Wenn es einen Gegenstand gibt, auf den sich die nimmer versiegende Energie der Kunst richtet, dann ist es vielleicht die fortwährende Suche nach und – sobald gefunden – säuberliche Kartographierung einer Politik der Bilder. Der Berliner Kunststandort scheint hierbei trotz seines relativ moderaten Angebots an brisanten politischen Themen eine Heimstatt jener Entdecker zu sein, die die Möglichkeiten einer Politik der Bilder aufspüren möchten. In der näheren Vergangenheit belegen etliche Ausstellungen, darunter insbesondere jene der großen Institutionen: »Seeing is believing«, 2011 in den KW, dort und an weiteren Standorten die diesjährige Berlin Biennale und auch »based in Berlin« (von der anderen Perspektive aus), welches vorrangige Interesse einer politischen Kunst zuteil wird. Sobald jedoch ein politischer Diskurs mit künstlerischen Mitteln angestrebt wird, scheitern die meisten dieser Vorhaben, was, fürwahr, nicht nur diese Großausstellungen anbetrifft. Dabei war es vor vier Jahren Jacques Ranciére, der dieser politischen Erwartung an die Kunst in seiner Schrift »Der emanzipierte Zuschauer« knappen Wortes widersprach:
Die Kunst gilt als politisch, weil sie die Stigmata der Herrschaft zeigt, oder weil sie die herrschenden Ikonen lächerlich macht, oder aber weil sie ihre angestammten Plätze verlässt, um Sozialpraxis zu werden, und so weiter. Am Ende eines guten Jahrhunderts an unterstellter Kritik der Tradition der Mimesis muss man feststellen, dass diese Tradition noch immer herrschend ist, bis in die Formen hinein, die künstlerisch und politisch subversiv sein wollen. Man nimmt an, dass die Kunst uns empört, wenn sie uns empörende Dinge zeigt, dass sie uns mobilisiert, wenn sie das Atelier oder das Museum verlässt, und uns in Gegner des herrschenden Systems verwandelt, wenn sie sich selbst als Element des Systems verleugnet.
Seit einigen Wochen zeigen drei große Berliner Kunstinstitutionen – die Berlinische Galerie, die Alte Nationalgalerie und die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst – in ihrer Retrospektive über das nun schon vier Jahrzehnte umfassende Werk Alfredo Jaars, daß sich dieses Versprechen am besten einlöst, wenn diese »Tradition der Mimesis« aufgelöst wird. Die ausgestellten Werkkomplexe Jaars gehören zu den brisantesten politischen Kunstwerken des 20. Jahrhunderts – und doch verzichten sie auf die direkte Darstellung politischer Inhalte. Andeutung, Stellvertretung und Leerstellen sind die Instrumente des zweifachen Documenta-Teilnehmers, dessen Ausstellung »Alfredo Jaar – The way it is. Eine Ästhetik des Widerstands« bereits im Titel auf eine weitere Abhandlung Ranciéres Bezug nimmt. Die Schau der drei großen Häuser gibt einen Überblick über Jaars Schaffen und eine Kunst, die tatsächlich politisch sein kann.
Der typische Umgang Alfredo Jaars mit der Darstellung politischer Themen wird am Beispiel der Werkgruppe »Das Ruanda-Projekt« klar. Die Berlinische Galerie stellt die bekannten fotografischen Arbeiten sowie den dazugehörigen Werkkomplex »Pressearbeiten« aus. Hierin prangerte Jaar die Aktualität der Presseberichterstattung an, als der Bürgerkrieg in Ruanda Mitte der Neunziger erst verspätet das Weltinteresse erregte. So illustriert bspw. »From Time to Time« in Gegenüberstellung der Zeitschriften-Cover des Time Magazines die divergierenden zeitlichen Realitäten des Genozides in Afrika gegenüber ihrer Darstellung in der Presse. Die skandalöse Verspätung, mit der die Weltöffentlichkeit von den tragischen Zuständen in Afrika erfährt, und die Sensationsgier, die die Berichterstattung trübte, markiert den Auftakt einer Auseinandersetzung mit dem Ruanda-Konflikt und der Politik seiner Bilder.
Alfredo Jaar setzte sich in der Folge verstärkt mit der medialen Repräsentation des Bürgerkriegs auseinander. Ausgehend von der Beobachtung, daß das unfassbare Greuel und die Empörung darüber sich nicht in Bildern festhalten ließ, entwickelte der Chilene eigene Strategien der Aneignung. Während Jaar in seinem ältesten der ausgestellten Arbeiten dieser Werkgruppe, der bereits vordatierten Fotoinstallation »Real pictures«, den Bildern eine Wirkung verleihen wollte, indem er sie in Kisten versteckte und sichtbar unsichtbar ließ, griff er später auf andere Instrumente zurück. Sein Werkzyklus »Field, Road, Cloud« von 1997 konzentriert sich dagegen auf die Kontrastierung der sensationsgierigen Pressebilder durch stumme Landschaftsaufnahmen, die erst durch dazugehörige Skizzen und Lagepläne in ihren weiteren Kontext eingebunden werden.
Im Jahr zuvor suchte Jaar noch auf anderem Wege nach einer künstlerischen Aneignung des Ruanda-Konflikts, die den Schock des Bildes nicht in der Darstellung, sondern in der Leerstelle und damit in der Vorstellung des Betrachters zu verorten versuchte. Die Installation »The eyes of Gutete Emerita« nutzt hierzu die Strategie der Narration: Dem beigefügten Handzettel ist zu entnehmen, daß Gutete Emerita Zeuge eines Massakers wurde, bei dem vierhundert Tutsi in einer Kirche in Ntarama buchstäblich geschlachtet wurden. Vor den Augen Gutete Emeritas wurden ihr Mann und ihre beiden Söhne mit Macheten getötet. Gutete und ihre Tochter konnten fliehen und versteckten sich für drei Wochen in einem Sumpf, ehe sie zur Kirche zurückkehrte und dort die unzähligen Leichen ihrer ermordeten Volksgenossen fand.
Alfredo Jaar traf die Überlebende des Massakers, fertigte ein Foto ihrer Augen an und ließ es stellvertretend für die eine Million getöteten Ruander in zehntausenden Dias anfertigen. Auf einem Leuchttisch aufgetürmt, liegt in »The eyes of Gutete Emerita« der Berg der Dias bereit, um von den Besuchern unter der Lupe näher betrachtet zu werden. Die Augen Gutetes liegen nun hier aus, um stumm von dem unvorstellbaren Leid zu erzählen, das sie sahen. Die hell gleißende Arbeit schließt dabei an zwei weitere Lichtarbeiten Jaars an, die die Berlinische Galerie in ihrem Räumen ausstellt. In »The sound of silence« wird in Anlehnung an ein Blitzlichtgewitter mittels aggressiver Blendung auf die einengende, verzerrende und aggressiv umdeutende Bildpraxis der Presse hingewiesen. Dagegen bezieht sich die documenta-Arbeit »Lament of images« direkt auf die eindrücklich erzählten Erfahrungen Nelson Mandelas, als er nach Jahren der Inhaftierung durch das gleißende Licht des Steinbruchs schmerzhaft geblendet war.
Die Auseinandersetzung mit Methoden der politischen Unterdrückung und der systematischen Menschenrechtsverletzung erstreckt sich auch auf Jaars Heimat Chile. Den Interventionen im offenen Raum aus der Zeit der Militärjunta widmet sich die NGBK und stellt einige exemplarische Werkkomplexe aus. Jaar adaptierte Widerstandsformen, die sich im Ausland entwickeln konnten, und transferierte sie nach Chile, um ihre Unmöglichkeit und Wirkungslosigkeit herauszuarbeiten. So übertrug er die lauten Mülltonnendeckel-Demonstrationen der Frauen von Belfast oder das sandinistische Klarinettenspiel der Nicaraguanischen Befreiungskämpfer auf chilenische Verhältnisse und zeigte ihre Effektlosigkeit auf. Dagegen konnten Jaars eigene Methoden besser fruchten: Der Chilene rief kurzerhand zum Nachdenken auf: »Sind sie glücklich?«, fertigte Fragebögen an, führte automatisierte Interviews mit chilenischen Bürgern und installierte im öffentlichen Raum Plakate, die diese simple Frage weiter verbreiteten und das herrschende System eindrücklich unterminierten.
Schließlich findet die Ausstellung auch nach Berlin zurück, wo Jaar nach dem Mauerfall dem geeinten Deutschland auf den Zahn fühlte und sich rechter Gewalt widmete. Die Dokumentation einer damaligen Installation auf dem Pergamonaltar wird neben erstmals gezeigten Fotografien aus der Ost-Berliner Ödnis gezeigt und schließt den Kreis Jaars politischer Arbeit.
Die Ausstellung »Alfredo Jaar – The way it is. Eine Ästhetik des Widerstands« ist noch bis zum 19. August in der NGBK, bis zum 16. September in der Alten Nationalgalerie und bis zum 17. September in der Berlinischen Galerie geöffnet.