»Built on promises«, © Matthias Ballestrem, Anton Burdakov
Etwa zwei bis drei Mal die Woche führt mich mein Weg an der Program Gallery vorbei. Dann werfe ich gern einen Blick durch die großen Fenster und weiß so immer, wann eine neue Ausstellung gezeigt wird. Von der Schau »Built on promises« hatte ich schon vor zwei Monaten gehört, doch ehe ich Zeit finden konnte, mich eingehender damit zu beschäftigen, sah ich eines Tages, dass die hierfür errichteten Kulissen bereits abgebaut an den Wänden lehnten, die Ausstellung mutmaßlich beendet war.
Wochenlang ging ich immer wieder an der Galerie vorbei, bis ich dann am vergangenen Freitag bemerkte, dass sich seitdem nicht viel getan hatte. Schließlich trat ich ein und erfuhr von Kuratorin Fotini Lazaridou-Hatzigoga, dass »Built on promises« noch im Gange sei. Offensichtlich gehört die Baustellenatmosphäre zum Teil des Ausstellungskonzeptes. Zwischen all den umherliegenden Kulissenteilen befinden sich Fotos, die, notdürftig an die Wände geklebt oder in großen Drucken von der Decke gehangen, zeigen, was davor war: Fotos von einem Raum, der so nicht mehr existierte, dessen Ruinen noch zu sehen sind und an den nur noch erinnert werden kann.
Doch ist es wirklich derselbe Raum, der hier abgebildet wurde?
Oder nur das optisch fassbare, emotional blasse Abbild desselben?
»Built on promises«, © Matthias Ballestrem, Anton Burdakov
Die Künstler hinter der Ausstellung, Matthias Ballestrem und Anton Burdakov, machen schnell ihre Absichten klar. »Built on promises« lädt immer wieder zum Vergleich ein: Was ist auf den Fotos sichtbar und was lässt sich anhand der vorhandenen Strukturen rekonstruieren?
Der Betrachter kommt nicht umhin, durch den Ausstellungsraum zu wandeln und auf Grundlage der Fotos abzugleichen, welche der Kulissenbruchstücke wohl auf welche Weise zusammengefügt waren. Die Überreste des einst vorhandenen Raumes, also namentlich die Galeriewände, die Decke und der Boden, bieten hierzu den Rahmen, in die die puzzlestückhaften Teile so eingefügt werden müssen, dass dabei eine räumliche Ordnung entsteht, die dem fotografischen Dokument gleicht.
Diese Aufgabe hat jedoch ihre Tücken, die zunächst in der Komplexität des matrizenhaften Vorbildes liegt. Denn die Fotografien stellen eine Konstruktionsvorlage für ein diffiziles Gewirr aus halbhohen Wänden dar, die oftmals in geschwungenen Rundungen auslaufen, dadurch vielfach perforiert sind. So wird zwar der Blick auf dahinterliegende Elemente freigegeben, doch das unterstreicht nur die Schwierigkeit des Unterfangens, all dies auf Grundlage der vorgefundenen Ruinen vor dem inneren Auge neu zu erschaffen.
»Built on promises«, © Matthias Ballestrem, Anton Burdakov
So schweifen die Gedanken schnell ab und konzentrieren sich bald auf die Frage, welche Neu- oder gar Umstrukturierung durch solche aufwendigen Gedankenspiele überhaupt möglich sind. Die Fotografien versprechen einen Raum, der durch viele unterschiedliche Sichtachsen durchzogen wird, die mal den Blick auf etwas freigeben, mal in die Irre führen, hier Details fokussieren und dort Sackgassen ergründen. Doch ist das vielleicht zu viel versprochen? Ist denn überhaupt gesichert, dass dieser Raum überhaupt einmal das war, was er vorgibt gewesen zu sein?
Wenn der Betrachter schließlich ob seines imaginativen Unvermögens aufgibt und gezwungen ist, den Fotos sein Vertrauen zu schenken, stößt er auf ein weiteres Problem. So wie die Bruchstücke herumliegen, an die Wände gelehnt oder gestapelt, als seien sie für die baldige Entsorgung bestimmt, wirkt der sonst leere Raum eher wie eine triste Baustelle, eine öde Ruine, doch keinesfalls wie das seltsam-futuristisch anmutende Versprechen, das die dokumentarisch wirkenden Fotos abgeben.
»Built on promises«, © Matthias Ballestrem, Anton Burdakov
Womit wieder einmal das Thema der Raumerfahrung angesprochen wird. Der Schwarz-Weiß-Charakter der Fotografien baut eine Distanz zum Dargestellten auf, die zunächst zeitlicher, durchaus aber auch materieller Natur ist. Dies erschwert freilich das Nachempfinden eines konstruierten, weil nicht mehr unmittelbar erfahrbaren Raumeindrucks, der in starkem Kontrast zur erlebten, weil gegenwärtig verfügbaren Wahrnehmung steht. Wie mag es sich wohl anfühlen, zwischen all diesen eigenartigen Bauten umherzuwandeln?
Schreitet man die einst vorhandenen Wege ab, wird es schwer fallen, diese Eindrücke nachzufühlen; ein Gefühl, das an den Besuch einer antiken Tempelruine erinnert: Die Vorstellung des Vergangenen ist durchaus – wenn auch schemenhaft und getrübt – vorhanden, doch überwiegt das Bestreben, die unvermeidlich auftretenden, die unangenehm in den Vordergrund tretenden Lücken zu füllen.
»Built on promises«, © Matthias Ballestrem, Anton Burdakov
Die Betrübnis über die Unmöglichkeit der Konstruktion einer befriedigenden Phantasmagorie nährt nun den Zweifel, ob die Fotografien tatsächlich einen Eindruck des Raumes vermitteln können, der über die rein optisch erfahrbare Ebene hinausgeht. Wenn man sich nicht in notdürftige Erklärungen retten möchte, die ausbleibende Erfahrbarkeit des Raumes sei einer eigenen Schwäche geschuldet, findet dieses Dilemma nur Auflösung, wenn man die Möglichkeiten der Fotografie infrage stellt.
Dann ergibt sich nämlich schnell, dass das, was zuvor für die fotografisch festgehaltene Raumwirkung gehalten wurde, tatsächlich Produkt einer unterbewussten Ergänzung war. Indem die eigene Imagination einer Wahrnehmung einen so wesentlichen blinden Fleck ausfüllte, gaukelte sie einen Zustand vor, der der Realität nicht gerecht wurde. Das wacklige Trugbild kollidierte, so erkennt man, mit dem wesentlich überzeugenderen, gegenwärtigen Eindruck. Ein Konflikt wurde ausgelöst, der nur deshalb zu der unbequemen Verwirrung führte, weil der Fotografie mehr Vertrauen geschenkt wurde, als ihr zustand.
Am Ende dieser nervenaufreibenden Scharade steht jedoch die Einsicht, dass die Fotografie nicht dasselbe wie der eigene Eindruck leisten kann, der offensichtlich aus mehr als nur optischen Informationen besteht. Raumwahrnehmung, so lernt man, ist ein intensiver Kontakt zur Materie, der sich durch nichts ersetzen lässt.