In der Galerie Veneklasen Werner läuft diesen Monat die Gruppenausstellung »MoDiMiDoFrSaSo« aus, für die dem knappen Ausstellungstext zufolge drei künstlerische Positionen vereint wurden, die aus konzeptuellen Ansätzen heraus auf Abstraktion abzielten. Mehr wollte die Ankündigung nicht verraten, die weiteren Details bleiben dem Forschergeist des Besuchers überlassen (Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die üblichen Ausstellungszeiten auch vom Titel der am 30. Juli endenden Schau unberührt bleiben).
Mit der geweckten Neugier auf den kuratorischen Unterbau besuchte ich gestern die Galerie und fand in der Tat gleichermaßen konzeptionelle wie abstrakte oder wenigstens abstrahierte Werke vor. Harold Ancart, Klaus Jörre und Nico Vascellari stellen in jeweils einem der Räume aus, bleiben dabei jedoch auffallend isoliert, was womöglich auch darin begründet ist, daß sie bis auf eine gewisse Nüchternheit in ihren Werken kaum weitere Gemeinsamkeiten einen. So flaniert man also vom abgedunkelten Sinneslabor Vascellaris hinüber zu den herausfordernden, mitunter anstrengenden Mustern Jörres, die leider mehr als Sinnestäuschungen imponieren, und eilt schließlich in den vergleichsweise steril gehaltenen Raum, der Ancart zugedacht wurde.
Harold Ancart: Ohne TitelHier kann sich das Auge von den einnehmenden, zuweilen unnachgiebig strengen Gittern Jörres erholen. Sehr aufgeräumt erscheint der Raum, klassische Ausstellungskonzeption nach alter Schule. Harold Ancarts Arbeiten mit Kohlestaub erscheinen in diesem Kontrast sehr zurückhaltend, in der Tat ist eine davon so grazil gebaut, daß man sie fast übersieht und hineinläuft. Man schaut sich einmal um und verweilt noch ein wenig.
Doch dann entfaltet sich in dieser Stille mit einem Mal eine leise brodelnde Magie. Nach der Lektüre des Ausstellungstextes mag man raumgreifende Installationen vermuten, aber dieser zarte Zauber geht (zunächst) weniger vom Raum denn von den einzelnen Ausstellungsstücken selbst aus. Im Mittelpunkt steht eine unbetitelte, gut zwei mal drei Meter messende Arbeit, direkt auf die Galerienwand aufgetragen. Dem Anschein nach hat Ancart hierfür die Wand bis auf jenes Stück abgeklebt, um es daraufhin mit Kohlestaub zu bewerfen. Die weiße Wand bleibt als Rahmen erhalten, das Werk konstituiert sich allein durch seine scharfe Abgrenzung. Wer genau hinschaut, kann noch die sich abhebenden Krusten erkennen, wird auch letzte Pigmentreste auf dem Boden entdecken.
Harold Ancart: Ohne Titel (Foto: courtesy of Veneklasen Werner)Mit der gleichen geometrischen Strenge ging Harold Ancart bei der Ausgestaltung des weiteren Raumes vor. In einer Ecke erkennt man, was offensichtlich Folge diszplinierter Kokelei ist: ein mehrere Meter messendes Gebirge aus Ruß, dessen Gipfel durch die mal mehr, mal weniger hoch züngelnden Flammen auf die Wand gebrannt wurden. Ebenso wie in der Kohlenstaubarbeit dominiert hier der Eindruck des Performativen. Das Werk erscheint zunächst als Produkt, als bloßes Zeugnis einer Handlung, in der der eigentliche künstlerische Kern liegt. Das iterative, fast litaneihaft ausexerzierte Anrußen der Wand wie auch die Impulsivität des Action Paintings sind stets als ephemerer Ursprung präsent. Konzeptkunst also.
Harold Ancart: Ohne Titel (Foto: courtesy of Veneklasen Werner)Fast übersieht man jedoch den Schlüssel zu Ancarts Werk: Kaum merklich erhebt sich von einer der Wände ein graziles Nylongeflecht. Die mit pigmentiertem Harz überzogenen Kanten der Fadenpyramide schneiden tief in den Raum hinein und bleiben doch selbst fast verborgen. Man läuft Gefahr, die fein gearbeitete Installation zu übersehen und versehentlich in dieses Spinnennetz hineinzulaufen. Von vorn fällt es gar nicht weiter auf, erst wenn man sich von der Seite nähert, ist man darüber überrascht, was sich dort an der Wand befindet.
Hier wird ein Raum aufgespannt, seine Dimensionen so dezent wie möglich formuliert, sodaß seine tragende Eigenschaft, die Leere, möglichst unangetastet bleibt. Die ebenfalls unbetitelte Arbeit ist nicht mehr als ein Hinweis auf diesen Raum, ein vager Fingerzeig, der die Natur des Kunstwerks, ja ihren ganzen Sinn nach Außen verkehrt.1 Es zeigt, was sonst unbeachtet bleibt, weil es nicht existent scheint, und stellt so die Frage nach der Wahrnehmung des Raumes, der ohne definierte Grenzen auskommt. Ist ein Raum existent, wenn seine Dimensionen unbekannt sind?
Mit dieser, zugegebenermaßen vom Pathos der ontologischen Axiomatik erfüllten Frage wendet man sich sofort zu den anderen Wänden um und erkennt weitere Beispiele in den geometrisch strengen Formen der Kohle- und Rußarbeiten. Das tiefe Schwarz als sinnbildlicher Gegensatz der Leere imponiert auch hier als Abgrenzung zu einem sonst kaum augenfälligen Raum. Wo das Nylonmodell jedoch das wesentliche Unwesentliche umarmt, betont der Kohlestaub die Verschiedenheit. Er wird zum Rahmen ipso facto (ähnlich Anton Burdakovs »FRAMED«), zum intrinsisch konstituierten Objekt, das gerade dadurch den Unterschied zum Äußeren herauskehrt. Der Fokus liegt dadurch — paradoxerweise — nicht auf dem nachtschwarzen Pigment, sondern ganz im Gegenteil auf der Wand, von der es sich ab- und erhebt, deren Fläche und Weite, aber auch deren Oberflächenstruktur erst durch Ancarts Installation betont wird.
Harold Ancart: Ohne TitelDagegen erscheint der Sachverhalt, daß die gerußte Wand als unwiderrufliches Zeugnis von der Flüchtigkeit des Feuers steht, zu trivial, um sich länger an ihm aufzuhalten, bestätigt doch aber wieder die Mechanismen der Abgrenzung: Manifestes verweist auf Flüchtiges, macht es sichtbar, macht es greifbar. Keine Scheu vor dem Paradox. So ergibt am Ende auch Ancarts Ankündigung Sinn:
»I’m now turning the room you gave me into an impossible space.«
- Bereits Ende 2009 war eine ähnliche Nylon-Installation Ancarts bei Hunchentoot ausgestellt worden. Die Arbeiten wurden neben Brice Guilberts gänzlich schwarzen Blättern in den Raum gehangen. Während diese den Raum gänzlich einnahmen, den sie ausfüllten, und selbst darüber hinaus ihre gierige Wirkung zu entfalten schienen, betonten Ancarts Faden die Leere. Hier stand also das eine zum Kontrapunkt des anderen. ↩