Auf der diesjährigen Ars Electronica im Volkswagen Automobil Forum steht nichts still: Unter dem Motto »Impuls und Bewegung« rattern die Motoren, arbeiten die Maschinen, kreisen die Objekte und – so die Absicht der interaktiven Schau – kommen auch die Besucher in Bewegung. Kinetische und kybernetische Kunst stehen im Mittelpunkt der nun dritten Gastausstellung des Linzer Kunstfestivals Unter den Linden. Nachdem im vergangenen Jahr nach der Persönlichkeit der Maschine gesucht und ihre Traumwelt erforscht wurde, stehen nun seit dem 12. Juli die Impulsgeber jener Automaten im Mittelpunkt des kuratorischen Interesses.
Der kinetischen und kybernetischen Kunst liegt eine lange Geschichte zugrunde, deren elektronischen, mikroelektronischen und digitalen Objekte nur die neusten Formen darstellen. Bereits im alten Ägypten waren selbsttätige Figuren bekannt und spätestens im 16. Jahrhundert waren die Mechaniken so weit verfeinert, daß selbst Miniaturen komplizierte Bewegungen gleich mehrerer Körperpartien ausführen konnten. Spätere Automaten führten, einmal wie eine Spieluhr in Gang gesetzt, einprogrammierte Schreibbewegungen aus. Eine solche Figur des Pierre Jaquet-Droz aus dem Jahre 1774 konnte in erstaunlich klarer Schreibschrift die Worte »Wir sind die Androiden des Jacquet Droz.« hinterlassen und sich somit als ein bewusster Automat behaupten. Spätestens mit Isaac Asimovs populären und visionären Interpretationen »Robbie« und »I, Robot« war der Weg für eine reichhaltige kulturelle Variation des beseelten Objekts geebnet, dessen bekanntesten Formen der Film – vielleicht gerade auch wegen seiner herausragenden immersiven Potenz – hervorbrachte: Fritz Langs »Metropolis«, James Camerons »Terminator« sowie Steven Spielbergs »A.I.« prägten die Vorstellung des Maschinen-Menschen. Während auf der einen Seite die ethischen Implikationen eines animierten Automaten durchdekliniert wurden, das oft in seiner Zuspitzung als androide, also humanoide Entität gedacht wurde, die weder Lebewesen noch Maschine, aber in jedem Falle Kreation ist, blieben die hier wirkenden Kräfte oft nur zu geringfügig beachtet. Wenn es nicht die geheimnisvolle Macht eines Frankensteins oder Rotwangs war, die dem Automaten widernatürliches Leben einhauchten, war es schlicht der technische Fortschritt, der solche Grenzgänge mit sich brachte. Darüber, von welchen Seiten die mannigfaltigen Impulse ausgehen, die einerseits das Entstehen und den Fortbestand der Automaten sicherten, die andererseits aber auch die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten der mit ihnen konfrontierten Menschen bedingten, wurde allerdings nur wenig aufgeklärt. Eine erhellendere Formel kommt jedoch von anderer Seite: Bereits im Vorjahr zitierte Thomas Macho, damaliger Kurator des Berliner Gastspiels der Ars Electronica, ein eingängiges Mantra Dietmar Kampers, das diese Impulsgeber vereinheitlicht darstellte:
»Gott träumt den Menschen, der Mensch träumt die Maschine, die Maschine träumt Gott.«
Mit diesem Kreisschluß verdeutlichte Kamper die Evolution des Automaten, die bereits in der deus ex machina der antiken Hellenen erstmals ihren linearen Verlauf verließ.
Ein weitaus allgemeinerer und daher für die Gesamtheit der Automaten und somit auch der kinetischen und kybernetischen Kunst brauchbarerer Ansatz stammt von Leonardo Vinci. Aus seinen Texten ist eine kurze Abhandlung über die »forza« überliefert, die über ein lebloses Objekt kommt und dieses animiert:
»Ein spirituelles Vermögen, eine unsichtbare, unstoffliche Macht, die mittels eines äußeren Zwanges durch Bewegung erzeugt in Körper hineingegossen wird, die aus ihrer natürlichen Seinsweise und Ruhe gebracht sind.«
und weiter:
»Sie gibt diesen Körpern ein aktives Leben, eine wunderbare Kraft, zwingt alle geschaffenen Dinge, Gestalt und Ort zu verändern.»1
Aus physikalischer Sicht beschreibt Leonardo lediglich die Größe des Impulses, den Verwandten der Geschwindigkeit, der anschaulich gesprochen die Wucht eines Körpers beschreibt. Dabei verweist Leonardo explizit auch auf lebendige Körper und würde in einer anachronistischen Lesart in dieser Hinsicht Mensch und Maschine gleichsetzen. Dabei erinnert er in diesem Zusammenhang an das unausgesprochene Bild einer mechanischen Feder, die den auf sie einwirkenden Kräften nachgibt. Wenn Leonardo schreibt: »Sie wird geboren durch Zwang und stirbt durch Freiheit»2 gibt er poetischen Wortes die bekannten Beobachtungen der Trägheit und des Energieverlustes wieder.
Allerdings ist der Impuls einem Erhaltungsgesetz verpflichtet, das weder dessen Erzeugung noch Vernichtung, allerdings dessen unermüdlichen Fortlauf vorsieht. Auch in Kampers düsterem Zirkelschluß der Trinität Gott – Mensch – Maschine bleibt dieses Naturgesetz erhalten und sieht in seiner Konsequenz eine Wirkung der Maschine auf den Menschen vor. Bei Machos Rückgriff auf Kampers Dreisatz muss dieser Impuls zwar noch den Umweg über den göttlichen Willen nehmen, doch bereits in der nächsten, also diesjährigen Ars Electronica im VW Automobil Forum, wird diese Zwischenstation abgekoppelt, somit der Zyklus auf den Dualismus Mensch – Maschine verkürzt. Aufgelöst wird dieses Widerspiel in der Frage nach dem »Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung«, womit implizit ein Bewusstsein der Maschine vorweggenommen oder zumindest dem Besucher, der diese in Gang setzt, ein Grad der Reflektion unterstellt wird, der nicht weniger als die Identifizierung mit der Maschine vorsieht.
Den belastbarsten Anhalt für dieses voreilige Urteil findet man wohl noch bei Hideyuki Andos, Tomofumi Yoshidas, Taro Maedas und Junji Watanabes interaktivem Objekt »Save yourself!!!«. Das japanische Künstlerquartett oder mitunter auch eine Ausstellungsbetreuerin reichen Neugierigen eine wassergefüllte Schale, in der eine Figur auf einem Floß umhertreibt. Sensoren, Kabel und ein spezieller Kopfhörer ermöglichen die Impulsübertragung von dem Schwimmer auf das Gleichgewichtsorgan des Freiwilligen, der nun nicht mehr nur das Schicksal der ihm anvertrauten Figur sondern auch gleich sein eigenes in den Händen hält. Nun ist auf Aufforderung des Personals eine immerhin etwa sechs Meter messende Gehstrecke zu bewältigen, die bei besonders starken Erschütterungen und mutig adjustiertem Signalpegel zu milden bis deutlich spürbaren Schwindelattacken führt. Wenn die einmal kräftig angestoßene Figur (etwa durch einen schadenfrohen Besucher) weit ausgelenkt wird, ist die Identifizierung des Besuchers mit dem Objekt nicht nur nachvollziehbar, sondern für einen schadlosen Ausgang des Experiments sogar unerläßlich.
Das Beispiel der Japaner bleibt allerdings der einzige Beitrag aus »Impuls und Bewegung«, der einen solchen Dualismus entwirft. Die weiteren ausgestellten Künstler, unter denen sich auffallend viele Landsmänner des vorgenannten Gespanns befinden, belassen es dagegen bei der Ausformulierung der direkten Wirkung des Besuchers auf ein Objekt (oder umgekehrt) und immerhin einer angedeuteten, theoretisierten Rückkopplung auf den Impulsgeber.
Joseph Herscher (ein Amerikaner) installierte in dem hoch aufragenden Ausstellungsraum eine seiner aufwendigen Rube-Goldberg-Maschinen, die durch einen einzigen Impuls in Gang gesetzt werden und nach umständlichen Umwegen über Seile, Hebel, Kugeln und allerlei Hausrat nach einiger Zeit eine simple Bewegung ausführen. Wer nicht so lange darauf warten möchte, daß die Maschine wieder instandgesetzt wird, ehe wieder einem Torschuß einer Tipp-Kick-Figur beigewohnt werden darf, kann sich immerhin mit einem mehrminütigen Video einer solchen Maschine amüsieren, die ebenfalls von Herschel ersonnen wurde.
Dem angekündigten »Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung« kommt man in diesem Kunststück jedenfalls nicht näher, sodaß es sich lohnen dürfte, gemeinsam mit einem entschlossenen Partner Julius Stahls »Transitions« aufzusuchen und gleich selbst auszuprobieren. Ein Kopfhörerpaar wird ausgehändigt, der eine kann ausschließlich das hören, was in der Umgebung des anderen vor sich geht. Eine hübscher Pausenfüller, falls man auf Kazuhiko Hachiyas »Inter-Discommunication Machine« warten muss. Hier wird die Idee fortgesponnen und in die weitaus eindrücklichere visuelle Dimension übertragen: Je eine 3D-Brille und eine Kamera steckt in den Geräten, von denen beiden Versuchspersonen je ein Exemplar ausgehändigt wird. Sobald die Apparatur in Gang gesetzt wird, bilden die Brillen je die Perspektive des anderen ab. Die so um einen Großteil ihrer Orientierung gebrachten Partner werden nun in einiger Entfernung im Raum platziert und sind aufgefordert, einander zu finden. Die umstehenden Zuschauer haben immerhin die Möglichkeit, über zusätzliche Monitore zu verfolgen, welcher Verwirrung die beiden Suchenden ausgesetzt sind, ehe sie sich selbst die Aufgabe wagen dürfen, die einfacher scheint als sie tatsächlich ist.
Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Ars Electronica im VW Automobil Forum auf den zweiten Teil des Ausstellungstitels, der Bewegung. In dieser Hinsicht werden einige nicht weiter nennenswerte Videos gezeigt, darunter auch die unvermeidliche Aufnahme einiger wild turnender Parkour-Sportler. Ergänzt wird dies durch auffallend viele wundertätige Schuhpaare, die in Vitrinen betrachtet werden können. Neben diesen durchweg leider kaum überzeugenden Arbeiten und einer zur Vernissage leider nicht funktionsfähigen Lichtinstallation ist es allerdings Ryota Kuwakubos Arbeit »The tenth sentiment«, welche trotz der eher dürftigen kuratorischen Darstellung des Themas der Bewegung eine lobende Erwähnung finden muss. Leicht passiert es nämlich, daß man das Schattentheater verpasst, das der Japaner in einem abgelegenen Nebenraum darbietet: Eine Modelleisenbahn transportiert eine Lampe durch die Dunkelheit, deren fokussierter Lichtstrahl diverse Gegenstände streift, welche wechselweise entlang der Gleise positioniert wurden. Der exakt angeordnete Hausrat, etwa umgestülpte Papierkörbe oder aufgereihte Wäscheklammern, wirft zunächst wachsende, dann wieder schrumpfende Schatten an die Wand und zaubert so eine Landschaft, in der Bäume, Heuballen, Strommasten und zuletzt die Wartenden am Bahnhof auftauchen. Grübelei und forschende Kunstbetrachtung führen in »The tenth sentiment« schnell ins Leere, was jedoch angesichts der bezaubernden Vorführung Kuwakubos nichts ausmacht. Zurücklehnen und staunen, das reicht völlig aus.
So bleibt es dabei, daß das diesjährige Gastspiel der Ars Electronica Unter den Linden zwar viel hübsch anzuschauendes bietet, hier und dort auch seine Besucher einzubeziehen weiß, aber leider nur wenig über Impuls und Bewegung, Selbst- und Fremdbestimmung vermittelt. Doch gerade wegen der vorgenannten Arbeiten, allen voran jenen der japanischen Künstler, lohnt es sich allemal, diesen wundersamen Spielplatz zu besuchen. Denn, auch das zeigt die Beobachtung von der Eröffnung: Wer hier einmal in Schwung gekommen ist, bleibt auch erst einmal eine Weile in Bewegung.
- »Forza dico essere una virtù spirituale, una potenza invisibile, la quale per accidentale esterna violenza è causata dal moto e collocata e infusa ne‹ corpi, i quali sono dal loro naturale uso retratti e pigeati (…) dando a quelli vita activa di miravigliosa potenzia; costrignie tutte le create cose a mutazione di forma e di sito.«
Leonardo, 1930–36, Bd. 2, 1936, S. 65, Fol. 34v
zitiert nach Bredekamp, Horst: »Theorie des Bildakts«, Berlin 2010. ↩ - »nascie per violenza e more per liberà.«, ebenda. ↩