Einmal im Jahr spielt der Berliner Kunstzirkus verrückt: In der letzten Aprilwoche herrscht gähnende Leere im Kunstkalender und dann, zum Wochenende darauf, blühen die Galerien wie nach einem langen Winterschlaf auf und kündigen den Frühling an. Dann findet nämlich das Gallery Weekend statt und veranlasst Sammler und weniger kaufkräftige Interessierte, drei Tage lang auf abenteuerlichen Irrfahrten durch die Stadt zu tingeln. In diesem Jahr spielen 44 teilnehmende Galerien ihre Synergien aus, um am Sonntagabend eine möglichst gute Verkaufsbilanz erzielt zu haben.
Zum Gallery Weekend gehört jedoch auch, daß ein Großteil derjenigen Kunsthäuser mit Vernissagen auf den Zug aufspringt, die nicht zum offiziellen Teilnehmerkatalog gehören: Dieses Jahr zähle ich nicht weniger als 69 Eröffnungen (für Berliner Verhältnisse) namhafter Galerien für den kommenden Freitag. Mit den Optionen wird die Auswahl bekanntlich schwer und so will ich mit einer Handvoll Empfehlungen aushelfen: Meine Tips zum Gallery Weekend gibt es nach dem Klick.
»Into the eyes as ends of hair«,
© Nina Canell
Die Galerien Konrad Fischer und Barbara Wien haben sich dieses Jahr zusammengeschlossen, um gemeinsam Arbeiten von Nina Canell auszustellen, die von beiden Kunsthäusern vertreten wird. Ich sah Canells Arbeiten zuletzt im vergangenen Jahr zur großen Überblicksschau schwedischer Kunst im Stockholmer Moderna Museet, wo sie mit drei Arbeiten vertreten war, die dank ihres Wiedererkennungswertes sichtbar herausstachen. Die Werke Canells erscheinen als reduzierte Apparaturen, die rohe Naturkräfte wie Wasser, Gas und Elektrizität in Kontakt mit diskreten Formen menschlicher Technologie bringen und dabei auf vagen Momenten der Unbestimmtheit und Verletzlichkeit balancieren. Mit einem sehr poetischen Ausdruck schafft es die junge Schwedin, die Charakteristika beider (vermeintlicher!) Gegensätze zunächst schroff gegenüber zu stellen, dann aber harmonisch zu verflechten, sodaß ihre Objekte weder gänzlich natürlich noch technologisch erscheinen, stattdessen bald idiomorph ein synthetisches, symbiotisches Kontinuum zwischen beiden Polen erkennbar machen.
Dieses transelementare Gefüge ist jedoch kein geschlossener Experimentierzirkel in der Alchemistenstube der Natur. Nina Canells Arbeiten sind stets offen, meist sogar auf die eine oder andere Weise flüchtig. Mal verdampft Wasser und entzieht der Skulptur so ihre materielle Greifbarkeit, andernorts sind es die grotesk verzweigten Drähte, die eine Radioantenne und mit ihr die Radiowellen in den Äther verschwinden lassen. Ihre Werke entziehen sich dem Betrachter und seinem physischen wie geistigen Zugriff, werden damit – wenn auch nur dezent – chaotisch und zerbrechlich, weil nicht kontrollierbar. Diese Verletzlichkeit ist es, die letztlich die poetische Spannung ihrer Arbeiten erzeugt und ihren Charakter ausmacht.
Der Presseankündigung ihrer Doppelausstellung bei Fischer und Wien sind zwar keine konkreten Angaben zu den ausgestellten Werken zu entnehmen, man darf allerdings versichert sein, daß den Besucher sehr ansprechende Arbeiten ganz nach Canellscher Machart erwarten werden.
Tattoo-Alphabet für die »Liebe/Hass Ringe«, © Olaf Nicolai
Bei Arratia, Beer verfolgt man wieder einmal ein ungewöhnliches Ausstellungskonzept, das jedoch buchhalterisch angesichts des hohen Investitionsrisikos einer Teilnahme beim Gallery Weekend besser abschneiden dürfte als so manch ein Portfolio einer der Ausstellungspartner: Statt Bilder an die Wände zu hängen oder aufwendige Installationen aufzubauen, lädt man die Besucher in ein temporäres Tattoo-Studio der anderen Art. Dafür haben 17 Künstler Motive beigesteuert, zwischen denen je nach Wunsch ausgewählt werden darf. Wer mag, kann sich etwa einen Christian Jankowski oder einen Olaf Nicolai stechen lassen, das Werk quasi gleich mit nach Hause nehmen. Letzterer, der auch zeitgleich in der Galerie Eigen+Art ausgestellt wird, ist mit einem Tattoo-Alphabet vertreten, das zur Codierung der Namen geliebter und gehasster Personen dient, welche dann gemeinsam als Ringe um Arme oder Beine der Kunstliebhaber getragen werden.
Die Aktion »As long as it lasts« wirft simpelste, aber denkwürdige Fragen auf: Wie beeinflussen Autorenschaft und »Brandmarkung« das Verhältnis zur Kunst? Wie definiert das Kunstwerk – insofern man sich darüber einig ist, daß es eines ist – die Beziehung zwischen Künstler und Besitzer neu? Welche persönliche Bindung besteht zwischen Besitzer und Werk, welche geht verloren, welche wird aufgezwungen? Und nicht zuletzt: Wie verortet sich »As long as it lasts« in den bestehenden Prinzipien der Kuration und des Kunsthandels?
»Set I«, ©
Miriam Böhm
Fragen der Form werden dagegen in Miriam Böhms Ausstellung »Display« in der Galerie Wentrup aufgeworfen. Die Berliner Künstlerin ist für ihre rekursiven Arbeiten, bekannt in denen sie Fotografien von Fotografien vor einem nüchternen Hintergrund aus Jutegeflecht zeigt. Die Bilder überraschen und verwirren oftmals durch ihre geschickten Täuschungen: Vermeintlich physische Objekte entpuppen sich als bloße Abbildungen derselben, die dann wiederum häufig eine Ebene tiefer wieder als einfache Abbildungen entlarvt werden können. Durch geschickte Anordnung der Fotografien überspannen Bildelemente mehrere Bildebenen, fügen sich damit geschickt in die Komposition ein oder entwickeln erst ihre plastische Wirkung.
Die rekursive Arbeitsform in Böhms Werken wird mit der Beobachtungsdauer immer offenbarer und erlaubt so erst, Ideen zur Diskrepanz zwischen Bild und Abgebildetem fruchten zu lassen. Indem sie den Betrachter immer wieder in diese Falle tappen lässt, die die Grenzen zwischen diesen beiden ontologischen Dimensionen verwischt, steht letztlich auch die Frage im Raum, welchen Stellenwert die Unterscheidung beider Gegensätze in der heutigen Kunst hat (nicht ohne auf vorangegangene Epochen und Stile verweisen zu können.) Man fühlt sich schnell an Belting erinnert, findet bei Miriam Böhm jedoch keinen kritischen Unterton. Ganz im Gegenteil, ihre Arbeiten bleiben neutral, wenn es um das Für und Wider der Verkehrung der Bildhaftigkeit geht. Böhms Beitrag zum Thema wiederholt nicht phrasenhaft, was bereits andere ausführlich erörtert haben, sondern zeigt die Notwendigkeit der Erörterung in unserer heutigen Zeit auf ohne eine bestimmte Einstellung zu präferieren. Die Herausforderungen des virtuellen Bildes an den Stellenwert des Abgebildeten und seiner verwertbaren Bedeutung und Wirkung werden in Böhms Arbeiten bereits dadurch angedeutet, daß unsere Seherfahrung des nicht-virtuell erzeugten Bildes bereits zu antiquiert ist, um diese doch recht einfach erzielten Illusionen zuverlässig als solche erkennen zu können.
Vielleicht ist es für diese Aspekte der Bildwissenschaft lohnenswert, gezielt die Empfindungen und Gedanken wahrzunehmen, die zunächst beim Betrachten der Bilder am heimischen Bildschirm entstehen und diese dann mit den Erlebnissen bei einem Besuch in der Galerie zu vergleichen. Wir werden sehen, ich werde jedenfalls dieses Experiment eingehen.
»capacitve body II«, © Martin Hesselmeier, Andreas Muxel (@ LEAP)
Weiterhin: Fiona Banner beschäftigt sich auch bei Barbara Thumm mit Kriegsflugzeugen, bei Neugerriemschneider werden Ai Weiweis Arbeiten wohl eine besondere Betrachtung erfahren, die berühmten Malerbrüder Markus und Albert Oehlen werden mit Ausstellungen bei Gerhardsen Gerner resp. Max Hetzler (Osramhöfe) vertreten sein, Żak und Branicka zeigen neue Seiten Roman Opałkas, des On Kawaras des Ostens, Blain|Southern eröffnet in einer alten Druckerei ihre Berliner Dependance und bei LEAP ist man interaktiven Raumerfahrungen auf der Spur.
Außerdem: Wer noch ob der unübersichtlichen Auswahl unentschlossen ist, dem sei der neue Castor und Pollux Twitter-Stream empfohlen, wo ich während des Gallery Weekends live Bericht erstatten werde. Wir sehen uns in den Galerien!
Andere Meinungen
[…] The Gallery Weekend Berlin is kicking off today in many different galleries all over the city. It will run until Sunday. Look here for more details. For all serious art matters I would also like to speak out 3 recommendations for blogs that really know what they are talking about: Private Curators, Artfridge and Castor & Pollux. […]