Einzelausstellung für 1,99 €
Es ist schon eine Weile her, dass man im Monopol-Magazin ein Interview mit Chris Dercon, dem designierten Kurator der Tate Modern, über die derzeitige ökonomische Lage in der Kunst las. Er sprach darin vom »Künstlerprekariat«, das sich selbst ausbeute, um um jeden Preis gehört und anerkannt zu werden. »Das größte Problem ist die Disponibilität der Leute«, sagt er und spricht sich im nächsten Moment gegen die unentgeltliche Leistung von (künstlerischen, gestalterischen, redaktionellen) Diensten aus. Berlin sieht er als Keimzentrum dieser gegenwärtigen Entwicklungen.
Das überaus lesenswerte Interview gibt eine interessante Sicht auf die derzeitigen Tendenzen in der Kunst: Heutzutage ist es so einfach wie nie zuvor, selbst künstlerisch oder gestalterisch tätig zu werden, was auch viele veranlasst, ihren Vorstellungen Ausdruck zu verleihen und ihre Ideen umzusetzen. Natürlich können sich nur die wenigsten dieser ambitionierten Hobbykünstler am Markt, sprich: bei den Galerien etablieren, was bei einigen, die dieses Ziel hartnäckig genug verfolgen zur von Dercon geschilderten Prekarisierung und Selbstausbeutung führt.
Diese Schwemme an erfolglosen, meist unausgebildeten Amateurkünstlern öffnet freilich einen Markt, der die Bedürfnisse dieser Zielgruppe erkennt und befriedigt. So gibt es etwa die ersten Galerien, die sich ausschließlich diesem Kreis an Künstlern widmen — oftmals mit ungewöhnlichen Methoden und fragwürdigem Nutzen für die ausgestellten Künstler.
Ein Beispiel dafür ist die Neon Chocolate Gallery, die hier in Berlin schon einen gewisse Bekanntheit erlangt hat. Das Prinzip der Galerie ist Schnelllebigkeit: bis zu drei Vernissagen finden pro Woche statt. Die Ausstellungen dauern selten länger als drei Tage und so ist es auch kaum möglich, einen Besuch zu planen. Das wäre auch die falsche Herangehensweise, schließlich dominiert die Einstellung: »Lass uns schauen, was es heute gibt«. Wer den Namen des ausgestellten Künstlers bereits vorher kannte, kennt meist auch den Künstler selbst.
Und so stellt sich schnell eine gewisse Stimmung ein: Der Besucher will möglicherweise mehr unterhalten werden als sich auf einen Diskurs mit der Kunst einzulassen. Das Internet macht es vor, die Usergeneration Ffffound hat hier einen Spielplatz in der realen Welt gefunden. Darauf müssen sich die ausgestellten Künstler einlassen und das tun sie bereitwillig. Die Chance, seine eigenen Werke an den Wänden eines White Cubes hängen zu sehen, lässt man sich nicht entgehen, auch wenn das Konzept der Neon Chocolate Gallery es mit sich bringt, dass hier keine aufwendig kuratierten und öffentlich beachteten Ausstellungen entstehen können.
Allerdings lässt das Anliegen, unbekannte, zumeist Amateurkünstler auch keine andere Verfahrensweise zu. Kaum eines der Werke wird wohl tatsächlich einen Käufer finden, auch an das sonst so wichtige Geschäft mit den Sammlern und auf den Kunstmessen ist nicht zu denken. Es ist fraglich, wieviele Arbeiten tatsächlich im Schnitt pro Ausstellung verkauft werden, und inwiefern auch der Künstler davon profitiert. Dieser kann sicherlich jeden Cent aus dem Erlös gut gebrauchen; denn das Kunstschaffen ist auch heute noch eine teure Angelegenheit.
So ist auch gewährleistet, dass die Bewerbungen von ausstellungsmutigen Künstlern nicht abnehmen. Denn was in der Lychener Straße ausgestellt wird, hat wenig mit naiver Kunst zu tun. Man findet hier auch Kunststudenten, doch natürlich keine Namen etablierter Künstler. Das wissen auch die Bewerber und sehen womöglich in den vergleichsweise einfachen Zugangsmöglichkeiten die Gelegenheit, ihre Werke nicht nur vor Freunden und Verwandten zeigen zu können.
Einzelausstellung für 1,99 €
Ein anderes Prinzip verfolgt dagegen das Projekt »Einzelausstellung« von Erik Weiser und Moritz Frei: Auch hier erhält jeder die Möglichkeit, seine Werke auszustellen, jedoch werden die Kosten auf andere Wege gedeckt. Wer sich bewerben will, erwirbt für 1,99 € ein Los, das an der Ziehung teilnimmt und möglicherweise zur erhofften Einzelausstellung führt. Mit dem Erlös der Aktion werden die anfallenden Ausgaben, etwa für Transport und Vernissage, gedeckt.
Auf der anderen Seite kann der glückliche Gewinner seine Arbeiten für einen längeren Zeitraum ausstellen, als es etwa das Konzept der Neon Chocolate Gallery erlaubt. Ähnlich wie die andernorts stattfinden Häuserverlosungen, die einen minimalen finanziellen Einsatz der Interessenten erfordern, wird hier die Teilnahme fast schon zu einem Gag, der im Glücksfall ein Schnäppchen verspricht. Kaum etwas ist über das Projekt von Weiser und Frei oder dessen Vermarktung herauszufinden, doch darf man auch in diesem Fall davon ausgehen, dass sich die Idee rechnet.
Hat das von Dercon charakterisierte Künstlerprekariat mit Beispielen wie diesen seine Nische am Kunstmarkt gefunden? Das schiene mir zweifelhaft. Ebenso fraglich wie die Dauerhaftigkeit solcher Projekte: Die Finanzierbarkeit solcher Konzepte dürfte sich schwierig gestalten, gleich welcher Qualität die ausgestellte Kunst ist. Schließlich handelt es sich immer noch um Kunst, die zu unbekannt, am Markt ungefragt oder schlicht zu naiv ist, um für die etablierten Galerien zu taugen.
Und so bleibt es dann doch beim Alten: Wenn das Künstlerprekariat weiter nach bescheidenem Ruhm ringt, muss es weiterhin disponibel bleiben.