Wer gestern in den frühen Abendstunden das Berghain aufsuchte und sich für die längere der beiden Schlangen entschied, war wie hunderte andere Interessierte wegen der Eröffnung des neuen Veranstaltungsraumes »Kubus« im ehemaligen Heizkraftwerk am Wriezener Bahnhof gekommen. »Alle«, so der Titel der Eröffnungsausstellung, will die künstlerische Seite des Clubs aufspüren und vereint zu diesem Zweck mehr als vierzig Künstler und ihre Werke.
Wer jedoch Wolfgang Tillmans, Marc Brandenburg oder Piotr Nathan erwartete, wurde enttäuscht: »Alle« baut auf dem künstlerischen Schaffen der Türsteher und Barkeeper, Techniker, Musiker und Reinigungskräfte auf und will zeigen, »wie sich die nächtliche Arbeit im Berghain auf bewusste und unbewusste künstlerische Prozesse auswirkt und das kollektiv Erlebte sichtbar macht.« Die Erwartungen waren im Vorfeld dementsprechend betont niedrig angesetzt, dennoch konnte »Alle« mit so mancher Überraschung aufwarten.
Kubus, Foto: Eric Tschernow
Eines sei vorweg gesagt: Das Debut des Kubus fand einen solchen Andrang, daß kaum die Möglichkeit bestand, keines der Werke zu übersehen. Manch ein Galerist, wäre froh, seine bescheideneren Räumlichkeiten derart anfüllen zu können, doch die weitläufige Halle des Kubus war so schnell von den Besucherströmen eingenommen, daß man ohne jede Übertreibung von einem glänzenden Start sprechen dürfte. Zumindest was das öffentliche Interesse angeht.
Denn das dürfte sich nicht zuletzt auf die Räumlichkeiten des Kubus bezogen haben, welche zuvor dem Publikum nicht zugänglich waren. Die Architektur des Berghain, die noch immer jedem neuen Besucher ein bescheidenes Gefühl von Ehrfurcht in die Glieder jagt, sollte auch im Kubus wiedererkennbar werden. So war es auch eher Gewohnheit als Überraschung, die industriell anmutende Kulisse des vormaligen Heizkraftwerks zu betreten. Das Konzept von »Alle« hätte sich allerdings einem White Cube verwehrt; insofern hat die neue Örtlichkeit im programmatischen Sinne ihr Nötigstes getan und dabei nicht mit Reizen gegeizt.
Sarah Schönfeld: MDMADie in aller Regel ebenso programmatisch ausgerichtete Kunst fand darin einen idealen Ort zum Bespielen, schließlich sollte sie sich ja dem Mythos Berghain widmen, der wieder einmal mit viel Nachdruck propagiert wurde. Sarah Schönfeld etwa fertigte zwei großformatige Arbeiten an, für die dem Titel nach mutmaßlich MDMA bzw. Heroin auf Farbnegative aufgebracht wurde. Der ästhetische Wert der beiden Werke war zwar dank des bizarren Farbenspiels ein einnehmend hoher, damit sind die Lorbeeren jedoch noch nicht verdient. Der mitunter affirmativ anmutende Pathos der beiden Werke findet einen fahlen Abglanz in der Oberflächlichkeit des seichten Gewässers, in denen Schönfeld hier dümpelt.
Die UdK-Meisterabsolventin konnte sich zwar schon vor »Alle« einen Namen machen, langweilig war diese bunt schillernde Darbietung trotzdem. Doch Glanz bleibt Glanz und so bleibt das abschließende Urteil ein versöhnliches: Zum Berghain passen die beiden Großformate wie kein anderes Ausstellungsstück und es wäre nicht verwunderlich, wenn eines bald einen Platz in der Panoramabar, an Tilmans Seite und mit Blick auf die sich zum Tanz wieder erstarkende Menge bekäme.
Auch andere Ausstellungsteilnehmer wählten Sucht und Drogenkonsum zu ihrem Sujet, jedoch blieben diese durchweg blaß. Wenn No:sler mit einer Skulptur aus Trinkhalmen der strengen Geometrie chemischer Gitter und Strukturen nacheifert, kann er damit zwar MDMA-Kristalle nachahmen, wird sich allerdings der Kritik der Beliebigkeit und mangelnden Originalität ausgesetzt sehen müssen. Einem Kokainkristall aus gerollten Banknoten hätte es an Witz nicht gemangelt, doch so steht »Sucht und Ordnung« ein wenig verloren zwischen den Besuchermengen und findet keinen Widerhall im Publikum.
Dennis Kuhlow: Ohne TitelEbenfalls vorhersehbar war die Anzahl Beiträge, die dem Mythos des Clubs als Tempel für hemmungslosen Sex nachspürten. So war es ebenso wenig überraschend, daß es ihnen durchweg an Substanz fehlte und sie sich nicht einmal als Schockobjekte inszenieren und wenigstens auf diese Weise um Aufmerksamkeit ringen konnten. Wer glaubt, das (Berghain-)Publikum mit Masturbationsszenen aus der Reserve locken zu können, wird sich damit auch nur an Sehgewohnheiten anschmiegen können und ebenso blaß bleiben wie selbige.
Neben dem obligatorischen Beitrag Sven Marquardts, der auch ohne Bezeichnung schnell als solcher identifiziert werden kann, fallen eine Handvoll dezenterer Arbeiten aus dem Feld der effektheischenden Ausstellungsstücke heraus. Da ist etwa ein kunstvoll gearbeiteter Teppich Viron Erol Verts, der klassische Webkunst mit geometrischen, psychedelisch angehauchten Mustern vereint. Es ist aber vor allem die unbetitelte Arbeit Dennis Kuhlows, die als ungelüftetes Geheimnis im Gedächtnis bleibt. Ein sich dramatisch nach oben verjüngendes, graziles Beistelltischchen wird von einem nicht weniger dramatisch verdrehten, gänzlich verdreckten Handtuch gekrönt. Schade, daß es an dieser Stelle keine Erläuterung gab; es bleibt doch das Gefühl, daß die Arbeit mehr wollte, als nur in diesem illustren Zirkus zur Schau gestellt zu werden.
So bleibt der abschließende Eindruck ein gemischter: Es ist beachtlich, wie viele der Mitarbeiter des Berghain sich tatsächlich in der Kunst üben und auf welchem technischen Niveau sie vereint stehen. Keines der Exponate fällt durch Dilettantismus auf, – ganz im Gegenteil :– die Klasse der Ausstellungsstücke ist durchweg auffallend. Natürlich bemisst sich das nur an der Erwartung, es im Regelfall nicht mit hauptberuflichen Künstlern zu tun zu haben. Trotzdem bleibt die Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Arbeitsplatz in ihrer Einfachheit enttäuschend oberflächlich. An diesem Eindruck können auch die wenigen dezenter ausgerichteten Beiträge nicht viel ausrichten. Dennoch bleibt ein versöhnlicher Eindruck: Das Berghain hat sich wieder mal gekonnt selbst in Szene gesetzt. Man darf gespannt sein, wie der Kubus dieses Image forttragen und ausweiten wird.
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