Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusitano
Auf meiner kürzlichen Reise nach Stockholm besuchte ich u.a. Moderna Museet, wo eine große Übersichtsausstellung die jüngsten und interessantesten Entwicklungen der zeitgenössischen schwedische Kunst auf den Grund gehen will. Die ausgestellten Werke der 54 Künstler fokussieren eine große Bandbreite an Themen, doch eine Arbeiten erregte mein besonderes Interesse.
Stockholm scheint — wie ich während der vergangenen Tage vielfach hörte und lernte — eine eigenartige Stadt zu sein: wunderschöne Straßenzüge kollidieren mit der Reserviertheit und Zurückgezogenheit der Bevölkerung. Die Stockholmer sind im Allgemeinen nicht nur auf sich bedacht, sondern zudem allen Anschein nach auch in der Öffentlichkeit recht interaktionsscheu. Insbesondere Fremde haben es schwer, Anschluss zu finden und sich zu integrieren. Schweden bleiben unter sich und in ihren über Jahren und Jahrzehnten gefestigten Freundeskreisen, die Zugezogenen notgedrungenerweise ebenfalls.
Diese Erfahrung machte ich nur persönlich, sondern wurde darin auch in Gesprächen mit Zugezogenen und den wenigen Stockholmern bestätigt, die ich zuvor kannte. Dennoch ist Schweden ein klassisches Einwanderungsland und weist in den Großstädten klare Hinweise der sozialen Isolierung auf. Siedlungen mit großer Ausländermehrheit und kultureller Segregation lassen sich nicht nur in der schwedischen Hauptstadt beobachten.
Dieses Problem ist der schwedischen Gesellschaft wohl bekannt und sorgt immer wieder für Diskussionen in den Medien. Doch eine künstlerische Auseinandersetzung scheint (nach meinen Informationen) bisher kaum stattgefunden zu haben. Die ebenfalls eingewanderte, portugiesischstämmige Künstlerin Maria Lusitano Santos greift dieses Thema in einer bewegenden und nicht minder eindrucksvollen Videoarbeit auf und kommt zu dem Schluss, dass sich Migranten in Schweden in einem Vakuum zwischen der gesuchten und der verlassenen Heimat befinden.
Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusitano
Schweden hat — wenn man den Medien glauben will — ein echtes Ausländerproblem. Zwölf Prozent der Einwohner haben einen Migrationshintergrund, viele sind Iraker oder Angehörige anderer arabischer Kulturen. Im Malmöer Stadtteil Rosengård trieb noch bis Anfang diesen Monats ein Heckenschütze sein Unwesen, ermordete in dem bekannten Ausländerviertel einen Migranten, verletztere nicht weniger als weitere vierzehn Personen. Der Fall ist nicht neu, in der Vergangenheit gab es bereits eine ähnliche Anschlagserie in Stockholm und Uppsala.
Obgleich wohl nur die allerwenigsten Schweden mit dem Attentäter sympathisieren, herrschen für Ausländer zumindest in Stockholm nicht gerade ideale Bedingungen. Nicht zuletzt die Eigenheit der Hauptstädter, den Großteil ihres Lebens in ihren festen Cliquen zu bleiben, kaum Interesse an neuen Kontakten zu haben, macht es Zugezogenen schwer, neue Kontakte zu knüpfen.
Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusitano
Maria Lusitano ist eine von ihnen. Vor drei Jahren zog die Portugiesin mit ihrem Sohn nach Malmö. Schweden war für sie zuvor ein utopisch verklärter Ort, ein Land, das Sicherheit und Heimatgefühl bieten kann. Seit ihrer Ankunft hat sich dieses Bild jedoch geändert, Lusitano erkannte in der schwedischen Realität kaum einen Rest der Vorstellungen, die sie einst in dieses Land trieben. Ebenso wie es ihr schwer fiel, hier ihren Status als Ausländer zu überwinden, geht es auch vielen anderen (portugiesischstämmigen) Einwanderern.
Exemplarisch dafür stehen die ebenfalls portugiesischen Eheleute Samuel und Ercília, die 1967 ihr Glück in Malmö suchten. In ihrer dokumentarischen Videoarbeit »Moving away from home« lässt Lusitano ihre Schicksalsgenossen zu Wort kommen und gibt einen Einblick in die Situation einer Einwanderergeneration, die, gealtert und im neuen Leben gefestigt, auch nach vierzig Jahren noch immer nicht angekommen sind.
In »Moving away from home« zieht Maria Lusitano Parallelen zwischen ihrer eigenen Geschichte und der des vorgestellten Ehepaares. Sie erzählen von den Schwierigkeiten, trotz Arbeit und gesicherter Lebensgrundlage in einer Umgebung Fuß zu fassen, die wenig Attraktives bietet. Die Häuserschluchten der Großsiedlungen und ihre kühle Anonymität werden zur stummen Kulisse dieser so eng miteinander verbundenen Geschichten und spiegeln die triste Fremde und Isolation wieder, in der diese nomadisch lebenden Personen nach dem suchen, was sie einst in dieses Land führte.
»Moving away from home« ist jedoch mehr als nur ein einfacher Vergleich. Die vorgestellten Schicksale stehen lediglich exemplarisch für die typische Situation eines Einwanderers, wie Lusitano sie entwirft.
Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusitano
Der Film blickt jedoch auch in die Zukunft. Samuel und Ercília ziehen zurück nach Portugal, zurück zu ihren Kindern und Enkeln, zurück zu ihren Freunden, in ihre einstige Heimat. Maria Lusitano dagegen hat sich mit ihrer Rolle als Fremde abgefunden. Sie hat sich losgelöst von allem, was einmal Heimat war, und mit einem Leben arrangiert, das sie als modernes Nomadentum empfindet:
»We would always be in the middle of two places. Not more. But also in the middle of a lot of affections.«
Vielleicht ist »Moving away from home« gar keine Dokumentation des Alltags eines Einwanderers in Malmö, vielleicht gar nicht mal der spezifisch schwedischen Realität. Vieles kann durchaus auch für andere Länder überall auf der Welt gelten. Das weiß niemand so genau.
Sicher ist nur, dass wir uns in einer Gesellschaft befinden, die an der Schwelle von der Seßhaftigkeit zurück zum Nomadentum steht. Sei es im Kontext der Migration oder des Tourismus: Das Konzept der Heimat wird heutzutage stetig neu entwickelt.