Gierige Schweinereien

29. März 2012 von Matthias Planitzer
Nikolaus und Barbara Eberstaller treiben die Sau durch die Dörfer.

Niko­laus und Bar­bara Eber­stal­ler: »Marie Cochon«, Foto: Mat­thias Planitzer

An einem son­ni­gen Früh­lings­vor­mit­tag bil­det sich eine Men­schen­trau­be vor dem Por­tal des Wie­ner Ste­phans­doms. Nein, die­ses Mal han­delt es sich nicht um die übli­chen Tou­ris­ten­strö­me, die ihre Kame­ras in alle Rich­tun­gen stre­cken. Heu­te sind es Pas­san­ten, Schau­lus­ti­ge und eini­ge weni­ge Pres­se­ver­tre­ter, die sich hier zusam­men­drän­gen und hek­tisch die Aus­lö­ser drü­cken. In ihrer Mit­te steht eine Sau. Ein gie­ri­ges Tier, ver­fres­sen wie es war, voll- und aus­ge­stopft mit zer­knüll­ten Geld­schei­nen. Eini­ge Bank­no­ten hän­gen ihm noch zum Mau­le her­aus, ande­re quel­len aus sei­ner Sei­te. Nicht etwa Blut und Was­ser, schnö­der Mam­mon spru­delt da aus der Wun­de hervor.

Marie Cochon – so heißt die Sau – zieht an jenem Tag durch die Wie­ner Innen­stadt und besuch­te eini­ge exem­pla­ri­sche Orte der Gier: Ban­ken, die Wie­ner Bör­se Luxus­bou­ti­quen und zuletzt auch das Par­la­ments­ge­bäu­de. In ihrem Gefol­ge befin­den sich neben Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler etli­che Gleich­ge­sinn­te und Gaf­fer. Auch die Poli­zei darf nicht feh­len. Und so zieht der Tross in einer fei­er­li­chen Pro­zes­si­on durch Wien und hält gele­gent­lich an, um zu mah­nen und vor allem viel Geld zu verteilen.

Nikolaus und Barbara Eberstaller: "Marie Cochon", Foto: Matthias Planitzer

Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler: »Marie Cochon«, Foto: Mat­thi­as Planitzer

»Marie teilt ihr Fut­ter!« ruft Niko­laus Eber­stal­ler bei jedem Halt und schon flat­tern bun­te Geld­schei­ne durch die Luft, fal­len zu Boden und wer­den gie­rig von den Pas­san­ten auf­ge­le­sen. Eini­ge sam­meln zehn, zwan­zig Bank­no­ten, ande­re fül­len ihre Ein­kaufs­ta­schen damit an und doch wirft kaum einer von ihnen einen genaue­ren Blick auf die Schei­ne. Sie­ben Nomi­na­le wer­den heu­te unter das Volk gebracht: Es sind Schei­ne von zehn bis tau­send Honey, wie die Wäh­rung heißt.

Der Öster­rei­cher Niko­laus Eber­stal­ler hat die fik­ti­ve Wäh­rung im ver­gan­ge­nen Jahr erschaf­fen und seit­dem in vie­len Groß­städ­ten welt­weit ver­teilt und auch bereits in Ber­lin in Aus­stel­lun­gen und auf der letz­ten Pre­view gezeigt. Auf der Vor­der­sei­te der Geld­schei­ne ist ein pol­ni­sches Herr­schafts­haus abge­bil­det, die Rück­sei­ten wer­den durch die sie­ben Tod­sün­den geschmückt: Ace­dia (Faul­heit), Gula (Völ­le­rei), Luxu­ria (Wol­lust), Ira (Zorn), Invi­dia (Neid), Ava­ritia (Geiz) und Super­bia (Hoch­mut). Illus­triert wer­den sie durch je eine Sze­ne, ein sym­bo­li­sches Tier und ein Fir­men­lo­go – so wird bei­spiels­wei­se auf dem 20-Honey-Schein die Völ­le­rei durch ein hun­gern­des Kind, die Heu­schre­cke und das McDonald’s‑Logo veranschaulicht.

Die Eber­stal­lers haben bereits vie­le Erfah­run­gen mit ihrer pro­vo­ka­ti­ven Wäh­rung sam­meln kön­nen. Man­che Leu­te fra­gen, wo sie die Schei­ne umtau­schen könn­ten, Kin­der hal­ten sie oft­mals für Gut­schei­ne, und ande­re reagie­ren irri­tiert auf die unge­wöhn­li­che Gestal­tung. Denn sowohl posi­ti­ve als auch nega­ti­ve Aspek­te des Reich­tums und der Gier wer­den hier zwei­sei­tig gegen­über gestellt. Die Auf­schrift »Wort­hl­ess unless trans­for­med« erin­nert dar­an, daß dem Geld zunächst kei­ne bestimm­te Bedeu­tung zukommt, son­dern daß erst sein ein­ge­for­der­ter Gegen­wert eine ethi­sche Dimen­si­on annimmt. Die eigent­li­che Wert­lo­sig­keit des bedruck­ten und zuge­schnit­te­nen Papie­res unter­streicht die­sen schar­fen Gegen­satz und so ist es ledig­lich bal­last­stoff­rei­ches Fut­ter, das »Marie Cochon« so gie­rig in sich stopft.

Nikolaus und Barbara Eberstaller: "Marie Cochon", Foto: Matthias Planitzer

Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler: »Marie Cochon«, Foto: Mat­thi­as Planitzer

Für die Stadt­um­zü­ge mit der Sau hat Eber­stal­ler eine revi­dier­te Fas­sung der Schei­ne dru­cken las­sen – nun erscheint auch das Schwein auf jeder der Noten. Es wird zur sym­bol­haf­ten Iko­ne einer zügel­lo­sen Gier, dem sozi­al unver­träg­li­chen Über­maß, das es anpran­gert. »Marie Cochon« tritt als Per­for­mance-Künst­le­rin auf, die Eber­stal­lers sehen sich als Gehil­fen. Ihre Kar­rie­re begann 2011 unter ihrem bür­ger­li­chen Namen AT 1542494 2858 in einem nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Mast- und Schlacht­be­trieb. Im Janu­ar 2012 wur­de sie mit einem Schlacht­ge­wicht von 120kg von einem Fleisch­hau­er fach­ge­recht ver­ar­bei­tet. Ihr Fleisch wur­de ver­zehrt. Ihre Kör­per­hül­le wur­de von einem Prä­pa­ra­tor ihrer neu­en Bestim­mung zuge­führt und zur Künst­le­rin umgeschult.

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag trat sie erst­mals in der Öffent­lich­keit auf. Ihre ers­te Per­for­mance fand in der Wie­ner Innen­stadt statt. Sie war ein vol­ler Erfolg. In einer fei­er­li­chen Pro­zes­si­on und mit staat­li­chem Geleit­schutz wur­de sie ent­lang geschichts­träch­ti­ger und reprä­sen­ta­ti­ver Orte durch die öster­rei­chi­sche Haupt­stadt getra­gen und ver­teil­te ihr gehalt­lo­ses Fut­ter unter den Anwe­sen­den. Es regiert die Gier. Marie und ihre Anhän­ger fres­sen eif­rig die honig­sü­ße Kost von der Stra­ße und wäh­rend das Schwein die Geld­schei­ne has­tig hin­un­ter­schlingt, klau­ben die Pas­san­ten sie vom Bou­le­vard und ver­stau­en sie sorg­sam in ihren Taschen. Etli­che von ihnen zie­hen dem Tross hin­ter­her, immer danach gie­rend, daß end­lich wie­der die Geld­bün­del zu Boden flat­tern mögen.

Doch kaum einer von ihnen bemerkt, daß Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler nicht nur die Sau durchs Dorf trei­ben, son­dern auch all die­se Nar­ren mit ihr. Im Gefol­ge eines gie­ri­gen Schweins ist frei­lich kein Platz für Bescheidenheit.

Nikolaus und Barbara Eberstaller: "Marie Cochon", Foto: Matthias Planitzer

Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler: »Marie Cochon«, Foto: Mat­thi­as Planitzer

Und wie sie am Ende des Mar­sches vor dem Wie­ner Par­la­ments­ge­bäu­de ste­hen, da tan­zen sie im Geld­re­gen und baden im Meer des ver­gäng­li­chen Reich­tums. Selbst die beglei­ten­den Poli­zis­ten ent­de­cken nun ihre Begeis­te­rung für das täu­schend ech­te Geld und ste­cken eini­ge der Schei­ne ein. Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler posie­ren noch ein letz­tes Mal für die Kame­ras und geben dann flugs das Signal an ihrer Hel­fer, all das teu­re Geld wie­der ein­zu­sam­meln und in ihren Säcken zu ver­stau­en. »Es soll nicht ein ande­rer alles weg­keh­ren müs­sen«, begrün­det Niko­laus Eber­stal­lers die Order. Aber eigent­lich, und das wur­de heu­te schon genug betont, geht es um die Ver­schwen­dung: Per­len will hier kei­ner so leicht­fer­tig vor die Säue wer­fen, denn die wer­den noch gebraucht.

Schließ­lich wird »Marie Cochon« gemein­sam mit ihren Gehil­fen Niko­laus und Bar­ba­ra Eber­stal­ler wei­ter­hin durch die Groß­städ­te zie­hen. Ihr nächs­ter Halt wird in Ber­lin sein: Bereits mor­gen, am 30.03. wer­den sie ab 18:30 Uhr von der Kai­ser-Wil­helm-Gedächt­nis­kir­che, vom Breit­scheid­platz aus einen Trott von Schau­lus­ti­gen und gie­ri­gen Pas­san­ten über den Kur­fürs­ten­damm füh­ren. Im Anschluss wer­den sie an der Eröff­nung der Aus­stel­lung »Der gol­de­ne Käfig – The Gol­den Cage« im Kunst­Bü­roBer­lin teilnehmen.

Am Ende des Wie­ner Stadt­um­zu­ges dankt mir Niko­laus Eber­stal­ler nach­drück­lich für mei­ne Unter­stüt­zung und über­gibt mir unauf­fäl­lig einen Bün­del Geld­schei­ne. Zehn­tau­send Honey, anbei ein wenig Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al. Besto­chen und durch die eige­ne Gier betro­gen mache ich mich klein­laut hinfort.

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Pressereise entstanden.