Malträtierte Malerei

01. November 2011 von Matthias Planitzer
Nicola Samorì geißelt seine Gemälde: Das Öl hängt in Fetzen und liegt in Falten
Nicola Samorì: Pretesto per splendore, Foto: Adrian Sauer, courtesy Galerie Christian Ehrentraut, BerlinNico­la Samorì: Pre­tes­to per sple­ndo­re, Foto: Adri­an Sau­er, cour­te­sy Gale­rie Chris­ti­an Ehren­traut, Berlin

Was wur­de gewet­tert über den ita­lie­ni­schen Bei­trag zur dies­jäh­ri­gen Vene­dig-Bien­na­le: Der Pavil­lon mit sei­nen mehr als zwei­hun­dert Expo­na­ten sei ein Fanal der Bana­li­tät, der eine affek­tiert auf­ge­plus­ter­te »Postershop«-Kunst pro­pa­gie­re und zu allem Übel auch noch ein unfrei­wil­li­ges Spie­gel­bild der pikan­ten Polit­la­ge Ita­li­ens sei. Ber­lus­co­ni-Freund und Kura­tor Vitto­rio Sgar­bi plan­te nicht weni­ger als den Angriff auf die Kunst-Mafia, die er im Mief der kano­nisch dik­tier­ten Avant­gar­de und dem pie­fi­gen Klün­gel des Upper-Class-Spie­ßer­tum erkannt haben woll­te. Die Reak­ti­on der Fach- und Publi­kums­pres­se auf die­sen Groß­an­griff auf die zeit­ge­nös­si­sche Kunst fiel in einer Här­te aus, die man ihr noch vor kur­zer Zeit nicht mehr zuge­traut hat­te; und doch stürz­te sich alle Kri­tik aus­schließ­lich auf den Ramsch, den Plun­der, den Kitsch, mit dem die Wän­de des ita­lie­ni­schen Pavil­lons bei­na­he lücken­los behan­gen waren.

Zwi­schen Por­no-Stars und Fetisch-Sze­nen fan­den sich jedoch auch weni­ger pole­mi­sche Bei­trä­ge, die ange­sichts des exal­tier­ten Pomps um sie her­um in ernst­haf­ter Stil­le unter­gin­gen. Die drei Gemäl­de Tin­to­ret­tos, die mit viel Tra­ra zur Legi­ti­mie­rung grenz­über­schrei­ten­der ita­lie­ni­scher Kunst im zen­tra­len Pavil­lon aus­ge­stellt wer­den, fan­den zwar genü­gend Beach­tung. Sonst las man jedoch kaum kri­ti­sche Anmer­kun­gen zu den inter­es­san­te­ren Bei­spie­len ita­lie­ni­scher Kunst.

Viel­leicht über­sa­hen die Kri­ti­ker ja ein­fach nur Nico­la Samorìs Bei­trag »Scoria­da (J.R.)«. Bei einem zwei mal drei Meter mes­sen­den Gemäl­de ist es aller­dings nur schwer vor­stell­bar, daß kein Rezen­sent dar­auf auf­merk­sam wur­de. Das ganz in Grau gehal­te­ne Ölbild zeigt aus­schnitt­haft und in ent­spre­chen­der Ästhe­tik und Kom­po­si­ti­on die Pfle­ge des Hlg. Sebas­ti­an. Der Titel – sinn­ge­mäß »die Gei­ße­lung« oder wört­lich »die Häu­tung« – passt aller­dings nicht nur auf das Motiv, son­dern auch auf die Tech­nik: Samorì riß buch­stäb­lich das Inkar­nat von der Lein­wand, ent­blöß­te so den blu­tig-roten Mal­grund des schmach­ten­den Heiligen.

Installationsansicht Nicola Samorì: Imaginifragus, Foto: Adrian Sauer, courtesy Galerie Christian Ehrentraut, BerlinInstal­la­ti­ons­an­sicht Nico­la Samorì: Ima­gi­nif­ra­gus, Foto: Adri­an Sau­er, cour­te­sy Gale­rie Chris­ti­an Ehren­traut, Berlin

Mit die­ser ein­zig­ar­ti­gen Tech­nik dürf­te Samorì unter den über zwei­hun­dert eben­falls aus­ge­stell­ten Kol­le­gen her­vor­ste­chen. Das Öl auf sei­nen Lein­wän­den liegt in Fal­ten, hängt in Fet­zen her­un­ter oder wur­de mit blo­ßer Hand her­aus­ge­klaubt. Es befin­det sich in jedem erdenk­li­chen Zustand, nur nicht dort, wo man es übli­cher­wei­se erwar­tet. Samorì ent­wi­ckel­te hier­für ver­schie­de­ne Tech­ni­ken, die es ihm erlau­ben, die ein­mal auf­ge­tra­ge­ne Far­be von sei­nem ebe­nen Unter­grund zu lösen und in den Raum zu über­füh­ren. Man­che Arbei­ten erlan­gen dadurch skulp­tu­ra­le Qua­li­tä­ten. Obwohl sie wei­ter­hin als Gemäl­de impo­nie­ren, öff­nen sie sich dank ihrer Plas­ti­zi­tät einem erwei­ter­ten For­men­in­ven­tar, das wohl am ehes­ten den Mög­lich­kei­ten der Assem­bla­ge, aber auch der Décol­la­ge oder Grat­ta­ge nahe kommt.

Die Gale­rie Chris­ti­an Ehren­traut zeigt in ihrer aktu­el­len Ein­zel­aus­stel­lung »Ima­gi­nif­ra­gus« eine Aus­wahl aktu­el­ler Arbei­ten Samorìs, die die ver­schie­de­nen Tech­ni­ken des Künst­lers anschau­lich doku­men­tie­ren. Im Ein­gangs­be­reich der Gale­rie wird der Besu­cher mit dem mit­tel­for­ma­ti­gen »Pre­tes­to per sple­ndo­re« begrüßt, das unter den aus­ge­stell­ten Wer­ken eine der über­zeu­gends­ten Leis­tun­gen dar­stellt. Das Bild­nis zeigt eine Frau­en­fi­gur vor dunk­lem Grund, die ein hel­les Tuch in den Betrach­ter­raum hält. Das Gesicht der Figur ist jedoch unkennt­lich: Samorì lös­te an die­ser Stel­le die hauch­dün­ne Ölschicht nach vor­he­ri­gem Bei­zen ab und lässt sie in Fal­ten von dem Bild her­un­ter­hän­gen. Auf die­se Wei­se bringt er den durch die aggres­si­ve Behand­lung zer­narb­ten, kup­fer­nen Mal­grund zum Vor­schein und erschafft eine moti­visch bedeut­sa­me Leer­stel­le, die nach bekann­ter Art eine flüch­ti­ge und unge­wis­se Natur ent­wi­ckelt und gleich­sam ein­fängt. Tech­nisch inter­es­san­ter erscheint aller­dings die silb­rig schim­mern­de Rück­sei­te der Ölfo­lie, die den gemal­ten Fal­ten­wurf mit einem skulp­tu­ra­len Gegen­stück dop­pelt: Das Gesicht der Figur liegt eben­so in Fal­ten wie das Tuch, das sie dem Betrach­ter zeigt.

Nicola Samorì: Ogni estasi è indecente, Foto: Adrian Sauer, courtesy Galerie Christian Ehrentraut, BerlinNico­la Samorì: Ogni estasi è inde­cen­te, Foto: Adri­an Sau­er, cour­te­sy Gale­rie Chris­ti­an Ehren­traut, Berlin

Nicht in allen aus­ge­stell­ten Arbei­ten nimmt die Bild­pro­duk­ti­on eine so star­ke Rol­le ein wie in »Pre­tes­to per sple­ndo­re«. Das groß­for­ma­ti­ge Gemäl­de »Ogni estasi è inde­cen­te«, eine grau in grau gehal­te­ne Über­schich­tung ver­schie­de­ner his­to­ri­scher Bar­tho­lo­mä­us-Dar­stel­lun­gen, legt den Schwer­punkt auf das Motiv, hin­ter dem die geschil­der­te Tech­nik zurück­steht und ergän­zend den Bild­sinn her­vor­kehrt. Die vie­len sche­men­haft über­la­ger­ten Figu­ren Bar­tho­lo­mäi und der Schin­der erschei­nen hier als gespens­ti­sche Gestal­ten, deren Trei­ben gera­de soweit im Unkla­ren liegt, daß wenigs­tens der iko­no­gra­phi­sche Zusam­men­hang erkenn­bar bleibt. Dabei ist es gera­de die Tech­nik des Häu­tens der Lein­wand, die die­sen Sinn­ge­halt unter­streicht und das Motiv zwei­fels­frei als Bar­tho­lo­mä­us-Dar­stel­lung erkenn­bar macht.

Bezeich­nen­der­wei­se ist der Kör­per des Hei­li­gen intakt, die Häu­tung hat eben erst begon­nen. Statt das Inkar­nat male­risch in Strei­fen abzu­zie­hen, wie es die übli­che Dar­stel­lungs­wei­se ver­langt, gei­ßelt Samorì es phy­sisch, indem er die zar­te Ölhaut von der Lein­wand reißt und die­se an Bar­tho­lo­mäi statt häu­tet. Der Bild­kör­per wird zum Kör­per­bild, Medi­um und Bild gehen eine moti­visch hin­ter­leg­te Sym­bio­se ein, die die zeit­ge­nös­si­sche Male­rei oft­mals ver­mis­sen lässt. Bei Samorì sind Bild­trä­ger und Bild nicht von ein­an­der zu tren­nen (und das ist nicht im bild­wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne gedacht); das eine wür­de ohne das ande­re sei­nen kon­tex­tu­el­len Gehalt verlieren.

Nicola Samorì: Onoufrios, Foto: Adrian Sauer, courtesy Galerie Christian Ehrentraut, BerlinNico­la Samorì: Ono­uf­ri­os, Foto: Adri­an Sau­er, cour­te­sy Gale­rie Chris­ti­an Ehren­traut, Berlin

Tat­säch­lich erscheint ein solch eng ver­wo­be­nes Netz sinn­stif­ten­der Bild-Tei­le unter allen aus­ge­stell­ten Arbei­ten in »Ogni estasi è inde­cen­te« am ein­drucks­volls­ten. Ande­re Arbei­ten kön­nen die­ses Gleich­ge­wicht zwi­schen Tech­nik und Motiv nicht so spie­le­risch errei­chen und impo­nie­ren bis­wei­len als mate­ri­al­kund­li­ches Expe­ri­ment. Den­noch zeigt Nico­la Samorì in »Ima­gi­nif­ra­gus« ein beein­dru­cken­des und viel­sei­ti­ges For­men­in­ven­tar, mit dem er sei­ne spät­ba­rock inspi­rier­ten Moti­ve mal­trä­tiert und bis aufs Äußers­te ver­formt, teils ent­stellt. Tie­fe Nar­ben durch­fur­chen sei­ne Gemäl­de, wenn Samorì wie etwa in »Ono­uf­ri­os« kur­zer­hand sei­ne Hän­de in die noch wei­che Far­be taucht, Stü­cke her­aus­klaubt und blu­ten­des Fleisch zurücklässt.

Andern­orts kräu­selt sich die Ölschicht zu wel­ken Blät­tern, fällt vom strah­len­den Bou­quet her­ab und wird im Ple­xi­glas­rah­men auf­ge­fan­gen. Ein kurz­wei­li­ges Mate­ri­al­ex­pe­ri­ment zwar; mehr als eine Zur­schau­stel­lung sei­ner Fer­tig­kei­ten hat Nico­la Samorì für sei­ne bei­den Blu­men­bil­der aller­dings wohl nicht vor­ge­se­hen. So bleibt »Ima­gi­nif­ra­gus« vor allem für Samorìs tech­ni­sche Rafi­nes­se im Gedächt­nis, nur lei­der auch als Blick in einen Bau­kas­ten, des­sen Tei­le noch dar­auf war­ten, in einem gro­ßen Gan­zen auf­zu­ge­hen. Arbei­ten wie »Ogni estasi è inde­cen­te« oder das nur in Vene­dig zu sehen­de »Scoria­da (J.R.)« geben ers­te Ein­drü­cke, wel­che Mög­lich­kei­ten sich Nico­la Samorì noch eröff­nen. Eines ist aller­dings nach »Ima­gi­nif­ra­gus« gewiß: Es bleibt spannend.