Man kennt es von jedem Ausstellungsbesuch: Leute gehen vor den Arbeiten auf und ab, tasten sich ordnungsgemäß von links nach rechts an den Wänden entlang, halten hier und da kurz inne und widmen sich den Werken. Man nimmt etwas Abstand, geht noch einmal ganz nah heran, denn: »Wie hat er das nur gemacht?«. Die Blicke sausen über das Werk, ein kurzes Lächeln oder ein strenger Blick bleibt sein Dank, und nach wenigen Sekunden schon ist das nächste an der Reihe.
Bei Dennis Loesch ist das nicht so einfach. Denn die »Memory Sticks« seiner Ausstellung »Open as smart object« fordern mehr Aufmerksamkeit ein: Zunächst ein konzentrierter Blick von scharf rechts, dann noch einmal von ganz links außen, zurücktreten, – »nein das kann nicht sein« – also wieder näher ran: »ach doch, tatsächlich«. Und wieder zurück. Innehalten und gedanklich abgleichen. Die Detailsicht hält der Überprüfung stand. Und während man sich im Zurücktreten wendet, um mit der nächsten Arbeit weiter rechts fortzufahren, kommt man schon einem anderen Besucher in die Quere – so viel Getümmel herrscht vor Loeschs »Memory Sticks«. Einzig die Werke selbst hängen ruhig an der Wand.
Dennis Loesch spielt mit den Perspektiven. Seine dreiseitig bedruckten Aluminiumträger, die »Memory Sticks«, ordnet er eng in Serie an. Die Grundlage bilden eingescannte Zeitungsausschnitte, die in Photoshop rasterartig fragmentiert und dann in extremer Vergrößerung gedruckt werden. Die Anordnung der »Memory Sticks« geschieht beliebig. Manche stehen auf dem Kopf, keine Hängung gleicht den vorherigen. Darauf legt Loesch besonderen Wert, einzig die Dokumentation muss sorgsam erfolgen.
Als Quellmaterial nutzte Dennis Loesch für seine Ausstellung in der Tucholskystraße mediale Ikonen der Gegenwart: einen Hundert-Dollar-Schein, Zeitungsausschnitte mit Fotografien von Karl Lagerfeld oder Andy Warhol, eine Ausgabe der russischen Vogue, außerdem die Logos der Bild-Zeitung sowie der Hamburger Morgenpost. Digitalisiert, vergrößert, gedruckt und auf die Aluminiumträger aufgebracht, liegen Geld, Mode, Medien und Kunst nur noch als Artefakte vor. Ein bunter Scherbenhaufen, der frei kombinierbar immer wieder dieselbe brüchige Idee vermittelt.
Die Folge: Texte lösen sich in Buchstabenhaufen auf, sind nicht mehr lesbar und kaum zu rekonstruieren. Bilder verlieren mit ihrer kompositorischen Struktur ihren Kontext, verschwimmen förmlich und sind nur noch schemenhaft erkennbar. Doch die fragmentierten Ikonen hallen kraft ihrer Bildgewalt weiter nach. Ihr Wiedererkennungswert ist zwar in dieser aufgelösten Form nur noch schwach, aber gerade ausreichend, um immerhin suggestiv wirken zu können. Auf diese Weise geht von den »Memory Sticks« eine gespenstische Schwingung aus, die immer wieder dazu auffordert, sie durch Vernunft zu erfassen und mit gehöriger Vorstellungskraft zu überprüfen.
Wenn Dennis Loesch mit seinen »Memory Sticks« radikal jeden Inhalt kürzt, liegt darin auch ein beunruhigender Moment. Die Informationen sind schließlich nach wie vor erhalten, sie sind lediglich nicht mehr zugänglich.
Nachdem Loesch auf seinen ersten »Memory Sticks« unzählige, miniaturisierte Fotos versammelte und damit physische Pendants zu den bekannten Memory- oder USB-Sticks schuf, die lediglich virtuelle Daten speichern, nutzt er diese Ausdrucksform nun, um jene Daten aufzulösen. Damit knüpft er durchaus erneut an virtuelle Datenträger an, die ihre Informationen bekanntlich ebenso fragmentiert speichern, wie hier Loesch seine Zeitungsausschnitte anordnet.
Somit sind es der Analogie gemäß ebenfalls Syntheseprozesse, die aus den primär unverständlichen, weil fragmentierten und dekontextualisierten Daten Informationen zurückgewinnen und rekontextualisieren. Diese Syntheseprozesse bleibt Loesch allerdings schuldig. Keine Indexierung erlaubt die originalgetreue Rekombination, auch ist es dem Betrachter natürlich nicht ohne Weiteres möglich, die Sticks an der Wand zu vertauschen.
Schließlich gibt die Auswahl seiner Ursprungsmaterialien den entscheidenden Hinweis für Dennis Loeschs aktuelle Arbeiten aus der Serie »Memory Sticks«. In der Vergangenheit nutzte Loesch neben Fotos von Playmates auch Spielkarten, die er dem Poker entnahm. Doch ums Poker spielen geht es Loesch dabei keineswegs: Nachdem er bereits in »hallo moden« und »Guggenheim« den Medien- und Kulturbetrieb aufs Korn nahm, richtet sich seine Kritik erneut an die Oberflächlichkeit ihrer Methoden. Nicht zuletzt überspitzt er die schale Bildhaftigkeit der Logos und Zeichen, die all diese Printmedien und ‑erzeugnisse zu ihrer Propagation nutzen und durch ihre millionenfache Replikation weiter zu leeren Symbolen aushöhlen. Indem Loesch die Texte und Bilder in albernes Blabla und chaotisches Wirrwarr, damit effektiv jeden Anschein eines Inhaltes ausmerzt, bleiben nur noch jene Zeichen stehen, leer und bedeutunglos.
Bezeichnenderweise ist es gerade auch die Transformation dieser Oberflächen in einen dreidimensionalen Raum, die zu ihrer Enttarnung wesentlich beiträgt. Die »Memory Sticks« gewinnen durch ihre dreiseitige Bedruckung nicht etwa an Tiefe, ihrer flächiger Charakter wird gerade erst augenfällig. Buchstäblich unter die Lupe genommenen, fallen so auch die vielen Fehlstellen auf, die sich durch Papierstruktur, unregelmäßigen Farbauftrag und das industrielle Druckverfahren im mikroskopischen Bereich auswirken. Dann erscheint die russische Vogue mit einem Mal nicht mehr als Hochglanzmagazin und das Logo der Bild-Zeitung wirkt ebenfalls erstaunlich blass. Darin jedenfalls liegt Loeschs Stärke: Mit Blick für’s Kleine und Wesentliche gelingt es ihm, das Trugbild zu enttarnen.