Raurouw: »Shock control regression adaptation«
Der gestrige Abend führte mich zu einer Vernissage in die Program Gallery unweit des Hamburger Bahnhofs, wo das Architektenquartett Raurouw sein jüngstes Werk »Shock control regression adaptation« vorstellte. Wie bereits angekündigt, erwartete den Besucher eine interaktive Lichtinstallation, die die vier Phasen der Trauer — namentlich Schock, Kontrolle, Regression und Anpassung — aufgreifen und verarbeiten wollte.
Ob die Ausstellung dieses Versprechen einlösen konnte und wie es sich anfühlt, in einem abgedunkelten Raum mit stetig wechselndem, auf die Besucher reagierendem Laserlicht umherzuwandeln — diese und andere Eindrücke warten nach dem Klick.
Raurouw: »Shock control regression adaptation«
Fast wäre ich dran vorbeigelaufen, so unscheinbar gibt sich die Program Gallery dieser Tage. Denn im Inneren wird mit subtilem Licht gearbeitet, der Raum ist abgedunkelt und so verschweigen die abgehangenen Fenster, dass dahinter Kunst auf die Besucher wartet. Auch der Eingang lässt wenig von einer Galerie erahnen, hier wird lediglich vor dem Laserlicht gewarnt, in das man nicht direkt reinschauen solle. So öffnet man also die Pforte, trägt ein wenig Tageslicht hinein und kaum hat sich die Tür wieder geschlossen, steht man schon mitten in der Lichtinstallation der Künstlergruppe.
Da durchschneidet grünes Laserlicht in dünnen Strahlen den Ausstellungsraum, trifft auf kleine Spiegel, wird umgelenkt und sucht sich einen neuen Weg, ehe es von einem der Wände oder den Körpern der Besucher aufgehalten wird. In parallelen Bahnen durchdringt hier das giftgrüne Licht Nebel und Dunkelheit und flackert an einem Ende des Raumes aufgeregt, wenn anderswo ein Besucher umherwandelt oder spielerisch diese so materiell erscheinenden Strahlen untersucht.
Raurouw: »Shock control regression adaptation«
Gestern Abend flackerte das Licht besonders häufig, lud doch die Galerie zur Vernissage, welche zwar keine Menschenmassen anlockte, doch aber den Ausstellungsraum gut füllen konnte. »Gut gefüllt« jedenfalls für die Verhältnisse einer solchen raumdurchspannenden Lichtinstallation, die freilich umso unsteter und unruhiger wird, je mehr Menschen in der Galerie auf und abgehen.
Schließlich handelt es sich bei »Shock control regression adaptation« um eine interaktive Installation, die auf die Anwesenheit der Besucher reagiert und so immer wieder neue Formen annimmt. Von einem Moment zum nächsten bricht eine undurchdringliche Barriere puren Lichts zusammen, weil andernorts eine Person im Strahlengang steht, und ehe man sich versieht, ist man in einem grünen Käfig gefangen, weil das Licht wieder in seinen vorgegebenen Bahnen laufen kann.
In Abständen von wenigen Minuten werden zudem andere Lasergruppen angeschaltet, sodass ein sich stetig wechselndes Bild bietet. Mal wird der ganze Raum von Lichtstrahlen durchzogen, dann wiederum spielt sich alles in einer Ecke des Raumes ab. Wenn das Licht eben noch in akkurater Parallelität den Nebel durchschneidet, eilt dieses wenig später kreuz und quer durch den Raum.
Raurouw: »Shock control regression adaptation«
In »Shock control regression adaptation« trifft Ordnung auf Chaos. Dank der neugierigen Besucher erfindet sich die Installation immer wieder neu und steht nie still. Man kann hierin gern die vier Trauerphasen nach Yorick Spiegel sehen: Chaos gleich Schock, Ordnung gleich Kontrolle, Rückzug gleich Regression und Interaktivität als Ausdruck der Anpassung. Dennoch, dieser Eindruck drängt sich nicht auf. Ohne die Erklärung in der Ausstellungseinladung wäre man wohl nicht auf eine solche Assoziation gekommen.
Das war allerdings kein Grund zur Enttäuschung, bezaubert doch die Lichtinstallation durch ihre ungeahnte Eindrücklichkeit. Ließ man sich einmal auf das Spiel mit dem gleißenden Licht ein, war man auch schon im Werk gefangen. Man ist zum Teil der Installation geworden, die ja eben erst dadurch zu dem wird, was sie ist, nämlich eine interagierende, durch ihre Wechselwirkung mit den Anwesenden lebendig wirkende Einheit aus Aktion und Reaktion.
Raurouw: »Shock control regression adaptation«
Gegen 21:00 Uhr dann bot Trevor Lee Larson mit experimenteller, elektronischer Musik den passenden Soundtrack und sorgte zum einzigen Mal für eine Totenstille unter den Besuchern. Kein Wunder, ist doch die Installation mit passender musikalischer Untermalung um einiges eindrucksvoller.
Unterm Strich bleibt jedoch die Erkenntnis, dass »Shock control regression adaptation« am besten mit maximal zehn Anwesenden funktioniert und idealerweise mit passender Musik verstärkt wird. Ersteres war gestern leider nicht gegeben, weshalb ich sicherlich noch einmal die Program Gallery besuchen werde.
Morgen Abend etwa bietet sich hierzu die erste Gelegenheit, wenn Jacob Kirkegaard seine neue Arbeit »Bandera« vorstellt, wofür er wieder einmal simple Geräusche mit erstaunlichen Ergebnis zusammengeführt hat.
Wer »Shock control regression adaptation« selbst erleben will,
der kann noch bis zum 20. August,
immer dienstags bis samstags jeweils von 14.00 bis 19.00 Uhr
die PROGRAM Gallery in der Invalidenstraße 115, 10115 Berlin besuchen.