Tanz im Licht

18. Juli 2010 von Matthias Planitzer
Raurouw: "Shock control regression adaptation" Der gestrige Abend führte mich zu einer Vernissage in die Program Gallery unweit des Hamburger Bahnhofs, wo das Architektenquartett Raurouw sein jüngstes Werk "Shock control regression adaptation" vorstellte. Wie bereits angekündigt, erwartete den Besucher eine interaktive Lichtinstallation, die die vier Phasen der Trauer - namentlich Schock, Kontrolle, Regression und Anpassung - aufgreifen und verarbeiten wollte. Ob die Ausstellung dieses Versprechen einlösen konnte und wie es sich anfühlt, in einem abgedunkelten Raum mit stetig wechselndem Laserlicht umherzuwandeln - diese und andere Eindrücke warten nach dem Klick.

Raurouw: Shock control regression adaptationRau­rouw: »Shock con­trol regres­si­on adaptation«

Der gest­ri­ge Abend führ­te mich zu einer Ver­nis­sa­ge in die Pro­gram Gal­lery unweit des Ham­bur­ger Bahn­hofs, wo das Archi­tek­ten­quar­tett Rau­rouw sein jüngs­tes Werk »Shock con­trol regres­si­on adapt­a­ti­on« vor­stell­te. Wie bereits ange­kün­digt, erwar­te­te den Besu­cher eine inter­ak­ti­ve Licht­in­stal­la­ti­on, die die vier Pha­sen der Trau­er — nament­lich Schock, Kon­trol­le, Regres­si­on und Anpas­sung — auf­grei­fen und ver­ar­bei­ten wollte.

Ob die Aus­stel­lung die­ses Ver­spre­chen ein­lö­sen konn­te und wie es sich anfühlt, in einem abge­dun­kel­ten Raum mit ste­tig wech­seln­dem, auf die Besu­cher reagie­ren­dem Laser­licht umher­zu­wan­deln — die­se und ande­re Ein­drü­cke war­ten nach dem Klick.

Raurouw: Shock control regression adaptationRau­rouw: »Shock con­trol regres­si­on adaptation«

Fast wäre ich dran vor­bei­ge­lau­fen, so unschein­bar gibt sich die Pro­gram Gal­lery die­ser Tage. Denn im Inne­ren wird mit sub­ti­lem Licht gear­bei­tet, der Raum ist abge­dun­kelt und so ver­schwei­gen die abge­han­ge­nen Fens­ter, dass dahin­ter Kunst auf die Besu­cher war­tet. Auch der Ein­gang lässt wenig von einer Gale­rie erah­nen, hier wird ledig­lich vor dem Laser­licht gewarnt, in das man nicht direkt rein­schau­en sol­le. So öff­net man also die Pfor­te, trägt ein wenig Tages­licht hin­ein und kaum hat sich die Tür wie­der geschlos­sen, steht man schon mit­ten in der Licht­in­stal­la­ti­on der Künstlergruppe.

Da durch­schnei­det grü­nes Laser­licht in dün­nen Strah­len den Aus­stel­lungs­raum, trifft auf klei­ne Spie­gel, wird umge­lenkt und sucht sich einen neu­en Weg, ehe es von einem der Wän­de oder den Kör­pern der Besu­cher auf­ge­hal­ten wird. In par­al­le­len Bah­nen durch­dringt hier das gift­grü­ne Licht Nebel und Dun­kel­heit und fla­ckert an einem Ende des Rau­mes auf­ge­regt, wenn anders­wo ein Besu­cher umher­wan­delt oder spie­le­risch die­se so mate­ri­ell erschei­nen­den Strah­len untersucht.

Raurouw: Shock control regression adaptationRau­rouw: »Shock con­trol regres­si­on adaptation«

Ges­tern Abend fla­cker­te das Licht beson­ders häu­fig, lud doch die Gale­rie zur Ver­nis­sa­ge, wel­che zwar kei­ne Men­schen­mas­sen anlock­te, doch aber den Aus­stel­lungs­raum gut fül­len konn­te. »Gut gefüllt« jeden­falls für die Ver­hält­nis­se einer sol­chen raum­durch­span­nen­den Licht­in­stal­la­ti­on, die frei­lich umso unste­ter und unru­hi­ger wird, je mehr Men­schen in der Gale­rie auf und abgehen.

Schließ­lich han­delt es sich bei »Shock con­trol regres­si­on adapt­a­ti­on« um eine inter­ak­ti­ve Instal­la­ti­on, die auf die Anwe­sen­heit der Besu­cher reagiert und so immer wie­der neue For­men annimmt. Von einem Moment zum nächs­ten bricht eine undurch­dring­li­che Bar­rie­re puren Lichts zusam­men, weil andern­orts eine Per­son im Strah­len­gang steht, und ehe man sich ver­sieht, ist man in einem grü­nen Käfig gefan­gen, weil das Licht wie­der in sei­nen vor­ge­ge­be­nen Bah­nen lau­fen kann.

In Abstän­den von weni­gen Minu­ten wer­den zudem ande­re Laser­grup­pen ange­schal­tet, sodass ein sich ste­tig wech­seln­des Bild bie­tet. Mal wird der gan­ze Raum von Licht­strah­len durch­zo­gen, dann wie­der­um spielt sich alles in einer Ecke des Rau­mes ab. Wenn das Licht eben noch in akku­ra­ter Par­al­le­li­tät den Nebel durch­schnei­det, eilt die­ses wenig spä­ter kreuz und quer durch den Raum.

Raurouw: Shock control regression adaptationRau­rouw: »Shock con­trol regres­si­on adaptation«

In »Shock con­trol regres­si­on adapt­a­ti­on« trifft Ord­nung auf Cha­os. Dank der neu­gie­ri­gen Besu­cher erfin­det sich die Instal­la­ti­on immer wie­der neu und steht nie still. Man kann hier­in gern die vier Trau­er­pha­sen nach Yorick Spie­gel sehen: Cha­os gleich Schock, Ord­nung gleich Kon­trol­le, Rück­zug gleich Regres­si­on und Inter­ak­ti­vi­tät als Aus­druck der Anpas­sung. Den­noch, die­ser Ein­druck drängt sich nicht auf. Ohne die Erklä­rung in der Aus­stel­lungs­ein­la­dung wäre man wohl nicht auf eine sol­che Asso­zia­ti­on gekommen.

Das war aller­dings kein Grund zur Ent­täu­schung, bezau­bert doch die Licht­in­stal­la­ti­on durch ihre unge­ahn­te Ein­drück­lich­keit. Ließ man sich ein­mal auf das Spiel mit dem glei­ßen­den Licht ein, war man auch schon im Werk gefan­gen. Man ist zum Teil der Instal­la­ti­on gewor­den, die ja eben erst dadurch zu dem wird, was sie ist, näm­lich eine inter­agie­ren­de, durch ihre Wech­sel­wir­kung mit den Anwe­sen­den leben­dig wir­ken­de Ein­heit aus Akti­on und Reaktion.

Raurouw: Shock control regression adaptationRau­rouw: »Shock con­trol regres­si­on adaptation«

Gegen 21:00 Uhr dann bot Tre­vor Lee Lar­son mit expe­ri­men­tel­ler, elek­tro­ni­scher Musik den pas­sen­den Sound­track und sorg­te zum ein­zi­gen Mal für eine Toten­stil­le unter den Besu­chern. Kein Wun­der, ist doch die Instal­la­ti­on mit pas­sen­der musi­ka­li­scher Unter­ma­lung um eini­ges eindrucksvoller.

 

Unterm Strich bleibt jedoch die Erkennt­nis, dass »Shock con­trol regres­si­on adapt­a­ti­on« am bes­ten mit maxi­mal zehn Anwe­sen­den funk­tio­niert und idea­ler­wei­se mit pas­sen­der Musik ver­stärkt wird. Ers­te­res war ges­tern lei­der nicht gege­ben, wes­halb ich sicher­lich noch ein­mal die Pro­gram Gal­lery besu­chen werde.

Mor­gen Abend etwa bie­tet sich hier­zu die ers­te Gele­gen­heit, wenn Jacob Kir­ke­gaard sei­ne neue Arbeit »Ban­de­ra« vor­stellt, wofür er wie­der ein­mal simp­le Geräu­sche mit erstaun­li­chen Ergeb­nis zusam­men­ge­führt hat.

Wer »Shock con­trol regres­si­on adapt­a­ti­on« selbst erle­ben will,
der kann noch bis zum 20. August,
immer diens­tags bis sams­tags jeweils von 14.00 bis 19.00 Uhr
die PROGRAM Gal­lery in der Inva­li­den­stra­ße 115, 10115 Ber­lin besuchen.