Als Matthias Arndt seinen Lebensmittelpunkt nach Singapur verlagerte, um die Geschäfte seiner dortigen Dependance höchstpersönlich leiten zu können, hatte er seine Rechnung noch nicht mit der Einwanderungsbehörde gemacht. Denn der prosperierende Inselstaat nimmt Migrationsfragen sehr ernst: So verwehrten die Beamten dem Berliner Galeristen zunächst die Arbeitserlaubnis – der langjährige Inhaber und Geschäftsleiter sei für seinen Job schlicht nicht qualifiziert genug. Schließlich habe er keine Ausbildung absolviert, die ihn dazu befähige, nun auch in Südostasien seine Künstler zu vertreten. Zwanzig Jahre Erfahrung in einem Beruf, den man nicht in einem Studium oder einem Lehrgang erlernen kann, galten da nicht viel.
Daß dies jedoch eine Fehleinschätzung gewesen war, zeigt derweil seine Galerie auf der lokalen Kunstmesse ArtStage Singapore. Sie gehörte in diesem Jahr zu den wenigen westlichen Ausstellern, welche die Zeichen des aufstrebenden südostasiatischen Marktes erkannt hatten und Künstler präsentierten, die den Zeitgeschmack der Großregion trafen. So erwiesen sich die dekonstruktiven Gemälde des Philippino Jigger Cruz als goldrichtige Wahl: Die mit fettglänzenden Farbteppichen bedeckten Motive der klassizistischen Genremalerei waren bereits innerhalb von zehn Minuten restlos ausverkauft. Da blieb dem Künstler bald nichts anderes übrig, als auch die herbeigeeilten Späher der großen Auktionshäuser vertrösten – seine Arbeiten müssten ein Jahr lang trocknen, da könne er nie und nimmer mit der Produktion kommissionierter Werke hinterherkommen. Auch die weiteren Verkäufe der Galerie demonstrierten spielend, daß die Einschätzung der Behörden unbegründet war: Eine Regenbett-Installation des Indonesiers FX Harsono wurde für 54.000$ verkauft, eine weitere Installation des Landsmanns Entang Wiharso zum Preis von 160.000$ wurde immerhin reserviert und so konstatierte Arndt schon am zweiten Messetag nicht ohne die gebotene Diskretion, daß »das Geschäft besser als gedacht« liefe.
Was schließlich die Beamten der Einwanderungsbehörde bewog, ihre Entscheidung zu korrigieren, ist nicht bekannt, letztlich erhielt der Galerist doch die notwendige Erlaubnis, sein Geschäft von Singapur aus zu führen. Mittlerweile feiert seine Niederlassung ihr einjähriges Bestehen, Matthias Arndt schaut frohen Mutes in die Zukunft. Einfach hat er es hier nicht. Das gibt er zwar nicht offen zu, vergleicht die Aufbruchstimmung aber mit jenen frühen Berliner Tagen, als er und Judy Lybke noch die Sammler an der Hand durch die Stadt schleiften – später ist daraus das erfolgreiche Gallery Weekend geworden. Dann erinnert er sich schmunzelnd an die Singapurer Eröffnungsausstellung zurück: Um der Einweihung der neuen Räume die gebührende Festlichkeit zu verliehen, wurden solch gewichtige Größen wie Heinz Mack, Otto Piene, Yves Klein und Lucio Fontana aufgebracht. Doch das Resümee fiel nüchtern aus, lediglich Piene konnte sich verkaufen, die Werke der anderen ZERO-Künstler blieben unerwartete Ladenhüter. Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, die Galerie wickelt nun zwei Drittel ihrer Geschäfte in Südostasien ab. Jeder fünfte Sammler stammt aus dem Westen, nur jeder zehnte Verkauf geht zurück in die deutsche Heimat.
Bei einem Glas Sekt trägt Matthias Arndt diese und andere Geschichten zur allgemeinen Erheiterung vor, doch eigentlich offenbaren sie dem neugierigen Gast, der nach Singapur gekommen ist, um hier dem wie aus dem Nichts wachsenden Kunstmarkt auf die Spuren zu kommen, wie fremd die Kunst dieser Stadt eigentlich noch ist. Die Gründe für dieses eigenartige Verhältnis sind in der Geschichte der jungen Nation zu finden. Als Singapur sich in den Fünfziger und Sechziger Jahren mit massiven politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen konfrontiert sah und daraufhin aus der Föderation Malaya buchstäblich herausgeschmissen wurden, gelang dem Staat unter Präsident Lee Kuan Yew innerhalb weniger Jahre der Wandel von einem Entwicklungsland zu einer wohlhabenden Industrienation. Auf einer Fläche, die der Hamburgs entspricht, entstand ein de facto Einparteienstaat, der mit geringen Steuern, politischer Stabilität und umfangreichen sozialen Programmen sowohl ausländische Konzerne lockte, als auch seine Bevölkerung stärkte. In der drittgrößten Finanzmetropole der Welt leben heute mehr als fünf Millionen Einwohner, zudem etwa eine Million hochqualifizierte Migranten. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, daß jeder zwanzigste Singapurer eine Million Dollar oder mehr besitzt. Und so manch ein chinesischer Magnat hat seinen Wohnsitz an die Südspitze des asiatischen Festlandes verlagert – nirgends kann man so unbeschwert unter Chinesen leben, ohne von einer autoritären Partei oder einer nervigen Steuerbehörde gestört zu werden.
Indes konnte die Hochkultur in diesen fünf kurzen Jahrzehnten mit dem wirtschaftlichen Wachstum freilich nicht mithalten. Eine Kunstszene, wie man sie aus den europäischen Ländern oder den Vereinigten Staaten kennt, fehlte schlicht die Zeit zum Heranwachsen. Dennoch ist das Thema in aller Munde. Dank verschiedener staatlicher Initiativen und Förderprogramme entdecken die Singapurer langsam die Kunst für sich. Federführend war dabei aber nicht etwa ein Kultus‑, sondern das Wirtschaftsministerium. So entspringt das öffentliche Interesse an der Kunst zwar zunächst einem rein ökonomischen Engagement. Dadurch entstand hier aber auch innerhalb weniger Jahre entstand ein Kunstmarkt, der bereits jetzt als das Zentrum Südostasiens gehandelt wird.
Einen maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatten Lorenzo Rudolf und seine Kunstmesse ArtStage Singapore, die nun im vierten Jahr mit ihrem Fokus auf südostasiatischer Kunst den Standort zum Drehkreuz der Großregion weiter ausbauen wollen. Rudolf ist kein Unbekannter: Unter seiner Ägide entwickelte sich die ArtBasel zur heute marktbeherrschenden Messe, deren Expansion nach Miami Beach ebenfalls auf Rudolf zurückgeht. Nach seinem Ausstieg leitete er andere, kleinere Messen, doch sein Vorhaben aus den frühen Neunzigern, die ArtBasel nach Singapur zu führen, konnte er erst fast zwanzig Jahre später in veränderter Form umsetzen, als der Schweizer sich dazu entschloß, mit der ArtStage Singapore eine völlig neue Messe aus der Taufe zu heben. Völlig neu, weil die asiatische Situation nicht mit Europa oder Amerika vergleichbar wäre. Während es in den westlichen Ländern eine offene Kunstszene und einen ebenso offenen Markt gebe, zergliedere sich Asien in sehr viele national geprägte, in sich geschlossene Szenen und Märkte. Insbesondere in Indonesien habe sich eine Nationalkunst weitestgehend autark entwickelt und sei so zu einer beachtlichen Größe und Reife gewachsen. Ein Austausch über Landesgrenzen hinweg habe bisher nicht stattgefunden.
Doch nun breche die Kunst aus, Künstler und Sammler wagten zunehmend den Blick in die Nachbarländer. Für Lorenzo Rudolf heißt dies, »wenn wir eine Kunstmesse veranstalten wollen, die international ist und auch supranational erfolgreich sein soll, muss dies an einem Ort geschehen, der eine gewisse multikulturelle Identität hat. Da gibt es nur zwei Orte in ganz Asien: Hong Kong und Singapur.« In einem Konkurrenzverhältnis zum chinesischen Nachbarn sehe Rudolf die ArtStage allerdings nicht, denn »Hong Kong ist ein branch von Basel, das heißt, es läuft dort genauso ab wie wenn Gucci nach Tokyo geht: Dann werden dort natürlich auch nur Gucci-Taschen verkauft.« Daher betont die ArtStage immer wieder, gelegentlich auch etwas aggressiver als nötig, daß sie die beste, wenn nicht gar die einzige Messe sei, die sich der Kunst Südostasiens verschrieben hat:
»Wir haben die ArtStage von Anfang an klar als Messe mit eigenständiger asiatischer Identität, nicht etwa als Kopie einer westlichen Messe positioniert. Was Asien braucht, ist eine Plattform, die asiatische Interessen verteidigt. Die ArtStage Singapore ist ein Ort, an dem man Asien entdecken kann. Das wird für das westliche Publikum immer interessanter.«
Bisher gibt ihm der Erfolg Recht: Die Messe konnte in ihrem vierten Jahr ein sattes Besucherplus von fast fünfzehn Prozent verzeichnen, die Verkäufe seien »auch nicht schlecht« gewesen und schließlich resümiert auch der Abschlussbericht die diesjährige Ausgabe mit Rekorden, einhelligem Galeristenlob und Sammlerbeifall sowie den gewohnt schwindelerregenden Erlösen, die mittlerweile jeder Messe als unverzichtbarer Gradmesser dienen. Diese Erfolge stellten sich freilich nicht grundlos ein, sie sind nicht zuletzt auch Ergebnis einer Öffentlichkeitsarbeit, die erst das Kunstinteresse der potentiellen Käufer, aber auch der Singapurer Bevölkerung wecken musste. Immerhin lässt es sich bis in die lokalen Medien zurückverfolgen, die das Kunstevent vor ihren Augen mit großer Aufmerksamkeit und mit mal mehr, mal weniger Scharfsinn beobachten. So kam es fast einer Sensation gleich, daß man in der staatlich kontrollierten »The Straits Times« eine milde, aber immerhin eine Kritik an jener Kunstmesse las, welche zwar aus der Privatwirtschaft entstammt, doch aber ohne das Wohlwollen und die umfangreiche ministerielle Unterstützung nicht entstanden wäre. Doch solche Stimmen waren hier die Ausnahme; so wurden etwa in einer Sondersendung des staatlichen Senders Channel NewsAsia so wichtige Fragen geklärt, wie etwa, was zum Aufgabenfeld eines Kurators gehöre und was eigentlich eine Kunstmesse sei. Kritische Höhepunkte waren in einem Land, dem die Kunst noch fremd ist, ohnehin nicht zu erwarten.
Daher sieht Lorenzo Rudolf die ArtStage, aber auch zugezogene Galeristen wie Matthias Arndt in der Pflicht, aber auch der besonderen Gelegenheit, ihr Engagement als grundlegende Aufklärungsarbeit und Kunstvermittlung zu gestalten. Denn es gibt zwar ein Kunstmuseum und auch eine Biennale, die dort gerade ausgetragen wird, ferner wird im kommenden Jahr eine Nationalgalerie eröffnet werden – alles Orte und Veranstaltungen, die sich explizit der südostasiatischen Kunst widmen –, doch ihre Rolle ist bisher marginal. Die lokalen Galerien haben einen noch geringeren Anteil an der Kunstvermittlung, die einheimischen Künstler studieren und arbeiten im Ausland und auch in den Schulen erfolgt keine strukturierte Kunsterziehung. Das Singapore Art Museum ist zwar dieser Tage vom Schnattern der Schulklassen erfüllt, doch die Kinder, so hört man, kämen nicht wegen der Kunst, sondern weil das Gebäude einst ihre katholische Knabenschule beherbergte.
Dem entgegen steht das Interesse jener breiten, wohlhabenden Schicht Singapur, die hier lebt oder auch nur ihr Geld einlagert, die neugierig die Messehallen besucht und dort auf ein kuratiertes Kunstprogramm stößt: Mit den Nationalplattformen will die ArtStage einen Einblick in die verschiedenen Kunstszenen Asiens geben, ihre Stile und Diskurse vorstellen, um dem kunstbegeisterten Sammler in spe einen Leitfaden an die Hand zu geben, sich auch inhaltlich auf der Messe zurecht zu finden. Dann wird ein abgeschirmter Raum für zentralasiatische Kunst, ein weiterer für Taiwan, ein anderer für chinesische Künstler eingerichtet. Acht solcher Plattformen stellten in diesem Jahr auf zwanzig Prozent der gesamten Ausstellungsfläche siebzig Künstler vor. Denn Lorenzo Rudolf ist sich dessen bewusst, daß die ArtStage »eine Marktplattform ist, die sich einen Markt schaffen muss, was auch heißt, daß wir erziehen müssen. Erziehen kann ich nicht über den Markt, das muss ich über den Kontext, die Erklärungen tun. Darum haben wir aus jedem Land die wichtigsten Kuratoren angesprochen und ihnen diese Plattformen geboten.« Kein Kurator habe sich quer gestellt, er wolle keine merkantile Veranstaltung kuratieren. Denn genau das sei es gewesen, worauf sie gewartet hatten. Der Bezug zum Markt bleibt natürlich weiter erhalten; die Messe lässt sich die besondere Aufmerksamkeit für diese Fokuskünstler von ihren Galeristen gut bezahlen. Die wiederum spüren die Effekte der Plattformen – so wurden die Fotografien der jungen Singapurerin Sarah Choo innerhalb weniger Stunden zum Stückpreis von $6.500 restlos abverkauft.
Allen Erfolges zum Trotz wird hier noch mit diesem Konzept weiterhin gefremdelt. Nachdem im vergangenen Jahr die Einrichtung eines Indonesienpavillons auf viel Kritik stieß, weil man an den Galeristen vorbei geplant habe, steht auch 2014 die Kuration in der Kritik. So monierte Huang Lijie in jener sensationell scheinenden Kritik in der »The Straits Times« nicht etwa das Messeformat, sie bemängelte, daß die oftmals mangelnde Qualität der Kuration vom Verkauf ablenke. Auch das ein Indiz für die hiesige Einstellung zur Kunst.
Doch wenn die Messetage vorbei sind und der Kunstmarkt wieder aus den Randspalten der Tageszeitungen verschwindet, muss die Kunsterziehung und ‑vermittlung umso behutsamer und mühsamer weitergehen. Erst vor wenigen Jahren hat die Regierung ein altes Kasernengelände freigegeben, damit sich hier Galerien ansiedeln können. Auf einem eingezäunten Gelände abseits der hektischen Hochhausgassen Downtowns liegen die Gillman Barracks, wo der einstige militärische Lagerkoller erfolgreich in eine ungestörte Abgeschiedenheit umgewandelt wurde.
Michael Janssen hat hier vor einem Jahr sein Lager aufgeschlagen. Singapur sei »die beste Plattform in ganz Südostasien«, auch wenn es in der Galerie »bisher eher ruhig« gewesen sei. Ich treffe ihn zum Gespräch, doch der Berliner Galerist hatte an jenem Tag nicht viel Zeit. Ebenso sehr beschäftigt war Ute Meta-Bauer, die nebenan ihre Antrittsausstellung als neue Direktorin des NTU Centre for Contemporary Art vorstellte. Drei Videoarbeiten zum Themenfeld Migration und Reisen wurden gezeigt, mehr nicht, denn es fehlte schlicht an Zeit. Doch dieser kleine Vorgeschmack reichte schon aus, um die Vorstellung zu vermitteln, daß in den Gillman Barracks eine kleine Kunstszene aufblüht, die sich um Inhalte und Kunstvermittlung bemüht. Fünfzehn weitere Partner umfasst der langsam erwachende Kunstcampus, wo man zwar freilich auch das übliche Kleinklein, aber eben auch teils große Kunst geboten bekommt.
Matthias Arndt hat sich hier auf einer Anhöhe niedergelassen. Derzeit werden neue Skulpturen von Stephan Balkenhol gezeigt, es ist bereits die fünfte Ausstellung am neuen Standort. Bei einem Glas Champagner blickt er auf das vergangene Jahr zurück – Grund zum Feiern besteht jedenfalls genug, denn die Messe spült derzeit viele Sammler in seine Galerie, wo sie sich an den schelmischen Holzbildhauereien ebenso sehr wie die Deutschen erfreuen können, was wohl aber daran läge, daß das Holzschnitzhandwerk hier eine lange Tradition habe. Sonst gehe es hier ruhiger zu, »die Singapurer gehen lieber in die Shopping Mall«, wo sie in den Trash-Galerien aus einer Fülle von oftmals schon kopistisch anmutenden Ölgemälden wählen können.
Da liege in den Gillman Barracks das Einstiegsniveau bei etwa 15.000 Dollar niedrig. Immerhin, das Geschäft laufe gut. Besser als gedacht. Seine Künstler würden gut angenommen, aber Singapur sei ja auch das Tor nach Südostasien, was schließlich auch der Grund sei, warum er hierher gezogen sei. Der Galerist bestätigt aber auch, was in diesen Messetagen wie ein Branchenslogan klingt: »In Hong Kong sind schon alle da«, Singapur sei dagegen »noch eher unberührt«. Daher setze sich Arndt auch dafür ein, mit seinen Nachbarn die gemeinsame Sichtbarkeit aufzubauen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Gesprächsabende und Lesungen seien geplant, Rundgänge und gemeinsame Abendveranstaltungen nach westlichem Vorbild sollen die Ausbildungsarbeit abrunden. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich Arndt, Janssen und Meta-Bauer mit einer deutschen Machermentalität einbringen.
Auf diesem Wege sollen die heute noch etwas schläfrig wirkenden Gillman Barracks in zwei Jahren zu einem Kunstzentrum heranreifen, das auch inhaltlich ein wichtiger Impulsgeber sein kann. Der Weg dahin wird nur in kleinen Schritten zu bewältigen sein. Das weiß auch Matthias Arndt und grübelt über alle Details: »Die Leute dürfen auch in der Regenzeit nicht davor zurückscheuen, die oftmals langen Wege über das Gelände auf sich zu nehmen. Wir brauchen einen überdachten Bürgersteig. Bis der kommt, gebe ich eben Regenschirme aus. Da steht dann eben auch der Name der Galerie drauf. Meine Kollegen hielten mich anfangs für verrückt. Aber so läuft das nun mal, Schritt für Schritt, alle an einem Strang.«