Sonntägliche Morgenlektüre

09. März 2014 von Matthias Planitzer
Die Kunstwelt hat in den letzten Tagen viel geboten. Die Kritiker haben sich jedenfalls in Meldungen und Meinungen überschlagen. Manch Lesenswertes ist dabei.

In der ver­gan­ge­nen Woche stürz­te sich die Kunst­be­richt­erstat­tung auf so viel­sei­ti­ge und abwechs­lungs­rei­che The­men wie lan­ge nicht mehr: Eine Vase ging zu Bruch und zeig­te dabei eine ganz rea­le Mate­ria­li­tät auf, die spe­ku­la­ti­ve Mate­ria­li­en ver­mis­sen las­sen, weil sie nun mal vor allem sehr, sehr spe­ku­la­tiv sind. Wäh­rend­des­sen zeig­ten die Ame­ri­ka­ner, daß Kunst wei­ter­hin poli­tisch und sub­ver­siv sein und bis­wei­len sogar die aktu­el­len poli­ti­sche Ereig­nis­se auf der Krim vor­weg­neh­men kann.

Pres­se­spie­gel sind en vogue und schnell erstellt, wes­halb wir jetzt auch end­lich auf den Zug auf­sprin­gen, der schon län­ge­re Zeit nicht nur bei den deutsch­spra­chi­gen Blog­kol­le­gen von Arte­fakt, Don­ners­tag und Peri­s­phe­re durch­rollt. Wenn die Maga­zi­ne, Feuil­le­tons und Blogs wei­ter­hin so unter­halt­sam blei­ben, wer­den wir sobald nicht wie­der absprin­gen. Das war die Woche in der Kunstkritik:

Bpigs: »How to Fuck Things Up«

Daß die Kunst­welt wenigs­tens genau­so ver­dor­ben ist wie etwa die der Ban­ker, die der Film- und Fern­seh­schau­spie­ler und natür­lich auch die der Wirt­schafts­bos­se und über­haupt aller iso­lier­ter Sphä­ren sich gegen­sei­tig auf die Schul­ter klop­fen­der Hedo­nis­ten und Amo­ra­lis­ten, ist kei­ne beson­ders tau­fri­sche Nach­richt. Aber so oft die­se offen­sicht­li­che Kri­tik geäu­ßert wur­de, so oft wur­den auch Vor­schlä­ge zur Besei­ti­gung die­ser ver­lot­ter­ten Zustän­de vor­ge­bracht, die auch nichts dar­an ändern konn­ten. Bei bpigs geht man mit sol­chen Din­gen gewohnt locker um und so hat Sta­ma­tia Dimi­t­ra­kao­pou­los eine hüb­sche Lis­te an Vor­schlä­gen erstellt, wie ein jeder von uns – ob nun Künst­ler, Samm­ler oder ein­fa­cher VIP-Kar­ten-Samm­ler – die­se Kunst­welt zu einem bes­se­ren Ort machen könn­te. Mehr Auf­re­gung wäre immer­hin garantiert.

»2. If you are a famous artist being cour­ted for an inter­view, ask for the youn­gest intern in the maga­zi­ne to do an exclu­si­ve. Give the poor bas­tard a chan­ce to bypass all the cof­fee making hours or at least some­thing to talk about in the office kit­chen. She is bound to prepa­re more and is pro­ba­b­ly bet­ter than any high-class jour­na­list. What’s that? You are afraid the intern is going to mess things up? What do you care — you are a famous artist.«

Artefakt: »Alle Schönheit will Ewigkeit. Lagerfeld in Hamburg«

Eine die­ser ver­dor­be­nen Wel­ten ist mit Sicher­heit auch die der Mode. Doch immer­hin ist man sich dort schon längst bewusst gewor­den, über wel­che Bedeu­tungs­lo­sig­kei­ten der wohl­tu­en­de Rausch im pri­ckeln­den Scham­pus­bad gesucht wur­de. Anders kann man sich viel­leicht nicht erklä­ren, daß die Desi­gner und Maga­zi­ne glei­cher­ma­ßen immer wie­der ver­zwei­felt den Kon­takt zur Kunst suchen, von der sie sich die lang ersehn­te Auf­wer­tung erhof­fen. Das kann manch­mal funk­tio­nie­ren, geht aber meist gehö­rig dane­ben. Daß sich gele­gent­lich aber auch tro­cke­ne Kunst an Klas­si­kern der Mode auf­zu­fri­schen ver­sucht und dabei all­zu mil­de wird, bleibt oft über­se­hen. Anika Mei­er scheint es auf­ge­fal­len zu sein, sie besuch­te für Arte­fakt die Karl-Lager­feld-Schau in der Ham­bur­ger Kunst­hal­le:

»Der gemei­ne Muse­ums­be­su­cher jeden­falls ist gekom­men, um dem einen zu hul­di­gen: Karl Lager­feld. Der setzt mun­ter sei­ne Ideen in immer neu­en Medi­en um und freut sich wahr­schein­lich, wie der Muse­ums­be­su­cher, dass ihm immer neue Platt­for­men gege­ben wer­den. Viel­leicht hät­te man bei der Kon­zep­ti­on der Aus­stel­lung mehr Fra­gen stel­len müs­sen, um die rich­ti­gen Ant­wor­ten zu bekom­men, weni­ger auf Gemein­sam­kei­ten set­zen und mehr Unter­schie­de in den Blick neh­men. Lager­feld jeden­falls ist sein eige­nes Mise en aby­me.«

Donnerstag: »#Neuland«

Bei den geschätz­ten Kol­le­gen vom Don­ners­tag kommt Anni­ka Ben­der in ihrer Nach­le­se zur Fri­de­ri­cia­ni­schen Schau über die Künst­ler­ge­nera­ti­on des Spe­ku­la­ti­ven Rea­lis­mus zu einem ähn­lich nüch­ter­nen Urteil wie das uns­ri­ge. Trotz der geis­ti­gen Nähe sei die­se Lek­tü­re jedem ans Herz gelegt, der sei­nen Ein­druck bestä­ti­gen las­sen will, daß Susan­ne Pfef­fers Antritts­aus­stel­lung den not­wen­di­gen Über­blick über jene schwer zu fas­sen­de Künst­ler­grup­pe schuf, doch aber am Ende auch nur doku­men­tier­te, daß hier ein Flos­kel­for­ma­lis­mus herrscht, der über die inhalt­li­che Ver­ar­mung nicht hin­weg­täu­schen kann:

»Zur Ver­hand­lung des digi­ta­len All­tags wie­der­um fehl­te den meis­ten Arbei­ten eine über­zeu­gen­de inhalt­li­che Ver­dich­tung. Ent­we­der als Fol­ge all­zu loser ästhe­ti­scher Anord­nun­gen oder auf­grund der vor­herr­schen­den Prä­fe­renz einer tren­di­gen Auf­be­rei­tung gegen­über dem Ver­such sei­nen Gegen­stand in kom­ple­xe­ren the­ma­ti­schen Zusam­men­hän­gen zu entfalten.«

Hyperallergic: »Mel Chin’s Media Hacks and Conceptual Beauty«

Mel Chin kann zwar auf eine vier­zig Jah­re wäh­ren­de Arbeit als kon­zep­tu­el­ler Künst­ler zurück­bli­cken, doch ohne die aktu­el­le Retro­spek­ti­ve im New Orleans Muse­um of Arts und dem dar­aus resul­tie­ren­den Medi­en­echo wären wir wohl nie auf den Ame­ri­ka­ner gesto­ßen. War­um es sich lohnt, sich mit sei­ner der guten, alten Schu­le der poli­ti­schen Kunst ent­stam­men­den Arbeit ein­ge­hen­der zu beschäf­ti­gen, führt John d’Ad­da­rio in sei­nem kur­zen Aus­stel­lungs­be­richt für Hyperall­er­gic bereits im Ein­gangs­bei­spiel tref­fend aus:

»That pie­ce, ›In the Name of the Place‹ (1995–1997), ran during the ori­gi­nal prime­time broad­cast of Mel­ro­se Place and has con­tin­ued ever sin­ce when­ever the series has been syn­di­ca­ted. Con­cei­ved as a col­la­bo­ra­ti­on with a group of art stu­dents and facul­ty in Geor­gia and Los Ange­les, the pro­ject con­sis­ted of 200 objects that were ›covert­ly instal­led‹ as props and set deco­ra­ti­on in the series. Hiding in plain sight befo­re the vie­w­ing audi­ence were such sub­ver­si­ve objects as a Chi­ne­se food take­out bag with slo­gans from the Tian­an­men Squa­re pro­tests prin­ted on it and pain­tings depic­ting noto­rious cele­bri­ty death sce­nes. Also included was a home­s­pun-loo­king quilt embro­ide­red with the mole­cu­lar struc­tu­re of RU-486, the so-cal­led ›mor­ning after pill‹ then cur­rent in the news, which one cha­rac­ter was seen wrap­ping hers­elf in as she chat­ted on the pho­ne about her pregnan­cy. If you’ve ever won­de­red about the point whe­re Hol­ly­wood actress Hea­ther Lock­le­ar and con­cep­tu­al art inter­sec­ted, now you know.«

The New Yorker: »The case of the ›million-dollar‹ broken vase«

Die gut aus­ge­ar­bei­te­te Rekon­struk­ti­on des New Yor­kers, wie die berich­ten­den Medi­en eigent­lich den Wert der kürz­lich zer­stör­ten Ai-Wei­wei-Vase auf eine Mil­li­on Dol­lar taxier­ten, ist zwar eigent­lich schon in der Woche zuvor erschie­nen. Aber weil dies der ers­te Wochen­rück­blick und der Arti­kel ein­fach über­aus auf­schluss­reich ist, ver­zei­hen wir uns die­se Unge­nau­ig­keit. Ben Mauk schließt sich Ais knap­pem Kom­men­tar »This pri­ce is a very ridi­cu­lous num­ber« an und fügt sei­ner Auf­ar­bei­tung des Fal­les eine Kri­tik an, wie sol­che fata­len Fehl­ein­schät­zun­gen das all­ge­mei­ne Unver­mö­gen zu einer seriö­sen Kunst­kri­tik in Zei­ten der Macht des Kunst­markts exem­pla­risch dokumentieren:

»This sort of report­ing error results from the speed of jour­na­lism in the Inter­net era, and from the incre­asing­ly wide­spread belief that an art work’s mone­ta­ry value is its most news­wor­t­hy fea­ture. Becau­se art can be dif­fi­cult for jour­na­lists to wri­te about, much less eva­lua­te, pri­ce often takes on exag­ge­ra­ted rele­van­ce in sto­ries like this one. But jour­na­lists need not avo­id the sub­ject of money altogether.«

The New Yorker: »The novel that predicts Russia’s invasion of Crimea«

Eben­falls im New Yor­ker, dafür aber inner­halb der letz­ten sie­ben Tage, zieht Micha­el Idov eini­ge Par­al­le­len zwi­schen der aktu­el­len Krim­kri­se und Was­si­li Aks­jo­nows 1979 erschie­nen Roman »Die Insel Krim«. Ver­schwö­rungs­theo­rien blei­ben zwar glück­li­cher­wei­se aus, doch ver­säumt es Idov nicht, den Grund für die ver­meint­li­che Pro­phe­zei­ung in einer Kon­stan­te zu fin­den, der er wohl für ur-rus­sisch hält:

»Yet the real reason that ›The Island of Cri­mea‹ appli­es so easi­ly to any Rus­si­an deve­lo­p­ment, posi­ti­ve or cata­stro­phic, is that amid all the jazz and sex and fast cars, Aksyo­nov had cap­tu­red the inna­te, eter­nal dua­li­ty of Rus­sia: at any given moment, it is both the Island and the Main­land, a reef of free thought and a colos­sus poi­sed to stomp it out of existence.«

Ob es ganz so ein­fach ist, ist zwei­fel­haft, aber Idovs Fund­stück kommt immer­hin zum rech­ten Zeit­punkt, um der west­li­chen Rat­lo­sig­keit mit einer his­to­ri­schen Dia­gno­se auszuhelfen.