Abschied vom White Cube

08. Dezember 2010 von Matthias Planitzer
Der White Cube: Reizarmut und Sterilität als Gefängnis? (Still aus THX 1138) Der White Cube: Der Versuch, einen Raum zu erschaffen, der sich durch die gänzliche Abwesenheit von störenden Sinneseinflüssen aller Art -: Fenster, Farbigkeit, Oberflächenstrukturen, wechselnde Beleuchtung, Geräuschquellen und Widerhall - auszeichnet. Es ist das Credo eines sterilen Raumes, der einerseits die ausgestellte Kunst vor einem absolut neutralem Hintergrund atmen lässt, aber auch den Betrachter mit seinen innersten Gedanken und Emotionen allein lässt und so den optimalen Austausch zwischen beiden Polen der Kunstrezeption fördert. So weit die Theorie, die in Galerien und Museen weltweit angewandt wird. Manche Ausstellungsräume überspitzen diese Idee und schaffen beklemmende, weil künstliche und abgeschottete Räume (einen Eindruck davon kann man im Film THX 1138 gewinnen, wo Reizarmut als Stilmittel eingesetzt wird), andernorts verzichtet man auf eine strenge Umsetzung dieses kuratorischen Grundkonzepts und kalkt immerhin die Wände regelmäßig nach. Jedoch zeichnete sich in den letzten Monaten zumindest in Berlin eine Tendenz ab, dass das Dogma des White Cubes aufgebrochen und die Neutralität des Ausstellungsraumes zusehends hinterfragt wird. - Eine Untersuchung des derzeitigen Kurationsverständnisses.

Der White Cube: Reizarmut und Sterilität als Gefängnis? (Still aus THX 1138)Der White Cube: Reiz­ar­mut und Ste­ri­li­tät als Gefäng­nis? (Still aus THX 1138)

Der White Cube: Der Ver­such, einen Raum zu erschaf­fen, der sich durch die gänz­li­che Abwe­sen­heit von stö­ren­den Sin­nes­ein­flüs­sen aller Art -: Fens­ter, Far­big­keit, Ober­flä­chen­struk­tu­ren, wech­seln­de Beleuch­tung, Geräusch­quel­len und Wider­hall — aus­zeich­net. Es ist das Cre­do eines ste­ri­len Rau­mes, der einer­seits die aus­ge­stell­te Kunst vor einem abso­lut neu­tra­lem Hin­ter­grund atmen lässt, aber auch den Betrach­ter mit sei­nen inners­ten Gedan­ken und Emo­tio­nen allein lässt und so den opti­ma­len Aus­tausch zwi­schen bei­den Polen der Kunst­re­zep­ti­on fördert.

So weit die Theo­rie, die in Gale­rien und Muse­en welt­weit ange­wandt wird. Man­che Aus­stel­lungs­räu­me über­spit­zen die­se Idee und schaf­fen beklem­men­de, weil künst­li­che und abge­schot­te­te Räu­me (einen Ein­druck davon kann man im Film THX 1138 gewin­nen, wo Reiz­ar­mut als Stil­mit­tel ein­ge­setzt wird), andern­orts ver­zich­tet man auf eine stren­ge Umset­zung die­ses kura­to­ri­schen Grund­kon­zepts und kalkt immer­hin die Wän­de regel­mä­ßig nach.

Jedoch zeich­ne­te sich in den letz­ten Mona­ten zumin­dest in Ber­lin eine Ten­denz ab, dass das Dog­ma des White Cubes auf­ge­bro­chen und die Neu­tra­li­tät des Aus­stel­lungs­rau­mes zuse­hends hin­ter­fragt wird. - Eine Unter­su­chung des der­zei­ti­gen Kurationsverständnisses.

John Bock: FischGrätenMelkStand»Fisch­Grä­ten­Melk­Stand«, © John Bock

Es begann mit John Bock, der im Som­mer die­ses Jah­res in der Tem­po­rä­ren Kunst­hal­le — einem White Cube par excel­lence — die letz­te Aus­stel­lung »Fisch­Grä­ten­Melk­Stand« kura­tier­te und dar­in den ste­ri­len Aus­stel­lungs­raum ver­warf. Sein Kon­zept brach nicht nur im wört­li­chen Sin­ne aus den Mau­ern die­ses kura­to­ri­schen Gefäng­nis­ses aus, es führ­te auch gänz­lich neue Kura­ti­ons­stra­te­gien ein. Die in »Fisch­Grä­ten­Melk­Stand« aus­ge­stell­ten Wer­ke konn­ten sich weder von ihrem Unter­grund noch von ein­an­der abhe­ben und muss­ten sich bei all der Sin­nes­flut tüch­tig behaupten.

Die Fol­ge war, dass eini­ge weni­ger aus­drucks­star­ke Arbei­ten nach Luft ran­gen, ande­re wie­der­um sich gänz­lich in ihrem Umfeld inte­grier­ten (etwa in der Art eines »Raum­mot­tos«) und wie­der ande­re den har­schen Kon­trast such­ten. Ein vor­ur­teils­lo­ser und unbe­ein­fluss­ter Umgang mit den aus­ge­stell­ten Wer­ken war so nicht mög­lich, viel­leicht auch gar nicht nötig, sicher­lich nicht gewollt. Die oben ange­deu­te­te Bezie­hung zwi­schen Kunst­werk und Betrach­ter war schon von vorn­her­ein in einem Maße durch die Kura­ti­on bestimmt, die man zuvor nicht kannte.

John Bocks Aus­stel­lung war nicht nur ein Plä­doy­er für sin­nes­be­rei­cher­te, zuwei­len mani­pu­la­ti­ve Kura­ti­ons­kon­zep­te, son­dern auch ein Auf­schrei aus einer sich in abso­lu­ter Neu­tra­li­tät ver­lie­ren­den Aus­stel­lungs­kul­tur. »Fisch­Grä­ten­Melk­Stand« wur­de in der Tages­pres­se wie in den Fach­me­di­en viel beach­tet und mit gro­ßem Lob über­schüt­tet. Eine nach­hal­ti­ge Wir­kung auf das Kura­ti­ons­ver­ständ­nis wur­de schon damals prophezeit.

Galerie Isabella BortolozziGale­rie Isa­bel­la Bortolozzi

Die­ser muti­ge Kurs­wech­sel blieb jedoch lan­ge eine Aus­nah­me. Gale­ris­ten haben ein gro­ßes Inter­es­se, die Arbei­ten ihrer Künst­ler in der Samm­ler­schaft unter­zu­brin­gen, wes­halb auch in der Prä­sen­ta­ti­on im Aus­stel­lungs­raum kaum Risi­ken ein­ge­gan­gen wer­den dür­fen. Daher fie­len auch die Reak­tio­nen auf Bocks Auf­ruf bis­her ver­hal­ten aus.

So sah man erst kürz­lich bei Sas­sa Trülzsch einen vor­sich­ti­gen Vor­stoß hin zu einem neu­en Umgang mit dem White Cube. Statt wie üblich die Wän­de nach jeder Aus­stel­lung neu zu wei­ßen und damit von allen Spu­ren zu säu­bern, über­dau­er­te eine zar­te hori­zon­ta­le Linie meh­re­re Reno­vie­run­gen, wel­che vor eini­ger Zeit im Rah­men einer Aus­stel­lung von Bert Rodri­guez dort ange­zeich­net wur­de. Spä­ter hin­gen u.a. Bil­der von Ste­pha­nie Sni­der statt auf einer makel­los wei­ßen Wand vor die­ser Linie.

Dage­gen ent­de­cken man­che Gale­ris­ten ihre Vor­lie­be für den Charme ihrer Räum­lich­kei­ten, so, wie sie sie bei ihrem Ein­zug vor­fin­den. Bei Isa­bel­la Bor­to­loz­zi etwa har­mo­nie­ren die wie üblich wei­ßen Wän­de mit dunk­len Die­len und gleich­tö­ni­gen Wand­ver­tä­fe­lun­gen; ein höl­zer­nes Sepa­ree lädt nicht nur zum Ver­wei­len ein, son­dern lockert auch die Raum­wir­kung auf.

Ausstellung "My lonely days are gone", bei Arratia BeerAus­stel­lung »My lonely days are gone«, bei Arra­tia Beer

Dies sind jedoch nur recht zurück­hal­ten­de Bei­spie­le, jeden­falls gemes­sen an der Radi­ka­li­tät des »Fisch­Grä­ten­Melk­Stan­des«. Auch wenn sich ver­ein­zelt Gale­rien in alten Räum­lich­kei­ten, wie bei­spiels­wei­se einer alten Apo­the­ke, mit all dem dazu­ge­hö­ri­gen Inte­ri­eur ansie­delt, ist es eher eine Lie­bes­er­klä­rung an die Geschich­te des Rau­mes denn ein rein kura­to­ri­sches Inter­es­se, das im Fal­le die­ser Bei­spie­le hin­ter der offen­si­ven Los­sa­gung vom klas­si­schen White Cube steht.

Dage­gen schlug man kürz­lich bei Arra­tia Beer einen ande­ren Kurs ein. Für die Aus­stel­lung »My lonely days are gone« inter­pre­tier­ten zehn Künst­ler das Kon­zept des Raum­kör­pers neu, indem sie die sonst »pas­si­ve Rol­le der Wand als einen Ort, der nur dafür da ist, Wer­ke zu hän­gen« über­den­ken. Das Ergeb­nis die­ser neu­en Her­an­ge­hens­wei­se ist eine lose Samm­lung mög­li­cher Neu­in­ter­pre­ta­tio­nen der Wand als raum­bil­den­de Komponente.

Wie von Sei­ten der Gale­rie klar gestellt wird, lag die Absicht der Aus­stel­lung nicht in der Neu­erfin­dung des Gale­rie­rau­mes als Ort der Kunst­prä­sen­ta­ti­on und ‑begeg­nung. So wur­de aus­ge­schlos­sen, dass die neu gestal­te­ten Wän­de für kom­men­de Aus­stel­lun­gen erhal­ten blei­ben könn­ten. Den­noch wer­den hier Per­spek­ti­ven eröff­net, die auch für den Aus­stel­lungs­kon­text rele­vant sind. Nicht nur für die Raum­wahr­neh­mung im All­ge­mei­nen spie­len Wän­de und Fuß­bö­den eine ent­schei­den­de Rol­le (eine Bin­sen­wahr­heit zwar, doch eine, die zu bewei­sen war), auch für die Kunstrezeption.

Ausstellung "My lonely days are gone", bei Arratia BeerAus­stel­lung »My lonely days are gone«, bei Arra­tia Beer

Es wäre zwar sicher­lich inter­es­sant gewe­sen, zu sehen, wie die Kunst­wer­ke auf der Wand mit den kom­men­den an der Wand inter­agiert hät­ten, doch allein die Erkennt­nis, wie erst­ge­nann­te sich im Gale­rien­kon­text ver­hal­ten, zeigt, dass die Vor­stö­ße in eine neue Rich­tung weg vom White Cube deut­li­cher wer­den. Wenn etwa schwe­re Stahl­roh­re eine Wand abstüt­zen müs­sen (Micha­el Haki­mi: »Ring«) oder rote Strei­fen­mus­ter die räum­li­che Anord­nung meh­re­re Wän­de kaschie­ren (Ter­ry Hag­ger­ty: »Into Flou­re­s­cent«), erzeugt das bereits eine Raum­wahr­neh­mung, die über das Maß des­sen hin­aus­ge­hen, was zuvor vor­ge­stellt wurde.

Im Gegen­satz zu den Bei­spie­len der Gale­rien Sas­sa Trülzsch und Isa­bel­la Bor­to­loz­zi wird die Raum- und damit — wenn auch man­gels wei­te­rer Ver­wen­dung nur hypo­the­tisch — die Kunst­re­zep­ti­on bewusst mani­pu­liert. Hier kommt, oder bes­ser: käme tat­säch­lich ein kura­to­ri­sches Inter­es­se zum Tra­gen, das sich erst­mals von dem Dog­ma der Neu­tra­li­tät verabschiedet.

Ist eine hete­ro­no­me Kunst­re­zep­ti­on einer auto­no­men vor­zu­zie­hen? Die­se Fra­ge muss noch geklärt wer­den. Offen bleibt auch, ob die Frei­heit, die die Neu­tra­li­tät des White Cube ver­spricht, über­haupt erreicht wer­den kann oder ob sie nicht zu einer läh­men­den Iso­la­ti­on führt, wenn der Betrach­ter auf­grund man­geln­der Affek­te der unüber­schau­ba­ren Viel­falt der Mög­lich­kei­ten aus­ge­lie­fert ist. In die­ser Situa­ti­on kann womög­lich eine for­cier­te­re Kura­ti­on eine Anstoß geben.

Es bleibt also wei­ter­hin zu beob­ach­ten, wel­chen Weg ein­zel­ne Kura­tio­nen gehen und wie­viel Erfolg sie damit haben werden.