»Das ist ja keine richtige Ausstellung hier«, schickt der hagere, nickelbebrillte Mann voraus. Er trägt eine rissige Cord-Hose, ein einfaches Shirt und ausgetretene Sandalen. Einige neugierige Besucher versammeln sich um den Fremdenführer, hier, auf dem ausrangierten Teppich, der das zentrale Forum des Camps schmückt. Sie lauschen aufmerksam seinen Ausführungen über Finanzkrise und Klassenkampf, Welthunger und Veganismus, das Camp und seine Bewohner. Occupy Berlin Biennale, das ist das Schlagwort der Stunde. Hier, in den KW Berlin kann man sich einen Eindruck von dem seltsamen Hybrid aus Politik und Kunst verschaffen.
Der Trubel der ersten Wochen ist längst vorüber und so kehrt in dem gallischen Dorf an der Auguststraße langsam die Normalität ein. Die 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst hat ihren Zenit erreicht – Zeit für eine vorläufige Betrachtung. Das Besondere: Die diesjährige Biennale, so Kurator Artur Żmijewski, stellt »Kunst vor, die tatsächlich wirksam [sic] ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann«. Ob dies nur ein vollmundiges Versprechen geblieben ist, wird zu sehen sein. Am Ende wird die Frage stehen müssen, wie viel Ästhetik man der hiesigen Politik eigentlich zugestehen kann.
Soviel muss man ihr zugestehen: Żmijewskis Biennale sorgte in den vergangenen Wochen bereits einige Mal für ein, wenn auch nur dezentes, Medienecho. Martin Zeits Buchsammelaktion »Deutschland schafft es ab« ist vermutlich die bisher umstrittenste Aktion. Auch Nadja Prjlas »Peace Wall« in der Friedrichstraße erschien vereinzelt in den Publikumsmedien. Dagegen verschwand das nicht weniger heikle Re-Enactment der letzten Weltkriegstage im Plänterwald in den Meldungen der Tagespresse. Doch so politisch diese Aktionen auch sein mögen, unter dem Etikett der Kunst reißen sie niemanden vom Hocker. Im Gegenteil, das schwülstige Pathos des palästinensischen »Key of return« stieß auf jene Kritik, die es verdiente. Viel war auch hier nicht zu holen.
Im Camp herrscht derweil eine beschaulich ruhige Stimmung. Im Untergeschoss des Gebäudes an der Auguststraße stehen Tische und Bänke, Pinnwände und Flipcharts umher. Über den Köpfen baumeln Transparente, Papiersterne und was sich sonst noch finden ließ. In der Mitte des Protestcamps befindet sich das Forum, ringsum Sofas, Zelte. Man hat sich häuslich eingerichtet, da gehört eben auch ein okkupiertes Wohnzimmer dazu. Die Wände sind mit einem Chaos aus Plakaten, Spruchbändern und Kritzeleien bedeckt. Nur mühsam gelingt der Überblick.
Denn die Protest-Gemeinde artikuliert sich vor allem schriftlich und in situ, wie um sich selbst immer wieder zu erinnern, welche Ziele sie verfolgt und warum sie all das hier erschaffen hat. Der Protest wird durch Selbstaffirmation am Leben gehalten, wie anders sollte man auch den Überblick behalten. So wird die Flut der Parolen zu einem Gerangel um Aufmerksamkeit: Da ruft einer in großen Lettern zur Regenschirm-Spende auf, allein der Zweck bleibt ungenannt. Ein anderer geht einen Schritt weiter und schreibt: »Hi Occupy-People. I’m collecting clothes to write on the floor.« Auch so kann man sich eine Stimme verschaffen. Sobald jedoch konkrete Themen angesprochen werden, fallen die übliche Schlagworte: Klassenkampf, Antikapitalismus, 99%, Finanzkrise, Krieg, Welthunger, Veganismus, Naturschutz. Themen unserer Zeit, daran besteht kein Zweifel. Doch wie gestaltet man den Diskurs?
Bemalte Wände allein können das nicht richten. Also trifft man sich zu Workshops. So verweist ein fünfzackiger Stern auf »Vegan cooking«. Bis auf Pavlik, Anna und Enrica sagte bisher allerdings niemand zu. Prioritätenlisten werden aufgestellt, der sechste Punkt ist sogar schon abgehakt: »Local Obamas«. Aktionen werden vereinbart. »Liebe Sympathisanten« heißt es dann. Allein die Ergebnisse bleiben offen.
Artur Żmijewski scheint mit der Zeit zu gehen und richtet sein Museum als Labor der Realität ein. Wo Repräsentation ausgedient hat, muss schon das echte Leben herhalten, um die Besucher aus ihrem Alltag heraus in die KW zu locken. Żmijewski entging allerdings, daß auch die inszenierte Realität manchmal zu fad ist, um wirksame Ergebnisse zu produzieren. Die Umsiedelung der zuvor vor allem medial erlebten Occupy-Bewegung in den Berliner Ausstellungsraum stillt in der gehabten Weise nur den Hunger nach Exotik. Denn auch wenn jeder zur Partizipation eingeladen ist, stellt sich doch eine klare Hierarchie zwischen Akteuren und Beobachtern ein, die im Rückgriff auf gewohnte Perzeptionspraktiken aus Zoo und Zirkus einer Völkerschau ähnlich wird. Ohne eine ästhetische oder gar kritische Aufarbeitung dieser zeitgenössischen Protestformen verkommt die Zurschaustellung im abgekapselten Ausstellungsraum zur bloßen Inszenierung einer fremden, fernen Realität. Eine solche Simulation realer Proteste ex situ wird mangels reaktiver Handlungsumgebung zum verstümmelten Dispositiv degradiert, der mangels Diskurs bloß reiner Gestus bleiben kann. Das Experiment Occupy Biennale kann daher nur zu kurz greifen. Diesem Mangel hätte Żmijewski jedoch mit einer ästhetischen Anreicherung begegnen und zur künstlerischen Reflexion einladen können. Obgleich aufwendig die Rolle des »Künstler-Politikers« erschaffen und inszeniert wurde, bleibt weiterhin auf Ergebnisse zu warten. Daß die Ästhetisierung des Protests mitnichten die Quadratur des Kreises darstellt, ist spätestens seit Mark Wallingers »State Britain« bekannt.
Insbesondere die Methoden und Medien der gerade in Berlin aufkeimenden metamodernen Ästhetik hätten für das Anliegen der 7. Berlin Biennale einen fruchtbaren Boden bereitgestellt. Die Metamoderne, die sich laut deren Vordenker Robin van den Akker und Timotheus Vermeulen vor dem Hintergrund eben der hier thematisierten politischen Zerwürfnisse entfaltet, ist gewissermaßen darin geübt, eine zeitgemäße Ästhetisierung politischer Diskurse zu betreiben. Doch bis auf Łukasz Surowiec‹ Projekt »Berlin-Birkenau« und Yael Bartanas großzügig geförderter Kongress zur Frage der jüdischen Rolle im heutigen Polen (im Vorfeld führte ich für das KUNST-Magazin ein Interview mit ihr) versäumt die Biennale die Gelegenheit, dieser in Berlin bereits präsenten Perspektive einen erweiterten Raum zu bieten.
Somit bleibt weiterhin fraglich, warum die diesjährige Biennale es trotz hervorragender Infrastrukturen es nicht versteht, ihre politische Losung künstlerisch auszugestalten. Eine solch farblose Zurschaustellung eines blassen Gestus muss daher auch die Kritik aushalten, als bloße Affirmation zu gelten. Indes, den Vorwurf der opportunistischen Jasagerei muss sich die Biennale nicht gefallen lassen. An der Ernsthaftigkeit der Akteure dürfte kaum ein Zweifel bestehen. Auch wenn manch eine Plattitüde dem Links-Chic aus polemisch übertünchter Polit-Konfabulation nahe liegt, steht die Entschlossenheit der Aktivisten außer Frage. Der Protest mag real sein, inszeniert weil fehl am Platze bleibt er trotzdem. Und so ist vielleicht der schlichteste Moment der 7. Berlin Biennale ihr aufschlussreichster: Bei Sonnenschein treffen sich die Aktivisten im den KW angeschlossenen Café – denn auch ein echter Okkupant braucht seine Mittagspause.