zu bekommen.

© Lola Göller
Doch die Frage, wie letztlich dieser ungewöhnliche Ausstellungsraum genutzt werden kann, bleibt nicht unbeantwortet. Neben riesenhaften, den Besuchern auflauernden Wespen (Mladen Miljanovic) und Leuchtreklamen in Wintergärten (David Levine) kann man auch Lola Göllers Lichtinstallation begutachten, die allerdings erst nach Sonnenuntergang ihre eigentliche Wirkung entfaltet. Dazu richtet sie auf einen kleinen Hain auf dem Gelände der Kleingartenanlage einen simplen Spot und taucht dieses Waldstück in ein gleißendes Licht, das auch über große Entfernung gut sichtbar bleibt. Licht und Schatten treffen hart auf einander, die Konturen des Unterholz werden bis zur Groteske entstellt.
Mit Rodney Grahams Einzelausstellung im Gedächtnis, die Ende des letzten Jahres in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wurde, fand ich mich sofort in dieser Situation wieder, die man aus unzähligen Spielfilmen kennt: Polizeihubschrauber suchen ein Waldgebiet ab, ihr Scheinwerferlicht taucht zwischen den Bäumen hindurch. Es ist eine Verfolgungsszene, das blendende Licht wirkt bedrohlich, man findet sich schnell in der Rolle eines Gejagten wieder. Ähnlich verhält es sich bei Lola Göller, jedoch geht von ihrer Installation mehr Mystik aus. Man denkt an UFOs, Epiphanien oder ähnliche Wunder, wenn man die Arbeit aus einiger Entfernung entdeckt. Neugierig die Lichtquelle anpirschend entledigt sich das Geschehen bald seiner Wundersamkeit und ist am Ende doch einfach nur ein simpler Spot inmitten von Bäumen und Unterholz.
© Mladen Miljanovic
Das Thema der Kleingartenkolonie taucht hier zwar nicht explizit auf, jedoch ist Lola Göllers Installation ein Beispiel dafür, wie dieser ungewöhnliche Ausstellungsraum genutzt und Interventionen eingebracht werden können. Würde man die Situation in einem geschlossenen Galerienraum getreu nachbilden wollen, würde man keine vergleichbare Wirkung erzielen. Erst durch die Möglichkeiten, die Beleuchtung, Ort, Witterung etc. bieten, kann ihre Arbeit auch aus einem kuratorischen Interesse heraus authentisch realisiert werden. Graham versuchte, eine ähnliche Wirkung auf einer großen Leinwand in einem vollkommen dunklen Raum zu realisieren, musste aber gerade deswegen Abstriche in der Authentizität machen. Ob dies anders beabsichtigt war, ist kritisch zu hinterfragen, doch ist unumstritten, daß eine Installation vor Ort, wie etwa im anderen Falle, auch ein Mehr an Wirkung mit sich bringt. Eine triviale Erkenntnis zwar, die trotzdem für den Kurationsbetrieb von großer Relevanz ist.
Die restlichen Arbeiten in »Stay hungry«, so denn man sie alle entdeckt, gehen mit dieser Aufgabe sehr unterschiedlich um. Wie in den beiden obigen Fällen beispielhaft dargestellt, teilt sich die Ausstellung in den kurationstheoretischen und den künstlerisch-praktischen Teil und führt somit eine Exemplifikation der so gewonnenen Erkenntnisse gleich vor Ort durch. »Stay hungry« erfüllt also genau das, was es verspricht: Es sucht nach neuen Formen der Kuration.