Tanz im Licht

18. Juli 2010

Raurouw: "Shock control regression adaptation" Der gestrige Abend führte mich zu einer Vernissage in die Program Gallery unweit des Hamburger Bahnhofs, wo das Architektenquartett Raurouw sein jüngstes Werk "Shock control regression adaptation" vorstellte. Wie bereits angekündigt, erwartete den Besucher eine interaktive Lichtinstallation, die die vier Phasen der Trauer - namentlich Schock, Kontrolle, Regression und Anpassung - aufgreifen und verarbeiten wollte. Ob die Ausstellung dieses Versprechen einlösen konnte und wie es sich anfühlt, in einem abgedunkelten Raum mit stetig wechselndem Laserlicht umherzuwandeln - diese und andere Eindrücke warten nach dem Klick.

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Adaptation und Assimilation

13. Juli 2010

"shock control regression adaptation", © Raurouw Der Theologe Yorick Spiegel postulierte zu Beginn der Siebziger Jahre seine Theorie der vier Trauerphasen: Zunächst überwiege der Schock, bald jedoch die emotionsarme Kontrolle, woraufhin die Regression aus dem alltäglichen Leben und schließlich die Phase der Anpassung folge. Diese Theorie fand später viel Anklang und wird gemeinhin auf die Binsenweisheit "Trauern ist Anpassung" verkürzt. Eben diesen Sachverhalts will sich nun eine Lichtinstallation der Künstlergruppe Raurouw annehmen: Dazu entsenden sie Laserstrahlen durch die verdunkelten Räume der PROGRAM Galerie, lenken sie mittels Spiegeln um und modulieren sie analog zu den vier Trauerphasen in Farbe und Gestalt. Die Installation "shock control regression adaptation" soll dazu mit den Besuchern interagieren und durch ihre Bewegungen gesteuert die Wechsel zwischen den einzelnen Phasen einläuten.

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Marzahner Lokalkolorit

09. Juli 2010

Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Marzahn: wo graue Plattenbauten, Arbeitslosigkeit und sozialer Verfall in einer Melange aus Trostlosigkeit und gescheitertem Sozialismus aufeinander treffen. Wo Schicksale besiegelt werden: Hier werden Menschen gemacht, die schon als Kinder keine Chance haben. Hier werden Menschen gemacht, die es zu beliebten Komikern bringen. Marzahn ist aber auch meine Heimat, ein Ort, den ich besser kenne und mehr liebe als alle jene, die über diesen Berliner Ostbezirk nicht mehr als diese vielen Klischees wissen. Als ich vor einiger Zeit die obigen Aufnahmen im Internet fand, ward mir ganz anders um Herz. Da hatte ein Fotograf im Jahre 1999 diesen meinen Bezirk eingefangen und auf Film gebannt. Da hatte jemand meine Heimat fotografiert, den Ort, wo ich meine Kindheit verbracht habe: Die rechte der beiden abgebildeten Fassaden erkannte ich sofort; es war das Haus, in dem ich als Kind wohnte, ein Gebäude, das heute so nicht mehr existiert. Es ist unglaublich, was ich beim Anblick dieser schlichten Bilder empfand, die ja nur die Fassadengestaltung eines in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern hochgezogenen Häuserblocks festhalten. Aus Mangel an besseren Worten: "Heimweh", "Wehmut". Doch eigentlich etwas ganz anderes. Etwas Unbeschreibliches. Grund genug, mich mit der Fotoserie, dem dazugehörigen Bildband, meiner Heimat, wie ich sie in Erinnerung behalten habe und auch wie man sie jetzt vorfindet zu beschäftigen, und meine Identität zu hinterfragen. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Wenn man den Klischees glauben will, so ist Marzahn alles andere als ein Ort, an dem man wohnen und leben möchte. Man kann diese Vorurteile nicht gänzlich negieren, stammen sie doch aus der Zeit, als Marzahn als eines der größten Bauprojekte der DDR aus dem Boden gestampft wurde. Grau in grau sah hier alles aus, für Anpflanzungen war keine Zeit, auch Freizeitbeschäftigung suchte man hier vergeblich. Doch das gab sich schnell: die Bewohner begrünten ihren Bezirk auf eigene Faust, später spendierte die DDR-Führung große Freizeitzentren und sogar ein kleines Kino. Während meiner Kindheit war von jenem Klischee nichts mehr zu ahnen: Marzahn war längst ein grüner Bezirk geworden, wir Kinder fanden überall Spielplätze und -flächen, hatten im besten Sinne eine unbeschwerte Kindheit. Das obige Bild zeigt meine Grundschule etwa zu dem Zeitpunkt, als ich in der fünften oder sechsten Klasse war. Auch dieses Gebäude existiert nicht mehr, doch reicht dieses Foto allein aus, um allerhand Erinnerungen hervorsprudeln zu lassen: Tischtennis in der Hofpause, Fußball auf dem Sportplatz, mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Erinnerungen an eine Kindheit also, wie die meisten sie gehabt haben. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Das obige Foto zeigt in etwa, wie Kindheit in Marzahn aussehen konnte: Wir Kinder waren jeden Tag draußen, spielten auf den vielen Wiesen, fingen Grillen oder manchmal auch Frösche, kletterten auf Bäume, spielten Verstecken zwischen all dem Grün der Gebüsche und Wiesen und dem Grau der Plattenbauten. Als dieses Foto aufgenommen wurde, war ich gerade zehn oder elf Jahre alt, es zeigt vermutlich den Hinterhof, auf dem ich selbst so viele Sommernachmittage mit Orangeneis und Wasserpistole verbrachte. Eines der Kinder auf diesem Bild kannte ich sogar, es ging in meine Klasse, wurde oft von den anderen Kindern geärgert, war mit nur wenigen wirklich befreundet. Viele Jahre später erfuhr ich vom Tod an der Leitplanke. Jetzt schaut es mich an, von diesem elf Jahre alten Foto. Gerrit Engel bildet Erinnerungen ab. Keine wehmütigen oder gar traurigen, doch aber ganz private und wertvolle, die wohl nur schwer nachzuempfinden sind. Obgleich Engel wohl bei seinem Streifzug durch das Marzahn der ausgehenden 90er Jahre andere Ideen und Motive verfolgte, fing er doch auch für einen kleinen Kreis unter denjenigen, denen er Bericht erstattet, eine Welt ein, die sie besser kannten, als jeder andere. In der Legende des Bildbandes fehlt für dieses Foto die Ortsangabe. Was Engel wohl vergaß, kann ich aus meinem Gedächtnis ergänzen: Jan-Petersen-Straße 2-6. Erkennbar an der Fassadengestaltung, die gar nicht so trist war, wie Marzahnbesucher es wohl empfanden. Etwa drei Meter rechts vom Bild müsste sich ein großes Gebüsch, mitten auf der Wiese gelegen, befunden haben. Ich weiß noch, wie ich darin saß, Marienkäfer fing und in TicTac-Dosen sperrte. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Dann sind es Fotos wie diese, die mich in eine Welt eintauchen lassen, die in dieser Form nicht mehr existiert, die ganz meiner Erinnerung gehört, die den Mikrokosmos meiner gesamten Kindheit beherbergt. Ich kann ohnehin schon viele Erinnerungen mit einem einzigen, kleinen Detail assoziieren, Gerrit Engels Fotografien jedoch lösen in mir ein wahres Emotionalfeuerwerk aus. Es ist unglaublich, wie viele im Grunde genommen unwesentliche Assoziationen durch diese Abbildungen wieder ins Bewusstsein kommen und greifbar werden. In meinen Erinnerungen taucht Marzahn stets als ein Ort der kindlichen Unbeschwertheit und Sorglosigkeit auf. Auf diesen Fotos findet sich jedoch auch ein Bezirk, der durch Plattenbauten und Tristesse geprägt ist. Zwischen den Elfgeschossern fällt der Blick auf weitere Hochhäuser, hinter denen ein Plattenbau dem nächsten folgt. Bauten, deren Fassaden in uniforme Anonymität getaucht sind. Kein Blumenkasten, keine aufwändige Gardine, keine extravagante Fenstergestaltung durchbricht dieses Meer an trister Einheitlichkeit. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Man bekommt fast das Gefühl, Marzahn sei ein unbeseelter Ort, wo man keinen Menschen auf der Straße trifft, wo man lieber unter sich bleibt statt dem Leben da draußen zuzunicken. Es scheint, hier blinzelten die Leute vorsichtig zwischen ihren Jalousien, um eine kurzen Blick auf das erlahmte Leben vor ihren Haustüren zu erhaschen. Doch weit gefehlt: Bei Gerrit Engel stehen die Marzahner selbst im Vordergrund, die - alles andere als scheue Wesen - in ihrem Bezirk ein kleines, beschauliches Leben in Bescheidenheit führen und sich ein Kleinod teilen, das überall anders in der Republik einem unrühmlichen Ruf hinterhereilt, der so wenig mit der Realität zu tun hat. Da ist etwa ein Foto aus dem winterlichen Bürgerpark: Kinder fahren Schlitten, tollen umher, leben einen ruhigen Alltag, der wohl im besten Sinne der Begrifflichkeit des Kindseins entspricht. Das alles findet vor der Kulisse der hochaufragenden Plattenbauten statt. Auch hier wechseln sich Elfgeschosser und Hochhäuser ab, auch hier weiß man sofort, dass man in Marzahn ist. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Gerrit Engel dokumentiert hier zweierlei: Auf der einen Seite gibt er den Vorurteilen Raum, die sicherlich nicht unbedingt einer Grundlage entbehren müssen, doch aber auch das widerspiegeln, was anderswo gedacht wird. Es scheint mir, als bestätige er zunächst den Betrachter, dessen Vorwissen wohl nur aus den bekannten Klischees besteht, begibt sich mit ihm auf eine Diskussionsebene um dann - und hier liegt wohl der Kern dieser Fotoserie - ein Bild zu bieten, das eine ganz andere Sprache spricht. Engel konfrontiert mit Einblicken, die zuvor keiner kannte, die wohl manch einen Düsseldorfer oder Kreuzberger überrascht haben müssen. Marzahn sieht bei ihm auf einmal ganz anders aus, ist doch aber unverkennbar dasselbe Marzahn, von dem man zuvor so viel gehört hatte. Das Haus, in dem aufwuchs, wie es heute aussieht Er fängt aber auch auf vielen seiner Fotografien einen Bezirk in der Größe einer mittelgroßen Stadt ein, der sich im Umbruch befindet. Am besten sichtbar wird dies in den vielen Modernisierungsprojekten, die seit dem Ende der 90er Jahre das Stadtbild komplett verändert haben. Da werden Projekte des Stadtumbaus mit Lob überhäuft und der mittlerweile weit über Berliner Grenzen hinweg bekannte Erholungspark räumt den Oscar der Parkgestaltung ab. Was im Großen geht, spielt sich auch im Kleinen ab: Heute sieht Marzahn völlig anders aus als es noch Gerrit Engels vor elf Jahren sah. Zwar dominieren nach wie vor Plattenbauten die Architektur Marzahns, doch sind diese nicht mehr wiederzuerkennen. Das Grau des Betons wich bunten Farben moderner Fassadengestaltung. Mediterrane Farbgebung trifft nun auf dezent-kühle Anstriche und gibt dem Bezirk ein Gesicht, das dieser Tage wohl so manchen Besucher überrascht. Das obige Foto etwa zeigt das Haus, in dem ich aufwuchs. Verglichen mit der rechten Ansicht des Eingangsfotos tut man sich doch schwer zu glauben, es handle sich hier um ein und dasselbe Gebäude. Ohne Titel, aus der Serie "Marzahn", © Gerrit Engel Doch dadurch ist nun auch all jenes ferne Vergangenheit geworden, was Gerrit Engel als Kulisse seiner Fotoserie diente. Seine Dokumentation wäre wohl nicht an einem anderen Ort, vor einem anderen Hintergrund oder in einer anderen Zeit denkbar gewesen. Sie gibt eine nicht nur örtlich, ja auch zeitlich abgeschlossene Welt wieder. Man blickt in die Augen dieser Kinder und sieht nicht etwa Gesichter von heute, man sieht Angehörige einer vergangenen Zeit, die heute Anfang, Mitte zwanzig sind. Ich gehöre zu ihnen. Ebenso könnte ich an ihrer Stelle vor Denkmälern posieren, skeptischen Blickes durch die Brille hindurch den Fotografen mustern. Ebenso könnte ich stolzerfüllt mit meinem Schlitten auf der Anhöhe stehen. Ebenso könnte ich im Kreise meiner Freunde auf irgendwelchen Wiesen tollend gesehen werden. Genau wie auch sie gehört meine Kindheit einer längst vergessenen Zeit an, die nur noch in Erinnerungen und Klischees weiterlebt. Was würden sie wohl fühlen, könnten sie sich heute auf diesen Fotos erkennen? Würden sie sich ebenso lebhaft erinnern wie ich? Könnten sie sich vielleicht sogar an jenen Tag zurückversetzen, an dem ein Fotograf aus dem Westen kam und sie in mit ihrem ganz alltäglichen Leben ablichtete? Sie würden vielleicht dasselbe empfinden wie ich. Denn Gerrit Engel dokumentierte nicht etwa bloß die Wahrheit über einen so berüchtigen Berliner Ostbezirk, er hielt doch eigentlich ein Stück meiner eigenen Identität fest. Gerrit Engel: "Marzahn", erschienen 1999 in Köln im Verlag der Buchhandlung König ISBN: 3-88375-371-8

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Der Letzte macht das Licht aus

02. Juli 2010

Das Tollhaus des John Bock Im September 2008 war's, als auf dem Schlossplatz ein Projekt seine Taufe feierte, das von vornherein nur für zwei Jahre bestehen sollte. Nachdem sich zuvor zeigte, dass in Berlin eine Ausstellungsplattform für heimische und hier sesshaft gewordene Künstler fehlte, konnte das privat initiierte Projekt der Temporären Kunsthalle den Senat überzeugen und so kam es auch im Juni 2008 zum ersten Spatenstich. In dieser kurzen Zeit konnte sich der Ausstellungsort erstaunlich schnell als wichtige Adresse in der Berliner Kunstszene etablieren. Nun rückt das Jubiläum immer näher; die Temporäre Kunsthalle wird an ihrem zweiten Geburtstag zu Grabe getragen werden. Gestern feierte die letzte Ausstellung "FischGrätenMelkStand" ihre Vernissage. Ich war vor Ort und habe mir ein Bild gemacht. Ein Bild, dass allen Gewohnheiten der Kunstrezeption widerspricht.

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Art Barter: Ein Bericht

28. Juni 2010

Art Barter: Viele Angebote, doch nur wenige werden Kunst eintauschen können Nachdem gestern die deutsche Elf die Menschen in die Biergärten und vor die Fernseher lockte, war die Berliner Innenstadt bis auf ein paar Touristen (Franzosen? Italiener?) wie leergefegt. Der beste Zeitpunkt also, um sich der Kunst zu widmen. Wie bereits angekündigt, fand am vergangenen Wochenende die erste Ausgabe von Art Barter auf deutschem Boden statt. Ich war vor Ort, habe viel spekuliert und auch selbst ein Angebot abgegeben. Was Art Barter eigentlich ist und wie die Ausstellung war? Mehr dazu nach dem Klick.

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Suche Kunst, biete eigene Marmelade

15. Juni 2010

(via) Kunst ist nach landläufiger Meinung ein Teil der Hochkultur und daher auch i.d.R. etwas, wofür man viel Geld ausgeben muss. So verfestigt sich ein Vorurteil, das ich ja schon einmal mit konkreten Tips zum Kunsterwerb widerlegt habe. Nun bin ich auf eine weitere Möglchkeit gestoßen, wie man selbst mit einem kleinem Geldbeutel an Kunst für die eigenen vier Wände herankommt: Art Barter. Das Einzigartige: Bei Art Barter braucht es kein Geld - qualitative Kunst von etablierten Künstlern ist hier für alle da. Der Knaller: Art Barter kommt nach Berlin!

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Alles andere als Luft

14. Juni 2010

"Work No. 551", © Martin Creed Wenn Kinder Bilder von idyllischen Landschaften malen, dann findet man neben strahlenden Sonnen und prächtigen Bäumen auch stets Wolken, die auf etwas verweisen, das für den kindlichen Geist so wohl einfacher zu fassen ist: der Himmel oder - allgemeiner - die Luft um uns herum. Das Problem ist schnell erkannt: Die Luft ist zwar allgegenwärtig und wie selbstverständlich da, doch fällt es schwer, ihrer gewahr zu werden. Umso eindrücklicher sind dann jene Momente, in denen wir die Luft um uns herum wahrnehmen können. Ein Orkan etwa lässt uns ehrfürchtig und klein werden; auch der Druckausgleich in großen Höhen erzeugt bei vielen ein unangenehmes Gefühl. Frische Luft lässt uns durchatmen, kühle Luft bringt Erfrischung. Martin Creed jedoch geht die Erfahrbarmachung der Luft von einer anderen Seite an. Seine Werkzeuge sind Kontakt, Enge und Beklemmung.

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Ansichtssache: eine Kulturrevolution

08. Juni 2010

Die Erschaffung Adams von Michelangelo: Beispiel eines brisanten Paradigmenwechsels Vergleicht man zwei Gemälde gleichen Motivs - etwa der Erschaffung Adams - aus dem 12. und dem 16. Jahrhundert, so wird auch auffallen, dass ersterem im Gegensatz zum letzteren eine perspektivische Ordnung fehlt, die dem natürlichen Sinneseindruck entspricht. Es wirkt platt, zweidimensional, starr und konzertiert, wogegen spätere Malerei natürlicher und energetischer wirkt - siehe dazu die obige Darstellung von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Der Grund hierfür liegt in der Wahl der Perspektive. Denn bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts war real-perspektivische Malerei, wie wir sie kennen, in Vergessenheit geraten, erst 1413 legte Filippo Brunelleschi den Grundstein für eine Revolution, die nicht nur die Kunst, sondern auch die damalige Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert haben muss. Denn was hier geschah, war für die einen wohl üble Gotteslästerung, für die anderen jedoch eine bahnbrechende Innovation auf dem Weg hin zu einem realitätsorientierten, nachahmendem Kunstverständnis.

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Jenseits der Imagination

31. Mai 2010

"Neutrinos trap stirring up cosmic dust", © Mariusz Sołtysik Der Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er mit seiner Umwelt interagiert. Mithilfe von Motorik und Kommunikation kann er Impulse setzen und gestalterisch wirksam werden, durch seine Sinne kann er den Zustand seiner Umwelt in mehreren Qualitäten erfassen. Und doch bleibt ihm vieles verborgen. Ich schrieb schon einmal über die Grenzen der Wahrnehmung und sprach dabei essentielle physikalische Größen wie Temperatur und Zeit an, die wir nur mit Hilfsmitteln adäquat messen können. Beschäftigt sich der vorgestellte Künstler John Baldessari mit physikalischen Größen, also abstrahierten, mitunter unanschaulichen Dingen, stolperte ich kürzlich über einen Künstler, der sich eindrücklicheren Dimensionen des Unvermögens menschlicher Wahrnehmung widmet. - Es geht um Neutrinos und die unvorstellbare Situation, sekündlich von Billiarden Teilchen durchlöchert zu werden. Denn Imagination beginnt dort, wo Wahrnehmung aufhört.

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Die Entmündigung des Künstlers

22. Mai 2010

"If there were anywhere but desert. Tuesday", © Ugo Rondinone Kürzlich warfen sie bei Kulturzeit einen Blick auf das Kunsthaus Aargau, wo kürzlich der renommierte Schweizer Ugo Rondinone eine Einzelausstellung eröffnete. So etwas wie ein Interview mit dem Künstler war das, nur ohne Interview, Rondinone sei wohl sehr scheu. Und so verfolgte man den umtriebigen Künstler inmitten des emsigen Treibens kurz vor der Eröffnung jener viel beachteten Ausstellung in seiner schweizer Heimat. Schnell tauchte ein Problem auf: Rondinone ist mit dem "Clown", einer Skulptur, die eigentlich den Titel "If there were anywhere but desert. Tuesday" trägt, nicht zufrieden. Man lernt, dass die Clownsfigur immer wieder in Rondinones Werken auftaucht, doch diese hier passt nicht recht ins Bild. Der Künstler würde sie lieber an einem anderen Ort in der Galerie sehen. Simples Problem, simple Lösung. Möchte man meinen. Doch weit gefehlt: Ehe Rondinone sein eigenes Werk überhaupt berühren darf, muss er bei dessen Besitzern, Almine und Bernard Ruiz-Picasso, telefonisch nachfragen, ob diese ihm ein Verrücken der Skulptur überhaupt genehmigen. Als dann ein Telefon aufgetrieben werden konnte und irgendwann das Einverständnis eingeholt war, konnten fünf behandschuhte Helfer den Clown mit der gebotenen Vorsicht an seinen neuen Platz in der Galerie hieven. Ein groteskes Schauspiel, wie ich fand. Mag der Gebrauch von Latexhandschuhen noch für ein gewisses Maß an Professionalität sprechen, wirkte das ganze Gehabe um die Einholung des Einverständnisses doch überaus eigenartig. Wird einem Künstler heute etwa die Kompetenz abgesprochen, zu wissen, wie seine eigenen Werke zu verstehen und daher auch, wie sie in einer Ausstellung zu platzieren sind?

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