© Gould (2003)
Weil seit längerer Zeit alle Beispiele für UrbanArt, die mir unter die Augen kommen, es nicht wert sind, so genannt zu werden. Weil diese Beispiele Schund, vielleicht noch Kunsthandwerk darstellen. Weil UrbanArt oder das, was ich davon erlebe, tot ist. Weil sich das bedeutsame Wörtchen »Art« in »UrbanArt« vielleicht – scheinbar, hoffentlich! – zurückgezogen, neue Räume erobert hat.
Hard Cut.
Der letzte Artikel über UrbanArt ist nun schon mehr als ein halbes Jahr alt, insgesamt wurde hier nur zwölf Mal zu diesem Thema geschrieben. Startete ich dieses Blog im Januar 2009 noch unter einem Titel, der Bezug auf Urban- und Contemporary Art nahm, müsste es nun schon seit einiger Zeit einfach »Pollux« oder — als stumme Erinnerung an vergangene Zeiten — « & Pollux« heißen. Allerdings habe ich nicht etwa das Interesse an UrbanArt verloren, ganz im Gegenteil: Es gab nur nichts zu schreiben.
Es handelt sich um ein echtes Massenphänomen: StreetArt hat bereits in seiner Geburtsstunde den Bitterfelder Weg eingeschlagen und ist nun in der Sackgasse der Deprofessionalisierung angelangt. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Qualität der gesprühten, geklebten, installierten oder anderweitig auf die Straße bzw. in die Galerien gebrachten Werke ist seit Jahren unterirdisch. (Wie ich erst spät einsah, war dies schon der Fall, lange bevor dieses Blog an den Start ging.) Wenn ich über die Straßen Berlins spaziere, über die Hinterhöfe und brachen Flächen gehe und an den Orten vorbeikomme, wo Leerstand und Verfall StreetArtists förmlich einladen, dann sehe ich da nicht etwa UrbanArt, wie es meinen Begrifflichkeiten entspricht, sondern hohlen Schund, der zwar manchmal ästhetischen Ansprüchen genügen mag oder eine gewisse handwerkliche Leistung bezeugt, doch aber immer noch substanzlosen Mist darstellt.
Ich kann nichts finden an einer springenden Milchkuh, kann mich nicht ereifern über das omnipräsente Grinsen von Mein lieber Prost, der in einem fragwürdigen Interview dümmlichen Larifari herausprotzt. Ich kann mich auch nicht dafür begeistern, wenn hochgelobte Koryphäen der Szene wie Alias, Nomad oder Xooox der Sinnlosigkeit und Willkür frönen und dafür offensichtlich als Vorbild für viele unter denjenigen gelten, die weniger bekannt sind.
Man entgegnet mir:
Mit der Kunst ist es doch dasselbe: Nicht jeder, der sich Künstler nennt, hat auch was drauf. Wer hohe, »wertvolle« Kunst sehen will, der muss die Galerien und Museen besuchen. In der StreetArt ist das nicht anders! Geh in die ATM Gallery oder ins Neurotitian, da findest du die hohe, die »wertvolle« UrbanArt!
Doch vor Ort kann ich nichts davon finden. Es scheint, als würden Galerien wie diese nur jenen StreetArtists einen Raum geben, die sich professionalisiert, die ein gewisses Renommee aufgebaut und sich — wenigstens durch ihre Präsenz in solchen Institutionen — von der Straße entfernt haben. Was in diesen Galerien ausgestellt wird, ist nicht StreetArt; es kann womöglich UrbanArt genannt werden (das ist wohl eine stilistische Frage). Andere euphemisieren es als »New Contemporary Art«, ein Begriff, der scheinbar nur in diesem Umfeld benutzt wird. Die »Neue zeitgenössische Kunst«?
Zeitgenössisch, ja. Kunst, nein. Aber gar »Neue zeitgenössische Kunst«? Mitnichten.
Doch was fehlt mir eigentlich an dieser sogenannten StreetArt? Es geht mir nicht um Definitionspedanterie — was ich vermisse, ist Gehalt. Ein Fußballerhähnchen oder eine pummelige Pimmelfigur mögen ein kurzes Lächeln hervorlocken, doch mehr kann man nicht erwarten. Es liegt kein Sinn in den Bildern, die ich Tag für Tag auf den Straßen Berlins sehe. Selbst die wenigen, die mehr wollen und die immer wieder durchgekauten Probleme unserer Stadt und unserer Gesellschaft adressieren, geben sich mit einer bloßen Floskel oder einem diskreten Gedankenspiel zufrieden. Da ist kein Tiefgang. Diese sog. StreetArt ist flach und naiv.
Ich erinnere mich, vor einem halben Jahr, als ich tief enttäuscht war von dem, was UrbanArt in Berlin und Deutschland bedeutete, bei arte eine Reportage über StreetArt gesehen zu haben. Dort wurden Princess Hijabs Ad-Busting-Aktionen gezeigt, aber auch ein StreetArtist vorgestellt, der nachts mit Pfeil und Bogen durch die Straßen zog und Jagd auf Häuser machte, die der Gentrifizierung zum Opfer gefallen waren. In dieser Sendung wurde auch die wachsende Mode angesprochen, dass Leute durch die Stadt gehen, Arbeiten von den Wänden abnehmen und in Sammlermanier daheim ausstellen.
Als ich diese Dokumentation sah, ging mir das Herz auf. UrbanArt schien noch nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit ersoffen zu sein. Es gab sie noch, die StreetArtists, die etwas aussagen wollten und dabei nicht auf ausgelutschte Platitüden zurückgriffen. Doch warum sah ich davon nichts, wenn ich in Berlin unterwegs war? Wo hielten sich diese letzten Künstler ihrer Art auf? Wo konnte man ihnen nah sein?
Es waren jedenfalls nicht die Straßen Friedrichshains, Kreuzbergs oder Neuköllns, es waren auch nicht die UrbanArt-Galerien dieser Stadt. Noch immer suche ich nach ihnen und bin noch nicht findig geworden.
Eine erfreuliche Entwicklung ist jedoch, dass Blogs wie rebel:art des ambitionierten und für seine Arbeit von mir geschätzten Alain aus Hamburg dieser Banalisierung entgegenwirken und es schaffen, aus dem großen Haufen Mist, der uns Tag für Tag zu verschütten droht, die wenigen Perlen herauspicken, die ich gar nicht mehr aus eigener Kraft aufzustöbern vermag.
Die Hoffnung ist also noch nicht verloren. Doch eines erscheint mir glasklar: Die StreetArt-Szene, so denn man von einer solchen sprechen kann, hat ihr Schicksal selbst in der Hand. Will sie weiter ihren Kurs in die Banalität beibehalten oder einen Ausweg aus diesem Dilemma finden? Für welchen Weg werden sich StreetArtists und Galeristen entscheiden?
Das Logo der STROKE.03
Dieser Frage will ich auf der diesjährigen STROKE.03 nachgehen. Die »weltweit erste Messe für Urban Art und New Contemporary Art« zieht an die Spree und gastiert vom 7. bis 10. Oktober am Gleisdreieck. Ich habe mir die Website angeschaut und die Presseinformationen studiert (PDF) und bin skeptisch, ob diese Großveranstaltung neue Impulse setzen kann.
Wenn der zweite Absatz der Pressemeldung klar stellen will, dass die Veranstalter nicht in Konkurrenz zu den etablierten Kunstmessen treten wollen, und zehn Blogger eingeladen werden, sich für die Messe künstlerisch auszutoben, dann muss man doch die Ernsthaftigkeit dieser Veranstaltung infrage stellen. Wenn UrbanArt nicht den Anspruch hat, der etablierten Kunst gleichwertig sein zu wollen, und eine Messe wie die STROKE.03 auf hohle PR-Gags zurückgreifen muss, habe ich ernste Zweifel, ob die (kuratierte) Szene den Ausweg aus dem Jammertal tatsächlich finden wird.
All diese Fragen sind nicht neu. Weder mir, noch dem Internet oder all jenen, die sich genauso viel oder mehr als ich mit UrbanArt auseinander setzen. Man hätte sie schon vor Jahren stellen können, lange bevor es dieses Blog überhaupt gab. UrbanArt liegt mir jedoch am Herzen, lange habe ich diesen Artikel schreiben wollen. Jetzt ist jedoch die Gelegenheit gekommen, vielleicht eine Antwort zu finden.
Kommenden Mittwoch werde ich mir selbst ein Bild davon machen und vielleicht auch ein vorläufiges Urteil fällen. Wir werden sehen.
endlich redest du mal tacheless. danke fuer diesen authentischen kritischen hasspost.
vielleicht kann ich dich jetzt wieder ernstnehmen. 😀
mehr davon!!!
Ebbes Kommentare, liebste Kommentare.
ich lade dich mal auf einen kaffee ein. ich glaube wir werden uns gut verstehen.
alles der gesellschaft des spektakels geschuldet. leider.
Auch wenn wir von iHeartBerlin.de selbst Teil der von dir benannten Stroke Aktion sind, kann ich deine Zweifel nachvollziehen. Natürlich geht es dabei mehr um die PR also um die Kunst. Aber als Messe kann man eben auf genau diese nicht verzichten. Ich glaube keine der teilnehmenden Blogger sehen sich als ernstzunehmende Künstler, das wäre tatsächlich vermessen. Man könnte sich jetzt darüber streiten, was so ein Blogger »Kunstwerk« auf einer Ausstellungsfläche mit »echten« Künstlern zu suchen hat. Aber man sollte das vielleicht auch nicht überbewerten und für das sehen, was es ist. Eine originelle Idee, auf dessen Resultate ich ebenso gespannt bin wie auf die ausgestellte »echte« Kunst.
toller text. so geht es mir auch.wobei es wie gesagt noch ein paar perlen gibt. aber so jemand tolles wie princess hijab fehlt leider wirklich in berlin…
also ich kann dir nicht wirklich zustimmen. klar, prost ist kein held, aber es gibt so viele gute künstler in berlin. wenn du nur im fhain, kreuzberg oder prenzelberg unterwegs bist und nach postern oder stencils schaust ist es doch klar, dass du nichts innovatives findest.
du solltest mal von deinem blog wegkommen und nen bisschen tiefer in die szene schauen.
auf der stroke hast du vielleícht arbeien von void oder spy gesehen, nen haufen von solchen guten arbeiten gibt es in berlin. nur weil du sie nicht kennst, weil sie kein facebook oder flickr haben heißt es nicht, dass berlin oder gar die szene tot ist.
dein blog ist meiner meinung nach mist.
Lieber Max,
ich kenne dich nicht, du mich nicht, also was soll das dümmliche Getue.
Die Arbeiten von Void und SpY sind mir nicht aufgefallen, jedenfalls habe ich sie nicht als solche erkannt, habe sie aber wahrscheinlich gesehen, bin nämlich einige Male von Stand zu Stand gegangen, in der Hoffnung, auch was zu finden, was meiner Auffassung von Kunst entspricht. Denn dazu war ich ja da.
Wenn du mit Void die ganze Crew meinst (denn eine andere kenne ich nicht), dann wundert es mich auch nicht, warum mir nichts davon ins Auge gefallen ist. Was SpY angeht: Auch das unterscheidet sich in meinen Augen kaum von dem anderen Kram, den ich tagtäglich sehe. Klar, das sind keine Stencils oder DHL-Aufkleber, doch stechen diese Dinge in puncto Gehalt und Anspruch aus dem restlichen Larifari nicht heraus. Das Interview mit Marco hat gut gezeigt, dass man diesen Anspruch nicht zwingend in StreetArt suchen muss und auch mit einem rein ästhetischen Interesse zufrieden sein kann, deswegen hier aber so ein infantiles Gehabe an den Tag zu legen, ist auch nicht das Wahre. Zumal du gar nicht beurteilen kannst, wie tief ich bisher in die Szene schauen konnte, macht das alles gar keinen Sinn.
Wenn du mir ein paar Namen nennen kannst, denen man auch eine künstlerische Qualität nachweisen kann, dann wär ich froh, wenn du sie mir mitteilen würdest. Das würde mich nämlich in der Tat sehr interessieren.
alex void du spinner und das »dümmliche gehabe« kann ich nur zurückgeben. bist du jetzt traurig weil ich deinen blog nicht mag ja?
matthias wemke, jens besser, daniel tagno, thomas bratzke, thomas wiczak oder christian schellenberger und und und und.
Ach Mäxchen, mach dir nicht ins Hemd. Mir ist so dermaßen egal, wer meinen Blog mag und wer nicht, und da gehörst du definitiv auch dazu. Immerhin hast du mal Ross und Reiter beim Namen genannt und jetzt können wir hier auf einer gemeinsamen Basis argumentieren. Ich schau mir die Sachen heute Abend mal an und dann seh ich weiter. Zumindest von Tagno kenne ich ein paar (ältere?) Sachen, die einen allenfalls konzeptionellen Anspruch erkennen lassen, doch aber auch nur auf ästhetische Ergebnisse abzielen, wie der ganze Rest auch.
Hallo,
erst mal vielen Dank für deinen Beitrag – wurde langsam Zeit das die Szene anfängt sich selbst zu reflektieren!
Ich denke das man das ganze Thema etwas entzerren könnte indem man von »Street Illustrations« oder »Urban Illustrations« spricht, das ist es nämlich was man hier in Berlin zum größten Teil findet. Wenn man jedoch von »Street Art« spricht sollte es sich im besten Fall auch um diese handeln.
Ich muss jedoch Max zustimmen das es in Berlin sehr wohl sehr gute Künstler gibt und wundere mich das du die nicht kennst! Den von Max genannten möchte ich noch Brad Downey hinzufügen. Ausserdem gibt es in der Urban Art Info (www.urban-art.info) seit vielen Jahren sehr gute Ausstellungen die Zeigen das Berlin sehr gute Künstler hat. Um diese zu finden muss man sich jedoch ausserhalb der »Street Art Szene« auf die Suche machen da viele dieser Leute diese bewusst umgehen.
stimme max zu! ebenfalls sweza bezüglich »street illustrations«.
deinen beitrag finde ich sehr reißerisch.
warum ist es so schlimm, wenn einige künstler nur der kunst willen kunst schaffen?
ich war neben der stroke ebenfalls auf der art fair und muss sagen, dass der großteil der dort gezeigten werke mich nicht so sehr beeindruckt haben wie einige auf der stroke. findest du das niveu auf der art fair besser, weil dort »aussagen« hinter den werken stehen? ich finde das niemand bei einen der dort gezeigten werke genaue aussage oder intention entnehmen kann weil es unmöglich ist den gedankengang des künstlers in solch einem abstrakten und reduzierten bild/prozess nachzuvollziehen. die emfindung und deutung ist stehts subjektiv und somit ist die aussage hinter solchen »wirklichen kunstwerken« relativ.
@max: Mr. Talion würde ich dort auch noch einreihen
@sweza: Was diese »Urban Illustrations« angeht, wie du sie nennst, würde ich mitgehen. Es gibt definitiv einen Unterschied zu dem, was ich und du wohl auch unter Kunst verstehen. Diese Illustrationen werden jedoch als StreetArt gehandelt, was für mich nach rein begrifflichen Aspekten problematisch ist. Brad Downey ist mir bekannt und gehört definitiv zu den Leuten, von denen ich mehr sehen will, die ich im Artikel als »letzte Künstler ihrer Art« bezeichnet habe. Leide treffe ich nur selten etwas von ihnen auf den Straßen an, was aber auch daran liegen könnte, dass ich ihre Arbeiten einfach nicht erkenne.
@quak_mire Welche Art Fair meinst du? Das art forum?
Ich will keinen qualitativen Unterschied zwischen einem rein ästhetischen und einem konzeptionellen Anspruch eines Kunstschaffenden machen, denn beides ist vollkommen legitim. Dennoch kann ich mich an konzeptioneller Kunst mehr freuen und so entstand auch die Frage, warum die Straße als außergewöhnliche Plattform für künstlerisches Schaffen mit all ihren implizierten Bedingungen und Möglichkeiten nicht in dem Maße von konzeptioneller Kunst aufgenommen wurde wie von denen, deren Arbeit sweza so schön als »Street Illustration« beschrieb.
Dennoch muss man fairerweise sagen, dass in der Geschichte der Kunst Ästhetik (bis auf einige Künstler des Rokoko wie etwa Watteau) eher eine sekundäre Rolle gespielt hat. In den bildenden Künsten entsteht Ästhetik durch Komposition, in der Architektur durch Funktion. Beides steht jedoch nicht primär im Dienste der Ästhetik, sondern in der Vermittlung einer Absicht oder dem Erfüllen eines praktischen Nutzen. Ästhetik ohne Konzept ist also kunstgeschichtlich gesehen ein eher neuartiges Phänomen — so denn man noch von Ästhetik sprechen will — und setzte sich m.E. erst mit den Illustrationsvorreitern wie Toulouse-Lautrec, William Morris, Beardsley, Mucha usw. so richtig durch. (Das ist allerdings eine These, die ich nicht wissenschaftlich belegen kann.)
Art hin oder her … Die subversive kraft dieser kunstform ist , dass sie da ist. Egal was sie darstellt . Ob schrift , charakter oder abstraktes, hauptsache farbe auf der wand. Wer kunst produzieren will , geht in die gallerie und nicht auf die strasse. Diese ist frei von jeglichen zwängen und selektion, dass ist auch das schönne dabei. Tiefgrundiges zu erwarten empfinde ich als fehl am platz, aber gerade die ausnahme bestätigt die regel.
word!
ich erahne das ihr Graffiti oder zumindest die beiden miteinander konkurrierenden Richtungen Bombing und Stylewriting nicht wirklich bis heute verstanden habt. sonst hättet ihr nicht diese Sinnleere in der streetart und eine hoffnungslose suche begonnen. wacht auf ihr Street art benebelten