
Bas Jan Ader: »Study for I’m too sad to tell you« (1971); Foto: courtesy Klosterfelde
Erst kamen die Frankfurter in den Genuss seiner Kunst, dann wurden seine Arbeiten in Hamburg gezeigt: Nun widmete sich auch Martin Klosterfelde dem Niederländer Bas Jan Ader, der nach seinem frühen Tod 1975 lange vergessen und dann in den Neunzigern als heroische Künstlerfigur wieder entdeckt wurde, um seitdem gleichermaßen von Künstlern und Kuratoren immer wieder neu interpretiert zu werden. Zumeist wird in diesem Zusammenhang eine Handvoll Video-Performances aus dem ohnehin schon überschaubaren Lebenswerk Aders rezipiert – so wie kürzlich in der Hamburger Kunsthalle –; gelegentlich widmen sich Ausstellungen aber auch den weniger bekannten Fotografien und Studien. So konnte die Schirn in der ersten Jahreshälfte für ihre »Letzten Bilder« das eben solche Aders gewinnen und auch Martin Klosterfelde zeigte vor dem überraschenden Aus seiner Galerie in einer Abschiedsausstellung Arbeiten des Niederländers, die man nur ausgesprochen selten zu Gesicht bekommt.
Doch auch in Berlin konnte man auf sein wohl ikonischstes Werk, das Selbstporträt »I’m too sad to tell you« (1971), nicht verzichten. Ausgestellt wurden einige fotografische Studien für die gleichnamige Videoarbeit, die einen weinenden, heulenden und schluchzenden Künstler auf zeigen. Freilich tonlos. Der Grund für die Trauer sei wohl zwar nur engsten Freunden bekannt gewesen, aber es gab wohl einen. Bemerkenswert sind die bei Klosterfelde ausgestellten Fotografien jedoch, weil sie im Gegensatz zum Film die Trauer zwar ebenso gut darstellen, doch als Momentaufnahme die teils heftigen empathischen Reaktionen auf die Videoarbeit nicht reproduzieren, stattdessen – eben als Studie – den analytischen Blick auf die Person des Künstlers hervorheben. Einerseits nimmt man die von Ader geschilderten immensen Schwierigkeiten, diese Gefühle zu reproduzieren, wahr, andererseits offenbaren sie einen zerbrechlichen Charakter, der immer wieder solch melancholische Werke produzierte (»Thoughts unsaid, then forgotten«, 1973). Bei Klosterfelde sind die Fotografien jedoch so gehangen, daß sie beim Betreten der Ausstellung Bas Jan Ader als jenen emotionalen Künstler vorstellen, dessen gefühlige Art auf die eine oder andere Weise in seinem gesamten Werk sichtbar ist.

Bas Jan Ader: »Broken Fall (Organic)«, 1971; Foto: courtesy Klosterfelde
So wurden auch zwei der ebenso bekannten Videoarbeiten des 1942 geborenen Niederländers ausgestellt, erzählen sie doch viel über den Charakter von Kunst und Künstler. In »Broken Fall (Organic)« (1971) hängt Ader an dem Ast eines Baumes, erst regungslos, dann sich etwas schüttelnd, bald in die Luft stoßend und dann wieder ruhig baumelnd. Doch mit einem Mal lässt er los und fällt einige Meter tief in einen kleinen Bach. Das Video beginnt von vorn. »Fall 2, Amsterdam« aus dem Vorjahr zeigt eine ähnliche Szene; hier stürzt er jedoch kopfüber mit seinem Fahrrad in eine Gracht, um es in Dauerschleife gleich erneut zu versuchen. Man mag diesen Performances faden Clownshumor unterstellen, wird damit aber Aders Kunst nicht gerecht. Denn was später als Gravity Art Karriere machte, hat weder mit Komik noch Tragik zu tun, auch nicht mit dem Fallen, aber schon etwas mehr mit dem Fallen lassen.
In einer Zeit, als Performancekünststler teils herrisch, teils gewaltvoll die Macht ihrer Kunst aber auch des Künstlers ausloteten, als Chris Burden sich anschießen ließ (»Shoot«, 1971) und Yoko Ono und John Lennon einer jungen Frau nachstellten und mit ihrer Kamera verfolgten (»Rape«, 1969), hatte Bas Jan Ader nichts anderes als den Kontrollverlust im Sinn. Was seine Zeitgenossen als Antithese zum Furor der jungen, wilden Performance verstanden, war stets die Suche nach dem unendlich kleinen Moment, in dem das »letting go«, wie Ader es ausdrückte, den Körper des Künstlers der Naturgewalt aussetzte. »Falling« und »failing« wurden bald zu einem wichtigen Begriffspaar, das allerdings vermutlich nicht auf Ader, sondern seine Kritiker zurückgeht. Denn eigentlich war der zentrale Punkt seiner Performances nicht das Fallen, das nur eine natürlich Konsequenz seines Handelns darstellte, sondern die Entscheidung zu dieser Selbstaufgabe und die Konfrontation mit den übermächtigen Naturgesetzen. Allein dieses Equilibrium zeichnet die Performancekunst Aders aus, in dem der Künstler wie Don Quixote vor die Windmühlen zieht und sich seinem Schicksal unterwirft.

Bas Jan Ader: »In search of the miraculous (One night in L.A.)«, 1973; Foto: courtesy Klosterfelde
Vor diesem Hintergrund offenbart sich aber erst auf den zweiten Blick, wie sich Bas Jan Aders letzte und bekannteste, wenn auch unvollendete Arbeit in sein Gesamtwerk einfügt. Die umfangreiche Fotoserie »In search of the miraculous (One night in L.A.)«, datiert auf 1973 und erster Teil eines Triptychons, versammelt nächtliche Kulissen der kalifornischen Metropole – darunter: den Highway, Brücken, Warenhäuser, Garagen –, die, vom schwachen Laternenlicht beleuchtet, oft nur schemenhaft die Anwesenheit des Künstlers zeigen. Die Fotografien sind in eine Erzählung eingebettet, die den Taschenlampen schwenkenden Ader von den Hollywood Hills bis an den pazifischen Strand verfolgt, wo er seine Suche vorerst beendet, das Licht löscht und vor der schwach funkelnden Skyline innehält. Die bei Klosterfelde ausgestellten Abzüge tragen jedoch nicht die erhellende Beschriftung anderer Exemplare, die ein Lied der Coasters zitieren: »Yeah, I’ve been searchin‹ « – »Oh yeah, searchin‹ « – »Searchin‹ every which way« usw. Dieses Mantra ist auf den hier ausgestellten Fotografien, die explizit als Studien gekennzeichnet sind, nicht zu finden; vermutlich wurde es erst nachträglich hinzugefügt (was das Berliner Publikum um einen willfährigen Vergleich mit Cyprien Gaillards babylonischem »Artefacts« brachte). Doch auch ohne diese Liedzeilen erkennt man allein in der Anordnung der Fotografien und in jedem Falle unter Zuhilfenahme des Werktitels eine Suche, in der die ausdrucksvolle Poesie seiner Video-Performance immerhin andeutungsweise nachschwingt.
Der zweite Teil des Triptychons, das in seinem gesamten Umfang auf den Titel »In search of the miraculous« (1973–1975) verkürzt wurde, sah eine Schiffsreise von Cape Cod in Massachussets nach Groeningen vor. Bas Jan Ader war als Jüngling in einer überstürzten Aktion in die Vereinigten Staaten emigriert, nachdem er in Marokko auf einem Schiff anheuerte und nur mit einem kleinen Gepäckbündel übersetzte. Seine folgende Karriere als Künstler und später auch als Professor an der Kunsthochschule Kalifornien war zwar in Übersee von einem gewissen Erfolg gekrönt, der ihm Ausstellungen und Beachtung einbrachte, doch in den Niederlanden wurden seine Arbeiten wenn überhaupt nur abschätzig aufgenommen. »In search of the miraculous« war ein weiterer Versuch des mittlerweile frustrierten Ader, auch in seiner Heimat endlich als Künstler Fuß zu fassen. Dazu legte er an der amerikanischen Atlantikküste in einer kleinen Jolle ab, so klein, daß Ader der erste sein würde, der in einem solch winzigen Boot diese Reise auf sich nähme. Doch nachdem bald der Funkkontakt abbrach und sein Schiff viele Wochen später kieloben vor der irischen Küste gefunden wurde, blieb auch Bas Jan Ader auf hoher See verschollen. Nicht zuletzt in Groeningen, wo ihn bereits ein Chor erwartete, wurde sein Verschwinden als bewusste Inszenierung gedeutet, die, so hieß es, seinem romantischen Heldentum entsprochen hätte. Obgleich ein Unfall sicher scheint, wurde sein Tod seither als mystisches Opus Magnum eines falling und failing Künstlers verstanden – eine morbide Lesart, von der sich auch die Hamburger Ausstellung nicht entledigen konnte. In Berlin ließ man sich auf solche Spekulationen nicht ein, zeigte stattdessen lieber den ersten der drei Werkteile und deutete das tragische Schicksal Aders gar nicht erst an.
Damit wird zwar die übliche Rezeption des Bas Jan Ader übergangen, der als stiller Heroe das Scheitern vor den Naturgewalten zu seiner Mission machte, um schließlich von ihnen verschlungen zu werden; doch gelingt so auch ein genauerer Blick auf die Studien, die seinen Werken vorausgingen. Martin Klosterfelde begeht in dieser Hinsicht seinen Abschied als Galerist auch mit einer kleinen Hommage an einen lange vergessenen Künstler, dessen Lebenswerk zu unrecht auf einen kleinen Kanon der Gravity Art beschränkt wurde.

Ausstellungsansicht »In search of the Miraculous; Foto: courtesy Klosterfelde