Abgerissene Gebäude werden als Sofa recyclet, Flugzeuge führen ihre Existenz als Baumhäuser weiter und gelegentlich verschwindet eine Arbeit auch ganz: So hat Sailstorfer mitunter auch schon Hütten verfeuert Reifen so lange an Wänden abgescheuert, bis sie völlig aufgebraucht waren. Derzeit bohrt der bayrische Bildhauer in der Pariser Galerie Perrotin Löcher in die Wände und stellt auf der abc eines seiner selten gezeigten »Mückenhäuser« aus. Wir haben zusammen mit iGNANT Sailstorfer in Weißensee besucht und mit ihm über zerstörerische Arbeiten, die künstlerische Vorliebe zu Bäumen und seine abenteuerlichen Rekonfigurationen gesprochen.
Auf dem Weg hierher haben wir gesehen, daß du dein Atelier ja auf einem richtigen Kunstcampus eingerichtet hast. In benachbarten Bildhauer- und Malstudios arbeiten deine Kollegen ebenso wie einige Handwerker in ihren Werkstätten. Dabei bilden sich doch bestimmt auch Synergien heraus. Gibt es hier so etwas wie ein Gemeinschaftsleben?
Wir treffen uns sicherlich einige Male am Tag. Wir grillen aber auch oft zusammen. Natürlich hilft man sich auch: Die Schreiner bauen für uns Kisten, Sockel, Verkleidungen und so weiter. Dort werden sonst Requisiten für den Film oder Messeaufbauten hergestellt. Mit dem Schlosser Euler wiederum habe ich schon öfter zusammen gearbeitet. Unter den Künstlern entstanden aber bisher keine gemeinsamen Arbeiten. Der Ort wurde von Beginn an von Künstlern und Kreativen genutzt. Alles begann in den Zwanziger Jahren, als das hier Filmstudios. Fritz Lang hat hier gedreht und Marlene Dietrich stand hier in ihren ersten Tagen vor der Kamera.
Und jetzt arbeiten hier Maler und Bildhauer und wie du. Ich bin etwas überrascht, in deinem Atelier gar keine Äste oder wenigstens etwas Reisig zu finden. Schließlich findet man in deinen Arbeiten immer wieder Bäume und den deutschen Wald an. Wie begründet sich deine Vorliebe für dieses Motiv?
Ich habe einige Male mit Wald oder Bäumen gearbeitet, entweder vor Ort oder eben im Ausstellungsraum. Da gab es die Raketenbäume, aber auch eben den „Forst“, wo die Bäume von der Decke hingen, über den Boden fegten und zu Tänzern im Räum wurden. Aber auch den „Waldputz“ und den „Schwarzwald“, wofür ich ein Waldstück der Größe sechs mal sechs mal sechs Meter schwarz eingefärbt habe. Gegenüber war eine Überwachungskamera angebracht, die die Bilder dieses Kubus in den Ausstellungsraum übertrug.
Der Grund für die häufige Präsenz von Bäumen in meinen Arbeiten hat mit meiner Herkunft zu tun, ich bin ja auf dem Land aufgewachsen. So ist etwa der „Waldputz“ in dem Wald entstanden, der an das Haus meines Vaters grenzt. Davon abgesehen, interessiert mich der Kontrast zwischen dem Wald, der für etwas Ursprüngliches steht, und der Urbanität, die damit konfrontiert wird. Viele Arbeiten bewegen sich innerhalb dieses Dialogs.
Du kommst ja auch aus einer kleinen niederbayrischen Ortschaft, lebst und arbeitest zwar in Berlin, aber hast insbesondere in den früheren Jahren viele deine Objekte in den süddeutschen Wald- und Wiesenlandschaften installiert. Woran lag dein Interesse, so viele deiner Arbeiten in diesen öffentlichen Räumen zu realisieren?
Meine ersten Arbeiten habe ich auf dem Land gezeigt, weil man als Student natürlich nicht die Möglichkeit hat, in einer Galerie oder einem Museum auszustellen. So war es einfach nur praktisch, im Haus meines Vaters zu arbeiten und in der Umgebung aufzubauen. Es gab die Wartehäuschen in „Wohnen mit Verkehrsanbindung“, einige „Mückenhäuser“ und auch zwei Baumhäuser aus zersägten Sportflugzeugen. Für die Arbeit »3 Ster mit Ausblick«, die in Zusammenarbeit mit Jürgen Heinert entstand, haben wir ein kleines Holzhaus auf freiem Feld gekauft, das wir im eigenen Kamin verheizt haben, bis nur noch der Kamin mit Schornstein übrig war. Dafür haben wir zwei Tage lang kontinuierlich mit der Kettensäge Stücke herausgetrennt und anschließend verfeuert. Nachts haben wir allerdings Pause gemacht. Drei Kubikmeter haben wir so den Flammen geopfert.
Hast du auch andere selbstkonsumierende Arbeiten geschaffen?
Ja, der Reifen in „Zeit ist keine Autobahn“ ist eigentlich auch eine solche Arbeit gewesen. Als ich auf der Yokohama Triennale 2005 ein altes Reifenlager bespielen durfte, habe ich mithilfe eines Motors einen Reifen kontinuierlich an einer der Wände abgerieben. Drei Stück habe ich so verbraucht – das hat ziemlich stark gerochen. Zu diesen sich aufbrauchenden Arbeiten gehören aber auch zwei aktuelle Werke, die ich einer kürzlich eröffneten Einzelausstellung in der Pariser Dependance von Emmanuel Perrotin zeige. Man betritt die Galerie und sieht die erste Arbeit, eine Freiheitsstatue, die etwa zwei Meter fünfzig hoch und auf einer Bohrkonstruktion angebracht ist. Der Arm der Statue dreht sich dann wie ein Bergbaugerät und bohrt so ein Loch durch die Galeriewand, bis sie im angrenzenden Ausstellungsraum angelangt ist.
Ist das eine der üblichen Gipskartonwände mit hohlem Kern oder massiver Beton?
Das ist eine geziegelte Wand, die zu beiden Seiten mit Gipskarton verkleidet ist.
Also wird es eine Weile dauern, bis sich der Arm der Freiheitsstatue vorgearbeitet hat. Wie lange wird er sich durch die Wand fressen?
Mal sehen. Wir haben es noch nicht getestet. Sieben Wochen wird die Ausstellung laufen. Das ist eine lange Zeit zum Bohren. Es gibt aber auch noch eine zweite, eine ähnliche Arbeit: Sie besteht aus einer Wassertonne, von der zwei Feuerwehrschläuche abzweigen, die durch die ganze Galerie gelegt sind. Mit dem Wasser wird eine Turbine angetrieben, auf der ebenfalls eine Statue als Bohrkopf angebracht ist. Das ist ein ca. 15cm grosse, in Eisen gegossene, Miniatur der Freiheitsstatue. Dieser Bohrer gräbt sich ebenfalls durch eine Wand und dringt in den gleichen Raum vor wie die andere Arbeit.
Das heißt, die Bohrer werden irgendwann aufeinander treffen.
Wahrscheinlich werden sie sich begegnen. Wenn es gut läuft, ist die Wand perforiert. Dabei werden sich die Skulpturen nach und nach abnutzen, verformen und aufbrauchen. Ich bin gespannt, was davon übrig sein wird.
Ist deine Freiheitsstatue eigentlich aus einem speziellen Stahl gefertigt, um der Belastung standzuhalten?
Diese Statue ist ein Ready-Made, das ich auf einem Markt für historische Bauelemente gefunden habe. Wir haben sie von innen mit einer Rohrkonstruktion verstärkt, wofür wir sie einmal aufgeschnitten und im Anschluss wieder verschweißt haben. So fällt sie beim Bohren nicht auseinander. Äußerlich bleibt sie aber so, wie ich sie gefunden habe.
In Paris zeige ich außerdem sieben Gemälde, die „Mazes“. Vier davon bestehen aus einer kupfergrundierten Leinwand, auf der ich mit Säure den Weg durch das Labyrinth gesucht habe. Das ist durchaus auch eine Referenz an Andy Warhols „Oxidation paintings«.
Malerei kennt man von dir bisher nicht, du bist bisher nur als Bildhauer in Erscheinung getreten. Warum hast du einen solch völlig neuartigen Zyklus begonnen?
Eigentlich ist das gar nicht so neu. Ich habe zuvor Knotenskulpturen gemacht, in denen es ebenfalls um einen Weg ging, der aus dem Chaos herausführte. Ich sage niemals nie, versuche immer den nächsten Schritt zu machen. Ich arbeite ja viel in Werkgruppen. Dieses Thema hat mich einfach interessiert.
Zuletzt hat man die „Mazes“ bei Johann König gesehen.
Genau, letztes Jahr im Herbst habe ich die „Mazes“ zum ersten Mal gezeigt. Es geht darum, den richtigen Weg durch den Irrgarten zu finden. Mich hat auch das festgelegte Raster interessiert, das benutzt wird, um auf ein neues Ergebnis zu kommen, zu einer Zeichnung auf der Leinwand oder einem Experiment mit Grundierung und der entsprechenden Farbe oder Säure für die Wegstrecke. Man steckt sich erst einen Rahmen, in dem man sich dann bewegen muss. Bisher habe ich etwa achtzig dieser „Mazes“ erstellt – jetzt ist diese Serie erst mal angehakt und der Weg frei für etwas neues.…!
Deine transformierten Skulpturen, Installationen und Witze bleiben aber weiterhin dein Markenzeichen. Zu deiner Handschrift gehört aber auch der charmante Witz, der mal durch die Rekonfiguration gefundener Objekte entsteht, mal in Form eines naiven Träumertums wie in der „Sternschuppe“ spricht. Darin wird eine Laterne von einer auf einem alten Benz befestigten Rampe gen Himmel geschossen, landet aber nur wenige Meter weiter im dichten Gras. Ist Humor ein Antrieb für dich oder wie kommt es, daß viele deiner Arbeiten zum Schmunzeln anregen?
Das kommt einfach, es entwickelt sich von selbst. Ich habe nie bewusst nach dem Humor gesucht oder versucht, besonders witzige Arbeiten zu schaffen. Eigentlich eher das Gegenteil: Ich versuche, so ernst wie möglich vorzugehen. Aber auch ein Markenzeichen muss sich erst entwickeln. Das kann man nicht bewusst schaffen. Ich habe mich für Dinge interessiert, dann nicht mehr und habe halt das nächste versucht. Ich habe aber nie bewusst versucht, etwas besonders lustiges zu machen. Das liegt aber auch in der Sache selbst. Man hat eine Idee und schaut, wie sie funktionieren kann. Bei der Freiheitsstatue war es ähnlich. Man hat ein Bild im Kopf und schaut, wie man sich dem nähern kann. Das ist ein Versuchsaufbau, der manchmal funktioniert und manchmal nicht. Oft wird die Arbeit besser, wenn sie nicht so recht funktionieren will. Die Straßenlaterne ist in „Sternschnuppe“ ja letztlich auch nur zehn oder fünfzehn Meter weit geflogen. Wäre sie hundert Meter weit geflogen, wäre die Arbeit in meinen Augen eine Andere. Das Scheitern spielt so eine grosse Rolle.
Man erkennt darin aber auch gut das narrative Potential, das man in vielen deiner Arbeiten wiederfindet. In „Herterichstraße 119” hast du aus dem Abraum eines ganzen Hauses – aus seinen Balken, Türen und Ziegeln – ein Sofa gebaut und darüber ein gerahmtes Bild jenes Hauses gehangen. Der Zusammenhang zwischen beiden Teilen der Arbeit war schnell ersichtlich; schließlich wurde so eine Erzählung vorgetragen, deren zentraler Teil, nämlich der Abriss des Hauses nur implizit ersichtlich war. Welchen Stellenwert hat für dich das narrative Element?
Meine Arbeiten enthalten oft eine zeitliche Komponente. Bei dem Sofa gab es einen Anfangs- und einen Endpunkt, die eine Zeitlichkeit abstecken. Dazwischen hat sich etwas ereignet, das narrativ präsent bleibt. Da bei vielen meiner Arbeiten eine Transformation stattfindet, baut sich oft von allein eine Erzählung auf. Bei diesem Werk wird das klar, weil man eben das Sofa aus den Trümmern des Hauses sieht, hinter dem ein Bild hängt, was eben dieses Gebäude zeigt. Daneben gibt es aber noch andere Parallelen, etwa in der Farbigkeit. In den Lehnen des Sofas sind Leisten verbaut, die aus dem Schild geschnitten wurden, das einst mit dem Schriftzug „Sportgaststätte“ über der Tür des Hauses hing. Diese Referenzen finden sich allesamt im Sofa wieder.
Auf der kommenden abc wirst du am Stand von Johann König vertreten sein. Was hast du vorbereitet?
Bei der abc wird ein „Mückenhaus“ gezeigt, eine ältere Arbeit von 2002. Das ist eine Straßenlaterne, auf der eine Aluminiumstruktur sitzt, die mit einem Moskitonetz bespannt ist. Die Mücken sammeln sich darin und umschwärmen das Licht. Die Installation haben wir ausgewählt, weil sich der Ort dafür anbot. Es gibt im Eingangsbereich eine Halle, an der einige Straßenlaternen hängen und jener ähnlich sind, die ich für das „Mückenhaus“ verwendet habe. Hinzu kommt, daß sich auf der abc ebenso eine große Menschenmenge durch die Hallen bewegen wird, wie auch die Mücken vom Licht angezogen werden. Die Arbeit ist jetzt zwar elf Jahre alt, wurde aber noch nie in Berlin und überhaupt noch nicht so oft gezeigt. Erstmals habe ich sie in Dorfen in Bayern gezeigt, wo neben meinem Atelier eine solche Laterne stand, auf die ich das Haus gehängt habe.
Hast du dafür vorher um Erlaubnis gefragt?
Ich hatte mein Vorhaben bei der Stadt angemeldet. Man bekommt ja sofort eine Anzeige, wenn man das einfach so macht. Es funktioniert natürlich auch ohne Genehmigung. Es gibt Künstler, die das provozieren und dann gern mit der Anzeige in der Zeitung landen. Ich stehe dem eher skeptisch gegenüber.
Wo wird man deine Arbeiten in Berlin als nächstes erleben können?
Ich plane für nächstes Jahr eine Einzelausstellung im Haus am Waldsee und werde voraussichtlich auch bei Johann König Arbeiten zeigen. Dafür gibt es erste Pläne, aber das ist noch nicht spruchreif. Die Termine stehen noch nicht fest, das hängt natürlich auch davon ab, welchen Vorschritt der Umbau der Kirche macht. Da ich mich ja immer auch stark am Ausstellungsraum orientiere, freue ich mich auch schon sehr darauf. Ich habe schon eine Arbeit in der Schublade, die dort auf jeden Fall gezeigt werden muss.
Ist die schon spruchreif?
Darüber kann ich auch nichts sagen. Da musst du dich noch gedulden.
Gut, ich bin gespannt!
Ab Montag bei iGNANT: ein tieferer Einblick in Sailstorfers Atelier mit weiteren Fotos.
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