Die Bagatellisierung von Abu Ghraib

01. August 2011 von Matthias Planitzer
Marc Lüders: "AG_40" Wer die anhaltende, zusehends deprimierende Wetterlage zum Anlass nimmt, sein Gemüt durch Kunst aufzuheitern, kann dies dieser Tage vielleicht am besten bei einem ungestörten Galerienmarathon durch die Ausstellungsräume rund um die Koch- und Lindenstraße tun. Trotz des Sommerlochs, das auch vor dem Kunstkalender nicht Halt macht, findet man doch noch einige Ausstellungen, die es zu besuchen lohnt. So kann man sich in der LEVY Galerie noch bis zum 27. August ein Bild von der Ausstellung "Shifting the everyday" machen, welche Künstler präsentieren will, die "die Rahmenbedingungen unseres Alltagslebens hinterfragen und unterwandern". Wenig konkret formuliert versteckt sich dahinter dennoch eine Schau, die sehenswerte Einzelpositionen vereint. Neben einer Installation John von Bergens und Felix Kiesslings Arbeiten mit dem Medium Zeit sind dies v.a. drei Werke Marc Lüders’, die im Gedächtnis bleiben. Die vermeintlichen Fotografien zeigen in schnappschussartiger Amateurhaftigkeit eine triste Umgebung aus kaltem Beton und dürftigem Putz, verdreckten Türen, einem staubigen Deckenventilator – kurz: ein wenig einladender Ort, der sonst keine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wenn man sich wieder von diesen Fotografien abwenden will, erkennt man jedoch, daß einige Bildteile übermalt wurden; daß hier etwas versteckt liegt, was dem Betrachter zunächst verheimlicht wurde.
Marc Lüders: AG_40Marc Lüders: »AG_40«

Wer die anhal­ten­de, zuse­hends depri­mie­ren­de Wet­ter­la­ge zum Anlass nimmt, sein Gemüt durch Kunst auf­zu­hei­tern, kann dies die­ser Tage viel­leicht am bes­ten bei einem unge­stör­ten Gale­rien­ma­ra­thon durch die Aus­stel­lungs­räu­me rund um die Koch- und Lin­den­stra­ße tun. Trotz des Som­mer­lochs, das auch vor dem Kunst­ka­len­der nicht Halt macht, fin­det man doch noch eini­ge Aus­stel­lun­gen, die es zu besu­chen lohnt.

So kann man sich in der LEVY Gale­rie noch bis zum 27. August ein Bild von der Aus­stel­lung »Shif­ting the ever­y­day« machen, wel­che Künst­ler prä­sen­tie­ren will, die »die Rah­men­be­din­gun­gen unse­res All­tags­le­bens hin­ter­fra­gen und unter­wan­dern«. Wenig kon­kret for­mu­liert ver­steckt sich dahin­ter den­noch eine Schau, die sehens­wer­te Ein­zel­po­si­tio­nen ver­eint. Neben einer Instal­la­ti­on John von Ber­gens und Felix Kiesslings Arbei­ten mit dem Medi­um Zeit sind dies v.a. drei Wer­ke Marc Lüders’, die im Gedächt­nis bleiben.

Die ver­meint­li­chen Foto­gra­fien zei­gen in schnapp­schuss­ar­ti­ger Ama­teur­haf­tig­keit eine tris­te Umge­bung aus kal­tem Beton und dürf­ti­gem Putz, ver­dreck­ten Türen, einem stau­bi­gen Decken­ven­ti­la­tor – kurz: ein wenig ein­la­den­der Ort, der sonst kei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich zieht. Wenn man sich wie­der von die­sen Foto­gra­fien abwen­den will, erkennt man jedoch, daß eini­ge Bild­tei­le über­malt wur­den; daß hier etwas ver­steckt liegt, was dem Betrach­ter zunächst ver­heim­licht wurde.

Marc Lüders: AG_93Marc Lüders: »AG_93«

Marc Lüders arbei­tet in einer Tech­nik, die er »Pho­to­pic­tu­ren« nennt: Indem er direkt auf die gedruck­te Foto­gra­fie Far­be auf­trägt, wer­den Male­rei und Foto­gra­fie ver­schränkt. Die drei aus­ge­stell­ten Arbei­ten fal­len zunächst nicht als ein sol­ches syn­the­ti­sches Medi­um ins Auge, sind sie doch als Retu­schen gedacht, die erst beim zwei­ten Blick als sol­che erkenn­bar wer­den. Lüders über­tünch­te Tei­le des Bil­des mit Ölfar­be, die, wenn man sie erst ein­mal bemerkt hat, Umris­se von Per­so­nen offen­ba­ren. Dann erst rea­li­siert man, daß es sich um Fotos aus Abu Ghraib handelt.

Lüders nutz­te als Grund­la­ge für »AG_03«, »AG_40« und »AG_93« die­sel­ben Auf­nah­men, die 2004 publik wur­den und für welt­wei­tes Auf­se­hen sorg­ten. Bis auf das Akro­nym im Titel weist nichts auf die­se Her­kunft hin. Die Arbei­ten funk­tio­nie­ren allein auf Grund­la­ge des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses, das auch nach mehr als acht Jah­ren noch frisch genug ist, um die­se Asso­zia­ti­on zuver­läs­sig hervorzurufen.

Die ver­pi­xel­ten, dadurch leicht abs­tra­hier­ten Foto­gra­fien wur­den durch einen eben­so dif­fu­sen Farb­auf­trag retu­schiert, wodurch nicht nur die Iko­no­lo­gie des Motivs zuta­ge geför­dert wird, son­dern im sel­ben Zug auch die Seh­ge­wohn­hei­ten auf­ge­deckt wer­den. Indem Lüders den Blick Lynn­die Eng­lands, aber auch den der media­len Öffent­lich­keit mit sei­nen Pro­du­zen­ten und Rezi­pi­en­ten annimmt, übt er Kri­tik an allen Betei­lig­ten. Der Fokus bleibt auf den Delin­quen­ten, führt aber bei Lüders ins Lee­re. Blind­heit und Igno­ranz, Ver­harm­lo­sung und Baga­tel­li­sie­rung sind die Kri­tik­punk­te an der Öffentlichkeit.

Marc Lüders: AG_03Marc Lüders: »AG_03«

Die Bot­schaft lau­tet: »Seht, was ihr nicht seht« und betont, daß in der hit­zi­gen öffent­li­chen Debat­te über die Fol­ter­vor­wür­fe im Irak die Opfer ver­ges­sen wur­den. Bereits auf den Ori­gi­nal­auf­nah­men ist kei­ner der Gefan­ge­nen zu erken­nen, doch erst durch Lüders’ Pho­to­pic­tu­re wird die Iden­ti­tät der Delin­quen­ten voll­kom­men über­deckt. Lüders zeigt offen die Anony­mi­tät, jedoch nicht, indem er den Opfern ein Gesicht gibt, son­dern indem er sie auf die Spit­ze treibt. Dadurch unter­streicht die Serie die Obs­zö­ni­tät der Bericht­erstat­tung, die um den Image­scha­den der USA kreis­te statt die Schick­sa­le der Opfer zu rekonstruieren.

Lüders’ Kri­tik schlägt schnell in eine Beleh­rung um. Die­ser Appell bewirkt aller­dings eben so wenig einen Affekt wie eine Bil­der­se­rie über das Hun­ge­relend in der Drit­ten Welt. Marc Lüders setzt auf die recht anti­quier­te, appel­la­ti­ve Macht des Bil­des, auf die nicht etwa Ein­sicht und Besin­nung, son­dern Des­in­ter­es­se und  Schul­ter­zu­cken fol­gen. Daher blei­ben die ver­frem­de­ten – oder bes­ser: wei­ter ent­frem­de­ten – Dar­stel­lun­gen aus Abu Ghraib nur eines: zahn­los. Aber gut gemeint.