Nachdem in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Malerei ihre Grenzen weitestgehend ausgetestet hatte und selbst die avantgardistischen Werke nicht mehr schockierten, sondern auf eine pauschale Güte und Akzeptanz trafen, kristallisierte sich das unreduzierbare Wesen der Malerei hervor. Clement Greenberg brachte dies 1962 in eine schmissige Formel: Das Gemälde zeichnet sich durch Flachheit und die Abgrenzung der Flachheit (sprich: einer Verortung im Raum) aus. Damit war alles Skulpturale aus der Malerei verbannt, die beiden Kunstgattungen exakt getrennt. Dieses Dogma bröckelte jedoch hier und da, als einzelne Künstler sich Jahrzehnte später von den klassischen Konventionen verabschiedeten und die Grenzen verwischten. Diese spärlichen Vorstöße blieben lange unbeachtet oder gingen in der Kritik unter; zu stark war der Einfluss Greenbergs geblieben.
Heute eröffnet die art berlin contemporary (abc), die unter dem Thema »about painting« gleich auf doppelte Weise das Wesen der Malerei untersuchen will. Einerseits sind ein Großteil der Werke der 130 teilnehmenden Künstler Gemälde, andererseits werden sie durch Fotografien, Installationen, Skulpturen und Videos ergänzt, die einen reflexiven Blick auf die Malerei wagen. Das Fazit: Die Malerei wird von den Künstlern derzeit neu durchdacht und macht sich auf, neue Räume zu erobern. Und schreckt dabei auch nicht vor skulpturalen Elementen zurück – Clement Greenberg hätte es mit Zähneknirschen gesehen.
Pablo Rasgado: Unfolded Architecture (Museum Walls), Galerie: Arratia, BeerKuratorin Rita Kersting versteht die »Malerei nicht als Gattung, sondern als Motiv und Position«. Sie sieht darin »keine Ideologie, sondern eine Möglichkeit«. So konzentriert sich »about painting« weniger auf verschiedene Techniken, stattdessen will die Ausstellung malerische Konventionen aufgreifen und ihre Transformationen darstellen. Der Begriff des »Gemäldes«, auch allgemeiner der des »Bildes« soll untersucht werden, wobei insbesondere die gattungsfremden und ‑fernen Exponate interessante Perspektiven liefern.
Besonders aufgefallen ist in diesem Hinblick Pablo Rasgado, der in seine Werkreihe »Unfolded Architecture (Museum Walls)« diese Begrifflichkeiten thematisiert und nebenbei das Ausstellungs- und Messensetting paraphrasiert. Hierfür brach der Künstler Trockenbauwände auf, arrangierte sie nach kompositorischen Gesichtspunkten auf Holz und bemalte sie anschließend mit weißer Acrylfarbe. Neben den Löchern, die Rasgado in die Messewände der Galerie Arratia, Beer riss, wirken die Arbeiten wie Versatzstücke, die demselben Gipskarton entnommen sind, an dem sie hängen. Rasgado kommentiert hiermit nicht nur den klassischen Begriff des Gemäldes, er erweitert ihn auch um eine skulpturale Komponente und entsagt sich im selben Handstreich der Tradition des White Cube. Ein radikaleres Statement zur Malerei kann es kaum geben.
Raphael Danke: Nervöser VeloursDagegen brechen andere Künstler in andere Richtungen auf. Die Turiner Galerie Norma Mangione stellt mit Rapahel Dankes »Nervöser Velours« eine Arbeit aus, die die Annäherung an die Skulptur noch weiter treibt. Eine Handvoll mit Velours bezogener Planken und Kästen stehen in konstrukivistischer Anordnung beieinander. Das Velours erscheint stellenweise rau wie eine Leinwand und lässt aufgrund seiner Spannung die darunter liegende Konstruktion durchscheinen. Zudem lässt das Material durch die Modellierbarkeit seiner Strichrichtung eine Bearbeitung ähnlich der Malerei zu. Der Künstler greift hiermit ein Bodengemälde auf und transformiert es in einen dreidimensionalen Kontext, saugt eine Skulptur aus einem Gemälde.
Ebenfalls in den Raum hinein bewegt sich Matthias Weischer, der mit »Skulptur 2« ein Paravent aufstellt, das als malerisches Diorama auftritt. Eine Gartenszene schmückt die Vorderseite der zergliederten Leinwand, darum gruppieren sich geweißte geometrische Formen. Allerdings sind es maßgeblich diese skulpturalen Elemente, die seinen Vorstoß in den Raum tragen, sodaß das ganze Vorhaben ein wenig ungelenk erscheint. Die malerische Komponente beschränkt sich allein auf das Paravent und eine bunte Tapete im Hintergrund und geht damit nicht weit über die Gliederaltarbilder des Mittelalters und der Frührenaissance hinaus. Die Ausarbeitung der »Skulptur 2« legt nahe, daß die Transformation des Gemäldes in den Raum die dominierende Absicht des Künstlers war. Vor diesem Hintergrund erscheint sie jedoch leider zu unplausibel.
Sergej Jensen: Ohne Titel
Dagegen tritt Sergej Jensens in seiner Annäherung an den Raum weniger forciert auf und erzielt auch ein überzeugenderes Ergebnis. Der von der Galerie Neu vorgestellte Künstler versah eine übliche Leinwand mit verschiedenen Leinenfetzen und gelangt so zu einer Patchwork-Leinwand, die interessante Strukturen offenbart. Die Fetzen heben sich an ihren Rändern von der Unterlage ab, dringen dadurch auch in eine räumliche Dimension vor, ohne jedoch gänzlich ihre flache Grundlage zu verlassen. Abgesehen von seiner hohen ästhetischen Qualität besticht die Arbeit durch seine widerspruchsfreie Konzeption. Jensen nutzt für sein unbetiteltes Werk nur Materialien, die der Gattung der Malerei entsprechen, arbeitet also in einem geschlossenen Begriffssystem und gewinnt allein dadurch ein hohes Maß an Plausibilität.
Es sind aber auch die nüchterne Vorgehensweise und der Verzicht auf große Effekte, die die Arbeit in eine höhere Sphäre entrücken und dadurch eine Ästhetik begründen, wie sie in den letzten Jahren immer mehr Verbreitung findet. Der Verzicht auf didaktische oder repräsentative Absichten verleiht auch Jensens Arbeit eine Eleganz, die noch weithin sicht- und spürbar ist.
Vibeke Tandberg: Eye eyeDoch die abc gewährt auch andere Blicke auf die Malerei. Die Galerie Klosterfelde zeigt mit einem Triptychon Vibeke Tandbergs ein Beispiel für die Verschränkung von verschiedenen Begriffs- und Bezeichnungsdimensionen. Für die Arbeiten schrieb die Künstlerin »Eye, eye« oder »Hand, hand« auf einfache Leinwände und erschafft damit einen semiotischen Überblick über die verschiedenen Ebenen eines Begriffs und des dazugehörigen Objekts. Statt Augen oder Hände zu malen, also an die Stelle eines Signifikats einen visuellen Signifikanten zu setzen, ersetzt sie diesen durch seinen sprachlichen Signifkat. Daß sie dabei keineswegs diesen Zwischenschritt überspringt, sprich: einfach nur die zugehörigen Worte ausschreibt, unterstreicht sie durch den Gebrauch der Malerei.
Die gemalten Lettern behaupten ein malerische Dimension, die durch die Leinwand aufgespannt wird. Damit setzt sie einen semiotischen Komplex auf, der wieder einmal wunderbar die alte Wörringersche Debatte um die Bildhaftigkeit und die Repräsentationssysteme der Kunst aufgeht. Der Betrachter des Triptychons fühlt sich nämlich keineswegs an die signifizierten Dinge (also Augen oder Hände) erinnert, stattdessen verbleibt er auf der abstrahierten Ebene der Begrifflichkeit gefangen. Tandberg fügt hiermit einen weiteren Kommentar der immer noch andauernde Debatte zu, spinnt die Idee noch einmal weiter und stellt eine Frage, die heute noch wichtiger erscheint als je zuvor: Wie oft kann ein Signifikat an die Stelle eines anderen gesetzt werden, ehe das ursprünglich bezeichnete Ding nicht mehr erkannt werden kann?
Birgit Megerle (Galerie Neu)Die abc gibt jedoch auf Aufschluß darüber, wie die Malerei andere Genres beeinflusst. Birgit Megerle fertigte (für die Galerie Neu, nicht am Platz der Galleria Fonti) Kleider aus Leinen und bemalte sie, als wären sie eine Leinwand. Tatsächlich tritt die Funktionalität des Objekts in den Hintergrund, bleibt angesichts der Präsenz der malerischen Komponente eine Andeutung. Ein ähnlicher Einfluss lässt sich auch auf die Fotografie belegen, wenn etwa Künstler wie Josh Brand durch eine malerische Ästhetik inspiriert werden oder Jitka Hanzlová für ihre Porträts auf Komposition und Bildlogik der alten Herrscherbilder zurückgreift. Annette Kisling beschreibt die Malerei lieber über ihre Rahmenbedingungen und zeigt in ihrer Fotografie »Museo 4« nicht mehr als das: Ein gewöhnlicher Rahmen, von der Seite fotografiert, ohne Blick auf seinen Inhalt.
Dennoch machen Gemälde das Gros der Exponate der diesjährigen abc aus. Man entdeckt darunter jedoch nicht viel Neues, jedenfalls nicht, wenn man nach frischen malerischen Ideen sucht. Das ist »about painting« allerdings auch nicht zur Last zu legen, denn die hier vereinten Gemälde zeichnen einen guten Abriss von der Vielfalt dieses neu erstarkten Genres. Dabei ist die Qualität durchgängig hoch; man findet kaum Arbeiten, die aus diesem hohen Maßstab herausfallen. Dadurch ist die abc mit ihren 130 vertretenen Künstlern aus 125 Galerien mit großer internationaler Beteiligung ein schöner, doch erstaunlich kompakter Überblick über die Malerei der Gegenwart. Die Erwartungen an die Messe wurden nicht enttäuscht und so behauptet abc mit Recht den Anspruch auf die wichtigste Veranstaltung im Kunstherbst.
Die art berlin contemporary feiert heute von 18.00 bis 21.00 Eröffnung, der Eintritt kostet zwanzig Euro(!).
Luckenwalder Straße 4–6, 10963 Berlin
08.09 – 10.09. von 12.00 bis 21.00 Uhr, am 11.09. von 12.00 bis 19.00 Uhr.
Tageskarte acht Euro, ermäßigt sechs. Katalog zehn Euro.
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