Eine bizarr verstümmelte Gestalt räkelt sich auf einem Tisch. Ein schlankes Beinpaar stützt sich an der Kante ab, stemmt das schmale Becken empor – soweit kann das Auge noch dem fahlen Leib folgen, – doch der restliche, eigenartig entstellte Körper windet sich in einer grotesken Verkrampfung um sich selbst: Ein zweiter Rücken, ein zweiter Hintern und noch ein weiteres Bein – oder zwei? Das weiß man nicht so genau. – schließen sich an, fest verschmolzen mit jenem Frauenkörper, der so recht keiner sein kann. Der Kopf fehlt. Auch vom Bauch, von der Brust ist nichts zu sehen. Keine Hände, keine Arme, auch keinen Hals hat diese unheimliche Gestalt, nur zwei Rümpfe, denen sich alles weitere anschließt. Man sucht den leichenblassen Körper nach Nähten ab, wie sonst könnte man diesen entsetzlichen Anblick erklären. Man wird keine Spur eines perfiden Leichenfledderers finden, denn dieser Körper ist mit anderen Mitteln zu seinen Gliedern gekommen. Das unstimmige Spiegelbild der glänzenden Tischplatte, aber auch ein Muttermal in doppelter Ausführung verraten die Herkunft dieses Zwillingsleibes, der sich hier, in einem gewöhnlichen Esszimmer, so genüsslich aalt: Die Figur stammt aus der Hand Asger Carlsens, der Körper und Körperteile dupliziert und neu arrangiert.

Asger Carlsen: »HESTER (06)«; © Asger Carlsen, courtesy Dittrich & Schlechtriem
Die Herkunft ist schnell geklärt: Der Künstler fertigte 2010 für das S Magazine eine Aktfotografie vor derselben Kulisse an, die jedoch bis auf eine überzählige Brust keine offensichtlichen Eingriffe des Präparators Carlsen aufwies. Damals nahm er seine Eingriffe noch sehr vorsichtig vor. Ein überzähliger Schatten, ein zweites Augenpaar, manchmal auch nur Haare, wo keine hingehörten. Oder eben die Brüste: harmlose Spielerei, ein pubertärer Scherz. Mehr nicht. Doch der erste Impuls war gesetzt. Die Technik war erprobt, nun konnten neue, radikalere Formen gesucht werden. Die eigenartigen, teils auch amüsanten Körperexperimente, die die menschliche Gestalt überdenken und unter viel Fantasie neu deklinieren, nahmen damals bereits erste Gestalt an, ehe sie in kommenden Serien extremere Formen erschufen. Zuvor erreichte der 23-Jährige Däne eine gewisse Bekanntheit mit hölzerner Prosthetik, die er anstelle eines gesunden Beinpaares sichtlich holprig laufenden Männern, Frauen und Kindern angedeihen ließ.
Doch spätestens mit einer Arbeit aus der Serie »Baxter«, in der die Körper zweier Liebender buchstäblich zu einem madenhaften Leib verschmelzen, zeichnete sich ab, welchen Weg Asger Carlsens Kunst fortan nehmen würde: die groteske Verzerrung des menschlichen Körpers. Den vorläufigen Höhepunkt markiert die kürzlich bei Dittrich & Schlechtriem ausgestellte, 23-teilige Werksammlung »Hester«, in der der Körper erstmals völlig entmenschlicht und als flexibel formbares Fleisch zum rohen Objekt degradiert wird. Die Ausstellung ist bereits abgebaut, doch »Hester« ist einen Kommentar allemal wert.

Asger Carlsen: »HESTER (17)« und »HESTER (18)«; © Asger Carlsen, courtesy Dittrich & Schlechtriem
Der Prozedur, in der Asger Carlsen einen menschlicher Körper verarbeitet, zum Material zerlegt und schließlich als modellierbarer Werkstoff nutz, ist lang. Dabei nimmt die Fotografie den geringsten Teil ein. Er fertigte zumeist im Atelier, aber auch an anderen Orten Aktaufnahmen weiblicher Modelle an und ergänzte, wenn eine Form fehlte, das Bildrepertoire um Fotografien von Modelliermasse. Es folgte eine aufwendige Nachbearbeitung mit Photoshop, während der Körperteile – Arme, Beine, Rümpfe, Fettschürzen usw. – von ihren ursprünglichen Leibern abgetrennt und frei arrangiert wurden. Dann sticht ein Fußballen aus einer Schulter hervor, ein Rücken krümmt sich zum Knie, ein von Krampfadern durchzogener Hintern endet im Nirgendwo, oder, was noch viel häufiger vorkommt, rohes Fett und Fleisch fließen in Formen ineinander, die kein Anatomieatlas kennt. Gelegentlich tauchen einzelne Strukturen – etwa eine aufgescheuerte Ferse (»HESTER (17)« und »HESTER (18)«) oder eine von zarten Dehnungsstreifen überzogene Hüfte (»HESTER (02)« und »HESTER (12)«) – mehrfach in einem Objekt oder als gemeinsames Merkmal verschiedener Gestalten auf. Dann erscheinen diese Objekte, wie etwa das eingangs erwähnte Beispiel »HESTER (07)«, in einer multiperspektivischen, bisweilen kubistisch anmutende Ansicht, in der sie den gierigen Blicken schonungslos von allen Seiten ausgesetzt sind.

Asger Carlsen: »HESTER (04)«; © Asger Carlsen, courtesy Dittrich & Schlechtriem
Diese neomorphen, stets kopflosen Leiber werden anschließend in diversen Posen als Möglichkeiten einer Ausformung menschlichen Materials präsentiert, wobei unter Verzicht auf farbliche Qualitäten die Anatomie und Textur weiter hervorgehoben wird. Manche tänzeln, andere sitzen aufrecht, strecken ihre Glieder und wieder andere nehmen als plumpe Fleischmasse auf einer Kommode Platz, wo sie als Skulptur zum Einrichtungsgegenstand werden.
Je stärker verstümmelt und entstellt, desto interessanter und überzeugender sind Carlsens Objekte, denn es sind die plumpen, rohen Formen, die am brutalsten aber auch am profansten die Materialität des Fleisches offenbaren. Von ihnen geht eine Melancholie, gelegentlich auch ein Pathos aus, den man im zeitgenössischen Umfeld am ehesten von Berlinde de Bruyckere kennt. Auch Asger Carlsen schindet und martert seine Körper, beraubt sie jeden Schutzes und manchmal auch ihrer Würde, um sie dem kalten Blick des Betrachters auszusetzen. Wo de Bruyckere jedoch auf eine morbide Ästhetik setzt, um die Banalität des rohen Fleisches herauszustellen, treibt Asger Carlsen unerbitterlich die absolute Profanisierung des menschlichen Körpers durch die Entledigung aller menschlichen Eigenschaften voran. Carlsen reduziert den Menschen auf seine Physis, seinen Körper auf genügsames Material.
Das Warenlager Mensch bietet ihm ein reichhaltiges Repertoire für ein morphologisches Laboratorium, das längst nichts mehr mit der Body Modification etwa einer Gina Pane oder Orlan zu tun hat. Politisch ist sie nicht, selbstverstümmelnde oder ‑modifzierende Performance auch nicht, denn Asgers Kunst zielt auf die totale Entmenschlichung ab. Der menschliche Körper wird als Objekt stilisiert, das keiner Identität, keiner Physiologie und gewiss keiner Bioethik bedarf. Ein plumper Gegenstand, der vielleicht noch als Skulptur taugt – man findet sie als hübschen Tischschmuck, gelegentlich auch auf Kommoden, oftmals aber auch im Atelier des Künstlers, der dem Fett und Fleisch noch die passende Form geben muss.

Asger Carlsen: »HESTER (03)«; © Asger Carlsen, courtesy Dittrich & Schlechtriem
Unter Betonung der Werkzeuge, mit denen Asger Carlsen seine nicht so recht skulpturalen, aber auch nicht so recht fotografischen Arbeiten erschafft, könnte man leicht einen Kommentar zur oft verschrieenen Beauty- und Modefotografie vermuten, die am Computer glamouröse Körper- und Bildwelten erschaffen. Carlsens Darstellung verzichtet jedoch auf jeglichen Glanz und Glitzer, verschließt sich dem Pomp zwar nicht, aber wählt einen ungemein nüchternen und rationalen, fast wissenschaftlichen Blick eines forschenden Untersuchers, der die Körperexperimente im Lichte einer Testreihe erscheinen lässt. Die Entwicklung der Werke innerhalb der Reihe bestätigt dabei den Eindruck, der sich auch bald dem Zeugen dieser Versuche aufdrängt. Carlsen konzentriert sich zusehends auf Körper und Merkmale, die nach herkömmlicher Ästhetik als unschön gelten: adipöse Körper, deren Fettschürzen, Dehnungsstreifen, cellulitische und von schlängelnden Venen zerstochene Haut eine Textur, oftmals sogar ein regelrechtes Relief entwerfen, das gegenüber den makellos glatten Beispielen wesentlich interessanter erscheint. In den zerklüfteten Falten eines derben Fettklotzes liegen Welten begraben, die erst unter Carlsens schonungslos sezierendem Blick zutage treten. Ebenso wie Lucien Freud und Jenny Saville auf malerischem Wege die Vielfalt eines rauhen, welken Inkarnats entdeckten, zeigen auch Asger Carlsens leider bisher nur wenige fettleibigen Objekte die Fülle des derben Materials.
Schließlich bleiben jedoch nicht nur die korpulenten Exemplare aus Asger Carlsens Formenkreis im Gedächtnis. Der totalen Fokussierung auf das rohe Material setzt der Däne auch eine Handvoll Arbeiten entgegen, die durch einen erhaltenen Rest an Menschlichkeit bestechen. Dazu sind zwar auch die tänzelnden Formen zu zählen, eindrücklicher sind jedoch Beispiele, in denen etwa lackierte Fußnägel auffallen oder andere Posen eingenommen werden. So scheint »HESTER (04)« eben erst kopflos vornüber gestürzt zu sein – die Füße setzen noch ein wenig auf dem Boden auf –, ein trauriger, bemitleidenswerter Anblick, der die wohl beste Arbeit der Serie ausmacht. In »HESTER (03)« kommt ein schwarzes Ledersofa ins Spiel, auf dem sich eine Figur in einer Weise räkelt, die auf eine unterschwellige Erotik verweist, die von einem derart entstellten Körper nicht ausgehen kann. Die andernorts immer mal wieder aufblitzenden Geschlechtsteile vermögen bei weitem keinen solchen Konflikt auslösen.
Widersprüche wie diese, in denen die so sorgfältig umgesetzten Entmenschlichung bricht, setzen vielleicht die nachhaltigsten Eindrücke dieser Serie. Denn obwohl stets die Herkunft der eingesetzten Materialien unstrittig ist, geschieht es doch allzu leicht, daß der strenge, kühle Blick die empathische Komponente ausblendet. Ein Körperexperiment mag brutal und seelenlos sein, doch sobald das entstellte Wesen erstmals eine fühlende Natur offenbart, kommt das große Unbehagen auf. Da erscheint es doch wie eine Erleichterung, daß Asger Carlsens verstümmelte Figuren unter der Last ihres Schicksals nicht auch noch leise flehen, ächzen und stöhnen.

Asger Carlsen: Hester, Foto: courtesy Dittrich & Schlechtriem