Einige Gedanken über den Online-Kunstjournalismus

31. März 2013 von Matthias Planitzer
Kritik und Selbstbekenntnis: Ein Plädoyer für mehr Mut und Geist

Der Zustand des Online-Kunst­jour­na­lis­mus bedarf eini­ger grund­le­gen­der Erwä­gun­gen. Denn sein Inhalt ist ver­küm­mert, sei­ne Metho­den sind inef­fi­zi­ent: Er bleibt fad und harm­los und schöpft die Mög­lich­kei­ten sei­nes Medi­ums nicht voll aus. Wäh­rend eine Kunst­kri­tik kaum statt­fin­det, blei­ben die ein­zig­ar­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Dar­stel­lung von Text, Bild und ihrer syn­tak­ti­schen und seman­ti­schen Auf­be­rei­tung auch fast zehn Jah­re nach der Geburt des Web 2.0 unbe­ach­tet. Vor­erst bleibt jedoch der Inhalt –: die Kunst­kri­tik – der Gegen­stand einer kri­ti­schen Betrach­tung. Ich möch­te erklä­ren, warum.

Als Cas­tor & Pol­lux im Herbst 2008 kon­zi­piert wur­de, erhob sich der Anspruch für ein neu­es kunst­jour­na­lis­ti­sches Online-Medi­um an der Beob­ach­tung, daß im deut­schen Sprach­raum abseits der stief­müt­ter­lich behan­del­ten Web­a­b­le­ger der gro­ßen Kunst­ma­ga­zi­ne kein nen­nens­wer­ter Kunst­jour­na­lis­mus statt­fand. Die Dar­stel­lung von Kunst beschränk­te sich auf die blo­ße Abbil­dung von Wer­ken, die, ohne durch Tex­te wei­ter auf­be­rei­tet zu wer­den, in bild­li­che Kon­kur­renz zuein­an­der tra­ten. Kunst­be­trach­tung war flüch­tig und kurz­le­big, sowohl auf Sei­ten der Autoren als auch der Rezi­pi­en­ten. Auch nach­dem Cas­tor & Pol­lux im Janu­ar des dar­auf­fol­gen­den Jah­res den Betrieb auf­nahm, änder­te sich hier dar­an zunächst nur wenig. Doch über die Jah­re hin­weg eta­blier­te sich an die­ser Stel­le eine dis­kur­si­ve Kunst­kri­tik, die zuletzt auch prä­miert wurde.

Bis zum heu­ti­gen Tage tre­ten im deut­schen Sprach- und Kul­tur­raum eini­ge Akteu­re auf, die die­se Ent­wick­lung mit­ge­tra­gen und auf ihre Wei­se für sich umge­setzt haben. Sowohl deutsch- als auch eng­lisch­spra­chi­ge Medi­en kri­ti­sie­ren und dis­ku­tie­ren aktu­el­le deut­sche Aus­stel­lun­gen, Mes­sen und Künst­ler – zum Teil auf einem hohem Niveau, das viel Respekt ver­dient. Der Don­ners­tag, „Web­log für Kunst & Danach“, führt als der­zeit ver­mut­lich bes­tes deut­sches Kunst­blog vor, wel­che Qua­li­tät hier­zu­lan­de online erreicht wur­de, krankt jedoch lei­der wie so vie­le ande­re Blogs (dar­un­ter auch Cas­tor & Pol­lux) an einer zu gerin­gen Publi­ka­ti­ons­fre­quenz. Trotz­dem sind die­se Erfol­ge beacht­lich. Noch vor vier Jah­ren lag eine sol­che Viel­falt in wei­ter Fer­ne. Den­noch besteht Grund zur fun­da­men­ta­len Kritik.

Heu­te steht der Online-Kunst­jour­na­lis­mus vor neu­en Her­aus­for­de­run­gen. Er krankt an Kurz­le­big­keit, Harm­lo­sig­keit und – was genu­in sein Medi­um betrifft – einer inef­fi­zi­en­ten Schreib- und Dar­stel­lungs­pra­xis. Die­se Fest­stel­lung schließt alle mir bekann­ten Publi­ka­tio­nen des deut­schen Sprach- und Kul­tur­rau­mes – in eini­gen Tei­len auch Cas­tor & Pol­lux – ein und drückt sich in eini­gen Beob­ach­tun­gen über Inhalt und Medi­um und den dar­aus fol­gen­den Schlüs­sen aus.

Zum Inhalt

Wenn an die­ser Stel­le von einem Online-Kunst­jour­na­lis­mus als Medi­um gespro­chen wird, dann ist sein Inhalt die Kunst­kri­tik. Am ein­drück­lichs­ten offen­bart der Blick ins Aus­land die Defi­zi­te, die hier­zu­lan­de herr­schen. Der Groß­teil mei­ner Lek­tü­re besteht aus ame­ri­ka­ni­schen und Blogs ande­rer Her­kunft. Denn bes­se­res fin­det man der­zeit online kaum. Auch der Ver­gleich mit den her­kömm­li­chen Print-Publi­ka­tio­nen legt einen Man­gel nahe, der online vie­ler­orts noch herrscht. Wer Mono­pol, Kunst­fo­rum, Tex­te zur Kunst und Art liest, kennt die­sen Unter­schied und wird sich eben­so wie ich wun­dern, war­um Kunst­kri­tik online noch nicht so recht ange­kom­men ist.

Dabei könn­te alles so ein­fach sein: Das Wesen des Blogs wur­de in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wie­der neu aus­ge­wei­tet und teils auch aus­ge­höhlt, sodaß heu­te die Vor­stel­lun­gen dar­über, was ein Blog aus­zeich­net, denk­bar weit aus­ein­an­der gehen. Die Eigen­schaft, ein Mei­nungs­me­di­um zu sein, blieb jedoch wei­test­ge­hend erhal­ten und zeich­net mitt­ler­wei­le das Medi­um des Blogs aus. Vor die­sem Hin­ter­grund erstaunt es, daß unter allen Spar­ten aus­ge­rech­net das Kunst­blog die­se Mög­lich­keit nicht nutzt. Die Fol­ge ist eine Kunst­kri­tik, die sich selbst im Wege steht.

Denn ihre Stand­punk­te sind flüch­tig, ihre Inhal­te ver­küm­mert. Es fehlt an Mut, Witz und Esprit, um Über­zeu­gun­gen und Mei­nun­gen auch gegen alle (ver­meint­li­chen) Wider­stän­de zu behaup­ten und einen Stil zu for­men, der sich durch fun­dier­te Kennt­nis­se, eine gründ­li­che Recher­che und einen geist­rei­chen Ton aus­zeich­net, – kurz: einen im bes­ten Sin­ne feuil­le­to­nis­ti­schen Stil.

Indes, die Grün­de sind unklar. Denn es müss­te kei­ne geben. Man mag einen Fak­tor dar­in erken­nen, daß die Kunst­welt streng sei. Ich bin jedoch zu der Ansicht gekom­men, daß die­ser Irr­tum ein­zig auf der Furcht vor der Kon­fron­ta­ti­on fußt, davor, in hit­zi­ge Dis­kus­sio­nen zu gera­ten oder gar in Ungna­de zu fal­len. Es wird ein Schre­ckens­bild fan­tas­ti­schen Aus­ma­ßes gezeich­net; allein, ein­ge­tre­ten ist von alle­dem noch nichts. Schließ­lich wird ein begrün­de­tes Urteil, ob es nun posi­tiv oder nega­tiv aus­fällt, sel­ten zu einer miss­mu­ti­gen Reak­ti­on füh­ren. Selbst wenn ein Mei­nungs­ar­ti­kel einen Shit­s­torm – oder was auch immer man dafür hält –, nach sich zieht, so wie einst mei­ne hier ver­lau­te­te Absa­ge an Street­art als ver­küm­mer­ten Gas­sen­kla­mauk har­sche Ant­wor­ten erhielt, wird man ein­se­hen, daß die hit­zi­gen Dis­kus­sio­nen oft­mals die bes­se­ren sind.

Ver­mut­lich liegt aber genau dar­in die Ursa­che ver­bor­gen: Wer sei­ne Mei­nung nicht erklä­ren kann, scheut sich, sie aus­zu­drü­cken. Eine schlud­ri­ge Schreib­kul­tur, die auf Vor­wis­sen und in die­ser Fol­ge auch auf eine gründ­li­che Recher­che ver­zich­tet, wird eine Mei­nung nicht mit dem nöti­gen Gewicht ver­se­hen kön­nen. Wenn für die Vor­be­rei­tung eines Berich­tes der Kon­takt mit der Kunst nur kurz statt­fin­det oder ganz unter­las­sen wird, wenn schnell das Pres­se­ma­te­ri­al mit einer Hand­voll Wor­te gar­niert wird, kann dar­aus frei­lich kei­ne über­zeu­gen­de Kunst­kri­tik ent­ste­hen, die nicht die Dis­kus­si­on scheut. Gele­gent­lich habe ich den Ein­druck, daß mit einem Über­an­ge­bot an Abbil­dun­gen die­sem Man­gel bei­zu­kom­men ver­sucht wird. Aber auch das macht einen guten Text nicht wett. Schließ­lich wird sich der Leser über einen Arti­kel kei­ne Mei­nung bil­den kön­nen, wenn der Autor es bereits unterlässt.

Die­ser Anspruch an ein Min­dest­maß an inhalt­li­che Qua­li­tät kann und muss die Grund­la­ge für eine Kunst­kri­tik sein, die die Mei­nung nicht scheut und ihr Urteil ver­tritt, die mit Nach­druck bean­stan­det und mit Fein­sinn auch das schwa­che Licht im Dun­kel betont. Eine Kunst­kri­tik, die mit dem­sel­ben Mut ver­reißt und lobt, die gerecht bleibt, aber sich selbst nicht zu ernst nimmt, die mit Geist und Witz das fei­ne Urteil ver­tritt und die Dis­kus­si­on nicht fürch­tet. Eine Kunst­kri­tik, die dar­über nicht ver­gisst, zu unter­hal­ten und zu ver­mit­teln, Rele­vanz zu prü­fen und Zwei­fel an der Kunst und an sich selbst zu äußern, stellt viel­leicht das Ide­al­maß dar, das nicht nur online gel­ten kann. Wel­che Schwer­punk­te ein ein­zel­ner Autor, ein ein­zel­nes Blog setzt, bleibt dem Geschmack über­las­sen. Was alle eint, ist jedoch der ernst­haf­te Umgang mit der Mate­rie, denn dar­auf kommt es letzt­lich an.

Natür­lich gibt es auch Hoff­nungs­trä­ger, die die­ser – mei­ner – Vor­stel­lung einer guten Kunst­kri­tik näher ste­hen und aus der vor­ab skiz­zier­ten, blas­sen Mas­se her­vor­ste­chen. Der schon ange­spro­che­ne Don­ners­tag, auch das noch jun­ge, aber bereits mut­ma­chen­de Blog Blitz­kunst, oder die in allen Punk­ten anders­ar­ti­ge Kunst­ar­mee geben einen Ein­druck, wel­che Qua­li­tät von einer mei­nungs­ge­lei­te­ten Kunst­kri­tik aus­ge­hen kann. Ich kann nur hof­fen, daß Cas­tor & Pol­lux sich bereits in die­sem Krei­se bewegt oder sich nach der For­mu­lie­rung die­ser Gedan­ken zumin­dest in die­se Rich­tung ent­wi­ckelt wird.

Der Mut, der Witz und auch der Geist, die einen sol­chen feuil­le­to­nis­ti­schen Stil antrei­ben, wir­ken längst in den inter­na­tio­na­len Publi­ka­tio­nen, hier­zu­lan­de immer­hin in den bekann­ten Print­me­di­en. Es ist wün­schens­wert, das bald auch der Online-Bereich nachzieht.

Es bleibt nur, all jenen, die die­se Ansicht tei­len, Mut zuzu­spre­chen. Es gibt nichts zu ver­lie­ren; im Gegen­teil: deut­sche Kunst­blogs wären wie­der lesenswert.

Ursprüng­lich soll­ten sich an die­ser Stel­le auch eini­ge Beob­ach­tun­gen über die Nut­zung des Medi­ums Inter­net für kunst­jour­na­lis­ti­sche Zwe­cke anschlie­ßen. Ich glau­be jedoch, daß mei­ne Gedan­ken dies­be­züg­lich noch nicht die nöti­ge Rei­fe erreicht haben. Der Text liegt noch in der Schub­la­de. Auf ein andermal.

Kommentare

  1. Das kor­re­spon­diert auf­fäl­lig mit die­sem fast gleich­zei­tig erschie­ne­nen Befund, dass die Kri­tik gar nicht mehr kri­tisch ist: http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2013/auftritt-der-hofnarren-17519

    • Vie­len Dank für den Hin­weis! Der Autor bezieht zwar nicht expli­zit Kunst ein, doch das Urteil ist ein ähn­li­ches. Kri­tik statt Punk­te­ver­ga­be, nicht mehr an der Ober­flä­che krat­zen, auch mal etwas wagen und nicht immer nur beque­me Urtei­le abge­ben. Auch für die Kunst­kri­tik ist wohl vie­les davon rich­tig und gut.

      Matthias Planitzer