Der White Cube: Reizarmut und Sterilität als Gefängnis? (Still aus THX 1138)
Der White Cube: Der Versuch, einen Raum zu erschaffen, der sich durch die gänzliche Abwesenheit von störenden Sinneseinflüssen aller Art -: Fenster, Farbigkeit, Oberflächenstrukturen, wechselnde Beleuchtung, Geräuschquellen und Widerhall — auszeichnet. Es ist das Credo eines sterilen Raumes, der einerseits die ausgestellte Kunst vor einem absolut neutralem Hintergrund atmen lässt, aber auch den Betrachter mit seinen innersten Gedanken und Emotionen allein lässt und so den optimalen Austausch zwischen beiden Polen der Kunstrezeption fördert.
So weit die Theorie, die in Galerien und Museen weltweit angewandt wird. Manche Ausstellungsräume überspitzen diese Idee und schaffen beklemmende, weil künstliche und abgeschottete Räume (einen Eindruck davon kann man im Film THX 1138 gewinnen, wo Reizarmut als Stilmittel eingesetzt wird), andernorts verzichtet man auf eine strenge Umsetzung dieses kuratorischen Grundkonzepts und kalkt immerhin die Wände regelmäßig nach.
Jedoch zeichnete sich in den letzten Monaten zumindest in Berlin eine Tendenz ab, dass das Dogma des White Cubes aufgebrochen und die Neutralität des Ausstellungsraumes zusehends hinterfragt wird. - Eine Untersuchung des derzeitigen Kurationsverständnisses.
»FischGrätenMelkStand«, © John Bock
Es begann mit John Bock, der im Sommer dieses Jahres in der Temporären Kunsthalle — einem White Cube par excellence — die letzte Ausstellung »FischGrätenMelkStand« kuratierte und darin den sterilen Ausstellungsraum verwarf. Sein Konzept brach nicht nur im wörtlichen Sinne aus den Mauern dieses kuratorischen Gefängnisses aus, es führte auch gänzlich neue Kurationsstrategien ein. Die in »FischGrätenMelkStand« ausgestellten Werke konnten sich weder von ihrem Untergrund noch von einander abheben und mussten sich bei all der Sinnesflut tüchtig behaupten.
Die Folge war, dass einige weniger ausdrucksstarke Arbeiten nach Luft rangen, andere wiederum sich gänzlich in ihrem Umfeld integrierten (etwa in der Art eines »Raummottos«) und wieder andere den harschen Kontrast suchten. Ein vorurteilsloser und unbeeinflusster Umgang mit den ausgestellten Werken war so nicht möglich, vielleicht auch gar nicht nötig, sicherlich nicht gewollt. Die oben angedeutete Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter war schon von vornherein in einem Maße durch die Kuration bestimmt, die man zuvor nicht kannte.
John Bocks Ausstellung war nicht nur ein Plädoyer für sinnesbereicherte, zuweilen manipulative Kurationskonzepte, sondern auch ein Aufschrei aus einer sich in absoluter Neutralität verlierenden Ausstellungskultur. »FischGrätenMelkStand« wurde in der Tagespresse wie in den Fachmedien viel beachtet und mit großem Lob überschüttet. Eine nachhaltige Wirkung auf das Kurationsverständnis wurde schon damals prophezeit.
Galerie Isabella Bortolozzi
Dieser mutige Kurswechsel blieb jedoch lange eine Ausnahme. Galeristen haben ein großes Interesse, die Arbeiten ihrer Künstler in der Sammlerschaft unterzubringen, weshalb auch in der Präsentation im Ausstellungsraum kaum Risiken eingegangen werden dürfen. Daher fielen auch die Reaktionen auf Bocks Aufruf bisher verhalten aus.
So sah man erst kürzlich bei Sassa Trülzsch einen vorsichtigen Vorstoß hin zu einem neuen Umgang mit dem White Cube. Statt wie üblich die Wände nach jeder Ausstellung neu zu weißen und damit von allen Spuren zu säubern, überdauerte eine zarte horizontale Linie mehrere Renovierungen, welche vor einiger Zeit im Rahmen einer Ausstellung von Bert Rodriguez dort angezeichnet wurde. Später hingen u.a. Bilder von Stephanie Snider statt auf einer makellos weißen Wand vor dieser Linie.
Dagegen entdecken manche Galeristen ihre Vorliebe für den Charme ihrer Räumlichkeiten, so, wie sie sie bei ihrem Einzug vorfinden. Bei Isabella Bortolozzi etwa harmonieren die wie üblich weißen Wände mit dunklen Dielen und gleichtönigen Wandvertäfelungen; ein hölzernes Separee lädt nicht nur zum Verweilen ein, sondern lockert auch die Raumwirkung auf.
Ausstellung »My lonely days are gone«, bei Arratia Beer
Dies sind jedoch nur recht zurückhaltende Beispiele, jedenfalls gemessen an der Radikalität des »FischGrätenMelkStandes«. Auch wenn sich vereinzelt Galerien in alten Räumlichkeiten, wie beispielsweise einer alten Apotheke, mit all dem dazugehörigen Interieur ansiedelt, ist es eher eine Liebeserklärung an die Geschichte des Raumes denn ein rein kuratorisches Interesse, das im Falle dieser Beispiele hinter der offensiven Lossagung vom klassischen White Cube steht.
Dagegen schlug man kürzlich bei Arratia Beer einen anderen Kurs ein. Für die Ausstellung »My lonely days are gone« interpretierten zehn Künstler das Konzept des Raumkörpers neu, indem sie die sonst »passive Rolle der Wand als einen Ort, der nur dafür da ist, Werke zu hängen« überdenken. Das Ergebnis dieser neuen Herangehensweise ist eine lose Sammlung möglicher Neuinterpretationen der Wand als raumbildende Komponente.
Wie von Seiten der Galerie klar gestellt wird, lag die Absicht der Ausstellung nicht in der Neuerfindung des Galerieraumes als Ort der Kunstpräsentation und ‑begegnung. So wurde ausgeschlossen, dass die neu gestalteten Wände für kommende Ausstellungen erhalten bleiben könnten. Dennoch werden hier Perspektiven eröffnet, die auch für den Ausstellungskontext relevant sind. Nicht nur für die Raumwahrnehmung im Allgemeinen spielen Wände und Fußböden eine entscheidende Rolle (eine Binsenwahrheit zwar, doch eine, die zu beweisen war), auch für die Kunstrezeption.
Ausstellung »My lonely days are gone«, bei Arratia Beer
Es wäre zwar sicherlich interessant gewesen, zu sehen, wie die Kunstwerke auf der Wand mit den kommenden an der Wand interagiert hätten, doch allein die Erkenntnis, wie erstgenannte sich im Galerienkontext verhalten, zeigt, dass die Vorstöße in eine neue Richtung weg vom White Cube deutlicher werden. Wenn etwa schwere Stahlrohre eine Wand abstützen müssen (Michael Hakimi: »Ring«) oder rote Streifenmuster die räumliche Anordnung mehrere Wände kaschieren (Terry Haggerty: »Into Flourescent«), erzeugt das bereits eine Raumwahrnehmung, die über das Maß dessen hinausgehen, was zuvor vorgestellt wurde.
Im Gegensatz zu den Beispielen der Galerien Sassa Trülzsch und Isabella Bortolozzi wird die Raum- und damit — wenn auch mangels weiterer Verwendung nur hypothetisch — die Kunstrezeption bewusst manipuliert. Hier kommt, oder besser: käme tatsächlich ein kuratorisches Interesse zum Tragen, das sich erstmals von dem Dogma der Neutralität verabschiedet.
Ist eine heteronome Kunstrezeption einer autonomen vorzuziehen? Diese Frage muss noch geklärt werden. Offen bleibt auch, ob die Freiheit, die die Neutralität des White Cube verspricht, überhaupt erreicht werden kann oder ob sie nicht zu einer lähmenden Isolation führt, wenn der Betrachter aufgrund mangelnder Affekte der unüberschaubaren Vielfalt der Möglichkeiten ausgeliefert ist. In dieser Situation kann womöglich eine forciertere Kuration eine Anstoß geben.
Es bleibt also weiterhin zu beobachten, welchen Weg einzelne Kurationen gehen und wieviel Erfolg sie damit haben werden.