Kräftig durchgemischt

20. April 2012 von Matthias Planitzer
Dennis Loeschs Vexierbilder enttarnen die Oberflächlichkeit moderner Ikonen.
Dennis Loesch: The Bild, © Dennis Loesch, courtesy Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Den­nis Loesch: The Bild, © Den­nis Loesch, cour­te­sy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Man kennt es von jedem Aus­stel­lungs­be­such: Leu­te gehen vor den Arbei­ten auf und ab, tas­ten sich ord­nungs­ge­mäß von links nach rechts an den Wän­den ent­lang, hal­ten hier und da kurz inne und wid­men sich den Wer­ken. Man nimmt etwas Abstand, geht noch ein­mal ganz nah her­an, denn: »Wie hat er das nur gemacht?«. Die Bli­cke sau­sen über das Werk, ein kur­zes Lächeln oder ein stren­ger Blick bleibt sein Dank, und nach weni­gen Sekun­den schon ist das nächs­te an der Reihe.

Bei Den­nis Loesch ist das nicht so ein­fach. Denn die »Memo­ry Sticks« sei­ner Aus­stel­lung »Open as smart object« for­dern mehr Auf­merk­sam­keit ein: Zunächst ein kon­zen­trier­ter Blick von scharf rechts, dann noch ein­mal von ganz links außen, zurück­tre­ten, – »nein das kann nicht sein« – also wie­der näher ran: »ach doch, tat­säch­lich«. Und wie­der zurück. Inne­hal­ten und gedank­lich abglei­chen. Die Detail­sicht hält der Über­prü­fung stand. Und wäh­rend man sich im Zurück­tre­ten wen­det, um mit der nächs­ten Arbeit wei­ter rechts fort­zu­fah­ren, kommt man schon einem ande­ren Besu­cher in die Que­re – so viel Getüm­mel herrscht vor Loeschs »Memo­ry Sticks«. Ein­zig die Wer­ke selbst hän­gen ruhig an der Wand.

Den­nis Loesch spielt mit den Per­spek­ti­ven. Sei­ne drei­sei­tig bedruck­ten Alu­mi­ni­um­trä­ger, die »Memo­ry Sticks«, ord­net er eng in Serie an. Die Grund­la­ge bil­den ein­ge­scann­te Zei­tungs­aus­schnit­te, die in Pho­to­shop ras­ter­ar­tig frag­men­tiert und dann in extre­mer Ver­grö­ße­rung gedruckt wer­den. Die Anord­nung der »Memo­ry Sticks« geschieht belie­big. Man­che ste­hen auf dem Kopf, kei­ne Hän­gung gleicht den vor­he­ri­gen. Dar­auf legt Loesch beson­de­ren Wert, ein­zig die Doku­men­ta­ti­on muss sorg­sam erfolgen.

Dennis Loesch: An Andy, © Dennis Loesch, courtesy Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Den­nis Loesch: An Andy, © Den­nis Loesch, cour­te­sy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Als Quell­ma­te­ri­al nutz­te Den­nis Loesch für sei­ne Aus­stel­lung in der Tuchol­sky­stra­ße media­le Iko­nen der Gegen­wart: einen Hun­dert-Dol­lar-Schein, Zei­tungs­aus­schnit­te mit Foto­gra­fien von Karl Lager­feld oder Andy War­hol, eine Aus­ga­be der rus­si­schen Vogue, außer­dem die Logos der Bild-Zei­tung sowie der Ham­bur­ger Mor­gen­post. Digi­ta­li­siert, ver­grö­ßert, gedruckt und auf die Alu­mi­ni­um­trä­ger auf­ge­bracht, lie­gen Geld, Mode, Medi­en und Kunst nur noch als Arte­fak­te vor. Ein bun­ter Scher­ben­hau­fen, der frei kom­bi­nier­bar immer wie­der die­sel­be brü­chi­ge Idee vermittelt.

Die Fol­ge: Tex­te lösen sich in Buch­sta­ben­hau­fen auf, sind nicht mehr les­bar und kaum zu rekon­stru­ie­ren. Bil­der ver­lie­ren mit ihrer kom­po­si­to­ri­schen Struk­tur ihren Kon­text, ver­schwim­men förm­lich und sind nur noch sche­men­haft erkenn­bar. Doch die frag­men­tier­ten Iko­nen hal­len kraft ihrer Bild­ge­walt wei­ter nach. Ihr Wie­der­erken­nungs­wert ist zwar in die­ser auf­ge­lös­ten Form nur noch schwach, aber gera­de aus­rei­chend, um immer­hin sug­ges­tiv wir­ken zu kön­nen. Auf die­se Wei­se geht von den »Memo­ry Sticks« eine gespens­ti­sche Schwin­gung aus, die immer wie­der dazu auf­for­dert, sie durch Ver­nunft zu erfas­sen und mit gehö­ri­ger Vor­stel­lungs­kraft zu überprüfen.

Wenn Den­nis Loesch mit sei­nen »Memo­ry Sticks« radi­kal jeden Inhalt kürzt, liegt dar­in auch ein beun­ru­hi­gen­der Moment. Die Infor­ma­tio­nen sind schließ­lich nach wie vor erhal­ten, sie sind ledig­lich nicht mehr zugänglich.

Dennis Loesch: The Artforum (aufgeklappte Ansicht), © Dennis Loesch, courtesy Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Den­nis Loesch: The Art­fo­rum (auf­ge­klapp­te Ansicht), © Den­nis Loesch, cour­te­sy Dittrich & Schlech­triem, Berlin

Nach­dem Loesch auf sei­nen ers­ten »Memo­ry Sticks« unzäh­li­ge, minia­tu­ri­sier­te Fotos ver­sam­mel­te und damit phy­si­sche Pen­dants zu den bekann­ten Memo­ry- oder USB-Sticks schuf, die ledig­lich vir­tu­el­le Daten spei­chern, nutzt er die­se Aus­drucks­form nun, um jene Daten auf­zu­lö­sen. Damit knüpft er durch­aus erneut an vir­tu­el­le Daten­trä­ger an, die ihre Infor­ma­tio­nen bekannt­lich eben­so frag­men­tiert spei­chern, wie hier Loesch sei­ne Zei­tungs­aus­schnit­te anordnet.

Somit sind es der Ana­lo­gie gemäß eben­falls Syn­the­se­pro­zes­se, die aus den pri­mär unver­ständ­li­chen, weil frag­men­tier­ten und dekon­tex­tua­li­sier­ten Daten Infor­ma­tio­nen zurück­ge­win­nen und rekon­tex­tua­li­sie­ren. Die­se Syn­the­se­pro­zes­se bleibt Loesch aller­dings schul­dig. Kei­ne Inde­xie­rung erlaubt die ori­gi­nal­ge­treue Rekom­bi­na­ti­on, auch ist es dem Betrach­ter natür­lich nicht ohne Wei­te­res mög­lich, die Sticks an der Wand zu vertauschen.

Schließ­lich gibt die Aus­wahl sei­ner Ursprungs­ma­te­ria­li­en den ent­schei­den­den Hin­weis für Den­nis Loeschs aktu­el­le Arbei­ten aus der Serie »Memo­ry Sticks«. In der Ver­gan­gen­heit nutz­te Loesch neben Fotos von Play­mates auch Spiel­kar­ten, die er dem Poker ent­nahm. Doch ums Poker spie­len geht es Loesch dabei kei­nes­wegs: Nach­dem er bereits in »hal­lo moden« und »Gug­gen­heim« den Medi­en- und Kul­tur­be­trieb aufs Korn nahm, rich­tet sich sei­ne Kri­tik erneut an die Ober­fläch­lich­keit ihrer Metho­den. Nicht zuletzt über­spitzt er die scha­le Bild­haf­tig­keit der Logos und Zei­chen, die all die­se Print­me­di­en und ‑erzeug­nis­se zu ihrer Pro­pa­ga­ti­on nut­zen und durch ihre mil­lio­nen­fa­che Repli­ka­ti­on wei­ter zu lee­ren Sym­bo­len aus­höh­len. Indem Loesch die Tex­te und Bil­der in alber­nes Bla­bla und chao­ti­sches Wirr­warr, damit effek­tiv jeden Anschein eines Inhal­tes aus­merzt, blei­ben nur noch jene Zei­chen ste­hen, leer und bedeutunglos.

Bezeich­nen­der­wei­se ist es gera­de auch die Trans­for­ma­ti­on die­ser Ober­flä­chen in einen drei­di­men­sio­na­len Raum, die zu ihrer Ent­tar­nung wesent­lich bei­trägt. Die »Memo­ry Sticks« gewin­nen durch ihre drei­sei­ti­ge Bedruckung nicht etwa an Tie­fe, ihrer flä­chi­ger Cha­rak­ter wird gera­de erst augen­fäl­lig. Buch­stäb­lich unter die Lupe genom­me­nen, fal­len so auch die vie­len Fehl­stel­len auf, die sich durch Papier­struk­tur, unre­gel­mä­ßi­gen Farb­auf­trag und das indus­tri­el­le Druck­ver­fah­ren im mikro­sko­pi­schen Bereich aus­wir­ken. Dann erscheint die rus­si­sche Vogue mit einem Mal nicht mehr als Hoch­glanz­ma­ga­zin und das Logo der Bild-Zei­tung wirkt eben­falls erstaun­lich blass. Dar­in jeden­falls liegt Loeschs Stär­ke: Mit Blick für’s Klei­ne und Wesent­li­che gelingt es ihm, das Trug­bild zu enttarnen.