»White Noise«, © Žilvinas Kempinas auf der letztjährigen Transmediale
Wenn der Kunstherbst vorbei ist und auch die Galerien wieder aus ihrem Winterschlaf erwachen, dann beginnt das neue Kunstjahr in Berlin standesgemäß mit Medienkultur: Die Transmediale gastiert in der Stadt und wird wie gewohnt durch einige Satellitenveranstaltungen begleitet. Wie jedes Jahr verfolgt auch die elfte Ausgabe des Festivals ein Leitthema, das – wenig überraschend – unter dem Titel »Response:Ability« in diesem Jahr Echtzeitmedien und Social Media, sowie die damit verbundene Begrifflichkeit der »Liveness« und die Verantwortung im Umgang damit subsumiert. Das Partnerfestival Club Transmediale greift das hier behandelte Thema unter dem Motto »#Live!?« auf und untersucht es mit den Mitteln der Musik und Medienkunst.
Ab morgen finden sechs Tage lang Vorträge, Filmvorführungen, Performances, Workshops und Konzerte statt und laden den Besucher mitunter zum Mitmachen ein. Ich war auf der heutigen Pressekonferenz und habe erste Eindrücke gesammelt.
»Braun Tube Jazz Band«, Ei Wada
Man muss jedoch zugeben: Am Hauptveranstaltungsort, dem Haus der Kulturen der Welt, ist für Kunstinteressierte kaum Tiefgründiges zu sehen. Jedenfalls nicht so viel, dass ich einen Besuch, der nur wegen der Kunst stattfindet, für fünf bis zwölf Euro Eintritt empfehlen könnte. Wer jedoch für einen der Vorträge oder Performances bereits Eintritt bezahlt hat, der sollte sich dennoch einmal anschauen, was geboten wird.
»Liveness«, wie es die Veranstalter ausdrücken, wird nämlich auf unterschiedliche Weise interpretiert. Da ist etwa der Japaner Ai Wada, der während der gesamten Festivaldauer bis Sonntag täglich um 17:30 seine »Braun Tube Jazz Band« zum Besten gibt. Dazu nutzt er mehrere Monitore, auf denen Streifenbilder unterschiedlicher Frequenz abgespielt werden. Berührt der verkabelte Künstler einen der Bildschirme, wird durch einen Tonabnehmer an seinem Körper die Frequenz in Klang umgewandelt, der Künstler wird eins mit dem Instrument.
»Intelligent Bacteria Saccharomyces cerevisiae«, HONF
Auf ungewöhnliches Instrumentarium zur Erzeugung experimenteller Klänge hat sich auch die indonesische Forscher- und Künstlergruppe HONF spezialisiert. Sie zeigt mit »Intelligent Bacteria Saccharomyces cerevisiae»eine Soundinstallation, die auf der Fermentierung von Alkohol beruht. Wenn man der langen Erklärung folgt, die dem Werk angefügt ist, so ist die mitunter skurril erscheinende Instrumentenwahl als Fingerzeig auf das in Indonesien verbreitete gesundheitliche Problem des schwarz gebrannten Alkohols zu verstehen. Wenn man die Arbeit allerdings mit einem interpretativen Ansatz betrachtet, ist man geneigt, darin einen eigenwilligen Umgang mit Alkohol und Rauschzuständen zu erkennen. Von solch ablenkenden Assoziationen führt auch die Frage nicht weg, wieso die Forscher von HONF die gemeine Bierhefe als Bakterium bezeichnen. Sei es drum, allein der Anblick der riesigen Zuchtkübel ist es wert, für einen Abstecher in der sog. »HacKaWay Zone« vorbeizuschauen.
Daneben will die Transmediale an ihrem Hauptstandort mit einigen anderen Projekten locken, die meinen Geschmack jedoch nicht treffen konnten. Simple Argumentationsstrukturen einerseits und oberflächliche Umsetzungen andererseits trüben das Bild der ausgestellten Arbeiten, wenn etwa Gedankenspiele mit dem DNA-»Code« angestellt werden oder virtuelle Skulpturen erschlossen werden wollen. Das Festivalthema lässt sich zwar stets verfolgen, allerdings fehlt es meist an Substanz, um sich zur Kontemplation inspirieren zu lassen. Die Ideen hinter den präsentierten Beiträgen lassen stets einen frischen, interessanten Ansatz erkennen, doch muss der enttäuschte Betrachter gelegentlich einsehen, dass den Projekten zumeist mehr Zeit zur Reifung zu gönnen ist.
»Spatial Sound Sculpture«, Christopher Warnow, Daniel Franke
Wer Kunst und kunstrelevante Themen auf der elften Transmediale sucht, wird dennoch fündig. Dafür sorgt das bunte Programm und der parallel stattfindende Ableger des Club Transmediale. Zwar ist der prall gefüllte Kalender beider Festivals nur schwerlich überschaubar, einige Empfehlungen seien dennoch ausgesprochen:
Zwei Perfomances lenken durch geschickte Manipulation von Filmen bzw. Musik-Tapes die Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung in Zeiten der medialen Überpräsenz und der allgemeinen Informationsflut: Das Trio Fair Use wird am letzten Festivaltag drei Hollywood-Filme so stark komprimieren und vermischen, dass zugrunde liegende Strukturen sichtbar werden, wohingegen am Freitag die Preslav Literay School ein mächtiges Klangkonstrukt mithilfe gefundener Tapes realisieren will.
»Newton«, Ho Tzu Nyen
Die Transmediale wird zudem durch Vorträge ergänzt, die sicherlich einen Besuch wert sind: Am Sonnabend geht man dem Wesen der »Liveness« auf den Grund und orientiert sich dazu an einem Abriss der Mediengeschichte um letztendlich auf die aktuellen Spielarten dieses so ambivalenten Konstrukts einzugehen. Fortgesponnen wird diese Idee durch die Diskussionsreihe »Body:Response«, die vielleicht zu den Highlights der diesjährigen Transmediale zählen dürfte. Darin wird ausgehend von der wachsenden digital-realen Hybridität des Individuums wie auch der Gesellschaft eine Zukunftsvision entworfen, die biologische Formen technischen Ressourcen gegenüberstellt und diese kombiniert. Die transhumanistische Idee wird hier auf politischer wie auf medialer Basis exploriert und diskutiert – meine persönliche Empfehlung für jeden, der nicht nur mehr über die Grundlage des letzten Artikels, sondern auch aus erster Hand über brandaktuelle Themen mit Zukunftsrelevanz erfahren möchte!
Zu guter Letzt sei aber noch ein Projekt empfohlen, das eine einzigartiges Klangerlebnis verspricht: Die CineChamber im HAU2 ist ein 8x12 Meter messender Raum, der mit zehn großen Bildschirmen, 8.8.2‑Sound und kinetischen Boden-Vibrations-Einheiten ausgestattet ist. Über die gesamte Festivaldauer hinweg werden namhafte Sound-Künstler wie Morton Subotnick, Lillevan & Fennesz oder Ryoichi Kurokawa den Raum mit eigens angefertigen Kompositionen bespielen.
Hauptort aber nicht der Mittelpunkt der Transmediale: Das Haus der Kulturen der Welt
Die heutige Pressekonferenz und der Rundgang durch das Haus der Kulturen der Welt konnten mich zwar nicht begeistern, doch darf man dem Kunstsuchenden versprechen, dass das restliche Programm genügend Beiträge bereithält, die den Eintritt von fünf bis zwölf Euro rechtfertigen. Insbesondere die Events der Transmediale und die vielen Angebote des Club Transmediale halten ein buntes Programm bereit, das viele unterschiedliche Positionen und Ansätze zum Thema »Liveness« bietet, aber auch darüberhinaus mit vielen anderen interessanten Konzerten und Performances aufwarten kann. Ein Blick in den Veranstaltungskalender lohnt sich!
heißt also: alles wie immer..
Inwiefern? Ich war bisher nie so gut über das Programm informiert. War es die letzten Jahre auch so, daß die Beiträge im Haus der Kulturen der Welt nicht mit den Vorträgen, Performances etc. mithalten konnten?
Ich finde diese Installationen wirklich sehr intelligent gelöst. Besonders die großen Gläser gefallen mir.
Ich meine damit die konsequente Überforderung und nicht Nichtaufarbeitung der ausgestellten Exponate. Irgendwie immer kruschtelig, irgendwie immer zu wenig überzeugend, irgendwie immer transmediale. leider bereits seit einigen »Saisons«
Ja, da muss ich dir zustimmen. Der kuratorische Ansatz ist zwar zu erkennen, trotzdem fehlt es eigenartigerweise an einer klaren Linie. Es wirkt, als habe man alle (Medien-)Künstler eingeladen, die sich irgendwie mit dem Thema »Live« beschäftigen, und gebeten, sich irgendwie einzubringen. Ich habe auch Zweifel daran, wieviel von den Award-Verleihungen zu halten ist, wo doch das Teilnehmerfeld eher mager aufgestellt ist. Wenn sich dann einer wegen eines solch schwachen Beitrages in seiner Vita mit einem Transmediale-Award rühmen darf, zieht das in meinen Augen die ganze Veranstaltung weiter in Misskredit.
btw:
Über die Aufgaben und Möglichkeiten der Kunst und Kultur im Medienzeitalter — mit Stephen Kovats
http://chaosradio.ccc.de/cre174.html