»Milos VI«, © Sinta Werner
Der Galerienmarathon des Wochenendes brachte wie auch die Jahre zuvor viele Eindrücke mit sich; ich habe nicht weniger als 26 Ausstellungen besucht, und hätte doch mit einem sinnvolleren Zeitmanagement noch mehr sehen können. Darunter waren auch viele Galerien, die nicht zum eigentlichen Programm des Gallery Weekend gehörten, aber dennoch von den Besucherströmen profitierten; 30.000 Kunstinteressierte sollen es wohl gewesen sein. Dabei brauchten sich jene nicht offiziellen GW-Teilnehmer nicht verstecken, wie auch eine Entdeckung zeigte, die ich nur zufällig machte.
In der Rudi-Dutschke-Straße stieß ich nämlich auf die mir bis dahin unbekannte frontviews gallery, die gerade Sinta Werner in der noch bis Anfang Juni laufenden Einzelausstellung »Abschattungen« zeigt. Die ausgestellten Arbeiten aus mehreren Werkreihen konnten sofort überzeugen: Sinta Werner entwirft in ihnen mit einer erstaunlichen Präzision und Beobachtungsgabe Räume und Raumillusionen und geht dabei von einer bildlichen, das heißt flachen und zweidimensionalen Grundlage aus. Mithilfe von Collagetechniken und Versatz von Bildelementen entwickelt sie so neue Arrangements, die die dargestellten Räume neu modellieren und ganz nebenbei die bestehenden Raumerfahrungen des Betrachters hinterfragen. Das allein macht ihre Technik allerdings noch nicht erwähnenswert, jedoch gelingt ihr diese Leistung mit einer Leichtigkeit und in sich ruhenden Dynamik, die so überzeugend ist, daß es mir die Sprache verschlug.
»Milos VIII«, © Sinta Werner
Mit Iris Touliatous Beteiligung an Metrospective 1.0 in der Program Gallery im Gedächtnis fiel sofort die geometrische Komponente der Arbeiten auf. Werners Collagen bauen auf ein präzises Rahmenwerk, das auf bewusst perspektivisch gewählten Schnittkanten gründet. In »Milos VIII« ist es etwa ein Strahlenfächer aus versetzten Bildteilen, der im oberen Bilddrittel den Himmel durchspannt und sich gegen die entgegengesetzt geführte Perspektive des Abhanges darunter absetzen. Auf diese Weise modelliert Werner einen Bildraum, der sich durch das eintönige Grau des Himmels dankbar zur Verfügung stellt und unter ihrer Hand eine Drehung in den Vordergrund vollzieht, die der gewohnten Raumerfahrung des Betrachters widerstrebt. Das Auge stört sich jedoch nicht an dieser Illusion eines paradoxen Raumes, weil diese nicht mit der Brechstange herbeigeführt, sondern viel mehr subtil erzielt wird; sie sticht nicht sofort ins Auge, sondern will erst entdeckt werden.
Dagegen interveniert Werner in »Milos VI« (s.o) mittels eines leicht gedrehten, kreisrunden Versatzstücks (welches sich zudem in der Werkserie »Versionen« als plastisches Pendant wiederfindet). Auch hier greift sie in den real vorgefunden Raum ein, führt jedoch eine Modifikation herbei, die entgegen der Faltung und Drehung in »Milos VIII« eine radikalere Wirkung erzielt: Durch die Rotation des Bildelements kommt es zu räumlichen Brüchen entlang der gesamten Zirkumferenz, die einen wesentlich tieferen Eingriff in die räumliche Integrität des Motivs darstellen. Wenn die Strahlen im vorangegangen Beispiel sich harmonisch in das Bild einfügen, findet hier eine Intervention statt, die weitaus schneller ins Auge fällt, weil sie stärker mit der Erwartung des Betrachters kollidiert. Die Ästhetik in »Milos VI« besteht jedoch gerade in diesem offensichtlichen Dissens, der dennoch nachvollziehbar bleibt, weil die Rotation des Versatzstückes klein genug ausfällt. Trotzdem stellt diese Arbeit im Gegensatz zu »Milos VIII« keine Annäherung an den vorgefundenen, d.h. motiv-eigenen Raum dar, sondern erschafft eine gänzlich neue Räumlichkeit, die vom Betrachter erst neu formuliert werden muss.
»Space Collage III«, © Sinta Werner
Werner zeigt zudem, daß sie neben diesen planen Alterationen der Bildarchitektur auch perspektivische Eingriffe mit der nötigen Authentizität vornehmen kann. In »Space Collage III« erkennt man ein und denselben Ausblick aus einem Fenster aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, die jedoch derart miteinander collagiert werden, daß die Bildelemente auf- oder nah bei einander zu liegen kommen und somit authentisch genug erscheinen, um in einem gemeinsamen Bildeindruck aufgehen zu können. Der Effekt ist subtil genug, um erst bei näherem Hinsehen entlarvt werden zu können. Die Fragmentierung des Motivs gelingt sogar so gut, daß sie erst bei der Betrachtung der Schnittkanten auffällt, was auch der illusorischen Wirkung zugute kommt.
Sinta Werner bedient sich in ihren Raummodellierungen konsequenterweise Mitteln, die nicht nur für ihr Arbeitsmedium, also das zweidimensionale Abbild, sondern auch für sein Subjekt, das dreidimensionale Motiv, funktionieren. Ihre Collagen erscheinen genau deshalb nicht etwa platt und künstlich, wie man es erwarten würde, wenn die Schnitte und Versatzstücke mit weniger Bedacht gewählt wären oder gar Räume miteinander hybridisiert würden, die bereits inhaltlich, also qua ihrer motivischen Bildbestandteile, nicht zusammenpassen. Nur so gelangen ihr Raumillusionen, die überzeugend genug sind, um auch länger bestehen zu können.
»Milos IX«, © Sinta Werner
Wie das Ausstellungspapier es treffend ausdrückt, wird dadurch »nicht der Raum […] zur illusionistischen Ansicht verdichtet, sondern das Bild […] fragmentiert und in die Möglichkeiten des Raumes überführt«. Werner entwirft also ihre Räume bereits auf dem Reißbrett, greift bereits auf der Ebene ihrer bildlichen Repräsentation ein, ehe diese in der Vorstellung des Betrachters erschaffen werden und dort ihre illusionistische Wirkung entfalten können. Wenn man den Vergleich zu Ballestrems und Burdakovs rekonstruierten Raumerfahrungen ziehen will, so erkennt man eine Gemeinsamkeit eben in dieser Herangehensweise, die die Bildlichkeit vor die Räumlichkeit setzt und somit eine Hierarchie einführt, die erst die beispielhaft geschilderten Illusionen bewirken kann.
Anders gedacht: Würde Werner eine Räumlichkeit erschaffen, indem sie Raumelemente zunächst auf eine bestimmte Weise anordnete und dann durch geschickte Wahl der Bildperspektive eine Schimäre erzeugte, wäre das Ergebnis nicht mehr als eine simple optische Täuschung wie etwa in der Machart der »Besten Illusion des Jahres 2010″. Nicht nur, daß die illusorischen Möglichkeiten recht beschränkt sind, das Auge hat sich mittlerweile an diese beliebten Kunstgriffe gewöhnt. Die geschilderte Hierarchie des räumlichen Eindrucks vermag jedoch noch solche Effekte zu setzen, die mit weniger Getös auskommen.
Denn das ist es, was Sinta Werners Bilder so überzeugend und ansprechend machen: Sie sind leise und dezent. Aber wirkungsvoll.
die kunsthistorikerin zollt größten respekt für diesen text. besser hätte man es nicht beschreiben können. merci.
Wenn du das schreibst, ist das gleich doppelt so viel wert. 🙂
Lieber Matthias Planitzer,
Da möchte ich mich anschließen, sehr genau beobachtet und klar formuliert!
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag über die Ausstellung.
Stephan Köhler